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Beteiligung an globaler Gesundheitsstrategie

Bis Ende 2019 will die Bundesregierung eine Strategie zu globaler Gesundheit entwickeln. Der Prozess dahin ist von bislang ungewohnter Beteiligung und Transparenz geprägt. Auf einer Austauschveranstaltung am 5.9.2018 konnten die nichtstaatlichen Akteure ihre Positionen vorstellen.

Bereits in ihrer Koalitionsvereinbarung hatten die Regierungsparteien betont, dass Deutschland eine aktive und konstruktive Rolle in der internationalen Gesundheitspolitik spielen solle. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich das Entwicklungsziel Gesundheit (Ziel 3 der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen) auf die Fahne geschrieben. Gemeinsam mit dem Präsidenten Ghanas, Nana Addo Dankwa Akufo-Addo, und der norwegischen Ministerpräsidentin Erna Solberg schrieb sie im April an Tedros Adhanom Ghebreyesus, den Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO).[1] Die drei StaatschefInnen mahnten in ihrem Brief verstärkte Anstrengungen für das Entwicklungsziel Gesundheit. Sie forderten die WHO auf, bei der Umsetzung eine Führungsrolle zu übernehmen und gemeinsam mit anderen UN-Organisationen einen konkreten Aktionsplan zu entwickeln.

Konsultationsprozess

Auch das Gesundheitsministerium (BMG) hat einen konstruktiven Dialog zum Thema globale Gesundheit in Gang gesetzt. Bereits Ende 2017 gab es eine erste Austauschveranstaltung zu globaler Gesundheit, die allerdings stark auf die G 20 Aktivitäten konzentriert war und wenig Raum für Debatten ließ. Auf einer weiteren BMG-Veranstaltung im Juni 2018 wurde dann vereinbart, dass die fünf verschiedenen Akteursgruppen (Jugend, Think Tanks, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft) eigene Positionspapiere erarbeiten.[2] Diese wurden am 5. September in Berlin vorgestellt und diskutiert. Das Memento Bündnis[3] und die Deutsche Plattform für globale Gesundheit (DPGG) [4] hatten weitere Papiere vorgelegt; in beiden Netzwerken engagiert sich auch die BUKO Pharma-Kampagne.

Kritischer Konsens

Erstaunlich waren die großen Übereinstimmungen zwischen den Papieren, obwohl sie unabhängig voneinander entwickelt worden waren. Das Prinzip der Universal Health Coverage (UHC), also eines umfassenden Zugangs zur Gesundheitsversorgung und zu sozialer Absicherung im Krankheitsfall war überall ein zentraler Punkt. Das Menschenrecht auf Gesundheit als Leitprinzip fand sich in allen Papieren – mit Ausnahme des Dokuments das von den privatwirtschaftlichen Akteuren vorgelegt wurde.

Viele Bereiche über den eigentlichen Gesundheitssektor hinaus sind für die Gesundheit wichtig und müssen mit bedacht werden, wenn es um die Vermeidung von Krankheiten und eine bessere Versorgung geht. Deshalb ist die Forderung nach „health in all policies“ nicht verwunderlich.

Ein wesentlicher Fortschritt ist, dass die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) im Gegensatz zu den vorherigen Millennium Development Goals (MDGs) für reiche und arme Länder gleichermaßen gelten. Eingefordert wurde deshalb, dass Deutschland sich nicht nur international konstruktiv für die Umsetzung der SDGs stark macht, sondern auch selbst seine Hausaufgaben macht. Angefangen davon, dass die Versorgung im Krankheitsfall für Geflüchtete und andere vulnerable Gruppen miserabel ist, über ungleiche Bildungschancen, Armut bis hin zum sozialen Wohnungsbau gibt es auch in Deutschland viele gesundheitsbezogene Baustellen.Austauschveranstaltung mit dem BMG am 5. September in Berlin

Debatten

In der Diskussion wurde deutlich: Während intersektorale Ansätze befürwortet wurden, ist es bis zur praktischen Umsetzung noch ein weiter Weg. So muss zum Beispiel Klimaschutz und die Bekämpfung der Luftverschmutzung gegen die Interessen der Autoindustrie und Energiewirtschaft durchgesetzt werden. Zwar waren bei der Diskussion am 5.9.2018 nicht nur VertreterInnen des Gesundheits- und Entwicklungshilfeministeriums anwesend, sondern auch die Ressorts Forschung und Landwirtschaft sowie das Bundeskanzleramt. Aber weder das Ministerium für Wirtschaft noch das für Arbeit und Soziales waren vertreten.

