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Bundesregierung finanziert globale Zentrale

In Berlin entsteht derzeit ein Sekretariat, das weltweit die Entwicklung neuer Antibiotika koordinieren soll. Die Bundesregierung übernimmt für die ersten drei Jahre die Finanzierung. Damit löst sie eine Zusage vom G20-Gipfel in Hamburg 2017 ein. Dort wurde beschlossen, wegen fehlenden kommerziellen Interesses verstärkt öffentlich finanzierte Aktivitäten zu fördern.[1]

Die neue Einrichtung wird keine eigene Forschung und Entwicklung betreiben, sondern bestehende weltweite Aktivitäten miteinander vernetzten. Dazu sollen Regierungen ihre Förderprogramme aufeinander abstimmen und mit anderen Geldgebern, vor allem philanthropischen Stiftungen, zusammenarbeiten. Das Sekretariat mit dem sperrigen Namen „Global Antimicrobial Resistance R&D Hub“ wird mit 4 bis 5 Personen besetzt und am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung in Berlin angesiedelt.[2]

Gründungsmitglieder sind unter anderem Russland, China, USA und Frankreich, die Europäische Kommission, die Gates Foundation und der Wellcome Trust.[3] Relevante überstaatliche Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO oder die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO haben Beobachterstatus und sollen an den Board-Sitzungen teilnehmen.

An die Arbeit

Übergeordnetes Ziel ist, die Pipeline mit neuen Wirkstoffkandidaten zu füllen, um auch in Zukunft resistente Erreger behandeln zu können. Das soll laut Arbeitsplan mit mehreren Aktivitäten gefördert werden.[4] Eine öffentlich zugängliche Datenbank wird geschaffen, die alle relevanten Förderprogramme weltweit möglichst in Echtzeit abbilden soll. Auf dieser Basis sollen Prioritäten für Forschung und Entwicklung gesetzt und die Programme besser aufeinander abgestimmt werden. Leitprinzipien sind der „One Health“ Ansatz sowie die Verfügbarkeit der neuen Medikamente und Diagnostika für möglichst viele Menschen. Die Forschungsförderung soll mit einer Kombination von Push- und Pull-Mechanismen arbeiten.

Alle Mitglieder sind im Board vertreten und treffen sich regelmäßig. Die Mitglieder verpflichten sich, mit eigenen messbaren Aktivitäten für das Erreichen der Ziele zu arbeiten. So hat die deutsche Ministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, bei der offiziellen Gründung des AMR Hub im Mai 2018 angekündigt, die Bundesregierung werde in den kommenden zehn Jahren bis zu 500 Mio. Euro für die Forschung zur Resistenzproblematik bereitstellen.[5]  (CW)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2018, S. 6

[1] G20 (2017) Abschlusserklärung www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/E/Erklaerungen/G20-Abschlusserklaerung_der_Staats-_und_Regierungschefs.pdf

[2] Global AMR R&D Hub (2018) Terms of Reference www.gesundheitsforschung-bmbf.de/files/GLOBAL_AMR_RD_HUB_Terms_of_Reference.pdf

[3] BMBF (2018) A global effort to fight resistant pathogens. Pressemitteilung 22.5 www.bmbf.de/files/PM%200522-041%20Global_AMR_Hub_engl.pdf

[4] Global AMR R&D Hub (2018) Provisional Workplan 2018-2021 www.gesundheitsforschung-bmbf.de/files/Provisional_Work_Plan_2018-2021.pdf

[5] www.gesundheitsforschung-bmbf.de/en/GlobalAMRHub.php (Abruf 3.7.2018)


Update: europäische Nutzenbewertung

Der EU-Vorschlag zur Nutzenbewertung für Arzneimittel befindet sich mitten in der parlamentarischen Debatte und auch der Ministerrat beginnt sich eine Meinung zu bilden. Wie ist der Stand?

Anfang des Jahres legte die EU-Kommission einen kontroversen Verordnungsentwurf für eine einheitliche europäische Nutzenbewertung (HTA) vor (wir berichteten[1]). Wichtigster Kritikpunkt war das im Artikel 8 enthaltene Verbot nationaler Bewertungen neuer Arzneimittel, verbunden mit einer verpflichtenden Übernahme der EU-Bewertung.

