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Untenstehend findet sich die „Kampala-Erklärung“ zur internationalen Hilfe. Thomas Schwarz von Medicus Mundi International erzählt wie es dazu kam und warum eine kritische Auseinandersetzung mit dem Hilfe-Paradigma auch heute so wichtig ist.

In Zeiten von Covid-19 zeigt sich in aller Deutlichkeit die Notwendigkeit der international Zusammenarbeit. Aber es zeigen sich auch die ungleichen Bedingungen und Chancen und die immanente Ungerechtigkeit einer von Wirtschaftsinteressen und Eigennutz bestimmten „Weltunordnung“. Viele Staaten und Gesellschaften, die sich mit dem Zugang zu Gesundheitsversorgung abmühen, sind weiterhin auf die Gelder und Leistungen aus der Entwicklungshilfe angewiesen, ob sie dies nun wollen oder nicht. „Nothilfe“ bleibt vorderhand eine Realität – und es ist weiterhin nötig diese Realität und ihre Akteure, Strukturen, Paradigmen und Programme kritisch zu beleuchten und zu hinterfragen. Das oft angekündigte „Ende der Entwicklungszusammenarbeit“ ist nicht in Sicht, auch nicht im neoliberalen Sinne des globalen Marktes, der dann schon alles regeln wird.

Sich kritische Fragen zu Legitimation, Relevanz und Wirksamkeit der Entwicklungshilfe zu stellen, gehört wohl zur politischen Sozialisation aller, die sich für Solidarität und Gerechtigkeit einsetzen. Und mit ihrer Kombination von Selbstgefälligkeit und Ahnungslosigkeit haben es viele „Helfer“ und „Helferinnen“ ihren KritikerInnen denn auch einfach gemacht. Was haben die Älteren unter uns doch seinerzeit gelacht beim Lesen von Isolde Schaads Buch „Knowhow am Kilimandscharo“, und wie haben wir genervt von Bob Geldofs „Band Aid“ Konzert im Wembley-Stadion auf die Sportschau gezappt.Kampala meeting

Nicht nur haben sich in den Achtzigerjahren die Bücherregale mit kritischen Analysen und Forderungen zur Entwicklungszusammenarbeit gefüllt. Ich erspare Ihnen eine Literaturliste, Google genügt. Auch die Hilfswerke und andere Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit haben seither viel hinzugelernt. Zumindest auf Diskursebene kommt die Entwicklungshilfe oder „internationale Zusammenarbeit“ heutzutage viel selbstkritischer, viel bewusster daher. Das ist auch notwendig, denn die Herausforderungen sind noch immer dieselben.

In Deutschland hat etwa medico international das Konzept der „kritischen Nothilfe“ auf den Punkt gebracht und die Kritik der „Wohltätigkeit“ mit einer fundierten Globalisierungskritik und der Forderung nach echter Solidarität verbunden.[1] Die Beiträge von medico sind gerade deshalb so relevant und herausfordernd, weil sie aus einer kritischen Innensicht geschrieben sind. Das ist keine souveräne Abrechnung mit dem „Entwicklungsbusiness“ aufgrund akademischer oder journalistischer Recherche, da geht es um das Ringen um Sinn aus der Perspektive des solidarischen Handelns.

Ein solches Ringen um Sinn findet in vielen „Hilfswerken“ und Institutionen statt, auch im Bereich der Gesundheitszusammenarbeit. So hat sich das Netzwerk Medicus Mundi International (MMI), dem auch medico international und action medeor angehören, in den letzten Jahren in Publikationen und Anlässen vertieft mit Fragen der Relevanz, Legitimation und Wirksamkeit der Gesundheitszusammenarbeit auseinandergesetzt – ein nicht einfacher Prozess der Selbstreflektion, dem sich auch nicht alle Mitglieder des Netzwerks gleichermaßen gestellt haben. Nach Diskussionsanlässen bei den Versammlungen des „People’s Health Movement“ in Kapstadt (2012) und Dhaka (2018) hat das Netzwerk im letzten Jahr einmal mehr den Schritt über die kritische Innensicht und den Austausch im geschützten Bereich hinaus unternommen. Im Herbst 2019 lud MMI gemeinsam mit Organisationen aus Ostafrika zu einem zivilgesellschaftlichen Workshop in Kampala ein. Das Thema lautete: „How to advance cooperation and solidarity for health equity within and beyond aid.“ Eine gemeinsame Planungsgruppe bereitete die Konferenz vor und setzte sich im Vorfeld mit vier politischen Leitfragen und einer Reihe von ausgesuchten Fallstudien auseinander, die dann in einer Serie von Webinaren und im Workshop beleuchtet wurden.