Aber auch im klassischen Gesundheitssektor gibt es reichlich Reibungsflächen: Die Priorisierung von Patentschutz versus Zugang zu Arzneimitteln oder hohe Preise, die auch in Industrieländern die Versorgung gefährden. Die fehlende Forschung zu vernachlässigten Krankheiten erfordert andere Finanzierungsmodelle. All das wird sich nur gegen den Widerstand von Big Pharma erreichen lassen.

Die Zersplitterung der globalen Gesundheitspolitik war ebenfalls ein wichtiges Thema. Die ständig wachsende Zahl separater Initiativen wie dem „Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria“, der Impfinitiative GAVI und vielen anderen führt zu vertikalen Interventionen, die viele Ressourcen fressen. Auch wenn diese Programme im Einzelfall deutliche Erfolge erzielen, besteht immer die Gefahr, dass die breite Versorgung der Bevölkerung, die ja nicht nur an diesen wenigen Krankheiten leidet, auf der Strecke bleibt. Es bleibt eine Herausforderung, solche vertikalen Programme in existierende Strukturen zu integrieren und die Stärkung der allgemeinen Versorgung als wichtige Teilaufgabe solcher Programme zu begreifen. Die Förderung von Universal Health Coverage muss nach Meinung der meisten TeilnehmerInnen Vorrang haben.

Rolle der Wirtschaft

Für die Industrie äußerte sich das „German Healtcare Partnership“ (GHP). Die Wirtschaft sieht UHC auch als lohnenden Markt. So bietet sie an, Gesundheitsversorgungseinrichtungen zu beraten oder sogar in eigener Regie zu übernehmen. Ihr Beitrag zur Entwicklung von Versicherungssystemen ist die Einführung von privaten Krankenversicherungen. Die „Lieferung der technischen (fachlichen) Expertise bei der Definition eines Katalogs zur medizinischen Grundversorgung […]“ lässt eher die Durchsetzung von Partikularinteressen erwarten als eine am Allgemeinwohl orientierte Auswahl von medizinischen Leistungen – vom Paternalismus eines solchen Ansatzes einmal ganz zu schweigen. Auch auf die im Papier versprochenen „innovative[n] Medikamente für die Bedürfnisse der Entwicklungsländer“ warten diese schon lange vergeblich.

Dass sich einige Firmen nach jahrelangem Druck von NGOs in bescheidenem Umfang auch für vernachlässigte Krankheiten engagieren, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Geschäftsmodell von Big Pharma die gesundheitlichen Bedürfnisse von großen Teilen der Weltbevölkerung nicht befriedigen kann. Insofern wirken die folgenden Sätze aus dem Wirtschaftspapier wie der blanke Hohn: „Innovative Gesundheitsprodukte sind Lösung und nicht Last für nachhaltige Gesundheitssysteme. Es gilt, Innovationen durch Stärkung bzw. Aufrechterhaltung geeigneter Anreizsysteme, insbesondere dem Schutz des geistigen Eigentums, zu fördern.“ Dabei hilft ja gerade der Patentschutz nicht, Medikamente für die Armen zu entwickeln, im Gegenteil fördert er die Entwicklung von Medikamenten für zahlungskräftige Märkte. Er sorgt außerdem dafür, dass hohe Arzneimittel durchgesetzt werden können, die mit den Herstellungskosten nichts zu tun haben.