Gegen diese Regelung hat sich am deutlichsten der Ministerrat positioniert. Am 9. Juli hatte die EU-Kommission zu einer Diskussion über die Zukunft von HTA nach Brüssel eingeladen. Für die österreichische Ratspräsidentschaft machte Clemens Auer dort sehr deutlich, dass die Gesetzgebung am Artikel 8 scheitern würde, wenn dort nicht die verpflichtende Übernahme der EU-Bewertungen gestrichen würde. Eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten sei gegen diesen Zwang. Außerdem mahnte er ein transparentes Verfahren an.

Im EU-Parlament sind zwei Ausschüsse mit dem Verordnungsentwurf befasst. Der Ausschuss für den internen Markt und Verbraucherschutz hat sich bereits auf Kompromissformulierungen verständigt.[2]

Positiv zu vermerken sind mehrere Formulierungen, die mehr Transparenz im Verfahren einfordern und eine Veröffentlichung der Studienergebnisse, auf denen die Bewertung beruht. Eine sogenannte Koordinie­rungs­gruppe aus Fachleuten der Mitglieds­staaten, spielt in der Organisation des geplanten Bewertungsverfahrens eine zentrale Rolle. Allerdings liegt sie im Verordnungsentwurf am Gängelband der Kommission, die vieles im Ablauf des Verfahrens selbst festlegen möchte. Das sehen die ParlamentarierInnen anders. Sie wollen, dass die Koordinierungsgruppe die Methoden der Bewertung festlegt, und dass dies in einem transparenten Prozess geschehen soll.

Negativ fällt auf, dass der Hersteller während des Verfahrens das Recht erhalten soll, Einwendungen gegen die EU-Bewertung zu erheben. Diese dürfen von der Koordinierungsgruppe nur mit ausführlicher Begründung abgelehnt werden. Auch die Aufweichung der Anforderungen an die Evidenz bei neuen Therapieformen und Medikamenten gegen seltene Krankheiten sind kontraproduktiv. Sie fördern die Einführung von zu wenig erprobten Methoden.

ENVI-Ausschuss

Der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) hat sich noch nicht auf Kompromisse für die zahllosen Änderungsanträge geeinigt. Es kursiert aber der Vorschlag, die Auswertung von der Bewertung der Evidenz abzutrennen. Die Auswertung der vorhandenen Studien soll EU-weit geschehen, die Bewertung der wissenschaftlichen Fakten soll nationale Zuständigkeit bleiben.

Deutsch-französischer Vorstoß

Damit wäre der ENVI-Ausschuss in dieser Frage schon nah an einem informellen Vorschlag von Deutschland und Frankreich, der uns vorliegt. Damit wollen die beiden Länder die Debatte um den EU-HTA konstruktiv voranbringen und nennen einige Eckpunkte, die das Verfahren verbessern könnten.

So soll sich die EU auf eine rein deskriptive wissenschaftliche Analyse der vorgelegten Studiendaten beschränken. Wenn über ein Verfahren keine Einigkeit erzielt wird, können Mitgliedstaaten im Einzelfall aus der gemeinsamen Bewertung aussteigen. Die Bewertung des Ausmaßes eines Zusatznutzens soll Privileg der Mitgliedsstaaten bleiben. Zusätzliche wissenschaftliche Auswertungen durch Mitgliedsstaaten müssten möglich blei­ben, falls das wegen des nationalen Versorgungskontextes sinnvoll ist.

Die Kriterien für die wissenschaftliche Auswertung der Studien sollten nicht nachträglich von der Kommission selbst bestimmt werden können, sondern müssten bereits im Gesetzestext festgelegt werden. Dahinter steht die Befürchtung, dass statt patientenrelevanter Ergebnisse wie Sterblichkeit oder Linderung der Symptome, möglicherweise Surrogatparameter wie Blutzuckerwerte oder Tumorwachstum als bedeutsamer Vorteil dargestellt werden könnten.

Das Verfahren der wissenschaftlichen Auswertung müsse ganz in der Hand der Koordinierungsgruppe bleiben. Die Kommission soll sich auf die reine Rechtsaufsicht beschränken und – anders als im ursprünglichen Verordnungsentwurf – keine inhaltlichen Einflussmöglichkeiten erhalten.