Eine unerwartete Erkenntnis aus dem Workshop bestand darin, dass es auch für die zivilgesellschaftlichen Akteure aus verschiedenen afrikanischen Ländern keineswegs selbstverständlich und einfach ist, sich mit der Entwicklungszusammenarbeit und ihren Akteuren kritisch auseinandersetzen. Viele Organisationen sind selbst ein Teil des Systems geworden. Nationale „Dialogplattformen“ werden von smarten, hochprofessionellen NGOs dominiert, und eine Interessensharmonie zwischen Regierungen, internationalen Programmen und nichtstaatlichen Akteuren erstickt kritische Fragen im Ansatz. Und ja, die Hand die Dich füttert...

Beim Workshop selbst stand die „politische“ oder grundsätzliche Analyse und Debatte aber nicht im Vordergrund. Die Frage, was denn eigentlich das Problem ist, wurde konsequent ergänzt mit der Frage, was getan werden kann und auf einzelne Geschichten und Fälle „heruntergebrochen“. Am Ende des Workshops waren sich die Teilnehmenden einig, dass es tatsächlich einiges zu tun gibt.

So entstand aus dem „Kampala-Workshop“ die „Kampala-Initiative“[2] als Versuch, ein demokratisches zivilgesellschaftlichen Forum von unabhängigen, kritisch denkenden AktivistInnen und Organisationen aus dem globalen Süden und Norden zu schaffen. Ihr Ziel: Im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit und darüber hinaus Solidarität und Zusammenarbeit neu zu definieren und einzufordern. Mit der „Kampala-Erklärung“ (siehe nächste Seite) hat sich die Kampala-Initiative einen programmatischen Rahmen gesetzt. Über 80 Organisationen, darunter auch die BUKO Pharma-Kampagne, haben die Erklärung seit ihrer Lancierung im Januar 2020 unterzeichnet.

„Einmal mehr, hatten wir doch schon“, werden wohl einige einwenden. – Ja, einmal mehr. Weil es halt immer noch nötig ist.

Thomas Schwarz ist Geschäftsführer des Netzwerks Medicus Mundi International: www.medicusmundi.org 

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.5

Bild © privat

[1] Beyond Aid Dokumentation: Von Wohltätigkeit zu Solidarität. www.medico.de/von-wohltaetigkeit-zu-solidaritaet-14673/

[2] Wir sind noch auf der Suche nach etwas Startkapital für eine minimale Struktur (Sekretariat, Kommunikation) für die Kampala-Initiative, und deshalb ist ihre Website vorläufig noch zu Gast bei Medicus Mundi International: www.medicusmundi.org/kampalainitiative

 

Erklärung von Kampala über Zusammenarbeit und Solidarität für gerechte Gesundheit in der internationalen Hilfe und darüber hinaus

Überall auf der Welt wird Gesundheitsgerechtigkeit verwehrt, und gesundheitliche Entwicklungshilfe verstärkt oft die Machtungleichgewichte, die die gesundheitlichen Ungleichheiten verursachen. Die Prioritäten der Geber aus dem Norden diktieren die Hilfsagenda, die von den von ihnen finanzierten NGOs und „Partnern“ aus dem Süden umgesetzt wird. Diese Prioritäten kollidieren oft mit den Bedürfnissen und Anliegen von Gemeinschaften, Regierungen und der Zivilgesellschaft in vielen Ländern der Welt.

