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Bessere Kommunikation verbessert Antibiotika-Verordnungen

2016 gründeten Kinder- und Jugendärzte in Bielefeld das Projekt AnTiB (Antibiotische Therapie in Bielefeld). Ihr Ziel: Auf lokaler Ebene für den ambulanten Bereich einheitliche, praxistaugliche und möglichst breit akzeptierte Regeln zur Verschreibung von Antibiotika zu entwickeln. Roland Tillmann, Kinderarzt und Mitbegründer der Initiative gibt Auskunft über die selbstgesteckten Ziele, erste Erfolge und Zukunftsperspektiven.

Herr Tillmann, gab es einen konkreten Anstoß für die Gründung von AnTiB?

Im Verschreibungsverhalten von ÄrztInnen gibt es sehr große Unterschiede. Das führt im Arbeitsalltag zu Konflikten – mit den Patienten bzw. mit besorgten Eltern, denen man die unterschiedliche Herangehensweise erklären muss, aber auch mit den Kollegen anderer Fachrichtungen oder aus anderen Sektoren. Jemand, der Antibiotika zurückhaltend und nur gezielt verordnet, sieht sich immer wieder solchen Konflikten ausgesetzt. Da gab es also fachlichen und persönlichen Leidensdruck.

Andererseits existieren in Bielefeld schon länger gute Kommunikationsstrukturen – etwa mit der Initiative Bielefelder Hausärzte und der Kinderklinik Bethel. Was fehlte war eine gemeinsame Kommunikationsstrategie. Aber dieses Potenzial konnte man nutzen, um das Verschreibungsverhalten besser abzustimmen. Das haben wir getan und Anfang 2017 erstmals Empfehlungen zur Antibiotika-Verordnung in der ambulanten pädiatrischen Versorgung erarbeitet und veröffentlicht.Roland Tillmann C. Susanne Freitag

Wie genau geschah das?

Niedergelassene Kinderärzte und Vertreter der örtlichen Kinderklinik haben das Projekt gestartet. In einem mehrstufigen, moderierten Kommunikationsprozess haben wir uns auf Empfehlungen zur Standardbehandlung häufiger Infektionskrankheiten verständigt. Am Ende stand ein breiter Konsens über eine einheitliche Verordnungspraxis – kurz gefasst, anwendungs- und anwenderorientiert. Immer wieder wurden Beiträge per E-Mail herumgeschickt, zur Diskussion gestellt und Kommentare von Kollegen eingearbeitet. Um eine externe Qualitätssicherung zu garantieren, wurden zudem Experten der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI) in den Prozess einbezogen.

Was war das erklärte Ziel?

Konkretes Ziel war, die Schnittstellenproblematik zu verbessern. Wenn eine Mitbehandlung z.B. im Notdienst oder in der Klinik stattfindet, sollte es eine bessere Zusammenarbeit und eine einheitliche Gesprächsführung mit dem Patienten geben. Das haben wir erreicht.

Den Antibiotikaverbrauch zu reduzieren, war zunächst gar nicht so sehr unsere Intention gewesen. Diese Zielsetzung rückte erst durch die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART)[1] der Bundesregierung in den Fokus. Damit hat das Projekt einen neuen Charakter bekommen. DART schlägt ja als Maßnahme u.a. die Erarbeitung von Konzepten zur Erstellung und Anwendung lokaler Leitlinien und Empfehlungen im ambulanten und stationären Bereich vor. Lokale Antibiotika-Leitlinien für die ambulante Medizin gab es aber vorher nicht. Andere Projekte wurden von universitären Einrichtungen angestoßen und legen den Schwerpunkt auf externe Schulungen. Die entscheidende Besonderheit von „AnTiB“ ist, dass das Projekt von der Basis ausging, also eine Initiative von praktizierenden Ärztinnen und Ärzten ist.

30 bis 50 Prozent aller Antibiotika werden laut Schätzungen ohne medizinische Notwendigkeit verschrieben. Warum ist es trotz zahlreicher Leitlinien und Fortbildungen so schwer, das Verschreibungsverhalten zu verändern?