Ungesunde Hast

Ein Dogma, das Industrie und Kommission gezielt gefördert haben, wurde bislang nicht ernstlich in Frage gestellt: Die angeblich so wichtigen neuen Therapien müssten den PatientInnen noch schneller zur Verfügung stehen. Die Kommission sieht im Verordnungsentwurf nur einen Zeitraum von 67 Tagen für die Bewertung vor, also die Zeitspanne zwischen einer Zulassungsempfehlung der EMA und der Marktzulassung durch die Kommission. Dieser Zeitraum ist für eine seriöse wissenschaftliche Auswertung der Evidenz zu kurz. Bislang begannen Nutzenbewertungen erst nach der Marktzulassung. Der frühere Beginn bedeutet zudem, dass noch weniger Daten aus klinischen Studien vorliegen.

Falsches Instrument

Ein generelles Missverständnis, dem die ParlamentarierInnen aufgesessen sind, ist die Annahme, dass eine einheitliche EU-Bewertung des Zusatznutzens den Zugang zu neuen Arzneimitteln und Medizinprodukten in den Mitgliedsstaaten verbessern werde. Die hohen Kosten für viele neue Medikamente werden das auch künftig verhindern. Außerdem ist es schon jetzt so, dass die Hersteller etliche ihrer hochpreisigen Neuheiten in den ärmeren Mitgliedsstaaten gar nicht vermarkten. Daran kann ein EU-HTA nichts ändern. Allerdings hätte das Parlament die Macht, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, dass die Marktzulassung mit der Verpflichtung verbindet, ein Medikament EU-weit anzubieten. Und auch bei der Preisregulierung sind schärfere Regeln durchaus vorstellbar.

Die Debatte über den EU-HTA Ende August wird nach der Sommerpause des EU-Parlaments weitergehen.  (JS)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2018, S. 5

[1] Pharma-Brief (2018) Wunschkonzert für Hersteller. Nr. 3, S. 1

[2] Committee on the Internal Market and Consumer Protection (2018) 2018/0018(COD) Compromise amendments 1 – 21 www.europarl.europa.eu/meetdocs/2014_2019/plmrep/COMMITTEES/IMCO/DV/2018/07-11/CA_health_EN.pdf  [Zugriff 19.7.2018]


Palbociclib verlängert das Leben nicht

Palbociclib wurde im November 2016 gegen bestimmte Formen von Brustkrebs zugelassen. Obwohl zu diesem Zeitpunkt keine der drei Studien zum Wirkstoff abgeschlossen war, schürte der Hersteller Pfizer große Hoffnungen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) urteilte dagegen letztes Jahr: „kein Zusatznutzen“ (wir berichteten [1] ). Jetzt wurden die Endergebnisse einer weiteren Studie [2]  bekannt. Auch sie konnte nicht zeigen, dass Frauen durch Palbociclib länger leben.

Noch im Februar 2018 kritisierte der Berufsverband der niedergelassenen gynäkologischen Onkologen (BNGO) die Entscheidung des G-BA, Palbociclib keinen Zusatznutzen zu bescheinigen. Das Präparat habe „eine ungefähre Verdopplung der Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung gezeigt.“ [3] Doch tatsächlich waren zur Ermittlung des „progressionsfreien Überlebens“ nur Röntgenbilder zum Tumorwachstum ausgewertet worden. Die Studien konnten keine Verbesserung bei den Krankheitssymptomen belegen.

Der Verband plädierte dafür, bei der Bewertung auch die Lebensqualität zu berücksichtigen. Das hatte der G-BA bei seiner Entscheidung 2017 durchaus getan: Ein Vorteil für Palbociclib ließ sich so nicht erkennen. Dafür ergab die Auswertung der unerwünschten Wirkungen einen deutlichen Nachteil für das neue Medikament.[4]

Am 25. Juni 2018 veröffentlichte der Hersteller von Palbociclib eine Pressemitteilung, die sich allerdings lediglich an Investoren richtete: „Pfizer verkündet Ergebnisse zum Gesamtüberleben bei der Phase 3 Studie PALOMA-3“. [5] Wie schon die Überschrift ahnen lässt, waren die Ergebnisse nicht wie erhofft ausgefallen. Etwas verschämt wird im Text mitgeteilt, dass kein signifikanter Überlebensvorteil gezeigt werden konnte. Pfizer versucht das allerdings mit der Aussage schönzureden, dass es „einen positiven Trend“ gebe.

