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Judith Richter über Ursachen und Folgen

Im Mai 2016 haben die Mitgliedsstaaten der WHO eine Entscheidung getroffen, die weitreichende Konsequenzen für die Weltgesundheit hat: Als Herzstück der WHO-Reform wurde das Rahmenwerk zum Umgang mit nicht-staatlichen Akteuren (FENSA[1]) verabschiedet. Und zwar trotz zahlreicher Warnungen, dass diese mangelhaften Regeln den Einfluss von Unternehmen und philanthropischen Stiftungen auf die WHO verstärken würden.

Die Führung der WHO ignorierte wiederholte Aufforderungen von Mitgliedsstaaten, für adäquate Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten zu sorgen. Sämtliche Warnungen, dass dem WHO-Rahmenwerk zur Beziehung mit nicht-staatlichen Akteuren ein falsches Verständnis von Interessenskonflikten zugrunde liege, wurden in den Wind geschlagen.[2] [3]

Außerdem gab es keine angemessene öffentliche Debatte über die Tatsache, dass FENSA eine neues Regelwerk für offizielle WHO-Beziehungen beinhaltet: Eine Änderung der Terminologie kombiniert mit der Einführung eines angeblich übergeordneten Prinzips der Einbindung aller Akteure (principle of inclusiveness) hat die jahrelange Lobbyarbeit von Unternehmen und großen Förderstiftungen mit einem Schlag legitimiert: Quasi automatisch wurden sie als nicht-staatliche Akteure in „offizieller Beziehung“ mit der WHO anerkannt.

Die Bill und Melinda Gates Stiftung war eine der ersten Organisationen, die von den neuen Bedingungen profitierte. Im Januar 2017 erhielt sie den Status als „non-State actor in offizieller Beziehung mit der WHO“ Kaum drei Jahre zuvor hatte ein hoher Berater der Rockefeller Stiftung die Erwartungen der großen Stiftungen unmissverständlich formuliert: „Wir wollen nicht bloß ein weiterer ‚nicht-staatlicher Akteur‘ sein […] Die UN und Regierungen müssen uns mit offenen Armen empfangen und günstige Rahmenbedingungen für Stiftungen einführen, sowohl national als auch über Grenzen hinweg.“[4]

Wirtschaftsverbände mussten länger warten, um als nicht-staatliche unternehmerische Akteure (BINSA [5]) Zugang zu den Führungsgremien der WHO zu gewinnen: 1982 hatte ein PR-Berater transnationalen Unternehmen geraten „wirksam“ die „regulatorische Stimmungslage“ bei der UN zu umgehen und „effektive Nicht-Regierungsorganisationen“ zu kreieren, die dann in allen nur möglichen UN-Organisationen offiziell Indus­trie­interessen vertreten könnten. Mit „Nicht-Regierungsorganisationen“ waren dabei Wirtschaftsverbände wie der Pharmaverband IFPMA gemeint. Dieser betrieb damals eine vehemente Lobbyarbeit und untergrub so die Arbeit der WHO an einem verbindlichen internationalen Arzneimittel-Kodex.[6]

1987 übernahm der Nestlé Geschäftsführer Helmut Maucher die Präsidentschaft der internationalen Handelskammer. In einem Artikel für die Financial Times unter dem Titel „Regieren durch Konsens“ sagte er: „Regierungen müssen verstehen, dass die Wirtschaft nicht nur ein weiterer Interessenverband ist, sondern eine Ressource, die ihnen helfen wird, die richtigen Regeln zu machen.“[6]

Falsche Definitionen

FENSA definiert sowohl individuelle als auch institutionelle Interessenskonflikte. Auf den ersten Blick scheinen sie den Definitionen zu ähneln, die derzeit die meisten Ärztekammern verwenden. Die meisten gehen auf eine Definition von Denis F. Thompson zurück, die das US- Institute of Medicine[7] unter dem Titel „Interessenkonflikte in der Arzneimittelforschung, Lehre und Praxis“ veröffentlichte.[8]

FENSA enthält auf den ersten Blick nur leicht veränderte Definitionen, die in Wirklichkeit aber das ganze Konzept verwässern: „Ein Interessenkonflikt entsteht in Situationen, die das Potenzial haben, sekundäre Interessen zu berühren (Eigeninteresse an einem Arbeitsergebnis der WHO in einem bestimmten Bereich) und damit die Unabhängigkeit oder Objektivität eines professionellen Urteils oder von Handlungen in Bezug auf das primäre Interesse (die Arbeit der WHO) in unangemessener Weise beeinflussen oder zumindest diesen Eindruck erwecken.“ (§ 22)

