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Aufklärung der PatientInnen mangelhaft

Immer mehr klinische Studien werden in Entwicklungsländern durchgeführt, doch über die Bedingungen ist wenig bekannt. Deshalb ist eine aktuelle Untersuchung in Peru besonders interessant.[1]

Seit 1985 gibt es in Peru eine Richtlinie für die Durchführung von klinischen Studien, das erste Forschungsprojekt bekam 1995 grünes Licht. Bis 2015 wurden insgesamt 1.797 Studienprotokolle eingereicht, von denen 121 nicht genehmigt wurden. Mit der Inspektion von Studienzentren wurde erst 2004 begonnen. Diese Kontrollen führten zu zahlreichen Beanstandungen. Aber die VersuchsteilnehmerInnen selbst standen bisher nur selten im Fokus der Kontrolleure. Eine aktuelle Studie, die MitarbeiterInnen des peruanischen Gesundheitsministeriums und WissenschaftlerInnen aus den USA gemeinsam durchführten, will diese Lücke schließen.

Anlass der Untersuchung: Bei der Inspektion eines Studienzentrums im Jahr 2011, in dem das Diabetesmedikament Pioglitazon getestet wurde, fanden die InspektorInnen den Vermerk, dass alle PatientInnen über das neu bekannt gewordene Risiko von Blasenkrebs informiert worden waren und zugestimmt hatten, weiter an der Studie teilzunehmen. Unterschriebene Formulare waren allerdings nicht auffindbar. Ein Patient wurde daraufhin befragt und antwortete: „Ich hatte keine Ahnung von dem Risiko.“

Qualitative Befragung

Bei der aktuellen Untersuchung standen die Betroffenen im Mittelpunkt. Es wurden nach dem Zufalls­prinzip 13 PatientInnen aus drei Studien zu TB-Medikamenten interviewt. Zunächst wurde gefragt, wie der Krankheitsverlauf vor der Teilnahme war. KeineR hatte die Symptome zunächst mit TB in Verbindung gebracht und drei PatientInnen erhielten zunächst eine falsche Diagnose. Die Behandlungsverläufe waren häufig nicht optimal, ein Studienteilnehmer hatte sich mit Eisentabletten selbst behandelt, drei hatten sich von Apothekenpersonal behandeln lassen. Zwei hatten eine TB-Behandlung vorzeitig abgebrochen und in der Folge eine multiresistente TB entwickelt. Eine Patientin hatte an einer Studie mit Standardbehandlung teilgenommen und wurde zu ihrem Entsetzen ausgeschlossen als sich herausstellte, dass sie an MDR-TB erkrankt war. Einige PatientInnen mit offener TB hatten einfach weitergearbeitet, obwohl sie teils bei ihrer Arbeit mit sehr vielen Menschen in Kontakt kamen.

(Keine) Zustimmung

Ein zentrales Kriterium für jede Studie ist, dass die Versuchspersonen der Teilnahme nach vollständiger Aufklärung über das geplante Vorgehen und die Risiken zustimmen müssen. Doch auch hier gab es offensichtliche Mängel: Zehn StudienteilnehmerInnen äußerten sich zum Aufklärungsformular, die Hälfte hatte es ungelesen unterschrieben. Ein Teilnehmer sagte: „Ich war so traurig als sie mir sagten, was ich habe. Ich dachte: macht mit mir, was ihr wollt. […] Wo muss ich unterschreiben? Zu der Zeit wusste ich nicht, was ich tue […]. Der Arzt sagte zu mir, wenn sein Sohn in der gleichen Lage wäre, würde er ihm die Teilnahme empfehlen.“ Mit dem Verständnis war es ebenfalls nicht weit her: „Sie gaben mir einige Seiten zum Unterschreiben. [Ich nahm ein Kopie nach Hause] ich verstand kein Wort, als ich einige Sätze las. […] Die Namen der Medikamente standen drin und ihre Wirkungen, die Namen der Ärzte, sechs an der Zahl, da waren auch die Namen von denen beim Ministerium, der Präsident, irgend so etwas [...].

Warum teilnehmen?