Shareholder value

Dass statt der medizinischen Fachwelt zuerst die Investoren informiert werden, hat einen schlichten Grund: Warnt eine Firma nicht rechtzeitig, dass ein Produkt die wirtschaftlichen Erwartungen nicht erfüllt, können Aktionäre in den USA auf Schadenersatz klagen. Über einen ähnlichen Fall bei einem anderen Wirkstoff, der inzwischen wieder vom Markt genommen wurde, hatten wir berichtet.[6]

Die Bewertung des G-BA von 2017 ist teilweise befristet, weil die endgültigen Ergebnisse von zwei Studien mit verschiedenen Patientinnengruppen ausstehen.[7] Die erste Frist endet am 1.10.2018 und bezieht sich auf die Studie Paloma 3, deren Ergebnisse nun bekanntgegeben wurden. Die Ergebnisse für die dritte und letzte Studie (Paloma 2) werden Ende 2018 erwartet. Deren vom G-BA ausgewertete Zwischenergebnisse ergaben keinen Überlebensvorteil.[4] Endgültige Daten muss der Hersteller bis zum 1.3.2019 vorlegen.

Anderthalb Jahre nach der Zulassung

hat also noch keine Studie nachgewie­sen, dass Frauen mit Brustkrebs dank Palbociclib länger leben. Die Nebenwirkungen sind erheblich. Das ist insofern besonders relevant, weil der neue Wirkstoff zusätzlich zur bisher üblichen

Therapie gegeben wird. Nachdem nun die Endergebnisse für zwei Studien vorliegen, erscheint die Nutzen-Schaden Bilanz für mindestens einen Teil der Patientinnen negativ.[8] Da stellt sich immer mehr die Frage, warum die europäische Arzneimittelbehörde EMA Palbociclib zu einem Zeitpunkt zugelassen hatte, zu dem es noch keinerlei Daten zum Überleben gab.

Verfrühte Zulassung

Basis der Zulassung war das progressionsfreie Überleben (PFS), also ein verlangsamtes Wachstum von Tumoren. Dies ist nur ein Surrogat (Ersatz), das Hinweise auf relevante Ergebnisse wie längeres Überleben oder Linderung der Krankheitssymptome erlauben soll. Das PFS ist insgesamt leichter und schneller zu erheben als das tatsächliche Überleben, das eine viel längere Beobachtungsdauer erfordert.

Das Surrogat progressionsfreies Überleben hat sich damit zum wiederholten Male als untauglicher Indikator für einen relevanten Nutzen herausgestellt. Das zeigte eine Übersichtarbeit aus den USA: Mehrere Jahre nach der Zulassung konnte nur für 14% der Krebsmedikamente, die auf Basis von Surrogaten zugelassen waren, ein Überlebensvorteil belegt werden. Bei der Hälfte der Medikamente stellte sich letztlich heraus, dass Patientinnen durch den neuen Wirkstoff nicht länger leben, bei den übrigen ist das nach wie vor unklar. [9],[10]

Shareholder first

Für Pfizer hatte die Information von Aktionären über die ungünstigen Ergebnisse offensichtlich Vorrang vor der Unterrichtung von Ärztinnen und Ärzten. Das ist ein Symptom dafür, dass Investoren mit einem besseren Schutz ihrer Interessen rechnen können als PatientInnen. Es wäre an der Zeit, dass die EMA ihre eigenen Zulassungsentscheidungen kritisch hinterfragt.  (JS)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2018, S. 4
Bild © Jörg Schaaber

[1] Pharma-Brief (2017) Viel Lärm um nichts? Nr. 4, S. 4

[2] Pfizer hat insgesamt drei zulassungsrelevante Studien durchgeführt, Paloma 1, 2 und 3.

