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Globale Gesundheitsstrategie der Bundesregierung veröffentlicht

Nach langwierigem Prozess wurde Anfang Oktober das neue Leitdokument für die globale Gesundheitspolitik Deutschlands vorgestellt. Die Strategie gibt sich ambitioniert, doch ein großer Wurf sieht anders aus.

Es war eine schwere Geburt: Nach großer Verzögerung und über zwei Jahren Arbeitsprozess wurde am 7. Oktober die neue „Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit“ vom Kabinett verabschiedet. Sie löst ein Vorgängerdokument von 2013 ab und trägt den Titel „Verantwortung – Innovation – Partnerschaft: Globale Gesundheit gemeinsam gestalten“.[1]

Für die Erarbeitung der 39-seitigen Leitlinie war das Bundeministerium für Gesundheit (BMG) federführend und alle anderen Ressorts wurden konsultiert. Dies ist insofern delikat, als das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zuletzt noch kurz davor war, sämtliche bilaterale Zusammenarbeit zu Gesundheit zu kappen.[2] Zwischen den Häusern hatte es in den letzten Jahren häufiger hörbar geknirscht.

Aus Sicht des BMG liegen die Schwerpunkte der neuen Strategie vor allem auf kohärentem und partnerschaftlichem Handeln sowie der „Priorisierung von Bereichen, in denen Deutschland sein politisches Engagement, seine Expertise und Kompetenzen bestmöglich einsetzen kann.“ So nimmt z.B. das Thema Digitalisierung besonders viel Raum ein und es stellt sich die Frage, ob soziale Gerechtigkeit oder neue Anlagemöglichkeiten im globalen Gesundheitsmarkt hier die treibende Kraft sind.[3]

Agenda 2030 gibt Richtung vor

Handlungsleitend soll die Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung sein. Entsprechend erstrecken sich die Inhalte von Gendergerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit über Universal Health Coverage (UHC), Präventionsstärkung und Klimawandel bis hin zum Schutz humanitärer Hilfe.

Hervorgehoben wird zudem die Bedeutung multilateraler Kooperation, dabei wird gerade die wichtige Rolle der WHO und ihre notwendige (auch finanzielle) Stärkung hervorgehoben. Erfreulich ist, dass der neuen Strategie ein umfassenderes Verständnis von Gesundheit zugrunde liegt und auch soziale Determinanten in den Blick genommen werden.

Doch ein großer Wurf sieht anders aus. Dafür, dass das Dokument eine Art Vision für die kommenden zehn Jahre formulieren soll, liest es sich als erschreckend Status-Quo fixiert und konfliktscheu. „Die Aussagen bleiben an vielen Stellen unkonkret und wenig zukunftsorientiert“, kommentiert Susan Bergner von der Stiftung Wissenschaft und Politik.[4]

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Problem Arzneimittelzugang

Ein plastisches Beispiel dafür sind Hürden beim Zugang zu Arzneimitteln. Dazu zählen hohe Preise, verursacht durch geistige Eigentumsrechte (vor allem Patente), und die Intransparenz von Arzneimittelmärkten.[5]

Zwar formuliert die neue Gesundheitsstrategie, Deutschland werde „sich für kontinuierlichen, gerechten Zugang zu sicheren Impfstoffen, Arzneimitteln, Medizinprodukten und Medizintechnik engagieren.“ In der näheren Erläuterung jedoch heißt es, dabei werde ein „systemorientierter Ansatz verfolgt“, der u.a. „die Qualität der Produktion und Aufbewahrung und die lokale Verfügbarkeit, den gerechten Zugang und die Bezahlbarkeit sowie die Sicherung geistiger Eigentumsrechte“ umfasse.

„Systemorientiert arbeiten“ ist dabei eine rhetorische Nebelkerze. Der Begriff suggeriert, dass Patentprobleme und Preishürden nur ein Teilproblem darstellen und Veränderungen des Systems daher unnötig seien. Die Bezahlbarkeit von Medikamenten und geistige Eigentumsrechte werden dabei nicht einmal als divergierende Interessen bzw. als Zielkonflikt erkannt und in einem Atemzug genannt. Statt klarer Strategien für die Versorgung mit preiswerten unentbehrlichen Medikamenten wird im gleichen Abschnitt der Kampf gegen Medikamentenfälschungen in den Vordergrund gestellt. Das erinnert fatal an Argumente der Pharmaindustrie die suggerieren, nur teure Markenprodukte seien sicher.

Klare Strategien zu einer Umorientierung der Forschung fehlen. Stattdessen werden Produktentwicklungspartnerschaften (PDPs) gepriesen, „weil der Aspekt der Zugangsgerechtigkeit hier von Anfang an mitgedacht wird.“ Bedeutet im Umkehrschluss: Überall sonst im Pharma-Bereich spielt Gerechtigkeit keine Rolle und daran soll sich auch nichts ändern. Die durch den Patentschutz ausgelöste Fehlsteuerung, die nicht nur teure, sondern auch wenig sinnvolle Medikamente hervorbringt, wird nicht einmal erwähnt.