Antibiotika-Verordnungen finden auch in einem sozialen Kontext statt. Da spielen z.B. die Macht von Erfahrungen und Gewohnheiten und auch vermutete Erwartungshaltungen eine Rolle und Entscheidungen unter Zeitdruck.

… wie kann AnTiB darauf Einfluss nehmen?

Indem wir Verordnungen nicht nur als individuelles Verhalten sehen, sondern auch als ein kulturelles Phänomen. Verordnungen werden nicht automatisch besser, wenn wir nur mehr infektiologisches Wissen verbreiten. Wir müssen vielmehr Normen bzw. die Kultur verändern, die den Entscheidungen auch zugrunde liegen. Eine Studie spricht hier von „local cultural unspoken rules“, also verdeckten kulturellen Regeln. In Nordrhein-Westfalen werden z.B. fast 50 Prozent mehr Antibiotika verschrieben als in den östlichen Bundesländern. Und auch an den Ländergrenzen – etwa zu den Niederlanden – ändert sich das Verschreibungsverhalten. Es geht also um kulturelle Unterschiede.

Genau hier setzt AnTiB an: Denn die lokale Ebene ist der Ort, wo wir den sozialen Kontext verändern und neue Normen prägen können, indem wir uns austauschen, miteinander Absprachen treffen.

Warum spielt dabei gerade der ambulante Bereich eine große Rolle?

85 Prozent aller humanmedizinischen Antibiotika-Verordnungen ent­fallen auf ambulante Arztpraxen. Ansätze zum rationaleren Antibiotika-Gebrauch beziehen sich aber bisher eher auf die Krankenhäuser. Im ambulanten Bereich besteht ein großer Bedarf an innovativen Konzepten.

Zeigen sich bereits erste Erfolge von AnTiB?

AnTiB zieht Kreise. Das Konzept wurde lokal auf andere Fachrichtungen ausgeweitet – Hausärzte und Gynäkologen, Urologen und HNO-Ärzte, weitere Fachrichtungen sollen folgen. Wir beteiligen uns außerdem an überregionalen Absprachen und haben unser Bielefelder Konzept in vielen anderen Städten und bei Fachkongressen vorgestellt.

Konflikte treten jetzt im Praxisalltag kaum mehr auf. Inzwischen ist es Standard, die Patienten im Zweifelsfall noch einmal zur Kontrolle zu bestellen, statt „vorsorglich“ ein Antibiotikum zu verschreiben und das auch so zu kommunizieren. In Umfragen zeigte sich bei allen Kollegen eine große Zufriedenheit. Selbst von denen, die anfänglich eher skeptisch waren, kamen sehr positive Rückmeldungen.

Inwieweit auch die Antibiotika-Verordnungen reduziert wurden, wird bald eine wissenschaftliche Evaluation des Projektes durch die Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld zeigen.[2]

Ihre ganz persönliche Erkenntnis aus dem Projekt?

In der Medizin brauchen wir viel mehr Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft. Dies ist nicht nur eine Voraussetzung für Projekte wie AnTiB, sie steigern genau solche Fähigkeiten auch.

 

Konzeption und Materialien von AnTiB werden Ärztinnen und Ärzten auch überregional zur Anwendung zur Verfügung gestellt. Weitere ­Informationen: www.antib.de, Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Foto Roland Tillmann © Susanne Freitag
Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2019, S.6

 

[1] Informationen zu DART: www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/antibiotika-resistenzen/antibiotika-resistenzstrategie.html

[2] Informationen zu AnTiB und der wissenschaftlichen Projektbegleitung durch die Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Uni Bielefeld: www.antib.de


Wie gut sind Zulassungsstudien für Krebsmedikamente?

Wenn Medikamente gegen Krebs auf den Markt kommen, ist oft noch nicht bekannt, ob sie tatsächlich das Leben der PatientInnen verlängern. Jetzt ging eine AutorInnengruppe noch einen Schritt weiter: Sie überprüfte, was die Studien, die Hersteller bei der europäischen Behörde EMA einreichen, methodisch taugen.[1] Das Ergebnis ist ernüchternd.

