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2020-artikel

Globale Gesundheitsstrategie der Bundesregierung veröffentlicht

Nach langwierigem Prozess wurde Anfang Oktober das neue Leitdokument für die globale Gesundheitspolitik Deutschlands vorgestellt. Die Strategie gibt sich ambitioniert, doch ein großer Wurf sieht anders aus.

Es war eine schwere Geburt: Nach großer Verzögerung und über zwei Jahren Arbeitsprozess wurde am 7. Oktober die neue „Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit“ vom Kabinett verabschiedet. Sie löst ein Vorgängerdokument von 2013 ab und trägt den Titel „Verantwortung – Innovation – Partnerschaft: Globale Gesundheit gemeinsam gestalten“.[1]

Für die Erarbeitung der 39-seitigen Leitlinie war das Bundeministerium für Gesundheit (BMG) federführend und alle anderen Ressorts wurden konsultiert. Dies ist insofern delikat, als das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zuletzt noch kurz davor war, sämtliche bilaterale Zusammenarbeit zu Gesundheit zu kappen.[2] Zwischen den Häusern hatte es in den letzten Jahren häufiger hörbar geknirscht.

Aus Sicht des BMG liegen die Schwerpunkte der neuen Strategie vor allem auf kohärentem und partnerschaftlichem Handeln sowie der „Priorisierung von Bereichen, in denen Deutschland sein politisches Engagement, seine Expertise und Kompetenzen bestmöglich einsetzen kann.“ So nimmt z.B. das Thema Digitalisierung besonders viel Raum ein und es stellt sich die Frage, ob soziale Gerechtigkeit oder neue Anlagemöglichkeiten im globalen Gesundheitsmarkt hier die treibende Kraft sind.[3]

Agenda 2030 gibt Richtung vor

Handlungsleitend soll die Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung sein. Entsprechend erstrecken sich die Inhalte von Gendergerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit über Universal Health Coverage (UHC), Präventionsstärkung und Klimawandel bis hin zum Schutz humanitärer Hilfe.

Hervorgehoben wird zudem die Bedeutung multilateraler Kooperation, dabei wird gerade die wichtige Rolle der WHO und ihre notwendige (auch finanzielle) Stärkung hervorgehoben. Erfreulich ist, dass der neuen Strategie ein umfassenderes Verständnis von Gesundheit zugrunde liegt und auch soziale Determinanten in den Blick genommen werden.

Doch ein großer Wurf sieht anders aus. Dafür, dass das Dokument eine Art Vision für die kommenden zehn Jahre formulieren soll, liest es sich als erschreckend Status-Quo fixiert und konfliktscheu. „Die Aussagen bleiben an vielen Stellen unkonkret und wenig zukunftsorientiert“, kommentiert Susan Bergner von der Stiftung Wissenschaft und Politik.[4]

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Problem Arzneimittelzugang

Ein plastisches Beispiel dafür sind Hürden beim Zugang zu Arzneimitteln. Dazu zählen hohe Preise, verursacht durch geistige Eigentumsrechte (vor allem Patente), und die Intransparenz von Arzneimittelmärkten.[5]

Zwar formuliert die neue Gesundheitsstrategie, Deutschland werde „sich für kontinuierlichen, gerechten Zugang zu sicheren Impfstoffen, Arzneimitteln, Medizinprodukten und Medizintechnik engagieren.“ In der näheren Erläuterung jedoch heißt es, dabei werde ein „systemorientierter Ansatz verfolgt“, der u.a. „die Qualität der Produktion und Aufbewahrung und die lokale Verfügbarkeit, den gerechten Zugang und die Bezahlbarkeit sowie die Sicherung geistiger Eigentumsrechte“ umfasse.

„Systemorientiert arbeiten“ ist dabei eine rhetorische Nebelkerze. Der Begriff suggeriert, dass Patentprobleme und Preishürden nur ein Teilproblem darstellen und Veränderungen des Systems daher unnötig seien. Die Bezahlbarkeit von Medikamenten und geistige Eigentumsrechte werden dabei nicht einmal als divergierende Interessen bzw. als Zielkonflikt erkannt und in einem Atemzug genannt. Statt klarer Strategien für die Versorgung mit preiswerten unentbehrlichen Medikamenten wird im gleichen Abschnitt der Kampf gegen Medikamentenfälschungen in den Vordergrund gestellt. Das erinnert fatal an Argumente der Pharmaindustrie die suggerieren, nur teure Markenprodukte seien sicher.

Klare Strategien zu einer Umorientierung der Forschung fehlen. Stattdessen werden Produktentwicklungspartnerschaften (PDPs) gepriesen, „weil der Aspekt der Zugangsgerechtigkeit hier von Anfang an mitgedacht wird.“ Bedeutet im Umkehrschluss: Überall sonst im Pharma-Bereich spielt Gerechtigkeit keine Rolle und daran soll sich auch nichts ändern. Die durch den Patentschutz ausgelöste Fehlsteuerung, die nicht nur teure, sondern auch wenig sinnvolle Medikamente hervorbringt, wird nicht einmal erwähnt.

Universelle Versorgung sichern?

Es ließe sich vermuten, dass progressive Forderungen zum Thema Zugang den Spießrutenlauf durch die Ressorts nicht überstanden haben. Es ist aber auch möglich, dass das federführende BMG schlichtweg selbst nicht sehr ambitioniert war. In jedem Falle ist diese eklatante Schieflage keineswegs nebensächlich. Schließlich geraten längst auch Länder des globalen Nordens durch extrem hohe Arzneimittelkosten an ihre Belastungsgrenze. Und eine universelle Gesundheitsversorgung (UHC) wie sie an allen Ecken und Enden in der Gesundheitsstrategie beschworen wird, basiert nicht zuletzt darauf, dass kostengünstige Medikamente, Impfstoffe und Medizinprodukte für alle zur Verfügung stehen, die sie benötigen.[6]

Verantwortung, häppchenweise

Auch antimikrobielle Resistenzen und der One Health-Ansatz sind zentrale Themen des neuen Strategie-Papiers. Die (von Seiten der Politik geförderte) stark auf den Export ausgerichtete deutsche Fleischproduktion und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen durch die Vermarktung von Billigfleisch auf dem Weltmarkt findet dagegen keinerlei Erwähnung. „Beim Schweinefleisch spielen z.B. ostasiatische Länder eine besondere Rolle, weil dorthin Schweineohren, -schwänze und -füße geliefert werden, die in Deutschland keine Verwendung finden. [..] Insbesondere tiefgefrorene Hühnerteile gehen in verschiedene afrikanische Länder.“[7]

Die im Titel der Strategie beschworene Verantwortung wird also höchst selektiv übernommen. Gleiches gilt beim Thema Klimawandel und dessen Folgen für die globale Gesundheit – ein weiterer Fokus des Papiers. Zu wichtigen Treibern des Klimawandels, wie zum Beispiel dem problematischen Schutz der Autoindustrie, findet sich nichts.

Im freien Raum

2025 soll für die Gesundheitsstrategie eine Evaluierung „durch einen ressortübergreifenden Prozess“ erfolgen. Es steht zu hoffen, dass im Zuge dessen auch zivilgesellschaftliche Akteure konsultiert werden. Außerdem stellt sich unweigerlich die Frage, auf welcher belastbaren Basis diese Analyse erfolgen soll. In dem Dokument finden sich dafür nämlich keine konkreten Anhaltspunkte.