Der Raum der Hilfe wird von mächtigen Interessen dominiert, während die Stimmen derer, die am stärksten von gesundheitlicher Ungleichheit betroffen sind, regelmäßig instrumentalisiert werden oder aus der Konversation ausgeschlossen werden. Viele Akteure innerhalb des Sektors – selbst unter den Gemeinschaften und der Zivilgesellschaft – stellen die der Gesundheitshilfe zugrunde liegenden Prämissen und Strukturen nicht in Frage. Ihre eigenen Ideen und Weltanschauungen wurden von und für die Hilfe und der Industrie, die sie unterstützt, geprägt. Die Infragestellung der Entwicklungshilfe stellt die Berufsbilder, den Lebensunterhalt und die Machtposition derjenigen, die in diesem Sektor arbeiten, vor Herausforderungen.

Darüber hinaus ist Gesundheitshilfe zwar in manchen Situationen wichtig, aber allein kann sie nie zu einer Welt führen, in der alle Menschen gesund leben können. Um dies zu erreichen, müssen wir die zugrunde liegenden Ursachen bekämpfen, die für schlechte Gesundheit verantwortlich sind und sie aufrechterhalten. Dazu gehören u.a. unfaire Handelsabkommen, Steuer­ungerechtigkeit, die Klimakrise, die Schwäche der bestehenden Leitlinien für die Gesundheitshilfe, die unkontrollierte Ausbeutung und Gewinnung von natürlichen Ressourcen, unterfinanzierte Gesundheitssysteme und die politisch-ökonomischen Anreize, die diese krankheitserzeugenden Kräfte stärken. Diese sozialen, kommerziellen, wirtschaftlichen und politischen Determinanten der Gesundheit wurden von der Hilfe toleriert oder ignoriert. Dadurch verstärken sie die gesundheitlichen Ungleichheiten, die durch die Hilfe behoben werden sollen.

Wir glauben, dass kollektives, solidarisches und soziales Handeln als eine globale Gemeinschaft, die sich gemeinsam mit den Gründen unseres Kampfes für Gesundheit befasst, die Hilfe in ein faires Mittel zur Sicherung des Rechts auf Gesundheit verwandeln kann. Dies bedeutet, dass wir aus Mitgefühl im Streben nach Gerechtigkeit handeln und uns umeinander sorgen, zuhören und helfen, um so Verbundenheit und Gerechtigkeit in der ganzen Welt zu fördern.

Mit der Kampala-Initiative verpflichten wir uns, die Gesundheitshilfe durch Dialog, Fürsprache, Aktivismus und Aktionen zu exponieren, zu erforschen, in Frage zu stellen und zu transformieren. Wir verpflichten uns, Zusammenarbeit und Solidarität für die Gesundheit aufzubauen, innerhalb und über die Praxis der Hilfe hinaus, um eine Zukunft zu schaffen, in der das Recht auf Gesundheit und Gesundheit für alle verwirklicht werden und Hilfe nicht länger notwendig ist.

Konkret werden wir:

  • eine kritische Analyse der Hilfe vorantreiben und ihren Missbrauch in Frage stellen;
  • die Machtdynamik im Herzen der Hilfsstrukturen in Frage stellen;
  • die Ursachen von Gesundheitsproblemen zur Kenntnis nehmen und auf sie reagieren, wobei wir niemals so tun werden, als sei Hilfe die Lösung;
  • schädliche Narrative der Hilfe und Nächstenliebe in Frage stellen, wo sie existieren;
  • die schädlichen Machtdynamiken korrigieren, wo sie in unseren eigenen Organisationen existieren;
  • solidarisch als Partner im globalen Süden und Norden zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die internationale Gesundheitsfinanzierung auf sozialer Gerechtigkeit und nicht auf neokolonialen Ideen und Praktiken beruht.

Kampala/Genf, 27. Januar 2020

 

Die BUKO Pharma-Kampagne hat die Kampala-Erklärung mit unterzeichnet.

Übersetzung: Jörg Schaaber