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Brustkrebsmedikament bleibt ohne Zusatznutzen

Das Krebsmedikament Palbociclib war mit viel Vorschusslorbeeren gestartet. Doch nun kommt der nächste Dämpfer. Der Gemeinsame Bundesausschuss entschied nach gründlicher Auswertung einer zweiten Studie endgültig, dass es keinen zusätzlichen Nutzen gibt.

Zur Erinnerung: Mit drei Studien versucht(e) der Hersteller die Vorteile von Palbociclib[1] zu belegen: Mit Paloma 1 und 2 für Frauen mit Brustkrebs in der Erstlinientherapie[2] und mit Paloma 3 für Frauen nach Vortherapien.[3] Bei der Zulassung war keine der drei Studien abgeschlossen und Vorteile für das Überleben waren noch nicht belegt.[4] Die erste Nutzenbewertung vom Mai 2017 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) [5] verlief für alle Patientinnengruppen negativ, das Urteil lautete „kein Zusatznutzen“ für Palbociclib. Da zum Zeitpunkt der Beschlussfassung alle Studien noch liefen bzw. keine endgültigen Ergebnisse vorlagen, war der Beschluss befristet.[6]

Bereits direkt nach diesem Beschluss wurden die Endergebnisse von Paloma 1 bekannt: Kein Überlebensvorteil für die betroffenen Frauen – aber mehr Nebenwirkungen.[4] Im Sommer 2018 wurden die Endergebnisse von Paloma 3 für die Behandlung von Frauen, die bereits Vortherapien erhalten hatten, bekannt: In dieser Studie sicherte Palbociclib ebenfalls kein längeres Überleben. Obwohl der Hersteller versuchte, die Resultate schönzurechnen,[7] blieb der G-BA jetzt in einer neuen Bewertung bei seinem ursprünglichen Urteil, dass für diese Patientinnen kein Zusatznutzen durch den neuen Wirkstoff belegt ist.[8]

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hatte dafür die Daten des Herstellers genau unter die Lupe genommen und der G-BA sich in der anschließenden Diskussion große Mühe gegeben. Der G-BA hob mehrere Kritikpunkte hervor. So wurden nachträglich mehr Frauen in die Studie aufgenommen als ursprünglich geplant – und das, wo für den Hersteller nicht so erfreuliche Zwischenergebnisse schon bekannt waren. Das riecht nach Manipulation. Mindestens ebenso wichtig: Ungewöhnlich viele Frauen waren während der Paloma 3-Studie „verlorengegangen“, für sie lagen keine Daten zum Überleben vor. Dass die für diese Patientinnengruppe gewählte Vergleichstherapie Fulvestrant als alles andere als optimal gilt, ist ein weiterer Schwachpunkt.

Nachdem nun für drei von vier Patientinnengruppen das Urteil „kein Zusatznutzen“ feststeht, bleibt als letzter Rettungsanker für den Hersteller für die Erstlinientherapie bei Frauen nach der Menopause nur noch die Paloma 2-Studie. Bisherige Zwischenergebnisse zeigen aber (noch) keinen Überlebensvorteil. Und die Dauer der Studie wurde schon zweimal verlängert, um doch noch positive Ergebnisse zu erzielen. Die erste Frist zur Vorlegung der Daten beim G-BA lief bis zum 1.3.2019, aber der Hersteller signalisierte schon letztes Jahr, dass er sie nicht einhalten kann. Jetzt müssen die Daten bis zum 2.1.2021 vorgelegt werden.

Man rufe sich in Erinnerung: Ende 2016 wurde Palbociclib aufgrund wenig tragfähiger Daten zugelassen. Erst vier Jahre danach kann eine aussagekräftige Bewertung des Nutzens für eine nicht unwesentliche Gruppe von PatientInnen begonnen werden. Klarheit, ob wenigstens eine Patientinnengruppe von dem Medikament profitiert, gibt es also erst Mitte 2021 nach Abschluss der Bewertung durch den G-BA.

Wem nützt es?

Der Wirkstoff kostet über 66.000 € pro Patientin und wird zusätzlich zur bisherigen Medikation gegeben. Für den Hersteller ein gutes Geschäft.