Flankierend eine Umsetzungsstrategie zu verabschieden, wäre zielführend gewesen. Sie fehlt jedoch und so steht das neue Dokument nun gleichsam im freien Raum und trägt erste Züge eines Papiertigers. Umso mehr, als es zum klassischen Knackpunkt „Finanzierung“ lediglich heißt: „Die Umsetzung dieser Strategie wird sich in die haushalts- und finanzpolitischen Vorgaben der Bundesregierung einfügen.“  (MK)

Artikel aus dem Pharma-Brief 8-9/2020, S.4

[1] Bundesministerium für Gesundheit (2020) Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Broschueren/GlobaleGesundheitsstrategie_Web.pdf [Zugriff 22.10.2020]

[2] Welt-Sichten (2020) Gesundheitsstrategie im Zeichen von Corona. www.welt-sichten.org/artikel/38262/gesundheitsstrategie-im-zeichen-von-corona [Zugriff 23.10.2020]

[3] Deutsche Plattform für Globale Gesundheit (2019) Digitalisierung im Gesundheitswesen. Ein Wundermittel auf dem Weg zur Gesundheit für alle? www.plattformglobalegesundheit.de/wp-content/uploads/2019/07/DPGG_peter_grabitz.pdf [Zugriff 23.10.2020]

[4] Bergner S (2020) Startschuss für die neue globale Gesundheitsstrategie Deutschlands. www.swp-berlin.org/publikation/startschuss-fuer-die-neue-globale-gesundheitsstrategie-deutschlands/ [Zugriff 23.10.2020]

[5] Brot für die Welt (2016) Medicines, Patents, Access and Innovation. www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Analyse/Analyse_58_Medicine_Patents.pdf [Zugriff 23.10.2020]

[6] Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (2020) Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel im Rahmen der WHO-Spenden-Videokonferenz. www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressestatement-von-bundeskanzlerin-merkel-im-rahmen-der-who-spenden-videokonferenz-1746960 [Zugriff 22.10.2020]

[7] Pharma-Brief (2020) Resistente Erreger. Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt. Spezial Nr. 1.


Interview mit Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser

Schwarzkopf SteinhauserDr. med. Dipl.-Ing. Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser ist Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Bis 2019 war er leitender Arzt der Stabsstelle Klinikhygiene an den städtischen Krankenhäusern in München. Derzeit ist er u.a. an einem Projekt des Robert-Koch Instituts zur Resistenzüberwachung in Nigeria beteiligt.

Können bakterielle Erkrankungen in Deutschland in naher Zukunft nicht mehr erfolgreich behandelt werden?

Derzeit muss man sich grundsätzlich keine Sorgen machen, weil bei normalen bakteriellen Erkrankungen im ambulanten Bereich multiresistente Erreger eher selten sind. In der Klinik kann es jedoch durch die dort häufig notwendigen Antibiotikatherapien zur Selektion von multiresistenten Erregern (MRE) kommen. Wenn diese wegen Hygienedefiziten auf andere empfängliche Patienten übertragen werden, sind möglicherweise einzelne Erkrankungen nicht mehr behandelbar. In Krankenhäusern gibt es immer wieder Ausbruchsituationen, dass ein multiresistenter Erreger auf einer Station auf mehrere PatientInnen übertragen wird.

Warum passiert das?

Wesentliche Ursachen dafür sind: Die räumlichen Voraussetzungen, um Übertragungen zu verhindern, sind nicht vorhanden, und zweitens ist die personelle Ausstattung nicht ausreichend, um alle Hygienemaßnahmen einhalten zu können. Eine gute Personalausstattung muss in den Kliniken also gewährleistet werden.

Sind resistente Erreger denn häufig in Deutschland und wann werden sie zum Problem?

Nahrungsmittel können ein Problem sein, besonders Hühnchen-, Puten- und auch Schweinefleisch. Bei Hühnchenfleisch findet man nach verschiedenen Untersuchungen auf bis zu 40% der Proben multirestente Erreger, sowohl Kolibakterien als auch Staphylokokken. Und die können in der Küche, wenn man bei der Zubereitung des Essens nicht gut aufpasst, in den Darm gelangen. Diese Erreger verursachen erstmal keine Infektionen, sie kolonisieren den Darm aber für eine bestimmte Zeit. Wird man aber aus irgendeinem Grund krank, bekommt zum Beispiel einen Harnwegsinfekt, dann können diese multirestenten Erreger selektiert und zum Problem bei einer Infektion werden, die eine Antibiotikatherapie erforderlich macht.

Was bedeutet das genau?

Selektion bedeutet, dass die resistenten Erreger übrig bleiben, wenn man ein Antibiotikum einnimmt. Alle empfindlichen Erreger im Mikrobiom – wir haben ja viele Bakterien im Darm und auf der Haut – werden durch das Antibiotikum abgetötet. Nur die resistenten Erreger finden ideale Bedingungen, sich zu vermehren. Obwohl diese Erreger primär mit der aktuellen Infektion nichts zu tun hatten, können sie die Ursache für die nächste Erkrankung sein.

Um dieses Problem zu erkennen, braucht man ausreichend mikrobiologische Diagnostik, damit die resistenten Erreger nachgewiesen werden können. Dann kann man diese gezielt behandeln. Erst wenn die Panresistenz auftritt, also kein Antibiotika mehr hilft, gibt es keine Behandlungsmöglichkeiten mehr. Das gibt es in Einzelfällen in der Tat schon heute.

Fördert Verschreibungspraxis Resistenzen?

Natürlich. Jede Einnahme von Antibiotika trägt dazu bei, dass resistente Erreger selektiert werden. Und jetzt kommt noch ein ganz wichtiger Punkt dazu: Wenn resistente Bakterien vorhanden sind, dann gibt es Resistenzgene, sogenannte R-Plasmide, die auch auf andere Bakterienstämme übertragbar sind. Dann wirkt dasselbe Antibiotikum auch gegen diese anderen Bakterienstämme nicht mehr, wenn sie zu einer Infektion führen.

Das heißt, ganz andere Bakterien „lernen“ von der Resistenz und können sich besser gegen Antibiotika wehren?

Genau, die Bakterien lernen, Antibiotika zu überleben, sie können fremde Resistenzgene aufnehmen.

Gibt es bestimmte Berufsgruppen, die häufig resistente Erreger tragen?Health E Bakteriennachweis

Ja, beispielsweise Beschäftigte in Tiermastbetrieben, wo viele Antibiotika eingesetzt werden. Wo also nicht ein einzelnes Tier behandelt wird, sondern ganze Herden, besonders Hühnchen, Schweine, Puten. Das sind so die typischen Mastbetriebe und da ist bekannt, dass die Arbeiter dort häufiger mit diesen multiresistenten Erregern kolonisiert sind. Das führt in der Regel nicht zu Erkrankungen, sondern es passiert erst etwas, wenn sie eine klassische Infektion bekommen. Harnwegsinfektionen sind dabei am häufigsten. Oder weil sie wegen anderer Erkrankungen intensivmedizinisch behandelt werden müssen oder eine Krebserkrankung haben. Wenn sie eine Infektion bekommen, ist diese Berufsgruppe schwieriger zu behandeln. Dann braucht man eine schnellen mikrobiologischen Keimnachweis. Weil man sonst nicht weiß, welche Antibiotika noch wirken.

Wir leben in einer sehr vernetzten Welt. Spielt es eine Rolle, dass TouristInnen und Geschäftsleute durch Reisen Resistenzen einschleppen?