„Alle Institutionen haben vielfältige Interessen, was bedeutet, dass die WHO bei der Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Akteuren häufig mit einer Kombination aus konvergierenden und gegensätzlichen Interessen konfrontiert ist. Ein institutioneller Interessenkonflikt ist eine Situation, in der die primären Interessen der WHO, die sich aus ihrer Verfassung ergeben, möglicherweise durch den Interessenkonflikt eines nicht-staatlichen Akteurs unangemessen beeinflusst werden oder zumindest der Eindruck erweckt wird, dass er sich auf die Unabhängigkeit und Objektivität der Arbeit der WHO auswirkt […]“ (§ 24)

Diese Definitionen verwischen wichtige Differenzierungen. Darauf wurde schon bei der Weltgesundheitsversammlung 2014 hingewiesen als die Mitgliedsstaaten sich weigerten, den ersten Entwurf von FENSA zu verabschieden.

Bei einer WHO Fachtagung im Jahr 2015, die sich mit dem Umgang mit Interessenskonflikten bei der Planung und Umsetzung von Ernährungsprogrammen auf Länderebene auseinandersetzte, äußerten Experten sich besorgt über ein irreführendes Hintergrundpapier dieser WHO Tagung. Unter anderem vermischte es das FENSA Konzept und Thompsons Konzept zu Interessenkonflikten von 1993.

Die Diskussion zeigte, dass die allgemeinen Definitionen von Interessenkonflikten nicht präzise genug waren. Experten rieten daher „auf andere existierende Definitionen zurückzugreifen“. Die spezifischen Definitionen von Interessenkonflikten entsprächen „nicht dem Standard der Rechtspraxis“.[9]

Der vieldeutige Begriff „vested interest“ sollte nicht in Analysen von Interessenkonflikten verwendet werden, sondern durch Begriffe wie „finanzielle“ oder „persönliche Interessenkonflikte“ ersetzt werden, die innerhalb einer Person oder Organisation auftreten und nicht Konflikte alle Art zwischen verschiedenen Akteuren. Eine Unterscheidung, die von der Jura­professorin Ann Peters in einer Analyse von 2012 vorgeschlagen wurde, die Interessenkonflikte in der globalen Governance thematisierte.[10]

Warum klammert sich die WHO an fragwürdige Definitionen?

Das fragt man sich wirklich. Hätte die Führung der WHO sich auf die relativ simple Definition institutioneller Interessenkonflikte der IoM berufen, hätte sie argumentieren können, dass die WHO ihre wesentlichen institutionellen Interessenkonflikte – verursacht durch die Abhängigkeit von „freiwilliger“ Finanzierung – nicht lösen könne, solange Mitgliedsstaaten sich weigerten, ihre seit Jahren unverändert niedrigen Beiträge anzuheben.

Anstatt auf „zahlreiche Interessen“ von „allen Institutionen“ und Kombinationen von „übereinstimmenden“ und „gegensätzlichen Interessen“ zu verweisen, hätte die WHO-Führung kon­struktiven Vorschlägen folgen können, die bei der Auseinandersetzung um FENSA gemacht wurden. Dann hätte sie z.B. die Ausführungen von Ann Peters beachtet. Die Professorin empfiehlt, dass Konzepte zu Interessenkonflikten, um rechtlich aussagekräftig zu sein, auch auf Loyalitätskonflikte Bezug nehmen sollten – also auf Konflikte, die durch divergierende Rollen ausgelöst werden oder durch Akteure, die „zwei Herren dienen“, die gegen­sätzliche Mandate haben. Die WHO hätte auch festgestellt, dass der Rechtsprofessor Marc Rodwin bereits 1993 so ein Konzept in seinem Buch Medizin, Geld und Moral vorschlug und es seither weiter präzisiert hat.