Für Frauen, die von Brustkrebs betroffen sind, sind die Ergebnisse der unabhängigen Bewertung von Palbociclib enttäuschend. Denn sie hoffen zu Recht auf bessere Behandlungsmöglichkeiten. Allerdings darf man dabei nicht aus den Augen verlieren, dass der Hersteller den Hype um das Medikament kräftig geschürt hat. Leider machen leere Versprechen niemand gesund.  (JS)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 2/2019, S. 6 

[1] Palbociclib ist zugelassen für Hormonrezeptor (HR)-positiven, humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor-2(HER2)-negativen lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Brustkrebs

[2] Zur Erstlinientherapie in Kombination mit einem Aromatasehemmer

[3] In Kombination mit Fulvestrant bei Frauen, die zuvor eine endokrine Therapie erhielten

[4] Pharma-Brief (2017) Viel Lärm um nichts? Nr. 4, S. 4

[5] G-BA Beschluss vom 18.5.2017 www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/269/#tab/beschluesse

[6] Ausnahme: Erstlinientherapie bei Frauen vor der Menopause. Dazu hatte der Hersteller keine Studie durchgeführt. Für diese Patientinnengruppe war der Beschluss vom 18.5.2017 endgültig.

[7] Pharma-Brief (2018) Brustkrebs: Leere Versprechen. Nr. 6, S. 4

[8] G-BA (201) Beschluss vom 22.3.2019 www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/394/#tab/beschluesse


Nachbeobachtungen von klinischen Studien

Studien zu therapeutischen Interventionen dauern oft nicht lange genug, um die Ergebnisse sicher interpretieren zu können. WissenschaftlerInnen aus Kanada und Australien haben jetzt untersucht, welche zusätzliche Erkenntnisse die Weiterverfolgung der TeilnehmerInnen nach Ende der Studie durch routinemäßig erhobene Patientendaten bietet.[1]

Wie lange klinische Studien dauern, ist oft von ökonomischen Interessen geprägt. Eine kürzere Dauer ist nicht nur preiswerter, vor allem kann sie zu einer früheren Zulassung führen. Das bedeutet mehr Geld für den Hersteller, denn eine längere Patentlaufzeit bedeutet ein längeres Monopol und damit höhere Einnahmen. Was bei der Eile nicht selten auf der Strecke bleibt, sind aussagekräftige Daten über den tatsächlichen Nutzen für die PatientInnen.

Die Nachverfolgung des Krankheitsverlaufs über das eigentliche Studienende hinaus bietet einen Realitätscheck. Werden die ersten Ergebnisse bei späteren Untersuchungen bestätigt oder widerlegt?

Voraussetzung für die Weiterverfolgung des Krankheitsverlaufs bei den Versuchspersonen nach Studienende sind krankheitsbezogene Register oder routinemäßig gespeicherte elektronische Patientenakten, die sich mit den Daten der klinischen Studie verknüpfen lassen. Entsprechend konzentrierte sich die fortgesetzte Beobachtung von PatientInnen auf wenige Länder, die solche Daten in größerem Umfang erfassen: Skandinavien, USA, Großbritannien, Niederlande, Australien, Neuseeland und Kanada.

Die AutorInnen fanden immerhin 113 Studien, bei denen eine anschließende systematische Nachverfolgung durchgeführt wurde. Die Bandbreite der geprüften Interventionen reichten von Medikamenten über Operationsverfahren bis zu Früherkennungsuntersuchungen. Auf der positiven Seite kann verbucht werden, dass in 28,4% der Studien ein signifikanter Nutzen erst bei der verlängerten Beobachtung festgestellt werden konnte. Andererseits löste sich bei 7,7% der Fälle der scheinbar vorhandene Nutzen in Nichts auf. Und in 9% der Fälle wurden unerwünschte Wirkungen erst nachträglich erkannt. Bei 21,9% bestätigte sich die bereits bei Studienende prognostizierte Nutzlosigkeit bzw. der fehlende Vorteil der Intervention.

Auch wenn in den meisten Nachbeobachtungen die Randomisierung (Zuordnung der PatientInnen zu den Studienarmen nach dem Zufallsprinzip) aufrecht erhalten wurde, bleiben Einschränkungen: Die Verblindung war nicht immer gewährleistet, und die weitere Behandlung der PatientInnen kann unterschiedlich gewesen sein. Auch die Vollständigkeit der Registerdaten ist fraglich, allerdings werden schwerere Ereignisse wie Krebserkrankungen, Herzinfarkte oder Schlaganfälle eher erfasst.