„Public Private Partnership“ stehen aus Sicht der Wirtschaft im Mittelpunkt. Das hat ja auch einige Vorteile: Man muss selbst nicht so viel investieren, denn das meiste Geld stammt in der Regel aus öffentlichen Töpfen und man kann mitreden, wie die Prioritäten gesetzt werden. Dazu liefert die Wirtschaft auch ein Beispiel: „Ein besonders wirkungsvolles und erfolgreiches Beispiel für akteursübergreifende Zusammenarbeit ist der World Health Summit (WHS), er steht für die gute und enge Zusammenarbeit der deutschen Gesundheitswirtschaft mit der Wissenschaft.“ Dieses seit einigen Jahren in Berlin stattfindende Treffen wird von der M8 Alliance, einem Zusammenschluss von akademischen Zentren, in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft durchgeführt. Es erhebt den Anspruch „die Gesundheit auf dem ganzen Planeten zu verbessern“ und „die Agenda von Morgen zu steuern, um Forschung, Ausbildung, Gesundheitsversorgung und policy outcomes zu verbessern“.[5] Die M8 Alliance ist ein exklusiver Club und repräsentiert vorwiegend WissenschaftlerInnen aus Industrieländern. Auf der Liste der RednerInnen sind auch in diesem Jahr Firmen und Public Private Partnerships gut vertreten.[6] Kein Wunder also, wenn einige Veranstaltungen eine kommerzielle Schieflage bekommen.

Immer wenn sich kommerzielle Interessen mit öffentlichen mischen, besteht die Gefahr der Vereinnahmung und Abschwächung von an sich sinnvollen Zielen. Im Englischen wurde dafür der Begriff „Engineering of Consent“ geprägt. Das Papier der Wirtschaft bietet dafür unfreiwillig eine Bestätigung: „Schulterschluss aller in Gesundheitsthemen involvierten Akteure (Wirtschaft, Wissenschaft, NROs und Politik): proaktive Abstimmung der Aktivitäten sowie gegenseitiger Erfahrungs- und Wissenstransfer können ein effizientes und wirtschaftliches Engagement aller Akteure unterstützen […]“.

Mit der Forderung nach einem „Schulterschluss“ standen die Industrievertreter auf der Austauschveranstaltung am 5.9. allerdings allein auf weiter Flur. Von verschiedenen TeilnehmerInnen – auch aus den Ministerien – wurde der Dissens als treibende Kraft in einer produktiven Debatte hervorgehoben.

Irritationen

Für einigen Unmut sorgte das Phantom eines „Global Health Hub Germany“ (GHH). Von den fünf am 5.9. anwesenden Akteursgruppen war offensichtlich lediglich die Wirtschaft an den Planungen für ein ständiges Austauschforum des BMG zu internationaler Gesundheitspolitik beteiligt und gut informiert. Es gab vorab keine offiziellen Informationen von Seiten des BMG. Lediglich einigen NGOs war ein paar Tage vor dem Treffen ein kurzes Konzeptpapier zugespielt worden, das eine vage Idee von dem Vorhaben gab. An das BMG sei „wiederholt der Wunsch einer Vernetzungsplattform für Akteure in der globalen Gesundheit herangetragen“ worden.[7] Es fehle „ein sektorübergreifender Austausch“. Der GHH solle „als zentrale Anlaufstelle in Deutschland für nationale und internationale Akteure im Bereich Globale Gesundheit dienen.“ Er „soll ein von der Bundesregierung unabhängiges selbständiges Forum sein […]. Ob und in welcher Form die Ressorts [außer dem BMG] sich einbringen wollen, ist diesen freigestellt.“ Auch die bisherigen Gesprächspartner zum GHH werden genannt: „WHS/Charité, GHP, Bill und Melinda Gates Stiftung, Wellcome Trust, VENRO etc.“. Dummerweise wusste aber Letzterer, ein Zusammenschluss von NGOs, gar nichts davon. Der Verband hatte erst durch das durchgesickerte Papier von seiner angeblichen Beteiligung am Global Health Hub erfahren. Die harsche Kritik an dieser Vorgehensweise veranlasste das Ministerium immerhin dazu, offiziell um Austausch zu bitten. Nach den Vorstellungen des BMG soll der GHH im Dezember 2018 vorgestellt werden.