[3] Deutsches Ärzteblatt (2018) Berufsverband kritisiert G-BA-Bewertung neuer Krebstherapeutika. News 18. Feb. www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=17&typ=1&nid=89322&s=palbociclib

[4] G-BA (2017) Beschluss zu Palbociclib vom 18. Mai www.g-ba.de/informationen/nutzenbewertung/269/#tab/beschluesse

[5] Pfizer (2018) Pfizer Announces Overall Survival Results from Phase 3 PALOMA-3 Trial of IBRANCE® (Palbociclib) in HR+, HER2- Metastatic Breast Cancer. Investor news press release 25 June

[6] Pharma-Brief (2017) … und wieder die Aktionäre zuerst. Nr. 3, S. 6

[7] Für eine weitere Patientinnengruppe legte der Hersteller keine Daten vor. Hier gilt der Beschluss des G-BA „kein Zusatznutzen“ unbefristet.

[8] Für eine Patientinnengruppe hatte Pfizer dem G-BA keine Daten vorgelegt, für eine weitere Gruppe sind die Ergebnisse der noch nicht abgeschlossenen Paloma 2 Studie relevant.

[9] Pharma-Brief (2017) Bescheidener Fortschritt Nr. 8-9, S. 1

[10] Kim C und Prasad V (2015) Cancer Drugs Approved on the Basis of a Surrogate End Point and Subsequent Overall Survival .JAMA Int Med; 175, p 1992


Internationaler Währungsfonds schadet Gesundheit

Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist in der Vergangenheit immer wieder für seine Auflagen bei der Kreditvergabe für Entwicklungsländer kritisiert worden. Sie trafen vor allem die ärmsten Teile der Bevölkerung und verschlechterten die gesundheitliche Lage. Wird jetzt alles besser?

Im vergangenen Jahr versuchte der IWF sein negatives Image aufzupolieren. In den letzten Jahren habe die Kreditvergabe sich nicht negativ auf die Ausgaben für Gesundheit ausgewirkt, im Gegenteil sie seien oft sogar gestiegen, behaupteten Mitarbeiter und auch IWF-Chefin Christine Lagarde in offiziellen IWF-Blogs.[1],[2] Diese Aussage haben Gino Brunswijck und Jesse Griffiths vom European network on debt and development (eurodad) unter die Lupe genommen.[3]

Sechs Studien nennt der IWF als Beleg für seine These. Doch die meisten Quellen unterstützen die Behauptung des größten Kreditgebers für Staaten nicht. Der einzige Artikel, der zu positiven Ergebnissen gelangt, stammt von den Autoren des Blogs selbst und basiert auf einem Bericht des IWF. Eine weitere als angeblicher Beleg zitierte Studie[4] widerspricht den Behauptungen des Fonds diametral. Sie kommt zu dem Schluss, dass „der IWF-Bericht methodische Fehler enthält, übermäßig optimistisch und potenziell irreführend ist.“ Die Wissenschaftler aus Cambridge werteten die Zahlen des IWF neu aus. Ihr Fazit ist: „Jedes zusätzliche Jahr, in dem ein Land an einem [Kredit-] Programm des IWF teilnimmt, bedeutet eine Senkung des Anteils der Gesundheitsausgaben am Bruttosozialprodukt um 1,7%.“

Dieses Jahr will der IWF seine Kriterien für die Kreditvergabe überarbeiten. Bei seiner verzerrten Sicht ist es allerdings fraglich, ob er dem Nachhaltigen Entwicklungsziel 3 „Gesundes Leben und Wohlergehen für Alle in jedem Alter“ gerecht wird. eurodad fordert aber noch tiefgreifendere Änderungen: „Die Auflagen des IWF sind oft hochkontrovers und stellen einen tiefen Eingriff in Schlüsselfragen der Wirtschaftspolitik dar. Die sollten eigentlich der Kern einer demokratischen Debatte des Landes sein und nicht von Washington vorgeschrieben werden.“[3]  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2018, S. 3

[1] Gupta S and Shang B (2017) Public spending on health care under IMF-supported programs. IMF blog https://blogs.imf.org/2017/03/09/public-spending-on-health-care-under-imf-supported-programs/

[2] Lagarde C (2017) Protecting Education and Health Spending in Low-Income Countries. IMF blog https://blogs.imf.org/2017/06/06/protecting-education-and-health-spending-in-low-income-countries/