In vielen Fällen war unklar, ob nur bestimmte handverlesene Ergebnisse weiter beobachtet wurden, Rosinenpickerei ist also nicht ausgeschlossen. Trotz allem birgt diese Analyse eine wichtige Botschaft: Man kann den ersten Ergebnissen von Studien nicht immer vertrauen.  (JS)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 2/2019, S. 7

[1] Fitzpatrick T et al. (2018) Assessment of long-term follow-up of randomized trial participants by linkage to routinely collected data. JAMA open; 1, p e186019, doi: 10.1001/jamanetworkopen.2018.6019

 


BMG-Netzwerk bleibt riskantes Provisorium

Der Global Health Hub Germany (GHHG) ist auch nach seinem Start noch eine massive Baustelle. Zugleich bestätigen neue Einblicke, dass ganz grundlegende Fragen zum Projekt in den Hintergrund geschoben werden.

Zweieinhalb Monate nach der offiziellen Eröffnung des GHHG durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bleibt das Projekt ein Stein des Anstoßes. Die Chance, der zivilgesellschaftlichen Kritik[1] durch klare Bekenntnisse zu begegnen, wurde auf politischer Seite mehrfach verpasst. So wurden in einer kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der LINKEN vom 18. März viele neuralgische Punkte des Hubs angesprochen. Und auch auf einer öffentlichen Ministeriumsveranstaltung am 12. April sollte der GHHG Thema sein. In beiden Fällen allerdings enttäuschten die Rückmeldungen.

Die Katze im Sack

Mit einem umfangreichen Fragenkatalog hatte Mitte März die LINKE im Bundestag mit einer kleinen Anfrage zum Hub nachgehakt.[2] Darin wird nach den Ideengebern für den GHHG gefragt.[3] Dazu heißt es in der Antwort des BMG: „Vertreter und Vertreterinnen verschiedener nichtstaatlicher Akteursgruppen sind mit dem Wunsch nach mehr Vernetzung und Austausch an das Bundeministerium für Gesundheit (BMG) herangetreten.“ Wer diese Gruppen sind, wird wohlweislich nicht mitgeteilt. Dass vor allem die Wirtschaft großes Interesse an dem konkreten Projekt hatte, ist jedoch bekannt.1 Wenig erhellend wirken in diesem Zusammenhang auch die Äußerungen der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die die Aufgabe hat, den Hub zu koordinieren. Auf die Kritik an der einseitigen Genese des GHHG reagierte die GIZ im Lancet ausweichend.[4] Fakt bleibt, dass die Ausrichtung des Hubs im Wesentlichen schon festgelegt war, ehe die Zivilgesellschaft in die Diskussion mit einbezogen wurde.

Laut dem BMG soll der Lenkungskreis, dem eine elementare Rolle im GHHG zukommt, aus rund 16 Mitgliedern bestehen – zwei aus jeder vom Ministerium berücksichtigten Akteursgruppe. Wie befürchtet, wird der erste Kreis jedoch nicht gewählt, sondern von Ministeriumsseite bestimmt. Nach welchem Prozedere dieses Gremium, das den Großteil der Richtungsentscheidungen treffen soll, dann arbeitet, ist nach wie vor völlig unbekannt. „Einzelheiten einer Verfahrensordnung werden gegenwärtig diskutiert“, heißt es dazu lapidar. Die für eine Mitgliedschaft Umworbenen bekommen momentan also die sprichwörtliche Katze im Sack angeboten.

Keine langfristige Finanzierung

Auf die Frage, wie unabhängig der Hub sei, ist die Antwort in dem Bundestagsdokument interessanter, als es auf den ersten Blick erscheinen mag: „Da der Hub in den ersten drei Jahren durch Mittel der Bundesregierung finanziert ist, ist er vom Einfluss privater Geber und der Gesundheitsindustrie unabhängig.“ Zum einen bezieht sich diese Aussage ausschließlich auf die Anschubphase, der Hub ist jedoch als Projekt ohne begrenzte Laufzeit angelegt. Ob die Politik auch nach den drei Jahren noch sämtliche Kosten trägt, bleibt offen. Würden Mitglieder anschließend bei der Finanzierung eingespannt werden, würde dies schnell zu Lasten ressourcenschwächerer Akteure gehen und das Standing von Industrie und Stiftungen weiter aufwerten. Laut der GIZ, die das Sekretariat des Hubs stellt, soll noch ein nachhaltiges Finanzierungskonzept für die Zukunft erarbeitet werden.4 Zum anderen stellt sich die Frage, welche Hub-Gruppierungen am ehesten die Möglichkeit besitzen, thematische Arbeitsgruppen (AGs) innerhalb des GHHG ins Leben zu rufen und langfristig zu bespielen. Die AGs sind abseits des Lenkungskreises tätig und sollen auch konkrete Projektideen behandeln. Hier sind finanzielle und personelle Ressourcen ebenfalls zentral und bei einigen Akteursgruppen (etwa Jugend und Zivilgesellschaft) deutlich limitiert.