Es gibt Daten, die zeigen, dass zum Beispiel in einem Land wie Indien, wo in der Umwelt wesentlich mehr resistente Bakterien vorhanden sind, über Nahrungsmittel resistente Bakterien aufgenommen werden. Wenn man jemanden untersucht, der zum Beispiel vier Wochen in Indien war, findet man zu 30-40% resistente Erreger. Das macht zuerst einmal gar nichts. Wenn die Person aber danach eine Infektion bekommt, dann kann das durchaus problematisch werden.

Der zweite Punkt, der eine Rolle spielt: Wenn man in einem Land wie Türkei, Griechenland oder Indien zum Beispiel wegen einem Herzinfarkt oder einem Unfall auf eine Intensivstation eingeliefert wird, dann wird dort fast immer mit Antibiotika therapiert und die PatientInnen werden mit multiresistenten Erregern kolonisiert. Und bringen diese nach Deutschland zurück.

Können denn Leute, die gesund sind, aber diese Keime in sich tragen, andere anstecken?

Im Normalfall ist das eher unwahrscheinlich, nur wenn sie diese Erreger in größerer Menge ausscheiden. Und dann braucht man auch immer noch einen Empfänger dazu, der eine geschwächte Immunabwehr hat, dessen Mikrobiom z.B. auf Grund einer Antibiotikatherapie zerstört ist. Deshalb ist eine solche Übertragung eher im Krankenhaus möglich und nicht im normalen Alltag.

Was können ÄrztInnen tun, um das Problem zu verringern?

Als allererstes ist die Indikation für eine Therapie mit Antibiotika ganz klar zu stellen, das heißt, nur bei klassischen bakteriellen Infektionen überhaupt ein Antibiotikum zu verordnen. Wir wissen, dass in Deutschland 40-50% der Verordnungen in Arztpraxen nicht notwendig sind. Und das trägt alles zur Selektion von resistenten Erregern bei. Deshalb ist es zwingend erforderlich, in diesem Bereich noch mehr Fortbildungen zu machen.

Was können wir von anderen Ländern lernen?

In Schweden kann ein Großteil der Antibiotika nur verordnet werden, wenn zusätzlich ein Fachexperte die Indikation bestätigt. Das trägt dazu bei, den unnötigen Einsatz zu reduzieren.

Was können PatientInnen beitragen?

Viele glauben ja, dass wenn sie eine Infektion haben, Antibiotika ein Wundermittel sind. Sie wissen meist nicht, dass ein Großteil der Infektionen viral bedingt ist. Das heißt, wenn sie zu einem Arzt gehen, dann muss im Gespräch klargestellt werden, ob überhaupt ein Antibiotikum angezeigt ist. Es gibt viele Möglichkeiten, es besser zu machen: Wenn der Verdacht einer bakteriellen Infektion besteht, erst einmal mit Tests feststellen, ob das wirklich stimmt. Oder der Arzt bespricht mit der Patientin, erst einmal abzuwarten, ob bestimmte Symptome wie zum Beispiel Fieber und Halsschmerzen nicht weggehen. Nur wenn die Symptome bleiben, soll das Rezept eingelöst werden. So kann man rund 30% des Antibiotikaeinsatzes vermeiden.

Es gibt ja seit einigen Jahren in Deutschland die sogenannte DART-Strategie gegen Antibiotikaresistenzen. Reichen die Maßnahmen aus und vor allem werden sie auch umgesetzt?

DART soll helfen, den Antibiotikagebrauch besser zu steuern. Dazu gibt es eine gesetzliche Grundlage, das ist das Infektionsschutzgesetz. Nach § 23 ist festgelegt, dass der Antibiotikaverbrauch nachvollziehbar gemacht werden muss, und dass in ausgewählten Bereichen die Resistenzsituation dokumentiert wird und diese Informationen zusammengebracht werden. Die Hilfsmittel sind alle da, aber in der Umsetzung gibt es noch Nachholbedarf. „Antibiotic Stewardship“ muss daher dringend in allen Kliniken und auch im ambulanten Bereich in Deutschland etabliert werden.

Das Interview führte Jörg Schaaber

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.2

Bild Schwarzkopf-Steinhauser © Jörg Schaaber
Bild Bakteriennachweis © Health-e


Industriespende für Forschung löst die Probleme nicht

Anfang Juli 2020 versprach der internationale Verband von Big Pharma (IFPMA) knapp eine Milliarde US$ für die Erforschung neuer Antibiotika.[1] Damit reagiert die Industrie auf die Kritik an ihrem weitgehenden Ausstieg aus der Entwicklung von Medikamenten gegen resistente bakterielle Krankheitserreger.

Wer meint, dass sich die Industrie eines Besseren besonnen hat, und selbst wieder in die Erforschung neuer Antibiotika einsteigt, wird enttäuscht. Die Großen der Branche werden weiterhin in lukrativeren Bereichen wie Krebs oder Diabetes investieren. Das Geld soll an kleinere Biotechunternehmen gehen. Auf sie wird das Risiko abgewälzt, das mit der Erforschung neuer Wirkprinzipien und kleinen Absatzmärkten verbunden ist. Big Pharma will diesen Firmen „technische Unterstützung und Zugang zum Know-how gewähren, um die Antibiotika-Entwicklung zu stärken und den Zugang und den angemessenen Einsatz von Antibiotika zu unterstützen.“[1]

Health E Mikroskop Antibiotika AblasshandelGar nicht so viel

Eine Milliarde, das klingt nach viel Geld. Aber die Summe soll über zehn Jahre verteilt fließen und es beteiligen sich 24 Unternehmen. Das bedeutet im Schnitt pro Firma rund vier Millionen Euro pro Jahr.

Verteilt werden soll das Geld durch ein vom IFPMA ins Leben gerufenes Public Private Partnership, den „AMR action fund“. Kommissarischer Geschäftsführer ist Martin Bott, Vice-President Finance bei Eli Lilly. Laut dem Pharmaverband sind die Europäische Investmentbank, der Wellcome Trust und die WHO mit im Boot.

Das kann man durchaus auch als Konkurrenzgründung zum Global Antibiotic Research and Development Partnership (GARDP) verstehen, das 2016 von der Weltgesundheitsorganisation und der gemeinnützigen Drugs for Neglected Diseases initiative (DNDi) gegründet wurde und unter anderem von Deutschland finanziell unterstützt wird. Auch hier gibt es eine Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen und der Industrie, aber die WHO und DNDi haben den Hut auf.

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn hob bei der öffentlichen Vorstellung des AMR action fund hervor, dass dadurch zusätzliche Mittel für die Antibiotikaforschung zur Verfügung gestellt würden, mahnte aber eine enge Abstimmung mit dem WHO Aktionsplan gegen Resistenzen und existierenden AMR-Initiativen wie GARDP an. Auch sei es notwendig, bereits während der Entwicklung an den sorgsamen Gebrauch der neuen Produkte zu denken.[2]

WHO Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus begrüßte den neuen Fonds, weil die Firmen die Antibiotikaforschung vernachlässigt hätten und öffentliche Förderung die Lücke nicht ganz schließen könne. Angesichts der schwierigen Finanzlage der WHO – besonders seit dem angekündigten Ausstieg der USA – greift der WHO Chef offensichtlich nach jedem Strohhalm, notwendige Projekte zu finanzieren. Dabei ist absehbar, dass auch dieses Public Private Partnerships ebenso viele Probleme verursachen wird, wie es zu lösen versucht. Wie die Entscheidungsstrukturen des AMR action fund gestaltetet werden sollen, ist derzeit weder der Website des Fund noch den Mitteilungen von IFPMA zu entnehmen.