Wie geht’s weiter?

Das BMG betonte, dass es die Zivilgesellschaft in die weitere Diskussion über die globale Strategie einbeziehen will. Dabei wurde als ein Format der GHH vorgeschlagen, aber über die Ausgestaltung könne noch geredet werden. Die Zivilgesellschaft wird sich gut überlegen müssen, ob sie einem Gremium Legitimität verleihen möchte, das nach bisherigem Planungsstand als Public Private Partnership angelegt ist, das politische Fortschritte in Richtung Global Health eher bremsen könnte. Die starke Industriepräsenz, die Rolle der Gates-Stiftung und die Ausrichtung auf Konsens sprechen dafür.

Weitere Diskussionen über die Global Health Strategie gab es schon wenige Tage später. Das BMG und das BMZ luden am 10.9. zu einem Dialogforum ein. Die Themen: „Konkret möchten wir uns mit Ihnen zu der Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen im Sinne eines ‚One-Health‘-Ansatzes, der Gesundheitsförderung und Prävention nicht übertragbarer Krankheiten und den Potenzialen einer zunehmenden Digitalisierung des Gesundheitssektors austauschen.“ Allerdings war der Kreis der Eingeladenen mit 20 Organisationen deutlich kleiner als am 5.9. Und der Bundesverband der Deutschen Industrie war gleich zweimal eingeladen, einmal als BDI und einmal als German Healthcare Partnership. Auf der Teilnehmerliste fehlten VertreterInnen der Medizin und Public Health dagegen völlig. Dass dann doch noch ein Vertreter der Deutschen Plattform für Globale Gesundheit teilnehmen konnte, erwies sich als wichtig. In der Debatte wären sonst die Themen Antibiotikaresistenz (ABR) und nichtübertragbare Krankheiten (NCDs) völlig untergegangen. Dabei ist die Rate der vermeidbaren Todesfälle durch NCDs in Entwicklungs- und Schwellenländern sogar höher als in reichen Staaten, es handelt sich also um ein zentrales Thema für Global Health. Und auch bei Antibiotikaresistenzen sind entschiedene Maßnahmen in der Humanmedizin wie in der Tierhaltung essenziell. Die Lernkurve der Bundesregierung könnte also noch steiler werden.

Letztlich wird sich die globale Gesundheitsstrategie der Bundesregierung nicht nur daran messen, ob die Positionen auf dem Papier korrekt sind, sondern ob und wie sie umgesetzt werden. Bei der Austauschveranstaltung am 5.9. fand deshalb ein Vorschlag der Pharma-Kampagne im Publikum großen Beifall: Man solle doch alle künftigen politischen Vorhaben der Bundesregierung und vor allem neue Gesetzentwürfe einer Entwicklungsverträglichkeitsprüfung im Sinne der SDGs unterziehen.  (JS)

 

Bild: Austauschveranstaltung mit dem BMG am 5. September in Berlin © Jörg Schaaber
Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2018, S.1

[1] Merkel A et al. (2018) Letter to Dr. Tedros, 19 April www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2018/04/2018-04-19-merkel-solberg-akufo-addo.html

[2] www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2018/september/globale-gesundheitspolitik.html#c13758

[3] Memento-Bündnis (2018) www.bukopharma.de/images/aktuelles/Memento-Buendnis_2018_Globale_Gesundheit.pdf

[4] DPGG (2018) www.bukopharma.de/images/aktuelles/dpgg_2018_deutsche_Strategie_globale_Gesundheit.pdf

[5] WHS (2018) Vision and goals. www.worldhealthsummit.org/about/vision-and-goals.html [Zugriff 11.9.2018]

[6] WHS (2018) Speakers. www.worldhealthsummit.org/conference/speakers.html [Zugriff 11.9.2018]

[7] BMG (2018) Projektskizze „Aufbau eines Global Health Hub Germany (GHH Germany)“



PHARMA-BRIEFE AUS DEM JAHR 2022


Eine Sondersitzung der Weltgesundheitsversammlung hat den Auftrag zur Erstellung eines Pandemievertrags erteilt. Damit soll die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bessere Instrumente an die Hand bekommen, um auf Pandemien reagieren zu können. Aber bis dahin ist der Weg noch weit und voller Klippen.