Viele Krebsmittel werden auf Basis von Kriterien wie progressionsfreie Zeit oder Ansprechrate zugelassen. Dahinter steht die Annahme, diese Surrogatparameter könnten Auskunft über einen (noch nicht) nachgewiesenen Überlebensvorteil bieten. Jahre nach der Zulassung bestätigt sich die Hoffnung oft nicht, wir berichteten.[2],[3] 

Ein aktuelles Beispiel ist Venetoclax gegen multiples Myelom. Bei Auswertung der BELLINI-Studie hatten die PatientInnen doppelt so lang kein Tumorwachstum (22,4 versus 11,5 Monate), aber es waren doppelt so viele tot (21,1% versus 11,3%). Zwei Krebsforscher – einer davon war an der Studie selbst beteiligt – warnen: „Die Ergebnisse dieser Studie lehren uns eine wichtige Lektion über die Grenzen von Surrogatendpunkten, die Konsequenzen für die gesamte Onkologie haben, weit über das multiple Myelom hinaus.“ [4]

Qualität nimmt ab

Die AutorInnen um Huseyin Naci nahmen die 32 Zulassungen für Krebsmedikamente durch die EMA 2014-2016 genauer unter die Lupe. Es wurden dabei Angaben sowohl aus den Studienveröffentlichungen als auch den europäischen Bewertungsberichten (EPAR) der EMA berücksichtigt.

Erstes Ergebnis: Während von 2009-2013 noch 90% der Zulassungsstudien randomisiert waren, also dem höchsten Evidenzstandard entsprachen, traf das in der aktuellen Untersuchung nur noch für 75% zu. Immer mehr Krebsmedikamente werden auf Basis von einarmigen Studien – also ohne direkten Vergleich zugelassen. Aber selbst wenn es einen Vergleichsarm gab, war die gewählte Therapie öfters zweifelhaft.

Die Hersteller hatten 41 randomisierte Studien [5] eingereicht, nur bei diesen kann ein Vorteil gegenüber dem bisherigen Therapiestandard überhaupt zuverlässig erkannt werden. Bei 39 lagen genügend Informationen für eine Auswertung vor. Nur zehn Studien (26%) hatten Gesamtüberleben als primären Endpunkt, die übrigen Surrogatendpunkte.

Hälfte schwächelt

Bei 49% der Studien wurden schwerwiegende Schwächen beim Design, der Durchführung oder der Auswertung gefunden. Dabei waren Studien, die Surrogatendpunkte maßen, zu über der Hälfte (55%) methodisch schwach, Studien, die das Überleben maßen, dagegen wesentlich seltener (20%).

Viele Mängel in der Studiengestaltung und –durchführung fanden sich nur im EPAR wieder, aber nicht in den Artikeln, die in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Dabei war aber auch die Informationstiefe im EPAR sehr unterschiedlich. Oftmals fehlten aussagekräftige Angaben auch dort.

Am häufigsten fehlten bei der Auswertung der Daten eine erhebliche Zahl der PatientInnen. Das stellt die Glaubwürdigkeit in Frage, insbesondere wenn die Ergebnisse der Studienarme nicht weit auseinanderliegen. Bei Nivolumab fehlten die Daten für 16,5% der Personen im Versuchsarm, aber nur weniger als 1% im Vergleichsarm. Es wurden auch keine Sensitivitätsanalysen durchgeführt, indem verschiedene Daten für die fehlende Werte eingesetzt wurden. Das ist ein etabliertes Verfahren, um etwas sicherer zu sein, ob die Lücken nicht zu einer Fehleinschätzung des Nutzens führen.

Geblinzelt

Nicht alle Studien waren verblindet (weder PatientIn noch BehandlerIn wissen welches der geprüften Medikamente gegeben wurde). Das kann zu Überschätzungen des Erfolgs führen: Bei Trametanib wurde die progressionsfreie Zeit sowohl vom behandelnden Personal als auch von verblindeten ExpertInnen bewertet. Erstere ermittelten ein Hazard Ratio (HR[6]) von 0,39 also einen deutlicheren Vorteil, die verblindeten nur 0,55. In der Publikation fand sich nur der günstigere Wert. Auf vollständige Verblindung wird oft wohl verzichtet, weil das kostengünstiger ist – man spart so teure Fachleute.