Marktreformen?

Es gibt aber noch einen weiteren kritischen Punkt auf der Agenda des AMR action fund: „Eine Allianz aus Industrie und Nicht-Industrie-Partnern zusammen[zu]bringen – darunter gemeinnützige Organisationen, Entwicklungsbanken und multilaterale Organisationen – in der Hoffnung, Regierungen den Anstoß zu geben, Marktreformen umsetzen, die wieder nachhaltige Investitionen in die Antibiotika-Pipeline ermöglichen.“[1] Im Klartext bedeutet das eine Lobby für höhere Preise für Antibiotika, damit das Ganze für die AktionärInnen zum lukrativen Geschäft wird.

Rechenexempel

Last but not least: Der AMR action fund will innerhalb von zehn Jahren zwei bis vier neue Antibiotika auf den Markt bringen. Das ist höchst erstaunlich, reichen doch eine Milliarde US$ nach bisherigen Angaben der Indus­trie nicht mal für die Entwicklung eines einzigen Medikaments aus.  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.1

Bild Mikroskop © Health-e

[1] IFPMA (2020) Neuer AMR Action Fund soll mit Investitionen der Pharmaindustrie in Höhe von 1 Mrd. US-Dollar die vom Zusammenbruch bedrohte Antibiotika-Pipeline retten. Pressemitteilung vom 9. Juli www.ifpma.org/resource-centre/new-amr-action-fund-steps-in-to-save-collapsing-antibiotic-pipeline [Zugriff 11.8.2020]

[2] AMR action fund (2020) Global launch highlights from Berlin. 23 July https://amractionfund.com/resource/global-launch-highlights-from-berlin [Zugriff 11.8.2020]


Indische Pharmakonzerne gegen Abwasserkontrollen

Indiens Regierung will die Abwässer aus der Antibiotika-Produktion besser regulieren. Dafür hat sie ein bahnbrechendes Gesetz auf den Weg gebracht. Doch mächtige Pharmakonzerne versuchen, bessere Umweltstandards zu verhindern. Das britische Bureau of Investigative Journalism veröffentlichte dazu einen brisanten Bericht, den wir in deutscher Übersetzung ­präsentieren.[1]

Die meisten Antibiotika der Welt werden in Fabriken in Indien und China hergestellt. In den letzten zehn Jahren haben zahlreiche Studien gezeigt, dass diese Fabriken Abfälle, die Antibiotikarückstände und arzneimittelresistente Bakterien enthalten, in die Umwelt ableiten.[2]

Diese Umweltverschmutzung, so warnen ExpertInnen, begünstigt die Ausbreitung von so genannten Superbakterien – Mikroorganismen, die gegen Antibiotika resistent sind.

Im Januar dieses Jahres veröffentlichte die indische Regierung einen Gesetzesentwurf, der erstmals Grenzwerte für Antibiotika festlegt, die in Flüsse und die umliegende Umwelt eingeleitet werden. Dieser Gesetzentwurf wurde durch Recherchen des Bureau of Investigative Journalism sowie weiterer Organisationen[3] angestoßen.

Widerstand der Pharmaindustrie

Mit zahlreichen Anträgen an die Regierung hat die Indian Drug Manufacturers Association (IDMA) – die führende Pharmaunternehmen vertritt – jedoch versucht, die vorgeschlagenen Regelungen zu verhindern. Konkret hat sie argumentiert, dass die strengen Grenzwerte für die Verschmutzung stattdessen Zielvorgaben sein sollten. Eine große Anzahl von Fabriken sollte außerdem von den Vorschriften ausgenommen werden.

Die Beratung der Regierung zu dem Gesetzesvorschlag, der Grenzwerte für 121 gängige Antibiotika festlegt, wurde im März abgeschlossen. Das Gesetz soll in den nächsten Monaten in Kraft treten.

Die IDMA hat sowohl beim Ministerium für Umwelt, Wälder und Klimawandel als auch beim Central Pollution Control Board Lobbyarbeit betrieben. Das offenbaren geleakte Dokumente, die dem Journalistenbüro vorliegen. In einem Brief an das Ministerium behauptete der Verband, dass die Industrie im Zuge der vorgeschlagenen Umweltmaßnahmen „unsägliches Elend durch Rechtsstreitigkeiten und Schikanen sowohl durch AktivistInnen als auch durch die Regulierungsbehörde“ erfahren würde. Weiterhin böte die Coronavirus-Pandemie dem indischen Pharmasektor ein „enormes Potenzial für Geschäftsmöglichkeiten“, „Märkte zu erobern, die bisher von China dominiert wurden“.

Fadenscheinige Argumente

Als Reaktion auf die geleakten Dokumente betonten AktivistInnen, dass die indischen Behörden der Lobbyarbeit der Industrie entschieden entgegentreten müssen. „Es ist ungeheuerlich, dass die Pharmaindustrie versucht, die gegenwärtige Covid-19-Krise zu nutzen, um die Richtlinienentwürfe für Arzneimittelproduktionsstätten zu schwächen“, sagte Nusa Urbancic von Changing Markets, einer in Großbritannien ansässigen Kampagne, die schädliche Unternehmenspraktiken aufdeckt. „Antimikrobielle Resistenz ist eine tickende Zeitbombe und zahlreiche Studien - darunter auch unsere eigenen Untersuchungen - haben gezeigt, dass umweltverschmutzende Pharmafabriken in Indien erhebliche Mengen unbehandelten Abwassers freisetzen, das zur Entstehung tödlicher Superbakterien beiträgt.“

In den geleakten Dokumenten argumentiert die IDMA, dass pharmazeutische Fabriken, die ZLD-Systeme (Zero-Liquid-Discharge) betreiben, von der Gesetzgebung ausgenommen werden sollten. Der Grund dafür sei, dass alle Produktionsabfälle in ZLD-zertifizierten Betrieben behandelt und aufbereitet würden. Andere Fabriken leiten die Abwässer häufig direkt in Flüsse ein.

Ein Bericht von Changing Markets legt jedoch nahe, dass ZLD-Anlagen ihrem Namen nicht immer gerecht werden. Die Untersuchung zeigte „inakzeptable Einleitungen von Produktionsabwässern“ durch zahlreiche Fabriken in Hyderabad, einem Hauptstandort der pharmazeutischen Produktion in Indien. Hier wurden im Jahr 2017 nahezu 40 % der Anlagen mit ZLD-Systemen betrieben.

Der Bericht dokumentiert ausführlich das Vergehen eines Unternehmens, das – angeblich führend in der ZLD-Technik – Abwässer in einen See stromabwärts seiner Fabrik eingeleitet hatte.

Public versus private

Außerdem beschwert sich der Industrie-Verband darüber, dass die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen zulässigen Antibiotika-Konzentrationen nicht auf den Empfehlungen basierten, die die AMR Industry Alliance formuliert habe. Dabei handelt es sich um eine internationale Koalition des Privatsektors, die zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen gegründet wurde. Die Industrie-Allianz hatte 2018 eine Reihe von Zielvorgaben veröffentlicht. In dem Brief wird argumentiert, dass die Rückstandsmengen, die nach dem indischen Gesetz erlaubt wären, „willkürlich“ niedriger seien, „ohne wissenschaftliche Begründung“. Die IDMA deutet an, dass ein Abweichen von den selbst gesetzten Standards der Industrie das Wachstum des indischen Pharmasektors gefährden würde.