[3] Griffith J and Brunswijck G (2018) IMF conditionality: still undermining healthcare & social protection? www.eurodad.org/IMF-conditionality-undermining-healthcare

[4] Stubbs T and Alexander Kentikelenis A (2017) Targeted social safeguards in the age of universal social protection: the IMF and health systems of low-income countries. Critical Public Health. DOI: 10.1080/09581596.2017.1340589


Interessenkonflikte bei US-Arzneimittelzulassung

Die US-FDA lädt regelmäßig ExpertInnen ein, die ihre Ansichten über anstehende Zulassungen äußern. Das US-Wissenschaftsmagazin Science deckte jetzt auf, dass es ein System der nachträglichen Belohnung gibt.[1] Nicht nur ExpertInnen profitieren davon, auch MitarbeiterInnen der FDA.

Auch wenn das Votum des Advisory Committee für die Behörde nicht bindend ist, folgt sie meist der Ansicht der Fachleute. Wer an einem solchen Treffen der FDA teilnimmt, muss eine Erklärung zu Interessenkonflikten ausfüllen. Wenn die FDA sie als relevant ansieht, werden sie bekanntgegeben.

Ist jedoch noch kein Geld geflossen, kann auch nichts offengelegt werden. Doch auffällig häufig erhalten Expert­Innen aus Advisory Committees später erhebliche Summen von Pharma­firmen. Der, dessen Stimme im Zulassungsprozess gehört wird, ist für Hersteller interessant. Das gilt nicht nur für die Firma, die von einer positiven Expertenmeinung im Zulassungsprozess profitiert hat, sondern auch für Firmen, die Konkurrenzprodukte für dieselbe Indikation entwickeln.

Science wertete über 20 Advisory Committees der FDA aus. Insgesamt hatten dabei 107 ÄrztInnen abgestimmt, die keine Interessenkonflikte angegeben hatten. 66 erhielten später Pharmagelder, 40 davon über 10.000 US$, sieben sogar mehr als eine Million US$.

Drehtür FDA – Industrie

Auch die MitarbeiterInnen der FDA, die die Zulassungsanträge inhaltlich bearbeiten, sogenannte Reviewers, laufen Gefahr, bei ihrer Arbeit künftige Jobs im Auge zu haben. Bereits 2016 hatten Jeffrey Bien und Vinay Prasad die spätere Karriere von allen Reviewern für Krebsmedikamente von 2006-2010 untersucht.[2] Die Hälfte war auch 2016 noch bei der FDA beschäftigt, aber von den Ausgeschiedenen hatten 57,7% inzwischen einen Job bei der Industrie oder fungierten als Berater für Pharmafirmen.[3]

Science wertete aktuelle Daten aus. Die Redakteure deckten auf, dass von 16 Reviewers, die die FDA verließen, 11 entweder direkt bei einer Pharmafirma anfingen oder als Berater für die Industrie tätig wurden.[4] Einziger Schutzwall gegen den Drehtüreffekt: Leitende MitarbeiterInnen der Behörde dürfen nach dem Wechsel in die Industrie ein bis zwei Jahre die Firma nicht bei der FDA vertreten. Das gilt aber nicht für gewöhnliche Reviewer, für die es keine Einschränkungen in der weiteren Berufsausübung gibt.

Mit einigen Beispielen illustriert Science die Problematik von scheinbar unabhängigen ExpertInnen, die sich später von Firmen unterstützen lassen und von BehördenmitarbeiterInnen, die die Seiten wechseln.

Ticagrelor

Vier Ärzte, die 2010 beim FDA Advisory Committee über den Gerinnungshemmer Ticagrelor abstimmten (Markenname in den USA: Brilinta®), hatten zu diesem Zeitpunkt laut FDA keine relevanten Interessenkonflikte. Aber in den folgenden Jahren ergoss sich über die Vier eine Gelddusche von AstraZeneca und Konkurrenten. Besonders viel bekam der Kardiologe Jonathan Halperin ab: Von 2013-2016 erhielt er über 200.000 US$ als Honorare, für Reisekosten und Beratung.[5] Für Forschung zu Ticagrelor, an der Halperin persönlich beteiligt war, zahlte AstraZeneca seiner Uni fast zwei Millionen US$. Der Kardiologe sieht für sich persönlich kein Problem. Wenn eine Firma ihn für einen Vortrag oder Beratung bezahle, „ist das wirklich nicht viel anders als wenn dir die Versicherung einen Scheck dafür gibt, dass du irgendwann einen Patienten behandelt hast.“ Halperin räumte immerhin ein, dass die Erwartung auf zukünftige Belohnung Ansichten beeinflussen kann: „Ich teile die Sorge, dass das dazu führen kann, dass Leute auf eine Weise agieren, die man nicht möchte.“