Generell wird kritisch angemerkt, dass die Lebensqualität in drei Viertel der Studien nicht gemessen wurde. Da die Medikamente häufig in einer palliativen Situation gegeben werden, also die Überlebensdauer der PatientInnen begrenzt ist, ein schweres Versäumnis.  (JS)

 

 Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2019, S.5

[1] Naci H et al. (2019) Design characteristics, risk of bias, and reporting of randomised controlled trials supporting approvals of cancer drugs by European Medicines Agency, 2014-16: cross sectional analysis. BMJ; 366, p l5221

[2] Pharma-Brief (2017) Bescheidener Fortschritt. Nr. 8-9, S. 1

[3] Pharma-Brief (2017) Viel Lärm um nichts? Nr. 4, S. 4

[4] Shaji Kumar and Vincent Rajkumar SV (2019) Surrogate endpoints in randomised controlled trials: a reality check. Lancet; 394, p 281

[5] Die übrigen Studien waren nicht randomisiert (2) oder hatten gar keinen Vergleichsarm (11)

[6] Ein Hazard Ratio von 1 bedeutet, dass es keinen Unterschied gibt, also das Ereignis in beiden Gruppen gleich häufig eintritt. Kleinere Wert als 1 bedeuten einen Vorteil, höhere Werte einen Nachteil.


Bundesregierung weicht bei Transparenzfragen aus

Hohe Medikamentenpreise betreffen verstärkt auch den globalen Norden, so ist Bewegung in die weltweite Debatte um Lösungen gekommen. Ein Aspekt dabei ist verstärkte Transparenz bei Kosten und Preisen. Welche Rolle die Bundesregierung einnehmen möchte, bleibt jedoch unklar. Eine Chance läge im konstruktiven Dialog mit der Zivilgesellschaft.

Eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der LINKEN vom 14. August setzte sich noch einmal mit den massiven Konflikten um die Transparenzresolution während der Weltgesundheitsversammlung (WHA) in diesem Frühjahr auseinander. Die Bundesregierung wurde zu ihrer damaligen „Dissoziierung“ von der durch Italien eingebrachten Transparenzresolution (wir berichteten[1]) befragt. Die Antwort vom Parlamentarischen Staatssekretär des Bundesgesundheitsministeriums verdeutlicht vor allem, dass ein nachhaltiger Austausch zur deutschen Position bei dem Thema weiterhin dringend vonnöten ist.

Lieber gar nicht, als zu wenig

Wie so oft bei entsprechenden Anfragen bleibt die Rückmeldung in vielen Punkten äußerst vage. Bekräftigt wird zunächst die Kritik am Vorgehen der Italiener, so wäre ein vorangehendes Einbeziehen des Exekutivrates bei der Resolution „angemessen“ gewesen. Auch hätte dies mehr Vorbereitungszeit gegeben.[2] Das hätte allerdings bedeutet, dass das Thema nicht mehr auf die Agenda der diesjährigen WHA gekommen wäre. Diese Strategie hatte die Bundesregierung in Genf verfolgt. Sie wurde aber von den meisten Mitgliedsstaaten nicht geteilt, für die der dringende Handlungsbedarf im Vordergrund stand.