Pfusch am Bau

Noch dürftiger fiel die Debatte des Themas in einer öffentlichen Veranstaltung zur globalen Gesundheitspolitik aus, zu dem das BMG im Berliner GIZ-Sitz nicht-staatliche Akteure geladen hatte. Das Update zum Hub fiel darin in den Schlussbeitrag, zu dem in der Agenda seltsamerweise keine Fragerunde eingeplant war. Echte Neuigkeiten gab es letztlich nur wenige. Laut BMG hat der Hub bislang fast 170 Mitglieder, Details wurden nicht bekannt. Als erste Aktivität soll ein so genannter Global Health Talk nun Mitte Juni stattfinden und den Startschuss für AGs markieren.

In Anbetracht der vielen ungeklärten Punkte ist dieses Vorgehen verwunderlich. Ein Aphorismus, dem Komponisten Anton Bruckner zugeschrieben, besagt: „Wer hohe Türme bauen will, muss lange am Fundament verweilen.“ Im Falle des GHHG, der auch international ein Zeichen für Deutschlands Engagement für globale Gesundheit setzen soll, hat das BMG diese Sorgfalt bislang definitiv nicht walten lassen. Augenblicklich spricht wenig dafür, dass sich dies noch ändert.  (MK)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 2/2019, S. 4

[1] Pharma-Brief (2018) Abgekartetes Spiel. Nr. 8-9, S. 1

[2] Deutscher Bundestag (2019) Drucksache 19/8479. Kleine Anfrage der Abgeordneten Eva-Maria Schreiber u.a. und der Fraktion DIE LINKE. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/084/1908479.pdf  [Zugriff 08.04.2019]

[3] Deutscher Bundestag (2019) Drucksache 19/9164. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Eva-Maria Schreiber u.a. und der Fraktion DIE LINKE. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/091/1909164.pdf  [Zugriff 15.04.2019]

[4] Green A (2019) Germany´s Global Health hub. Lancet; 393, p 862


Wie geht es weiter?

Über den Gesetzentwurf der EU-Kommission für eine einheitliche Nutzen­bewertung von Arzneimitteln haben wir wiederholt berichtet.[1],[2],[3] Parlament und Ministerrat sind sich nicht einig. Wie geht es nach der Europawahl ­weiter?

Auch wenn dem wirtschaftsfreundlichen Entwurf der Kommission durch intensive Öffentlichkeitsarbeit von kritischen NGOs und Proteste der Fachwelt die meisten Giftzähne gezogen wurden, bleiben nach dem im Oktober 2018 vom EU-Parlament beschlossenen Entwurf Fragezeichen.

Abgeordnete wollen gehört werden

Das Parlament hat im Februar 2019 nochmals seinen Standpunkt bekräftigt.[4] Es möchte, dass auch nach der Europawahl auf Basis seines Beschlusses weiterverhandelt wird. Das ist im Gegensatz zum Bundestag, wo vor einer Wahl nicht abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren komplett neu gestartet werden müssen, in der EU möglich. Die EU-Abgeordneten warnten mit ihrem Beschluss die Kommission davor, das Gesetz ohne vorherige Konsultation des Parlaments umzuschreiben.