Die im Gesetzesentwurf festgelegten Grenzwerte wären viel strenger als die Zielvorgaben der Allianz. Letztere beziehen sich lediglich auf die Antibiotika-Konzentration im Gewässer, in das der Abfall eingeleitet wird, nicht auf die Konzentration im Produktions-Abwasser. Die indische Regierung will aber Grenzwerte für das Abwasser vorgeben, wodurch letztendlich weniger Antibiotika-Rückstände freigesetzt würden. Der Aufforderung zu einer Stellungnahme kam die IDMA nicht nach.

AutorInnen: Andrew Wasley, Alexandra Heal, Madlen Davies.

Übersetzung: Hannah Eger

Artikel aus dem Pharma-Brief 5/2020, S.2

[1] https://www.thebureauinvestigates.com/stories/2020-03-31/indian-drug-companies-try-to-gut-antibiotic-pollution-controls  [Zugriff 24.4.2020]

[2] Pharma-Brief (2017) Resistente Keime in Indien. Nr. 5-6, S. 1

[3] Weitere Organisationen, die an der Kampagne beteiligt waren: Changing Markets, Centre for Science and Environment in New Delhi, Stockholm International Water Institute


Beobachtungen zum 1. Welt-Chagas-Tag

Das Jahr 2020 soll der globalen Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten (NTDs) Schub verleihen. Betrachtet man exemplarisch die Entwicklungen bei der Chagas-Bekämpfung, werden jedoch schnell Hindernisse für einen Durchbruch deutlich.

Am 14. April wurde das erste Mal offiziell der Welt-Chagas-Tag begangen.[1] Der Widerhall in der deutschen Presse fiel äußerst gering aus. Dabei offenbart der Blick auf Chagas viele Probleme der Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten (NTDs).

Triatoma brasiliensis CC Zezinho68Die Krankheit ist nach ihrem brasilianischen Entdecker, Carlos Ribeiro Justiniano Chagas benannt und wird durch einen Parasiten verursacht. Trypanosoma cruzi überträgt sich durch den Kot blutsaugender Raubwanzen. Wirte sind neben dem Menschen auch Wild- und Nutztiere. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass weltweit 6 bis 7 Millionen Menschen mit Chagas infiziert sind.[2]

Ein bis zwei Wochen nach der Infektion können – meist milde – unspezifische Symptome auftreten, die aber nach vier bis acht Wochen verschwinden. Oft bleibt die Erkrankung auch unbemerkt. Die Latenzphase kann anschließend Jahre andauern. Unbehandelt kann Chagas Herzprobleme verursachen oder Speiseröhre und Dickdarm schädigen – nicht selten mit tödlichen Folgen. Menschen mit geschwächtem Immunsystem, wie HIV-positive Personen, sind besonders gefährdet.

Alte Mittel, schlechter Zugang

Zur Behandlung von Chagas stehen mit Benznidazol und Nifurtimox lediglich zwei Präparate zur Verfügung. Sie sind nur gut wirksam, wenn sie kurz nach einer Infektion verabreicht. Ältere erleiden deutlich häufiger teils schwere Nebenwirkungen. Schwangere dürfen die Präparate gar nicht einnehmen. Hier gibt es eine Behandlungslücke, da eine Mutter-Kind-Übertragung möglich ist. Allein in Argentinien gibt es trotz Testpflicht rund 1.500 Infektionen bei Neugeborenen pro Jahr.[3] Ein Impfstoff existiert nicht.

Die Forschungspipeline ergibt ein gemischtes Bild. Wie der G-Finder für 2019 beschreibt, ist die Entwicklung neuer Diagnostika relativ weit fortgeschritten. Schnelltests sind bereits verfügbar. Impfstoffkandidaten stecken noch in der prä-klinischen Phase.[4] Eine Vielzahl von Studien versucht sich daher an dem „Repurposing“ von Wirkstoffen, die bislang gegen andere Erkrankungen verwendet werden.[5] Mangelnder Zugang zu Behandlung bleibt eine dramatisch hohe Hürde für Betroffene. Die WHO geht davon aus, dass nicht einmal ein Prozent der Menschen mit Chagas eine Therapie erhalten.[6]

Soziale Faktoren elementar

Zur Vorbeugung wird seit Langem auf Vektorkontrolle gesetzt, vor allem auf die Anwendung von Insektiziden in Häusern und der Umgebung, sowie die Ausgabe von Netzen. Auch bauliche Veränderungen sind wichtig, um die Wanzenpopulationen zu reduzieren und ihnen keine Verstecke zu bieten.  Erfolge in der Prävention werden jedoch immer wieder von Rückschlägen bedroht. So scheint der Kollaps von Versorgungsstrukturen in Venezuela auch die Verbreitung von Chagas wieder zu befeuern.[7]

Bei der Bekämpfung der Erkrankung spielen soziale Determinanten eine elementare Rolle. Sie sei „vor allem assoziiert mit armen, ländlichen und marginalisierten Populationen“ und „charakterisiert durch Armut und Exklusion“, so die WHO.[8]

Armut und Ausgrenzung als Triebkräfte

ParaguayChaco CC Peer VDer Gran Chaco ist ein Hotspot für Chagas. Auch andere armutsbedinge Erkrankungen sind dort häufig, beispielsweise Wurmerkrankungen und Tuberkulose. Geringes Einkommen, schlechter Zugang zu Gesundheitsversorgung und adäquater Hygiene, prekäres Wohnen und Nähe von Mensch und Tieren bieten Chagas vorteilhafte Bedingungen.[9] Dabei spielt auch die Marginalisierung indigener Gruppierungen eine wichtige Rolle. So hält sich die Krankheit trotz intensiver regionaler Bekämpfungsmaßnahmen seit den 1990er Jahren hartnäckig.

Globalisiertes Problem

Lange galt Chagas gar als reines lateinamerikanisches Phänomen. Globaler Handel und Tourismus haben die Erkrankung jedoch in andere Ecken der Welt exportiert. Auch Urbanisierung spielt dabei eine Rolle. Die Hauptübertragungswege sind außerhalb von Süd- und Zentralamerika jedoch andere. In den USA gibt es beispielsweise trotz geographischer Nähe zu Mexiko nur wenige Fälle direkter Infektionen durch Raubwanzen. An ihre Stelle treten kontaminierte Lebensmittel, Mutter-Kind-Übertragungen oder Infektionen via Blutkonserven. Das Screening von Bluttransfusionen auf den Erreger ist daher mittlerweile auch in vielen europäischen Ländern üblich.

Trotz anderer Übertragungswege wiederholt sich auch im globalen Norden das gleiche Muster: Die meisten Chagas-PatientInnen kommen aus ärmeren Bevölkerungsteilen. Und wie viele Armutskrankheiten, ist Chagas mit Stigma behaftet.[10]

Wandel oder Wohltätigkeit

Neben Chagas finden sich auf der WHO-Liste vernachlässigter Tropenkrankheiten 19 weitere NTDs. Ende Juni richtet die ruandische Regierung den „Kigali Summit on Malaria and Neglected Tropical Diseases“ aus. Dabei wird auch auf die „London Declaration on Neglected Tropical Diseases“ von 2012 Bezug genommen. In dieser Erklärung hatten sich vor acht Jahren vor allem zahlreiche Größen der Pharma-Branche und Stiftungslandschaft für mehr Engagement gegen NTDs ausgesprochen und 2020 als Ziellinie für Fortschritte gesetzt.[11]

Die London Declaration zeigt ein Kernproblem der globalen NTD-Bekämpfung auf, denn es ist fraglich, wieviel dieses Private-Public-Partnership zu Verbesserungen beigetragen hat. Ein Pfeiler war etwa die massive Ausweitung von Medikamentenschenkungen durch die Industrie. Doch milde Gaben von Pharma-Seite sind keine Lösung, zumal wenn die strukturellen Triebkräfte der Vernachlässigung von Menschen und ihrer Gesundheitsbedürfnisse nicht angegangen werden. Daran wiederum sind viele globale Akteure trotz anderslautender Beteuerungen nicht wirklich interessiert.