Inhaltlich wird zunächst allgemein festgestellt: „Die Bundesregierung unterstützt das Ziel der Resolution, den Zugang zu Arzneimitteln und anderen Gesundheitsprodukten weltweit zu verbessern.“ Stante pede folgt jedoch die Einschränkung: „Allerdings handelt es sich um ein komplexes Thema. […] Eine ausschließliche Betrachtung von Einzelkomponenten wie z.B. der Preistransparenz wird den Herausforderungen nicht gerecht.“[3]

Entlang dieser Argumentationslinie werden die weiteren Fragen abgehandelt. So sei eine Offenlegung von Daten zu Verkaufszahlen, Kosten klinischer Studien oder Umfang öffentlicher Subventionen „nicht belastbar“ oder könne „zu falschen Rückschlüssen führen“. Der Tenor: lieber gar keine Transparenz, als unvollständige. Zudem wird ein weiteres Mal auf den bundesdeutschen Kontext verwiesen: „Zu der Forderung nach einer Veröffentlichung von Arzneimittelpreisen hat die Bundesregierung erläutert, dass Rabatte, die kassenindividuell mit pharmazeutischen Unternehmen vereinbart werden, als Vertragsbestandteile dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis unterliegen.“ Das trifft zwar auf Rabattverträge für Generika zu, ist aber auch hierzulande wegen der Korruptionsanfälligkeit solcher Vereinbarungen keineswegs unumstritten. Für die viel wichtigere Nutzenbewertung neuer meist hochpreisiger Arzneimittel sind die ausgehandelten Rabatte bekannt. Man kann sie zum Beispiel im Arzneiverordnungs-Report nachlesen.[3]

Inkonsequente Schlüsse

Paradoxerweise stellt die Antwort des Ministeriums zu Recht fest, maßgeblich für PatientInnen sei, „[…] welchen therapeutischen Zusatznutzen ein neues Arzneimittel im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie bietet. Die in Entwicklung und Produktion eingeflossenen Kosten treffen darüber keine Aussage. So sollte beispielsweise ein neues Arzneimittel nicht deshalb einen höheren Preis erzielen, weil es mit hohem finanziellen Aufwand entwickelt wurde.“[3] Dass allerdings die Pharmaindustrie eben jene vermeintlich exorbitanten Forschungskosten für Präparate, die aufgrund mangelnder Transparenz nur schwer überprüfbar sind, seit jeher als ein Hauptargument für hohe Arzneimittelpreise ins Feld führt, wird einfach ausgeblendet.Bundestagskuppel

Am Ende der Stellungnahme steht schließlich die Feststellung, die Bundesregierung verfolge einen „holistischen Ansatz zur weltweiten Verbesserung des Zugangs zu Arzneimitteln und anderen Gesundheitsprodukten“, wie er auch in der WHO Access Road Map 2019-2023 vorgesehen sei. In eben jener taucht Transparenz allerdings äußert prominent auf, etwa mit der Empfehlung zur Förderung von Transparenz bei Forschungs- und Entwicklungskosten sowie zur globalen und regionalen Zusammenarbeit für erhöhte Preistransparenz.[4]

Wie hältst Du´s mit der Transparenz?

Die Bundesregierung unterstützt nach eigenem Bekunden einen verbesserten Zugang zu Arzneimitteln, sieht jedoch Transparenz als nur einen Faktor von vielen und hadert mit dessen Komplexität. Bei dieser Gemengelage stellt sich die Frage, was das konkret für das zukünftige Engagement bedeutet.

Wie groß das Bedürfnis nach der Klärung der deutschen Perspektive ist, zeigte zuletzt eine Initiative aus der Zivilgesellschaft. In einem Offenen Brief vom 2. September an Bundesgesundheitsminister Spahn, lanciert vom Aktionsbündnis gegen AIDS und unterzeichnet von elf Nichtregierungsorganisationen, darunter auch der Pharma-Kampagne, wird ein inhaltlicher Dialog angeregt. So heißt es: „Aus unserer Sicht ist […] bislang offen geblieben, wie die Bundesregierung prinzipiell zum Inhalt der Transparenz-Resolution steht und inwiefern sie abweichende Positionen vertritt. […]  Ein früher und offener Dialog hierzu kann für die weitere Arbeit zu den gesundheitsrelevanten SDGs wichtige und positive Impulse setzen.“ [5]

Auch angesichts des zerschlagenen Porzellans auf der letzten WHA bedarf es nun gemeinsamer Anstrengungen, denn klar ist: Die Gretchenfrage, wie es die Bundesregierung mit der Preistransparenz bei Medikamenten, Impfstoffen und Gesundheitsprodukten wirklich hält, wird sich in den kommenden Jahren wieder und wieder stellen.