Wichtigstes Argument für die Studienteilnahme war die Hoffnung auf eine schnellere Heilung, gefolgt von besserer Betreuung und dass die Behandlung nichts kostet. Auch Versprechungen werden zitiert: „Ich bekäme eine individuelle Behandlung, nicht so wie im Gesundheitszentrum, wo alle auf dem Haufen sind, jeder weiß, dass du TN hast, sie kennen dich […] das ist nicht angenehm […] hier ist es persönlicher.“ „Es erhöhe meine Chancen auf Heilung von 55% auf 99%.“

Studie?

Kaum eineR der PatientInnen hatte wirklich verstanden, dass er oder sie an einer Studie mit einem nicht zugelassenen Medikament teilnahm. Eine Kranke meinte, dass ihr das niemand gesagt hätte, aber tief in ihrem Herzen wusste sie, „[…] dass sie mit meinem Körper experimentieren, damit sie mir helfen können, damit ich mich besser fühle.“ Der Begriff „Doppelblind“ wurde interpretiert als „nicht mehr sehen können und dass es etwas mit den Augen macht.“ Die meisten konnten mit dem Begriff Placebo nichts anfangen.

Dass es unerwünschte Wirkungen geben könnte, war kaum jemandem klar. Drei Personen informierten sich im Internet, und stellten fest, dass die Versuchsleiter etwas anderes gesagt hatten: „Ich fragte den Arzt, wie ist es mit den Nebenwirkungen? Ich weiß nicht, ob er meine Intelligenz oder die von allen beleidigte, [als] er sagte, keine […]. Sie werden keinerlei Probleme haben, im Gegenteil, sie werden schneller geheilt. […] Das ist nicht wahr; so ein starkes Medikament muss Folgen haben. […] Später als ich nachforschte [es folgt eine Liste von Nebenwirkungen].“

Schlecht informiert

Die mangelnde Aufklärung hatte aber auch potenzielle Folgen für die Zuverlässigkeit der Studienergebnisse. Den meisten war klar, dass sie die Behandlung jederzeit abbrechen, aber ansonsten den ärztlichen Empfehlungen folgen mussten, an den Untersuchungen teilnehmen und alle Probleme durch die Behandlung melden sollten, aber vier PatientInnen wussten nicht, an wen sie sich hätten wenden können. Den meisten war nicht bewusst, dass für sie eine Versicherung abgeschlossen war.

Nur ein Patient erwähnte, dass er keine anderen Medikamente einnehmen durfte. Einige änderten eigenmächtig ihre Medikation, teilten das aber den BehandlerInnen nicht mit. „Manchmal änderte ich meine Medikamente, weil ich sah, dass die Ärzte bei anderen Patienten, denen es besser ging oder die es nicht gut vertrugen, die Dosis von Amikacin reduzierten, ich machte das auch, weil ich mich schlecht fühlte […] und natürlich habe ich es ihm nicht gesagt […] das passierte drei Mal und ich hatte Recht.“

Der Mehrheit der Versuchspersonen war nicht richtig klar, ob sie an einer Studie zur besseren Versorgung von TB-PatientInnen teilnahmen oder an einem Medikamententest. Entsprechend war ihnen auch die Wichtigkeit, sich an die Medikationsvorschriften zu halten und Abweichungen mitzuteilen, weniger bewusst. So gesehen war das Versprechen einer fürsorglicheren Behandlung kontraproduktiv.

Die AutorInnen des Berichts stellen fest, dass den InspektorInnen viele relevante Dinge mitgeteilt wurden, die das Personal der Studie vorher nicht erfahren hatte. Die Kosten für solche Interviews seien gering und würden – wenn sie schon während der Durchführung der Studie gemacht werden – die Qualität und Zuverlässigkeit der Ergebnisse deutlich erhöhen.  (JS)

 
Foto: US Navy 110503-N-QD416-125 Peruvian patients wait for eye care at a Continuing Promise 2011 medical clinic
Artikel aus dem Pharma-Brief 4-5/2018, S. 1

[1] Minaya GL et al. (2017) A Missing Piece in Clinical Trial Inspections in Latin America: Interviews With Research Subjects in Peru. Journal of Empirical Research on Human Research Ethics; 12, p 232