Quetiapin

2009 gab es gleich zwei FDA Advisory Committees zu Quetiapin (Seroquel® von AstraZeneca). Dabei ging es um die Frage, ob Quetiapin künftig auch gegen Schizophrenie und bipolare Störungen eingesetzt werden dürfe. Bereits damals war bekannt, dass der Wirkstoff, wenn er mit anderen Medikamenten kombiniert wird, plötzlichen Herzstillstand auslösen kann. Trotzdem stimmten die beratenden ÄrztInnen mit großer Mehrheit beiden Zulassungserweiterungen zu. Mehrere der Berater erhielten anschließend erhebliche Summen von der Industrie.

Mit 1,36 Mio. US$ kassierte Christopher Granger den größten Betrag. Er behauptete auf Nachfrage, das Geld sei nur in die Forschung geflossen. Allerdings sagt die staatliche Datenbank etwas anderes: Über 400.000 US$ flossen als Honorare, für Reiskosten und für Beratung an Granger persönlich – darunter das ganze Geld, das er von AstraZeneca erhalten hatte.

Granger rechtfertigte sich. „Ich bin mir darüber im Klaren, dass, wenn mich jemand bezahlt, mich das – wie jedes andere menschliche Wesen – in meiner Denkweise beeinflussen kann. Ich bin nicht so naiv.“[1] Trotzdem habe er geglaubt, dass für einige PatientInnen mit schweren psychischen Störungen der Nutzen von Quetiapin gegenüber den Risiken überwiege.

Auch ein FDA-Mitarbeiter fiel bei einem der Advisory Committee Meetings zu Quetiapin 2009 auf: Thomas Laughren, seinerzeit Direktor der Abteilung Psychopharmaka bei der FDA, kanzelte den Wissenschaftler Wayne Ray, der seine Untersuchung zum plötzlichen Herzstillstand vorgestellt hatte, regelrecht ab. Laughren hielt dagegen die Auswertung der Studien von AstraZeneca für glaubwürdig, in denen kein Risiko erkennbar war. Ray warnte jedoch davor, diese Aussage der Firma als „endgültig“ anzusehen. Methodisch seien die Berechnungen unzuverlässig, da AstraZeneca die Daten aus unterschiedlichen Studien einfach zusammengerechnet hatte, als sei es eine einzige Studie gewesen. Laughren entgegnete flapsig, plötzlicher Tod wäre „ein ziemlich endgültiges Ereignis“.

Kurz nach den Anhörungen verließ Laughren die FDA und gründete eine Beratungsfirma., die auch AstraZeneca bei Zulassungen half. Science wollte er keine Auskunft über seinen Rollenwechsel geben.

2010, also ein Jahr nach der Zulassungserweiterung, musste AstraZeneca dem Staat 520 Mio. US$ wegen Unregelmäßigkeiten bei klinischen Studien und wegen der Bewerbung von Seroquel® für nicht zugelassene Indikationen zahlen. Im gleichen Jahr erzielte die Firma – die trotz der großen Zahlung jedes Fehlverhalten abstritt – mit dem Medikament fünf Milliarden US$ Umsatz. Ein Jahr später, 2011, musste sie auf Anordnung der FDA eine Warnung in den Beipackzettel aufnehmen, dass bei Kombination mit anderen Medikamenten die Gefahr von Herzstillstand besteht.