Die zentrale Frage heute ist: Gibt es Hoffnung, dass der neue Generaldirektor der WHO problematische Konzepte in FENSA korrigieren wird? Macht er sich als ein aus Afrika stammender Generaldirektor Gedanken darüber, dass die Bevölkerung seines Kontinents möglicherweise nicht von einem Entwicklungsmuster profitieren wird, das „freiwillige“ Finanzierung und private Investitionen anpreist? Und darüber, dass im Gegenzug der Einfluss von Konzernen oder der von superreichen Unternehmen gegründeten Stiftungen ausgedehnt wird – sei es in globalen „Partnerschaften mit multiplen Interessenvertretern“ (Stakeholder) oder ganz direkt am Tisch derer, die Politik machen.

Was kann man tun?

Die Verabschiedung der FENSA-Politik hat auch den Diskurs über „Partnerschaften“ neu belebt, die schon in der frühen Phase der WHO Reform kritisch hinterfragt wurden. 2011 schenkten die Mitgliedsstaaten der WHO der Zivilgesellschaft Gehör, als sie Kritik an den Begriffen „Interessenvertreter“ und „Partnerschaft“ äußerte, weil diese Terminologie grundlegende Unterschiede zwischen den Akteuren verschleiert. Damals weigerten sich die Mitgliedsstaaten, ein „Multi-Stakeholder“ Weltgesundheitsforum zu gründen, dem die Generaldirektorin Dr. Margaret Chan bereits zugestimmt hatte. Sie forderten Schutzmaßnahmen, die klar unterscheiden sollten zwischen Akteuren aus dem privaten Sektor und anderen Akteuren.

FENSA ist das Ergebnis dieser Debatte. Es birgt die Gefahr, dass es den Weg ebnet für eine Zunahme schädlicher Verstrickungen, anstatt für ein angemessenes Verhältnis zwischen der WHO, Akteuren aus der Wirtschaft (BINSAs) und Stiftungen zu sorgen.

Eine Überprüfung von FENSA ist vorgesehen. Aber sie wird viel zu spät kommen, um noch verhindern zu können, dass das Konzept von Interessen­konflikten bzw. Strategien zu deren welt­weiter Regulierung ausgehöhlt werden.

SOS

Das Schiff der globalen Gesundheit wird mehr denn je gelenkt von denen, die jetzt auf ihr Recht auf „Einbindung“ als besonders wertvolle „Stakeholder“ pochen können. Sagen Sie „Nein“ zur „Stakeholderisierung“ von öffentlichen Foren und Diskursen und drängen sie auf sofortige Korrektur der WHO-Konzepte zu Interessenskonflikten.

Judith Richter ist Sozialwissenschaftlerin (PhD Soc.) und Apothekerin und forscht zu Regulierung von multinationalen Firmen und demokratischer Regierungsführung. Eine englische Vorversion wurde auf der Mezis-Tagung am 15.9.2017 in Berlin als Poster präsentiert.
https://mezis.de/wp-content/uploads/2017/09/JR_2017_09_Mayday_WHO_CoI-FINAL.pdf
Übersetzung: Antonia Wellmann

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 1/2018, S. 1         

[1] FENSA: Framework for engagement with non-state actors www.who.int/about/collaborations/non-state-actors/en/

[2] Richter J (2014) Time to debate WHO’s understanding of conflict of interests. BMJ www.bmj.com/content/348/bmj.g3351/rr

[3] Richter J (2017) Comments on Draft Approach for the prevention and management of conflicts of interest in the policy development and implementation of nutrition programmes at country level. WHO online consultation, 29 Oct www.who.int/nutrition/consultation-doi/judith_richter.pdf

[4] Martens J and Seitz K (2015) Philanthropic power and development. Who shapes the agenda? Aachen/Berlin/Bonn/New York: Brot für die Welt u.a.

[5] BINSA: Business interest non-state actor. Dieser von Judith Richter geprägte Begriff soll der besseren Unterscheidung der unterschiedlichen Interessen von kommerziellen nichtstaatlichen Akteuren und denjenigen, die das Allgemeinwohl vertreten (PINSA: Public interest non-state actor), deutlich machen.

[6] Zitiert in: Richter J (2001) Holding corporations accountable. London: Zed Books

[7] Seit 2015 National Academy of Medicine (NAM)

[8] http://nationalacademies.org/hmd/activities/workforce/conflictofinterest.aspx

[9] WHO (2016) Addressing and managing conflicts of interest in the planning and delivery of nutrition programmes at country level. www.who.int/nutrition/publications/COI-report/en/

[10] Siehe Fußnote 9, p 4-6

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Siehe auch: Veranstaltungen

 

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