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Indien: Antibiotika-Hersteller locken mit teuren Geschenken

Pharmafirmen belohnen indische ÄrztInnen mit Geschenken, wenn sie viele Antibiotika verschreiben. Das britische Bureau of Investigative Journalism[1] deckte diese Werbepraktiken gemeinsam mit dem indischen Journalisten Rahul Meesaraganda auf. Der folgende Artikel ist eine gekürzte und leicht bearbeitete Fassung des englischen Originaltextes von Madlen Davies und Ben Stockton.[2]

Indien ApothekeRecherchen des britischen Bureau of Investigative Journalism zufolge belohnen die Firmen Abbott und Sun Pharma in Indien die Verschreibung von Antibiotika mit Geschenken. Zielgruppe der Werbemaßnahmen sind vor allem informelle ÄrztInnen ohne anerkannte medizinische Ausbildung. Diese selbsternannten Doktoren behandeln überwiegend arme PatientInnen, die keinen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem haben.

In den meisten indischen Bundesstaaten ist es zwar illegal, Antibiotika an nicht-
registrierte ÄrztInnen zu verkaufen. Dem Gesetz wird jedoch nur selten Geltung verschafft. Außerdem existiert  kein Verbot, diese Medikamente bei informellen ÄrztInnen zu bewerben.

Nicht-registrierte ÄrztInnen praktizieren vor allem in abgelegenen ländlichen Regionen Indiens, aber auch in den Slums der Großstädte. Häufig sind sie vor Ort die einzigen Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen und der überwiegende Teil der Bevölkerung ist auf ihre Dienste angewiesen. Doch gerade informelle ÄrztInnen tragen durch häufige Fehlverschreibungen und den exzessiven Gebrauch von Antibiotika in besonderem Maß zur Resistenzbildung bei. Resistente Erreger sind indes ein immenses Problem: Laut Schätzung des Lancet sterben in Indien rund 57.000 Säuglinge jährlich an einer Sepsis, die durch resistente Bakterien verursacht wurde.[3]

Werbegeschenke

Ein Sun Pharma Vertreter berichtete, dass sowohl informellen als auch registrierten ÄrztInnen hochwertige Geschenke gemacht würden, damit sie nicht zur Konkurrenzfirma wechseln. Die Firma sponsert Geschenkgutscheine, medizinische Geräte, Kühlschränke, Fernseher oder Reisen und bietet auch Bargeld oder kostenlose Medikamente als Anreiz, mehr Antibiotika zu verschreiben.

Sun Pharma ist der größte Arzneimittelproduzent in Indien, mit einem Umsatz von über 3,5 Mrd. € in 2018. Abbott India ist die zweitgrößte pharmazeutische Firma im Lande. Laut einem Vertreter von Abbott werden die ÄrztInnen mit Geschenken im Wert von bis zu 2.000 Rupien (25 €) geködert – in Indien eine Menge Geld. Die Firma bot außerdem „Kaufe fünf, bekomme eins gratis“-Deals für Antibiotika-Packungen an, um so Großeinkäufe zu fördern. In einem Land, in dem ÄrztInnen auch selbst Medikamente an die PatientInnen verkaufen dürfen, ein erheblicher Anreiz.

Indiens nicht-zertifizierte Ärztinnen verdienen so wenig, dass diese Anreize ihr monatliches Einkommen bis zu einem Viertel steigern können. Abbott bietet den ÄrztInnen zusätzlich ein Gefühl von Luxus mit Überraschungspartys für ihre Familien und Cocktail Soireen in fünf-Sterne Hotels. Offiziell lassen jedoch beide Firmen verlauten, dass ihre Policies derlei Werbepraktiken verbieten.

ExpertInnen und WissenschaftlerInnen kritisierten gegenüber dem Bureau of Investigative Journalism die Praktiken vehement. Lord Jim O’Neill, der ein Review zur globalen Resistenzproblematik durchgeführt hat, sagte: „Viele Pharmafirmen rühmen sich gerne, dass sie verantwortlich handeln und hier haben wir eindeutige Beweise, die das Gegenteil belegen.“Indien Krankenhaus

Professor Ramanan Laxminarayan, Direktor des Centre for Disease Dynamics, Economics and Policy (CDDEP), kommentierte: „Wenn man bedenkt, dass es in Indien fünfmal so viele informelle wie registrierte ÄrztInnen gibt, ist es nicht verwunderlich, dass durch sie die meisten Antibiotika an PatientInnen abgegeben werden. Es ist auch keine Überraschung, dass Pharmafirmen den Verkauf von Antibiotika ankurbeln. Notwendig ist ein Balanceakt, denn einerseits bieten diese informell Praktizierenden den Zugang zu Antibiotika, andererseits muss Über- und Fehlgebrauch vermieden werden. Genau darin liegt die Herausforderung.“