Der Ministerrat hatte im November 2018 noch einmal strittige Punkte festgehalten.[5] Im Kern geht es um die Möglichkeit, nach wie vor nationale Entscheidungen über die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln treffen zu können. „Eine große Mehrheit der Delegationen vertritt die Auffassung, dass – falls erforderlich – auch nationale klinische Bewertungen möglich sein müssen.“ Damit befinden sich die Mitgliedsstaaten im Widerspruch zu der Auffassung des Parlaments. Außerdem mahnten die Staaten an, dass eine gemeinsame europäische Nutzenbewertung „mindestens so gut“ wie nationale Bewertungen sein müssen. Das Verfahren müsste maximal transparent gestaltet werden und „strikte Regeln für Interessenkonflikte“ eingefügt werden, „um einen unabhängigen Bewertungsprozess zu garantieren.“

Da sich Parlament, Kommission und Ministerrat über den Entwurf einigen müssen, bleibt es auch nach der Europa­wahl spannend.  (JS)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 2/2019, S. 2

[1] Pharma-Brief (2018) Wunschkonzert für Hersteller. Nr. 3, S. 1

[2] Pharma-Brief (2018) Zwischen Kommerz und Transparenz. Nr. 6, S. 5

[3] Pharma-Brief (2018) EU-HTA Update 2. Nr. 7, S. 6

[4] Europäisches Parlament (2019) Bewertung von Gesundheitstechnologien. P8_TA-PROV (2019)0120. Legislative Entschließung 14. Feb. 2019

[5] Council of the European Union (2018) Interinstitutional File 2018/0018 (COD) 14694/18, 30 Nov 2018


Ringen um Zugang zu neuen Impfstoffen

Die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) sollte durch innovative Impfstoffforschung neue Wege in der Epidemie-Bekämpfung gehen. Dafür gab es auch umfangreiche Förderung aus Deutschland. Nun steckt das junge Projekt in einer hausgemachten Krise, ausgelöst durch die Verwässerung seiner Zugangspolitik.

Medizinische Innovation ohne angemessenen Zugang ist so problematisch wie häufig. Besonders fragwürdig wird es, wenn eine Neuentwicklung mit öffentlichen Geldern finanziert wurde und PatientInnen am Ende dennoch mit schlechter Verfügbarkeit konfrontiert sind. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die hohe Preishürde für das Präparat Truvada® (Emtricitabin/Tenofovir) in den USA. Nationale Forschungseinrichtungen, fast ausschließlich finanziert durch Steuergelder, hatten einen neuen Anwendungsbereich von Truvada erforscht und eine Therapie zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) entwickelt. Das Medikament kann nun präventiv eingesetzt werden, um stark gefährdete Personen aus Hochrisikogruppen vor einer HIV-Infektion zu schützen. Der Hersteller Gilead hält jedoch trotz des neuen Anwendungsbereichs an seinem alten Produkt-Patent fest und diktiert in den USA den Preis. Dieser liegt bei 1.600 bis 2.000 US-Dollar monatlich.[1] In Europa gibt es hingegen inzwischen viel günstigere Generika.[2]

Ein globaler Versicherungsschein

Dass öffentliche Forschungsinvestitionen am Ende die Kassen privater Unternehmen füllen, ist kein Einzelfall. Daher spielt bei der Vergabe öffentlicher Mittel die Ausgestaltung sogenannter Access Policies eine elementare Rolle. Sie können über verbindliche Regelungen den breiten Zugang zu Forschungsergebnissen sichern. Welches Konfliktpotenzial dieses Thema bietet, zeigt sich momentan bei der der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI).

2017 – noch unter dem Eindruck des vorangegangenen Ebola-Ausbruchs in Westafrika – gegründet, sollte die Koalition eine schnellere medizinische Reaktion auf Pandemien ermöglichen. Der Fokus lag auf der Impfstoffentwicklung gegen vernachlässigte Krankheiten, zunächst primär gegen MERS-CoV (Middle East respiratory syndrom-related coronavirus), Lassa-Fieber und das Nipah-Virus. Die öffentlich-private Partnerschaft, bestehend aus nationalen Regierungen, der EU-Kommission, der WHO, Forschungsinstitutionen, Wirtschaftsakteuren, Organisationen der Zivilgesellschaft sowie privater und öffentlicher Stifter sollte nach eigenen Worten ein „globaler Versicherungsschein“ sein.[3]

CEPI stellt einen speziellen Fall in der Impfstoffforschung dar. Zum einen aufgrund seines gigantischen Fördervolumens von 1 Mrd. US-Dollar für die erste Förderphase. Zum anderen durch den großen Umfang der Leistungen. So werden nicht nur Forschungsaktivitäten weitreichend finanziert, sondern auch die Arzneimittelproduktion zur Bevorratung neuer Präparate. Hinzu kommen vielfältige Beratungsleistungen für die Partner.