Die WHO kann auch bislang schon durch die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR) bei Krisen weltweit intervenieren (siehe Kasten). Diese Vorschriften haben sich aber als nicht ausreichend erwiesen, wie die jüngste Covid-19-Pandemie zeigt. Denn die IHR enthalten keine Bestimmungen über den weltweiten Zugang zu Präventions- und Behandlungsmaßnahmen. Dem soll ein noch zu schreibender Pandemievertrag abhelfen. Das hat die Weltgesundheitsversammlung (WHA) am 1.12.2021 beschlossen. Ziel soll „ein umfassender und kohärenter Ansatz zur Stärkung der globalen Gesundheitsarchitektur“ sein, der neue Instru­mente zur Pandemieprävention, der Vorbereitung für den Ernstfall und der angemessenen Reaktion entwickelt „und dabei die Priorität auf Gerechtigkeit setzt.“[1]

Langzeitprojekt

Bis März 2022 soll ein zwischenstaatliches Verhandlungsgremium (Intergovernmental Negotiating Body, INB) mit einer fairen Beteiligung von reichen und armen Ländern und allen Weltregionen gegründet werden. Zwischenergebnisse sollen bei der WHA im Mai 2023 vorgestellt werden, und bei der WHA 2024 soll der fertige Entwurf vorliegen. Welche Form das Vertragswerk annehmen soll, ist dabei noch offen. Es kann also eine WHO-Konvention werden (wie die zur Tabakkontrolle), eine Ergänzung der Internationalen Gesundheitsvorschriften oder ein Vertrag außerhalb der WHO.

Lob und Kritik

Dass die Gerechtigkeitsfrage gestellt wird, ist sicher als Fortschritt anzusehen. Und entgegen ursprünglichen Befürchtungen ist die Koordination bei der WHO angesiedelt und Hauptakteure sind die Mitgliedsstaaten.

Neben Lob für das Vorhaben gab es auch Kritik. Dass Industrieländer, die den Zugang zu Impfstoffen blockieren, sich für den Pandemievertrag stark gemacht haben, wirft Fragen nach der Ernsthaftigkeit auf.[2] Das People’s Health Movement sieht die Gefahr, dass es sich auch um eine Verzögerungstaktik handeln könnte.[3] Nach einigem Zögern haben allerdings viele Staaten die WHO-Resolution unterstützt.WHO/Blink Media - Nana Kofi Acquah

Auch die Gefahr eines Stakeholder-Ansatzes ist nicht zu unterschätzen: Die Resolution sieht vor, dass der INB weitere Akteure in die Verhandlungen mit einbeziehen kann. Also könnten auch kommerzielle Interessenträger und demokratisch nicht kontrollierte Stiftungen Einfluss auf die Debatte bekommen. Auch da gilt es aufmerksam zu bleiben – vor allem, weil außer der generellen Zielsetzung im Grunde noch alles offen ist.

Und was nicht in Vergessenheit geraten darf: Der geplante Vertrag ist kein Ersatz für akut notwendige Maßnahmen zur Bewältigung der Covid-19 Krise. Und wie sollen Staaten einer Pandemie überhaupt wirkungsvoll begegnen, wenn oft schon der Alltag in der regulären Versorgung eine permanente Katastrophe ist? Gerechtigkeit muss jetzt her.  (JS)

 

Was geht jetzt schon?

Die WHO kann auch bislang schon durch die zuletzt 2005 aktualisierten Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations, IHR)[4] bei grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen aktiv werden. Die IHR sind ein völkerrechtlich bindendes Vertragswerk. Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, geeignete Überwachungssysteme aufzubauen und potenzielle Bedrohungen zu melden. Sie müssen Strukturen etablieren, mit denen Gesundheitskrisen gemeistert werden können. Wenn die WHO einen Gesundheitsnotstand ausruft, kann sie Beschränkungen für den internationalen Verkehr von Menschen und Gütern erlassen sowie Eindämmungsmaßnahmen für alle Länder vorschlagen.