Universelle Versorgung sichern?

Es ließe sich vermuten, dass progressive Forderungen zum Thema Zugang den Spießrutenlauf durch die Ressorts nicht überstanden haben. Es ist aber auch möglich, dass das federführende BMG schlichtweg selbst nicht sehr ambitioniert war. In jedem Falle ist diese eklatante Schieflage keineswegs nebensächlich. Schließlich geraten längst auch Länder des globalen Nordens durch extrem hohe Arzneimittelkosten an ihre Belastungsgrenze. Und eine universelle Gesundheitsversorgung (UHC) wie sie an allen Ecken und Enden in der Gesundheitsstrategie beschworen wird, basiert nicht zuletzt darauf, dass kostengünstige Medikamente, Impfstoffe und Medizinprodukte für alle zur Verfügung stehen, die sie benötigen.[6]

Verantwortung, häppchenweise

Auch antimikrobielle Resistenzen und der One Health-Ansatz sind zentrale Themen des neuen Strategie-Papiers. Die (von Seiten der Politik geförderte) stark auf den Export ausgerichtete deutsche Fleischproduktion und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen durch die Vermarktung von Billigfleisch auf dem Weltmarkt findet dagegen keinerlei Erwähnung. „Beim Schweinefleisch spielen z.B. ostasiatische Länder eine besondere Rolle, weil dorthin Schweineohren, -schwänze und -füße geliefert werden, die in Deutschland keine Verwendung finden. [..] Insbesondere tiefgefrorene Hühnerteile gehen in verschiedene afrikanische Länder.“[7]

Die im Titel der Strategie beschworene Verantwortung wird also höchst selektiv übernommen. Gleiches gilt beim Thema Klimawandel und dessen Folgen für die globale Gesundheit – ein weiterer Fokus des Papiers. Zu wichtigen Treibern des Klimawandels, wie zum Beispiel dem problematischen Schutz der Autoindustrie, findet sich nichts.

Im freien Raum

2025 soll für die Gesundheitsstrategie eine Evaluierung „durch einen ressortübergreifenden Prozess“ erfolgen. Es steht zu hoffen, dass im Zuge dessen auch zivilgesellschaftliche Akteure konsultiert werden. Außerdem stellt sich unweigerlich die Frage, auf welcher belastbaren Basis diese Analyse erfolgen soll. In dem Dokument finden sich dafür nämlich keine konkreten Anhaltspunkte.

Flankierend eine Umsetzungsstrategie zu verabschieden, wäre zielführend gewesen. Sie fehlt jedoch und so steht das neue Dokument nun gleichsam im freien Raum und trägt erste Züge eines Papiertigers. Umso mehr, als es zum klassischen Knackpunkt „Finanzierung“ lediglich heißt: „Die Umsetzung dieser Strategie wird sich in die haushalts- und finanzpolitischen Vorgaben der Bundesregierung einfügen.“  (MK)

Artikel aus dem Pharma-Brief 8-9/2020, S.4

[1] Bundesministerium für Gesundheit (2020) Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Broschueren/GlobaleGesundheitsstrategie_Web.pdf [Zugriff 22.10.2020]

[2] Welt-Sichten (2020) Gesundheitsstrategie im Zeichen von Corona. www.welt-sichten.org/artikel/38262/gesundheitsstrategie-im-zeichen-von-corona [Zugriff 23.10.2020]

[3] Deutsche Plattform für Globale Gesundheit (2019) Digitalisierung im Gesundheitswesen. Ein Wundermittel auf dem Weg zur Gesundheit für alle? www.plattformglobalegesundheit.de/wp-content/uploads/2019/07/DPGG_peter_grabitz.pdf [Zugriff 23.10.2020]

[4] Bergner S (2020) Startschuss für die neue globale Gesundheitsstrategie Deutschlands. www.swp-berlin.org/publikation/startschuss-fuer-die-neue-globale-gesundheitsstrategie-deutschlands/ [Zugriff 23.10.2020]

[5] Brot für die Welt (2016) Medicines, Patents, Access and Innovation. www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Analyse/Analyse_58_Medicine_Patents.pdf [Zugriff 23.10.2020]

[6] Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (2020) Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel im Rahmen der WHO-Spenden-Videokonferenz. www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressestatement-von-bundeskanzlerin-merkel-im-rahmen-der-who-spenden-videokonferenz-1746960 [Zugriff 22.10.2020]

[7] Pharma-Brief (2020) Resistente Erreger. Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt. Spezial Nr. 1.