Ein umfassender Zugang zu Gesundheitsversorgung weltweit ist ohne bezahlbare Produkte undenkbar. Ohne verbesserte Transparenz wird der Kampf gegen Preistreiberei aber nicht erfolgreich sein können. Untätig zu bleiben ist angesichts der krassen globalen Versorgungslücken keine Option. 

Im Bereich Globale Gesundheit richtet sich die Aufmerksamkeit besonders auf das UN High-Level Meeting zu Universal Health Coverage (UHC), das am 23. September – nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe – stattfand. Bereits in der Vorbereitung des Treffens sorgte das Thema Transparenz abermals für Zündstoff.[6]  (MK)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2019, S.3
Bild © Jörg Schaaber

[1] Pharma Brief (2019) WHA: Deutschland auf Distanz zu Transparenz-Beschluss. Nr. 3, S. 1

[2] BMG (2019) Antwort auf Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Gabelmann, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald und weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. betreffend „Deutschland in den Verhandlungen zur Transparenzresolution“, BT-Drs 19/12382. https://sylvia-gabelmann.de/wp-content/uploads/2019/09/2019-08-28-AW-PSt-Dr.-Gebhart_KA-19_12382.pdf  [Zugriff 12.09.2019]

[3] Schwabe et al. (2018) Arzneiverordnung-Report 2018. Heidelberg/Berlin: Springer

[4] WHO (2019) Draft Road Map for Access to medicines, Vaccines and other health products, 2019–2023. https://apps.who.int/gb/ebwha/pdf_files/WHA72/A72_17-en.pdf  [Zugriff 12.09.2019]

[5] Aktionsbündnis gegen Aids u.a. (2019) Deutschlands Prioritäten bei Zugang und Transparenz im Bereich Globale Gesundheit.  www.aids-kampagne.de/sites/default/files/brief_an_bundesgesundheitsministrer_spahn_-_transparenz_resolution_-_19-02-09.pdf  [Zugriff 11.09.2019]

[6] Branigan D (2019) Drug R&D, Sexual & Reproductive Health Scrutinised In Draft UHC Declaration. Health Policy Watch, 19 July www.healthpolicy-watch.org/drug-rd-sexual-reproductive-health-scrutinised-in-draft-uhc-declaration  [Zugriff 23.07.2019]


US-Behörde will weniger über Arzneimittel preisgeben

Bislang dokumentiert die US-Zulassungsbehörde FDA ihren Entscheidungsprozess über neue Medikamente ausführlich. Damit soll künftig Schluss sein. Unter dem Schlagwort „Modernisierung“ [1] soll es nur noch eine Bewertung „light“ geben.

Umfangreiche Berichte über zulassungsrelevante Analysen der FDA-MitarbeiterInnen sind auf der Website der FDA bisher frei zugänglich.  Damit stehen ausführliche Bewertungen der vom Hersteller eingereichten Daten zur Verfügung. Da die Studien zum Zeitpunkt der Zulassung oft noch nicht oder nur sehr selektiv publiziert wurden, bieten die FDA-Unterlagen wichtige Informationen für eine unabhängige Einschätzung des Nutzens von Arzneimitteln.

Zweifelhafte Verschlankung

Im Rahmen des “New Drugs Regulatory Program Mode” der FDA sollen die umfänglichen Dokumente künftig durch eine kurze Zusammenfassung der FDA-Bewertung ersetzt werden. Angestoßen hat die „Modernisierung“ der von Präsident Trump vorgeschlagene und nach einigen Querelen bestätigte FDA-Kommissar Scott Gottlieb. Das neue Konzept orientiert sich an der eher bescheidenen Transparenz der europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Der sogenannte EPAR[2] enthält nur eine stark komprimierte Fassung des internen Bewertungsberichts der Behörde. Das geschieht in großzügiger Auslegung der EU-Verordnung zur Arzneimittelzulassung, die eigentlich nur die Schwärzung von Geschäftsgeheimnissen vorsieht.[3]