Krise des Gesundheitssystems

Indien ist das Epizentrum der Antibiotikaresistenz-Krise. MedizinerInnen warnen, dass sie regelmäßig PatientInnen mit „pan-resistenten“ Infektionen sehen, resistent gegenüber allen verfügbaren Medikamenten. Gleichzeitig kämpft das Land mit dem fehlenden Zugang zur Versorgung. Theoretisch steht armen PatientInnen in Indien eine kostenlose Gesundheitsversorgung zu. Doch im staatlichen Gesundheitssystem gibt es einen eklatanten Mangel an Fachpersonal. Ein aktueller Bericht des CDDEP ermittelte ein Defizit von 600.000 ÄrztInnen und zwei Millionen KrankenpflegerInnen im öffentlichen Sektor.

Problem informelle ÄrztInnen

Viele Menschen sind deshalb auf die mehr als 2,5 Millionen nicht-registrierten ÄrztInnen angewiesen. Sie praktizieren z.B. traditionelle Heilkunst, Ayurveda, Homöopathie oder Naturheilkunde und sind den rund eine Million privaten oder staatlichen ÄrztInnen mit einer anerkannten wissenschaftsbasierten medizinischen Ausbildung zahlenmäßig bei weitem überlegen.

Oft als „Onkel“ oder „chotto doctor“ (kleiner Doktor) bezeichnet, werden die informellen ÄrztInnen in ihren Gemeinden äußerst respektiert und auch zu allen Alltagsproblemen um Rat gefragt. Sie bieten ein wenig medizinische Versorgung in Regionen, die sonst komplett ohne Gesundheitsversorgung wären.

Dennoch sterben noch immer jedes Jahr mehr als eine halbe Million InderInnen an behandelbaren Infektionen, weil sie keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung oder lebensrettenden Arzneimitteln haben.

Geschenke erhalten die Freundschaft

Pharmavertreter von Sun Pharma und Abbott, die mit einem verdeckten Bureau-Ermittler sprachen, machten kein Geheimnis daraus, dass sie sowohl nicht-zertifizierten als auch anerkannten ÄrztInnen Anreize anbieten. Weil Abbott in der Vergangenheit wegen teurer Geschenke für ÄrztInnen stark kritisiert wurde, hat die Firma Einschränkungen eingeführt – aber die Mitarbeiterinnen umgehen diese Regeln. Der Pharmavertreter erzählte, dass die Angestellten angewiesen wurden „es nicht offensichtlich zu machen“, aber dass Geschenke und Gratisproben immer noch gang und gäbe seien.

Geschenke an ÄrztInnen und nicht-zertifizierte ÄrztInnen sind auf 2.000 indische Rupien (25 €) begrenzt. Es werden jedoch auch wesentlich kostspieligere Anreize geboten, etwa die Teilnahme an Fortbildungsprogrammen oder Zahlungen an Dritte. Manche ÄrztInnen erhalten bis zu 20.000 Rupien (250 €) Honorar, wenn sie auf Konferenzen sprechen.

Bei Sun Pharma wird von den VertreterInnen gefordert, jeden Tag bis zu einem Dutzend ÄrztInnen zu besuchen, dabei ist es egal ob diese qualifiziert sind oder nicht. Die Hälfte ihrer 200 regelmäßigen KundInnen sind informelle ÄrztInnen. Sie werden häufig noch energischer angegangen als richtige ÄrztInnen. Der Sun Pharma-Vertreter beschreibt nicht-zertifizierte ÄrztInnen als „einfachen“ Markt für Antibiotika und als eine Hauptzielgruppe. Professionelle ÄrztInnen müssten davon überzeugt werden, wie sicher und effektiv ein Medikament ist, während nicht-zertifizierte ÄrztInnen meistens keine Erklärungen verlangten, lediglich Anreize.

„Du kannst geben was du willst,“ berichtet er. „Von einer Nadel bis zu einer Rakete kannst du anbieten was du willst. Sie werden es annehmen. Und je mehr du reinsteckst, desto höher wird der Umsatz sein […]. Es kann ein Fernseher sei. Es kann ein Kühlschrank sein. Es kann alles Mögliche sein.“

Das aggressive Marketing der Pharma-Vertreter beruht auch auf den Verkaufszielen, die vom Unternehmen gesetzt werden: Sun Pharma VertreterInnen bekommen Boni wenn sie monatlich Antibiotika und Schmerzmittel im Wert von mehr als 300.000 Rupien (ca. 3.800 €) verkaufen.