In Kigali wird die WHO auch ihre 2030 NTD Road Map vorstellen und versuchen, Ressourcen zu mobilisieren. Der Summit selbst wird dafür wohl eine Erklärung produzieren, die auf die „London Declaration“ aufbaut.[12] Ob dieses finale Dokument des Treffens in Ruanda progressivere Maßnahmen beinhalten oder doch eher „alten Wein in neuen Schläuchen“ darstellen wird, bleibt abzuwarten.  (MK)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 3-4/2020, S.6

Bild Raubwanze © Zezinho68

Bild Gran Chaco Wald © PeerV

[1] Im Mai 2019 hatte sich die 72. Weltgesundheitsversammlung dazu entschieden, den Tag offiziell zu begehen.

[2] WHO (2020) Factsheet Chagas disease (also known as American trypanosomiasis). www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/chagas-disease-(american-trypanosomiasis)  [Zugriff 21.04.2020]

[3] Deutschlandfunk (2019) Vergessene Krankheit Chagas. Der Kampf gegen die Raubwanzen. www.deutschlandfunk.de/vergessene-krankheit-chagas-der-kampf-gegen-die-raubwanzen.676.de.html?dram:article_id=474547  [Zugriff 21.04.2020]

[4] Policy Cures Research (2020) G-Finder 2019. https://s3-ap-southeast-2.amazonaws.com/policy-cures-website-assets/app/uploads/2020/02/11150341/G-Finder2019.pdf [Zugriff 21.04.2020]

[5] Ribeiro V et al. (2020) Current trends in the pharmacological management of Chagas disease. IJP: Drugs and Drug Resistance; 12, p 7

[6] WHO (2020) www.who.int/news-room/feature-stories/detail/she-is-one-of-39-000 [Zugriff 21.04.2020]

[7] Grillet M et al. (2019) Venezuela’s humanitarian crisis, resurgence of vector-borne diseases, and impli-cations for spillover in the region. LANCET Infectious Diseases; 19; p 149

[8] WHO (2020) www.who.int/news-room/detail/14-04-2020-world-chagas-disease-day-bringing-a-forgotten-disease-to-the-fore-of-global-attention

[9] Fernández M et al. (2019) Inequalities in the social determinants of health and Chagas disease transmission risk in indigenous and creole households in the Argentine Chaco. Parasite Vectors; https://doi.org/10.1016/j.meegid.2019.104062

[10] Petherick A (2010) Chagas disease in the Chaco. Nature 465; S18 https://doi.org/10.1038

[11] WHO (2012) London Declaration on Neglected Tropical Diseases. https://www.who.int/neglected_diseases/London_Declaration_NTDs.pdf [Zugriff 21.04.2020]

[12] Uniting to Combat NTDs (2020) Rwanda to host first-ever Global Summit on Malaria and Neglected Tropical Diseases. https://unitingtocombatntds.org/news/rwanda-to-host-first-ever-global-summit-on-malaria-and-neglected-tropical-diseases/ [Zugriff 29.04.2020]


Neuer Online-Kurs der Pharma-Kampagne

HIV und Aids stellen weiter massive Herausforderungen für die Weltgemeinschaft dar. Die Angst vor Rückschlägen in den globalen Bemühungen zur Eindämmung der Krankheit ist schon länger vernehmbar und wird durch COVID-19 verschärft. Seit dem 23. Juni ist im Internet ein deutschsprachiges Lern-Instrument zugänglich, das den großen Handlungsbedarf aufzeigt und den Nutzerinnen und Nutzern praktische Handreichungen bietet.

Wenige Themen globaler Gesundheit haben derart viele Menschen und Ressourcen mobilisiert wie der Kampf gegen HIV und Aids. Jedoch sterben weiterhin jährlich etwa 770.000 Menschen an der Infektionskrankheit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont, dass eine der größten Herausforderungen in dem Feld quasi unverändert geblieben ist: HIV betrifft nach wie vor überdurchschnittlich häufig Menschen, die marginalisiert und zugleich von den globalen Bemühungen nur ungenügend erreicht werden. Zu diesen Schlüsselgruppen gehören etwa Menschen in der Sexarbeit und Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Stigma, Diskriminierung und Kriminalisierung behindern oft Prävention und Behandlung.

2019 führte die BUKO Pharma-Kampagne eine Umfrage zum Thema unter deutschen NGOs durch. In den Rückmeldungen zeigte sich z.B., dass Ansätze wie Schadensminderung (Harm Reduction) im Kontext von intravenösem Drogengebrauch wenig angewandt werden und Projekte mit Transgendern oder Menschen in Haft sehr selten sind. Auch fallen einige Regionen aus dem Fokus. Der Handlungsbedarf für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ist also immer noch groß.

Angst vor dem „Rollback“

Bereits vor dem Ausbruch von Covid-19 grassierte die Sorge vor einem „Rollback“ in der HIV-Arbeit. Die ersten Anzeichen eines solchen Rückschritts zeigen sich in schwindender Finanzierung für HIV-Projekte. Dies wurde auch in der NGO-Umfrage beklagt. Aber auch das Erstarken von Nationalismus und Populismus vielerorts wirkt sich negativ aus, etwa durch die gezielte Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen und erhöhten Druck auf zivilgesellschaftliches Engagement. Zugleich werden Projekte zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit torpediert, vor allem auf Druck der USA.

Mit der Verbreitung des neuen Coronavirus ist die Notwendigkeit, HIV-Arbeit wieder zu stärken, nur noch dringlicher geworden. Fragmentierte Lieferketten und vermehrte Stock-Outs bei Medikamenten und Kondomen, überlastete Gesundheitssysteme, verstärkte staatliche Repression und verstärkte Armut sind nur einige Facetten des Shutdowns.

Praktische Hilfe durch E-Learning

Der neue Online-Kurs nimmt vor allem für das Ende von HIV wichtige Schlüsselgruppen und Präventionsarbeit in den Fokus. Er richtet sich an Personen, die im globalen Süden in Gesundheitsprojekten tätig sind oder in Deutschland zuständig für deren Konzeption und Management. Auch die politische Arbeit zu Gesundheitsthemen wird aufgegriffen und die Finanzierenden von entsprechenden Vorhaben angesprochen. Ebenso können Aidshilfen in Deutschland davon profitieren und natürlich alle, die sich für die Probleme der Bekämpfung von HIV interessieren.

Der Kurs umfasst sechs Module mit Unterkapiteln. Jeder Abschnitt wird mit einem Erklärvideo eingeleitet. Neben den medizinischen Grundlagen (Infektionsverlauf, Diagnose & Behandlung) werden vor allem die Formen und Auswirkungen von Stigmatisierung, Diskriminierung und Kriminalisierung verdeutlicht. Ein Schwerpunkt liegt zudem auf den verschiedenen Ebenen und Instrumenten der Präventionsarbeit. Länder- und Projektstudien aus dem globalen Süden bringen den LeserInnen in allen Kapiteln positive und negative Ansätze und Dynamiken näher. Praktische Hilfestellungen für die Zielgruppen runden den Kurs ab. TeilnehmerInnen können ein Zertifikat erhalten, wenn sie sich anmelden und erfolgreich Testfragen beantworten.