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2021, S.3
Bild © WHO/Blink Media - Nana Kofi Acquah

[1] WHA (2021) The World Together: Establishment of an intergovernmental negotiating body to strengthen pandemic prevention, preparedness and response. SSA2(5) 1 Dec https://apps.who.int/gb/ebwha/pdf_files/WHASSA2/SSA2(5)-en.pdf

[2] Karunakara U (2021) Europe Cannot ‘Treaty’ its Way Out of the Pandemic. Health Policy Watch. 30 Nov https://healthpolicy-watch.news/europe-treaty-pandemic/

[3] Rhodes N (2021) Do we need a pandemic treaty now? People’s Health Movement. https://phmovement.org/do-we-need-a-pandemic-treaty-now-policy-brief-by-peoples-health-movement/  [Zugriff 1.12.2021]

[4] WHO (2005) International Health Regulations. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/246107/9789241580496-eng.pdf


Memento Preisverleihung 2021 mit Dr. Ayoade Olatunbosun-Alakija

Gleich drei Memento Preise wurden am 2. Dezember in einer digitalen Zeremonie vergeben. In der Veranstaltung wurden die dramatischen Heraus­forderungen deutlich, mit denen die Weltgemeinschaft konfrontiert ist – und auch die große Verantwortung Deutschlands. Die Keynote für den Abend kam live aus Nigeria.

Die Rede von Dr. Ayoade Olatunbosun-Alakija, Ko-Vorsitzende der African Vaccine Delivery Alliance der Afrikanischen Union, entfaltete eine enorme Wucht. Sie legte pointiert die krasse Ungerechtigkeit in der Covid-19-Versorgung weltweit offen und die fehlende Bereitschaft, notwendige strukturelle Änderungen zur Verbesserung der Lage anzugehen: „Wir lassen Menschen sterben aufgrund von Egoismus. Wir lassen Menschen sterben aufgrund von Gier.“

Insofern passte die Preisverleihung in der Kategorie „politischer Wille“ an Ottmar von Holtz (MdB 2017-2021) ins Bild. Zählte von Holtz in der vergangenen Legislaturperiode doch zu den wenigen Stimmen im Bundestag, die beharrlich die Bedeutung der nachhaltigen Entwicklungsziele für eine gerechte globale Gesundheitsversorgung in den Fokus gerückt haben. Er mahnte die Notwendigkeit schneller und dringend notwendiger Covid-19-Maßnahmen weltweit an, etwa auch in Form eines Patent Waivers bei der WTO. Ein Engagement, das ­Manuel Koch von der DAHW im Namen des Memento-Bündnisses würdigte.

Auch abseits der Pandemie – und gerade, weil sie droht, alles andere in den Schatten zu stellen – gilt es, auf andere vernachlässigte Gesundheitsbedürfnisse aufmerksam zu machen, so Nicola Kuhrt, Leiterin der Memento Medienjury. Deshalb zeichnete sie Olivia Kortas (Text) und Johannes De Bruycker (Fotos) mit dem Medienpreis in Form eines Recherchestipendiums aus. Ihr Konzept für eine Reportage zu gesundheitsgefährdenden Schimmelpilzgiften in Lebensmitteln in ärmeren Ländern wusste zu überzeugen.
Mit ihrer langjährigen Arbeit in der Tuberkulose-Bekämpfung konnte Claudia Denkinger bei der Forschungsjury punkten. Prof. Dr. August Stich, Chefarzt der Tropenmedizin am Klinikum Würzburg Mitte und Leiter der Jury, würdigte entsprechend ihr Engagement für eine bessere Tuberkulosediagnostik für ressourcen­arme Settings.