Firmen verteidigen sich

Abbott distanziert sich offiziell von solchen Praktiken. Eine Sprecherin der Firma betonte, dass es den Vertriebs­teams verboten sei, ÄrztInnen oder ApothekerInnen irgendetwas von Wert als Anreiz zu geben, um den Umsatz zu steigern. Außerdem erhielten die Teams regelmäßig Trainings zu Ethik und Compliance. VertriebsmitarbeiterInnen würden sich „nur mit lizensiertem Gesundheitspersonal treffen, die dazu autorisiert sind, Medikamente zu verschreiben“.

Sun Pharma erklärte, dass sie „überrascht und traurig waren über die dargelegten Ansichten eines angeblichen Vertreters von Sun Pharma“. Der Sprecher der Firma fügte hinzu: „Wir können kategorisch ausschließen, dass die Ansichten dieser Person in irgendeiner Weise den Werten von Sun Pharma entsprechen. Die angeblichen Aktivitäten stehen im Gegensatz zu unseren Unternehmensstatuten.“ Es sei verboten, Geschenke an das Gesundheitspersonal abzugeben, die „darauf zielen, unangemessen die Entscheidung zu beeinflussen, Produkte zu verschreiben, empfehlen, erwerben, bereitzustellen oder auszugeben“. Personal, die diese Regel oder ein Gesetz brächen, müssten mit Disziplinarmaßnahmen oder Entlassung rechnen.Indien Hinterhof

Expertin bestätigt Probleme

Dr. Meenakshi Gautham, Forscherin an der London School of Hygiene and Tropical Medicine mit Sitz in Indien, hat über 10 Jahre lang nicht-registrierte ÄrztInnen interviewt. Sie kommt zu dem Schluss, dass Pharmafirmen es zunehmend auf diese Zielgruppe abgesehen haben und aggressiv Antibiotika vermarkten. „Pharma-Vertreter haben mir erzählt, wenn sie in manchen Gegenden das Ziel haben, Antibiotika im Wert von 100.000 Rupien (1.260 €) zu verkaufen, stammen 80.000 davon aus Verkäufen an informelle AnbieterInnen und 20.000 von registrierten ÄrztInnen.“

Gauthams Forschungsergebnisse zeigen, dass die meisten nicht-zertifizierten und privaten ÄrztInnen ihre gesamten Informationen über Antibiotika von PharmavertreterInnen und Pharmafirmen erhalten oder durch gesponserte Konferenzen. Ein Problem seien auch Gratisproben von Antibiotika, die die informellen ÄrztInnen erhalten. Sie geben die Proben dann häufig kostenlos an arme PatientInnen weiter. Doch die Proben reichen für gewöhnlich nicht für den kompletten Behandlungszyklus, die PatientInnen können damit also nicht ausreichend therapiert werden und der Resistenzbildung wird Vorschub geleistet.

Um die Probleme effektiv bekämpfen zu können, müssten solche aggressiven Vermarktungsstrategien der Firmen gestoppt werden. Erst dann kann es gelingen, in Zusammenarbeit mit den informellen Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen den Antibiotika-Gebrauch zu reduzieren.

Über die AutorInnen:

Madlen Davies ist eine preisgekrönte Investigativjournalistin aus Großbritannien. Sie arbeitet für das Bureau of Investigative Journalism in Großbritannien. Einer ihrer Themenschwerpunkte sind die Gesundheitsrisiken durch resistente Erreger weltweit.

Ben Stockton ist britischer Investigativjournalist. 2019 gewann er gemeinsam mit Madlen Davies den Association of British Science Writers Preis. Beide wurden insbesondere für ihre Arbeit zu multiresistenten Keimen ausgezeichnet.

Rahul Meesaraganda arbeitet als unabhängiger Journalist in Andhra Pradesh, Indien. Seine Themenschwerpunkte sind Landwirtschaft, Umwelt und Wasser, mit einem Fokus auf die Situation in ländlichen Regionen. Auch zu Antibiotika-Resistenzen hat er bereits mehrere Berichte veröffentlicht, die internationale Aufmerksamkeit erlangten.

Madlen Davies & Rahul Meesaraganda sind PartnerInnen der BUKO Pharma-Kampagne im aktuellen Projekt zu Antibiotikaresistenzen.

Übersetzung: Hannah Eger
Bearbeitung: CJ/JS

 

Bilder © Madlen Davies

Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2019, S. 1

[1]   www.thebureauinvestigates.com

[2]  www.thebureauinvestigates.com/stories/2019-08-19/drug-company-reps-give-quack-doctors-fridges-and-televisions-to-sell-antibiotics

[3]  Laxminarayan R and Bhutta ZA (2016) Antimicrobial resistance - a threat to neonate survival. The Lancet Global Health; 4, p. e676