Protest und halbgare Antworten

Die ursprünglichen CEPI-Regelungen zum Zugang bei den entwickelten Produkten und kreierten Daten waren recht umfangreich und fortschrittlich.[4] Ende 2018 allerdings beschloss das Board der Koalition grundlegende Änderungen. Das Ergebnis war eine massive Aufweichung der Leitlinien hin zu einer lapidaren Grundsatzerklärung und ein Schritt zu deutlich mehr Intransparenz.[5]

Infolge dessen schrieben Ärzte ohne Grenzen (MSF), die an der Gründung der Koalition beteiligt waren und sich mit Nachdruck gegen die Neuregelung gewandt hatten, einen offenen Brief an den Verwaltungsrat. Darin ist auch erwähnt, dass die Änderungen anscheinend auf Beschwerden aus der Industrie zurück zu führen sind.[6] Die NGO sähe nun „keine Grundlage mehr dafür, dass CEPI gegenüber seinen öffentlichen und philanthropischen Gebern eine Rechenschaftspflicht über die Vereinbarungen mit Forschungspartnern an den Besitzrechten von geistigem Eigentum, den Umgang mit geistigen Eigentumsrechten oder die Preisgestaltung von CEPI finanzierten Impfstoffen hat.“[5] Auch andere zivilgesellschaftliche Akteure kritisierten, dass Absichtserklärungen in Sachen Access ohne Unterfütterung durch konkrete und transparente Prozesse wertlos seien.[7]

Nach zunächst wenig ergiebigen Antworten seitens CEPI folgte schließlich ein achtseitiges Dokument, u.a. zum Umgang mit Partnerverträgen, Vermarktung und Datentransparenz.[8] Doch auch dabei fielen einige Punkte schnell negativ ins Auge. So tritt CEPI quasi die gesamten Rechte an geistigem Eigentum, wohlgemerkt entwickelt durch öffentliche und private Förderung, schon von Vornherein an private Vertragspartner ab.

Welche Position Deutschland als wichtiger Förderer (100 Mio. US-Dollar) in dieser Auseinandersetzung einnehmen wird, scheint augenblicklich unklar. Als Repräsentant sitzt das Bundeministerium für Bildung und Forschung im Board von CEPI. Klar ist jedoch, eine Partnerschaft, die gerade auch den Verwundbarsten helfen soll, darf sich nicht auf dünne Grundsatzerklärungen verlassen. Anders ausgedrückt: Ein bezahlter „Versicherungsschein“ muss auch gedeckt sein.  (MK)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 2/2019, S. 1

[1] Rowland C (2019) An HIV treatment cost taxpayers millions. The government patented it. But a pharma giant is making billions. Washington Post 26 March https://wapo.st/2FBCXHP?tid=ss_mail&utm_term=.2ba21f2ce73b  [Zugriff 15.04.2019]

[2] Ab rund 50 € pro Monat. at-Datenbank [Zugriff 15.4.2019]

[3] Reuters (2017) Global coalition aims to outpace epidemics with new vaccines www.reuters.com/article/us-davos-meeting-vaccines/global-coalition-aims-to-outpace-epidemics-with-new-vaccines-idUSKBN15231Y  [09.04.2019]

[4] CEPI (2017) CEPI Policy Documentation https://msfaccess.org/sites/default/files/2018-09/CEPIoriginalPolicy_2017.pdf  [09.04.2019]

[5] CEPI (2018) CEPI´s Equitable Access Policy https://cepi.net/wp-content/uploads/2019/01/CEPI-Approach-to-Equitable-Access-13-12-FINAL_0.pdf  [Zugriff 09.04.2019]

[6] Ärzte ohne Grenzen (2019) offener Brief zu CEPIs “Equitable Access Policy“. 5. März www.aerzte-ohne-grenzen.de/sites/germany/files/2019-medikamentenkampagne-offener_brief_cepi_board_equitable_access.pdf  [Zugriff 09.04.2019]

[7] Devex (2019) Battle over CEPI’s access to vaccines policy deepens. www.devex.com/news/battle-over-cepi-s-access-to-vaccines-policy-deepens-94438  [Zugriff 10.04.2019]

[8] CEPI (2019) Advancing Equitable Access to epidemic vaccines through CEPI’s vaccine and platform development agreements https://cepi.net/wp-content/uploads/2019/03/Advancing-Equitable-Access_CEPI_29032019.pdf  [Zugriff 10.04.2019]


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