Das Tool wurde im Vorfeld der Anfang Juli stattfindenden Fachkonferenzen AIDS 2020 und HIV2020 veröffentlicht. Ursprünglich in San Francisco/Oakland bzw. Mexico City geplant, werden sie in diesem Jahr digital abgehalten. Die Tatsache, dass sich beide Events zeitlich überschneiden, ist symptomatisch für die momentane Situation. So wurde HIV2020 von AktivistInnen als Reaktion auf die diskriminierenden Einreisebestimmungen der USA ins Leben gerufen, die vielen Personen aus der Community eine Teilnahme an AIDS 2020 verwehren.  (MK)

PFQ Startvideo

Der kostenfreie Zugang erfolgt unter www.bukopharma-online-lernbox.de/aids . HIV ist das vierte Online-Tool der BUKO Pharma-Kampagne.
Bisherige Themen im Bereich E-Learning waren Verhütung (2015), Antibiotikaresistenzen (2016) und Diabetes (2018). Alle Tools unter www.bukopharma-online-lernbox.de

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 5/2020, S.1

Bild © Screenshot Tool


Initiativen fordern eine bessere globale Gesundheitsversorgung

Die COVID-19 Pandemie lässt lange existierende Probleme in der globalen Gesundheitsversorgung wie in einem Brennglas erscheinen und gibt kritischen Positionen Aufwind. Zugleich werden für Forschung und Versorgung gewaltige Summen locker gemacht. Das ruft die Zivilgesellschaft auf den Plan und sorgt für intensive Advocacy-Arbeit. Gemeinsam mit ihren Bündnis-Partnern brachte die BUKO Pharma-Kampagne zahlreiche Initiativen auf den Weg.

Allein im Juni war die Pharma-Kampagne an drei öffentlichen Briefen und Aufrufen beteiligt. Die Themen: unvorteilhafte GAVI-Strukturen, industrieller Lobbyeinfluss in Brüssel und das Risiko, das von Sonderklagerechten ausländischer Investoren ausgeht.

Klärungsbedarf bei GAVI

Die Vielfalt und der Umfang von neuen Initiativen, Fördertöpfen und Auffüllungskonferenzen zu COVID-19 ist im Gesundheitsbereich beispiellos. Doch überwiegend fehlt es an klaren und ambitionierten Regelungen, was den globalen Zugang zu Behandlung oder Impfstoffen angeht. Zwei Public-Private Partnerships kommt in der Förderung eine besonders wichtige Rolle zu: der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) und der Impfallianz GAVI. So steuert GAVI etwa die Ausgestaltung von COVAX (COVID-19 Vaccine Global Access).[1] COVAX soll für die Beschaffung und gerechte Verteilung von Impfstoffen sorgen. Es ist eine von mehreren Säulen der globalen Initiative ACT-A, die wiederum nicht nur von WHO und EU getragen wird, sondern auch von Stiftungen und Industrieverbänden (wir berichteten[2]).

Ein erster Aufschlag zur COVAX-Struktur hatte Befürchtungen geweckt, dass die Gelder in den Taschen der Pharma-Industrie landen könnten, ohne dass die Datentransparenz gewährleistet und der Zugang zu Forschungsergebnissen sichergestellt wäre. Ein undurchsichtiger Deal von GAVI mit dem Pharma-Riesen AstraZeneca zu einem möglichen Impfstoff bestärkte diese Sorge zusätzlich. Die BUKO Pharma-Kampagne reagierte gemeinsam mit 44 anderen NGOs und Einzelpersonen. Am 23. Juni – im Vorfeld eines GAVI-Treffens – verschickten wir einen offenen Brief an die Mitglieder des GAVI-Vorstands. Wir benannten sieben Kernpunkte für die Ausgestaltung von Covax und machten dabei unmissverständlich deutlich: „Die öffentliche und phi­lanthropische Finanzierung sollte in eine Verteilung effektiver Impfstoffe münden, die als globales öffentliches Gut betrachtet werden: verkauft zum Selbstkostenpreis und frei von Einschränkungen durch Monopole.“

Zugang bei CEPI ungeklärt

CEPI wiederum wird bereits seit Anfang 2019 von zivilgesellschaftlicher Seite unter Beteiligung der Pharma-Kampagne dazu gedrängt, seine Zugangsregelungen endlich wieder strikter zu gestalten (wir berichteten[3]). Bislang bewegte sich das PPP allerdings nicht in eine bessere Richtung – eine Verweigerungshaltung, die sich nun in den Bemühungen gegen COVID-19 ebenfalls rächen könnte.

Gegen die Lobbymacht

Auch zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft formulierte die Pharma-Kampagne gemeinsam mit 58 Organisationen einen offenen Brief.  Tenor des Schreibens: „Drei große Ziele muss die deutsche EU-Ratspräsidentschaft angehen: Die Bewältigung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen, die Beendigung von Ungleichheiten und der Kampf gegen die Klimakrise.“[4]

Die extreme Lobbymacht von Unternehmen und Verbänden in Brüssel ist ein zentrales Hindernis für notwendige Veränderungen in Politikfeldern wie Gesundheit, Land- und Finanzwirtschaft sowie Energie. Es gilt nun aber mutige Reformen voranzureiben, so die UnterstützerInnen, anstatt im Gegenteil unter dem Eindruck der momentanen Entwicklungen Vorgaben aufzuweichen (Stichwort „Coronawashing“). Ein wichtiger Ansatzpunkt dabei ist erhöhte Transparenz, etwa in EU-Gesetzgebungsverfahren, um die Entwicklung von Initiativen direkt zu verfolgen und Positionen nachvollziehen zu können. Damit erhält auch die Forderung nach einem umfassenden Lobbyregister neuen Nachdruck.

Wer hat Angst vor ISDS?

Mit einem weiteren sensiblen Spannungsverhältnis zwischen Politik und Wirtschaft setzte sich ebenfalls im Juni ein offener Brief vom sogenannten Seattle to Brussels Network auseinander. Mittlerweile haben ihn über 650 NGOs und Einzelpersonen, darunter die Pharma-Kampagne, unterzeichnet (Stand vom 27.07.20).[5]

Er ruft Regierungen dazu auf, Staaten vor Klagen durch Investoren zu schützen, die Entschädigungen für die wirtschaftlichen Folgen von Maßnahmen zur COVID-19-Bekämpfung fordern könnten. Sonderklagerechte für ausländische Konzerne (Investor-state dispute settlement/ISDS) sind schon lange ein hochproblematisches Element vieler Handels- und Investitionsabkommen. Ein berühmter Fall war die Klage von Philip Morris gegen Australien wegen Einheitsverpackungen bei Zigaretten. Zwar gewann das Land den Prozess letztlich, blieb aber dennoch auf Kosten von fast 40 Millionen australischen Dollar hängen.  Paradoxerweise war das Verfahren für die Firma selbst deutlich weniger teuer.[6]

Das Schreiben des Seattle to Brussels Network konstatiert: „Bereits in der Vergangenheit kam es in Krisensituationen zu einer Häufung von Klagefällen, wie beispielsweise nach der argentinischen Finanzkrise 2001 oder dem Arabischen Frühling 2011.“ Es steht zu befürchten, dass sich ähnliches im Kontext der weltweiten Pandemie vollziehen könnte, Regierungen müssten entsprechend Gegenmaßnahmen einleiten.  (MK)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.4