Karen Birmingham, Pressesprecherin von AstraZeneca, sieht die Rolle von ehemaligen Behördenmitarbeitern dennoch positiv. Sie „bringen die Perspektive von erfahrenen Regulierern ein“ und würden damit den heutigen MitarbeiterInnen der Zulassungsbehörde helfen, „herausfordernde Entscheidungen über die Zulassung innovativer Arzneimittel, die Behandlungslücken schließen, zu treffen.“ [4]

Vinay Prasad, der die erste Untersuchung zum Drehtüreffekt bei der FDA durchgeführt hat, sieht das etwas anders. Schwache Regeln zu Interessenkonflikten bei der FDA und künftige Beschäftigungsaussichten, brächten die Bewertungen der Behörde in eine Schieflage. „Wenn dein möglicher nächster Arbeitgeber Nr. 1 dir gegenübersitzt, dann gibst du nicht den harten Hund, wenn du ihn reglementierst. Das liegt einfach in der menschlichen Natur.“ [4]

Laxe Kontrolle

Science überprüfte aber nicht nur spätere Zahlungen an ÄrztInnen, sondern auch, ob die Angaben zu Interessenkonflikten bei der FDA angemessen waren. Hier wurde ebenfalls mangelnde Kontrolle deutlich.

Bei vielen ExpertInnen, bei denen die FDA keine relevanten Konflikte sah, gab es in Wirklichkeit doch welche. Durch die Recherche wurde aufgedeckt, dass doch Geld floss: Firmen, die von der Zulassungsentscheidung betroffen waren, hatten die scheinbar unabhängigen ExpertInnen unterstützt.

Von den 17 durch die FDA als unabhängig deklarierten ÄrztInnen, die nach den FDA-Beratungen die höchsten Beträge von Firmen kassierten (über 300.000 US$) hatten 11 in Wirklichkeit auch schon im Jahr vor oder während der FDA-Beratung Gelder erhalten. Fünf davon von genau der Firma, um deren Produkt es bei der FDA ging. Science hatte diese Information in den Erklärungen zu Interessenkonflikten bei Fachartikeln der ÄrztInnen gefunden.

Ob das Versagen bei der FDA oder bei den beteiligten Ärzten liegt, bleibt unklar. Die beiden oben erwähnten Experten Halperin und Granger hatten zunächst zugesagt, Science ihre bei der FDA eingereichten Erklärungen zu Interessenkonflikten zur Verfügung zu stellen. Aber auch auf mehrfache Nachfragen wurden sie nicht zugesandt. Bei der FDA selbst wurde Science ebenso wenig fündig. Beide Erklärungen seien nicht auffindbar, teilte die Behörde mit.

Und in Europa?

Bei schwierigen Entscheidungen greift auch die europäische Zulassungsbehörde EMA auf externe ExpertInnen zu. Allerdings ist – im Gegensatz zu den USA – nicht ohne weiteres nachvollziehbar, wann das geschieht und wer angehört wurde. Deshalb helfen die auf der EMA Website hinterlegten Erklärungen zu Interessenkonflikten nicht weiter. Außerdem ist eine externe Überprüfung der Pharmazahlungen in Europa nicht möglich. In den USA konnte Science eine solche Untersuchung durchführen, weil durch den Physicians Payment Sunshine Act alle Zahlungen der Industrie an ÄrztInnen in einer öffentlichen Datenbank hinterlegt sind. Eine freiwillige Offenlegung, wie die seit kurzem in Deutschland eingeführte, erfasst nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Zahlungen und ist deshalb nutzlos.  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2018, S.1

[1] Piller C and You J (2018) Hidden conflicts? Pharma payments to FDA advisers after drug approvals spark ethical concerns. Science. www.sciencemag.org/news/2018/07/hidden-conflicts-pharma-payments-fda-advisers-after-drug-approvals-spark-ethical  [Zugriff 18.7.2018]

[2] Bien J und Prasad V (2016) Future jobs of FDA’s haematology-oncology reviewers. BMJ; ae54, p i5055

[3] Einige wenige wechselten zu anderen Behörden. Bei 30,8% konnte der neue Arbeitgeber nicht identifiziert werden

[4] Piller C (2018) FDA’s revolving door: Companies often hire agency staffers who managed their successful drug reviews. Science http://www.sciencemag.org/news/2018/07/fda-s-revolving-door-companies-often-hire-agency-staffers-who-managed-their-successful  [Zugriff 18.7.2018]

[5] Die US-Datenbank mit Zahlungen der Industrie an ÄrztInnen wurde erst 2013 eingeführt, deshalb liegen zu vorangegangenen Jahren keine Daten vor.


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