Während die EMA – wegen öffentlichen Drucks – seit einigen Jahren die Transparenz erhöht, vor allem durch die zusätzliche Veröffentlichung der Clinical Study Reports, die die EU-Verordnung zu klinischen Studien vorschreibt, schlagen die USA also die entgegengesetzte Richtung ein.FDA Bldg 51 Main Entrance 5161374834

Substanzverlust

Stellungnahmen von WissenschaftlerInnen, Fachjournalen und NGOs warnen eindringlich vor dem Vorhaben der FDA.[4] Während bislang die einzelnen Abteilungen der FDA unterschiedliche Aspekte der Zulassungsunterlagen separat bearbeiten, alle relevanten Daten transparent dargestellt und auch unterschiedliche Meinungen festgehalten werden, soll nicht nur der öffentliche Zugang zu diesen Unterlagen abgeschafft werden. Auch der Bearbeitungsprozess soll „effizienter“ werden, so Gottlieb im Juni 2018.[5] Das heißt, nicht nur nach außen, auch behördenintern soll es eine integrierte Bewertung geben. Auch wenn der FDA-Kommissar  betonte, dass der „Fortschritt in unseren eigenen Arbeitsprozessen durch modernere und stringentere wissenschaftliche Ansätze erreicht werden“ soll, sieht das Vorhaben nach einer Verflachung und Gleichschaltung der wissenschaftlichen Debatte aus.

Darüber versprach Gottlieb, dass externe Interessengruppen – darunter auch die Industrie – in Zukunft „stärker in den wissenschaftlichen Austausch“ während des gesamten Zulassungsprozesses einbezogen werden.

In der Eingabe von Peter Doshi und 35 weiteren WissenschaftlerInnen wird auch auf einen weiteren Widerspruch aufmerksam gemacht.[6] Die Abteilung für Medikamentenbewertung der FDA (CDER) hatte 2010 ein Papier verfasst, das ausdrücklich die Protokollierung von dissenten Meinungen der BearbeiterInnen vorschreibt.[7] Vorgesetzte sind verpflichtet, die Gründe für ihre abweichende Entscheidungen zu protokollieren.

Insgesamt riecht die geplante „Modernisierung“ stark nach einem Wohlfühlprogramm für Big Pharma. Der US-Lobbyverband PhRMA begrüßt denn auch die geplanten Regeln.[8] Allerdings ist er strikt dagegen, dass die FDA ihr Pilotprogramm zur Veröffentlichung von Clinical Study Reports fortsetzt. Dabei wird die wenig begründete Sorge vorgeschoben, dass dadurch krankheitsbezogene Daten von einzelnen PatientInnen identifizierbar würden. Ausgerechnet die EU-Datenschutzverordnung wird von PhRMA ins Feld geführt, obwohl – siehe oben – die EMA inzwischen die Clinical Study Reports veröffentlicht.

Die Industrie hat gleich noch eine längere Wunschliste angehängt. Sie möchte, dass auch Daten aus „real world evidence“, also Anwendungsbeobachtungen, Register u.a. sowie Verbesserungen bei Biomarkern in Zulassungsentscheidungen einfließen.

Gottlieb, der den ganzen Änderungsprozess angestoßen hat, verließ die FDA im April diesen Jahres, angeblich um mehr Zeit für seine Familie zu haben. Seit Juni sitzt er im Direktorium des Pharmamultis Pfizer.[9]

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2019, S.1

Bild FDA Building 51 houses the Center for Drug Evaluation and Research © U.S.-Regierung

[1] Das Programm trägt den Namen “New Drugs Regulatory Program Modernization” www.fda.gov/drugs/regulatory-science-research-and-education/modernizing-fdas-new-drugs-regulatory-program  [Zugriff 12.9.2019]

[2] European Public Assessment Report

[3] Der Text der EU-Verordnung 726/2004 lautet: „Die Agentur veröffentlicht – nach Streichung aller vertraulichen Angaben geschäftlicher Art – umgehend den vom Ausschuss für Humanarzneimittel erstellten Bericht über die Beurteilung des Humanarzneimittels und die Gründe für das Gutachten zugunsten der Erteilung einer Genehmigung“