[1] MSF et al. (2020) Open letter to Gavi Board Members: Urgent changes to COVAX Facility design required to ensure access to COVID-19 vaccines for all. https://msfaccess.org/open-letter-gavi-board-members-urgent-changes-covax-facility-design-required-ensure-access-covid-19 [Zugriff 27.07.2020]

[2] Pharma-Brief (2020) Wer bleibt außen vor? Zugang zu COVID-19 Produkten noch nicht gesichert. Nr. 5, S. 4

[3] Pharma-Brief (2019) Musterknabe auf Abwegen. Nr. 2, S. 1

[4] Corporate Europa Observatory & Lobby Control (2020) CSO Statement. https://corporateeurope.org/sites/default/files/2020-06/CSO%20statement%2022.6.2020%20FINAL%20DE_0.pdf [Zugriff 24.07.2020]

[5] Seattle to Brussels Network (2020) Offener Brief zu ISDS und COVID-19. http://s2bnetwork.org/offener-brief-zu-isds-und-covid-19/ [Zugriff 27.07.2020]

[6] Ranald F (2019) When even winning is losing. The surprising cost of defeating Philipp Morris over plain packaging. https://theconversation.com/when-even-winning-is-losing-the-surprising-cost-of-defeating-philip-morris-over-plain-packaging-114279 [Zugriff 27.07.2020]


Interview mit Erick Venant, RBA Initiative Tansania

Erick Venant hat Pharmazie studiert und eine Nichtregierungsorganisation gegründet. Die RBA-Initiative hat sich dem Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen verschrieben und findet inzwischen auch internationale Anerkennung. Für sein Engagement hat Erick Venant schon zahlreiche Auszeichnungen bekommen. Dabei ist er gerade einmal 25 Jahre alt.

Erick Venant ist Gründer und Geschäftsführer der Roll Back Antimicrobial Resistance Initivate.

Foto Erick Venant Pharmabriefartikel

Wo liegen die größten Probleme?

Meiner Meinung nach ist die größte Herausforderung das fehlende Bewusstsein. Sowohl auf Seiten des Gesundheitspersonals als auch bei der Allgemeinbevölkerung führt das zu einem Miss- und Übergebrauch von Antibiotika. Das sehe ich als oberste Priorität. Wir müssen ein Bewusstsein für die Probleme wecken, damit die Bevölkerung sich entsprechend verhalten kann, um die Ausbreitung der Resistenzen zu verhindern. Gleiches gilt für uns als Gesundheitspersonal. Aber auch in anderen Bereichen gibt es Nachholbedarf. Dazu zählen Infektionsprävention und -kontrolle, Abfall­entsorgung und Hygiene sowie die Verstärkung von Regulierungen, die den Antibiotikagebrauch betreffen.

Was muss getan werden?

Länder wie Tansania müssen die Umsetzung ihrer nationalen Aktionspläne beschleunigen. Meiner Meinung nach müssen wir den One-Health-Ansatz stärker berücksichtigen und alle Stakeholder miteinbeziehen.

Antibiotikaresistenzen bekommen mittlerweile globale Aufmerksamkeit. Ich bin froh zu sehen, dass die UN, andere internationale Organisationen und Expertinnen und Experten zusammen arbeiten, um die wachsende Bedrohung durch Resistenzen zu minimieren.

Was hat dich motiviert, die RBA zu gründen?

Ich hatte schon immer ein brennendes Verlangen, mich an der Lösung unterschiedlichster Probleme im Bereich Public Health zu beteiligen. Deshalb fing ich an, verschiedene Events an der Universität zu organisieren, um das Bewusstsein für mehr Hygiene und einen rationalen Medikamenteneinsatz zu fördern. 2017 wurde ich Präsident der Vereinigung von Pharmaziestudierenden in Tansania (TAPSA). Ich wollte zeigen, welchen Beitrag junge Leute leisten können, um die öffentliche Gesundheit zu verbessern.

Damals erkannte ich, dass Antibiotika-Resistenzen eine große Bedrohung sind und dadurch jedes Jahr weltweit 700.000 Menschen sterben. Wenn wir dagegen nicht mehr unternehmen, könnte die Zahl bis 2050 auf zehn Millionen Todesfällen jährlich ansteigen. Ich sah, wie sehr das Problem in Tansania unterschätzt wurde und wie wenig Aufmerksamkeit es hier bekam. Ich dachte mir, dass es ein einfacher, aber sehr wichtiger Schritt im Kampf gegen Resistenzen sei, das Bewusstsein zu dem Thema zu erhöhen und die Menschen zu bilden. Ich beschloss, in den Semesterferien eine landesweite Kampagne an weiterführenden Schulen durchzuführen. Es gelang uns, über 100 Schulen zu erreichen. Viele der Schülerinnen und Schüler wussten noch nicht einmal, was Antibiotika-Resistenz bedeutet. Aber sie waren froh etwas darüber zu lernen, die Auswirkungen zu verstehen und zu erfahren, was sie selbst tun können.

Wie lautet dein Rat für junge Leute, die etwas verändern wollen?

Junge Leute haben die Macht, positive Veränderungen in ihrer Gesellschaft anzustoßen. Sie sollten mit kleinen Dingen beginnen und die vorhandenen Ressourcen nutzen. Durch Engagement, Eigenmotivation und Esprit können sie größere Ziele erreichen. Gerade im Gesundheitsbereich gibt es viele Herausforderungen. Junge Leute können Teil der Lösung sein.

Was tut die RBA-Initiative?

Die RBA Initiative ist eine eingetragene Nichtregierungsorganisation mit dem Ziel, Antibiotikaresistenzen in Tansania zu bekämpfen. Der Hauptsitz ist in Dodoma, im Zentrum des Landes. Wir werben für einen rationalen Antibiotika-Einsatz, verbreiten Wissen zu Resistenzen, plädieren für Verhaltensänderung und wirksame Hygiene. Durch unsere Arbeit fördern wir außerdem die Erkenntnis, dass es notwendig ist, in unserem Land schnellstmöglich gegen Antibiotika-Resistenzen vorzugehen.

Im letzten Jahr haben wir einige Aktivitäten zur Bewusstseinsbildung durchgeführt und dabei verschiedene Zielgruppen adressiert. Wir haben u.a. Workshops für Menschen aus dem Gesundheitsbereich organisiert. Außerdem haben wir weiterführende Schulen aufgesucht und Informationsveranstaltungen angeboten. Zusätzlich wollten wir die breite Masse der Bevölkerung ansprechen. Also haben wir lokale Radiostationen genutzt. Dadurch konnten wir im letzten Jahr drei Millionen Menschen mit unseren Botschaften erreichen.

Dieses Jahr legen wir einen besonderen Fokus auf Schülerinnen und Schüler. Wir werden Schulclubs zu Antibiotikaresistenzen in Dodoma und Umgebung gründen und die junge Generation zum Thema informieren. Denn wir glauben, dass sie gute Botschafter für den Rest ihrer Gemeinschaft sein können.

CCSeemannaufland Klassenzimmer Pharmabriefartikel

Aufklärungsarbeit bei jungen Menschen kann viel bewirken! Die RBA-Initiative setzt auch auf Bildungsangebote im Klassenzimmer.

Das Interview führte Claudia Jenkes

Artikel aus Pharma-Brief 10/2020, S. 6

Bild Erick Venant © privat
Bild Klassenzimmer © Seemannaufland