In einer spannenden Diskussion wurde versucht, die Arbeit der Preistragenden zu verknüpfen. So wurde das Versäumnis der Politik kritisiert, in der Forschungsförderung nicht stärker auf konkrete Zugangsregelungen für die Endprodukte zu setzen. Die Folgen werden gerade bei Covid-19-Impfstoffen schmerzhaft deutlich. Abgerundet wurde der fruchtbare Austausch mit einigen Wünschen der Preistragenden an die neue Bundesregierung. Wichtigster Punkt: Eine pharmakritischere Haltung.

Max Klein von der BUKO Pharma-Kampagne, der die Veranstaltung moderierte, schloss die Preisverleihung mit einem Blick in die Zukunft ab: „Wir haben heute gehört, dass die Verantwortung Deutschlands für eine gerechte Gestaltung globaler Gesundheit groß ist. Wir haben zudem festgestellt: Der Rest der Welt nimmt sehr genau davon Kenntnis, ob Worten auch Taten folgen.“ 

Die Aufzeichnung der Preisverleihung finden Sie auf der Memento Homepage.
Infos gibt es auch auf Twitter: @memento_preis

Der Forschungspreis

Claudia Denkinger vom Uniklinikum Heidelberg erforscht unter anderem, wie die Diagnostik bei der Tuberkulose-Bekämpfung im Globalen Süden vereinfacht werden kann. Bei ihrer Arbeit in ressourcenschwachen Ländern bedeutete eine fehlende Diagnose oft, dass sie die vermutete Erkrankung nicht behandeln durfte: „Und so habe ich viele Menschen unnötig sterben sehen.“ Mit 1,4 Millionen Todesfällen im vergangenen Jahr ist die heilbare Infektionskrankheit immer noch eine der häufigsten vernachlässigten Krankheiten weltweit. Sie entwickelt erfolgreich bessere Tests für Menschen, die mit HIV leben und durch Tuberkulose besonders gefährdet sind. Denn nur eine frühe Diagnose sichert ihnen gute Behandlungschancen.

Der Medienpreis

Aflatoxine, gefährliche Giftstoffe, die von sich immer stärkerer verbreitenden Schimmelpilzen produziert werden, schwächen die Ärmsten und können sie ihr Leben kosten. Olivia Kortas und Johannes De Bruycker reisen mit ihrem Recherchestipendium nach Kenia, wo sich die Giftstoffe unter anderem in getrocknetem Fisch, Milchprodukten, Reis oder Mais, dem Grundnahrungsmittel, verstecken. „Die Aufnahme von geringen Mengen über einen langen Zeitraum kann mit Leberkrebs enden“, wissen die freien JournalistInnen schon jetzt. Aufgrund des Klimawandels verschärfen sich die Probleme. Produzieren werden sie eine Magazin-Reportage, um die kaum sichtbare Gesundheitskrise greifbar zu machen.

Der Politikpreis

Für seinen Einsatz für eine gerechtere Gesundheitsversorgung weltweit wurde der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Ottmar von Holtz mit dem Politikpreis ausgezeichnet. Er hat in der vergangenen Legislatur immer wieder die Perspektive des Globalen Südens eingenommen und anhand der Corona-Pandemie auf strukturelle Missstände in der Globalen Gesundheitsversorgung hingewiesen. In der Diskussion um schnelle und notwendige Covid19-Maßnahmen weltweit hat er immer wieder die nachhaltigen Entwicklungsziele in den Fokus gerückt und somit den Forderungen des Memento-Bündnisses nach einem nachhaltigen Aufbau von Gesundheitsstrukturen und sozialen Sicherungs­systemen für alle Menschen weltweit Nachdruck verliehen.

(MK/CK)

Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2021, S.6

Bild Preisobjekt © Ansgar Silies
Bild
Dr. Ayoade Olatunbosun-Alakija wurde uns zur freien Verfügung gestellt.
Bild Forschungspreis Claudia Denkinger © Tamara von Rechenberg
Bild Medienpreis Johannes De Bruycker und Olivia Kortas © Kasper Goethals
Bild Politikpreis Ottmar von Holtz © Kaminski


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