[4] Beschreibung der Einladung zu Kommentaren zum Clinical Data Summary Report Pilot program und alle Eingaben: www.regulations.gov/document?D=FDA-2019-N-2012-0001  [Zugriff 12.9.2019]

[5] Gottlieb S (2018) Statement from FDA Commissioner Scott Gottlieb, M.D., on proposed modernization of FDA’s drug review office. 4 June www.fda.gov/news-events/press-announcements/statement-fda-commissioner-scott-gottlieb-md-proposed-modernization-fdas-drug-review-office  [Zugriff 12.9.2019]

[6] www.regulations.gov/document?D=FDA-2019-N-2012-0010  [Zugriff 12.9.2019]

[7] FDA (2010) Equal Voice: Discipline and Organizational Component Collaboration in Scientific and/or Regulatory Decisions. 16 Sept. www.fda.gov/media/79353/download

[8] www.regulations.gov/document?D=FDA-2019-N-2012-0022  [Zugriff 12.9.2019]

[9] Feinstein C (2019) Ex-FDA chief Scott Gottlieb just joined the board of $240 billion drugmaker Pfizer. Business Insider, 28 June www.businessinsider.de/scott-gottlieb-goes-from-fda-commissioner-to-pfizer-board-member-2019-6?r=US&IR=T  [Zugriff 12.9.2019]


Mehr als ein Grund zu feiern40 jahre buko pharma kampagne

Am Ende unserer ABR-Konferenz gab es eine kleine virtuelle Feier zum vierzigjährigen Bestehen der Pharma-Kampagne. Eingeleitet wurde die Veranstaltung mit einem kurzen Film über Highlights der Kampagnenarbeit aus den letzten 40 Jahren, den Sie auf unserer Website anschauen können. Produziert hat ihn unser ehemaliger Mitarbeiter Stefan Jankowiak.
Dann folgte – moderiert von unserer Vorstandsfrau Elisabeth Lipsewers – ein bunter Regen von Glückwünschen aus aller Welt. Gopal Dabade vom Drug Action Forum Karnataka, Indien, hob hervor, wie wichtig die Arbeit von BUKO angesichts des massiven negativen Einflusses großer Pharmakonzerne im globalen Süden sei. Andy Gray aus Südafrika lobte die Zusammenarbeit beim Kampf für den Zugang zu Aids-Medikamenten. Das unterstrich auch Peter Wiesner vom deutschen Aktionsbündnis gegen Aids.
Davina Dietrich und Jan Quakernack von unserem Straßentheater „Schluck & weg“ lieferten eine geschickt inszenierte Botschaft. Sigrun Landes-Brenner grüßte von Brot für die Welt, Alexander Lohner von Misereor. Wilbert Bannenberg erinnerte humorvoll an die nachbarschaftliche Entwicklungshilfe: Der niederländische Pragmatismus hat sicher zum Überleben der Kampagne erheblich beigetragen.
Der entfernteste Gruß kam von Anwar Fazal aus Malaysia, der an die gemeinsame Gründung des Netzwerks Health Action International (HAI) vor 40 Jahren in Genf erinnerte. Birte Bogatz-Mander vom globalen HAI-Büro in Amsterdam hob die Hartnäckigkeit und Ausdauer der Pharma-Kampagne hervor und wünschte viele weitere Jahre guter Zusammenarbeit.
Dies ist nur eine kleine Auswahl der vielen Highlights des Abends. Zahlreiche Gratulationen erreichten uns auch auf schriftlichem Weg. Ihnen und euch allen ganz herzlichen Dank dafür!
Und fest versprochen sei schon hier, dass es eine echte Feier geben wird, wenn das wieder möglich ist. Wie bei der Pharma-Kampagne üblich, werden wir das Fest mit einem thematischen Input verbinden – aber einfach nur zum Feiern zu kommen, ist auch völlig OK. (JS)

Bild © Jörg Schaaber
Artikel aus dem Pharma-Brief 5/2021, S.7


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