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Vorschnelle Zulassung schadet PatientInnen

Wir haben schon häufiger kritisiert, dass die europäische Medikamenten­behörde EMA[1] Arzneimittel auf Basis dürftiger Daten zulässt. Vor einem Jahr wurde ein unwirksames Mittel gegen Weichteilsarkome vom Markt genommen. Jetzt stoppt die EMA ein Mittel, das eigentlich Hautkrebs verhindern soll, ihn aber eher fördert. Es scheint aber zweifelhaft, ob die Behörde aus den Vorfällen lernt.

Vor einem Jahr berichteten wir über das Krebsmedikament Olaratumab,[2] das entgegen den vollmundigen Versprechungen bei der Zulassung im Jahr 2016, den PatientInnen keinerlei Nutzen brachte. Das stellte sich aber erst drei Jahre später heraus, nachdem  eine von der EMA geforderte weitere Studie abgeschlossen war. Da der Wirkstoff als Zusatztherapie gegeben wurde, war der Nutzen Null – die Jahrestherapiekosten lagen bei fast 200.000 €.

Das zweite Verbot

Im Januar 2020 hat die europäische Zulassungsbehörde EMA die Anwendung von Ingenolmebutat untersagt.[3] Das Mittel sollte verhindern, dass sich Hautveränderungen (aktinische Keratosen) im Gesicht und auf der Kopfhaut zu weißem Hautkrebs weiterentwickeln. Jetzt zeigen Studien, dass Hautkrebs bei PatientInnen, die diesen oder einen nah verwandten Wirkstoff verwendet haben, sogar deutlich häufiger auftritt. Das gilt sowohl im Vergleich zu Placebo[4] als auch zu einem anderen Medikament.[5]

Ingenolmebutat war 2012 auf Basis dünner Daten zugelassen worden. Die Wirkung des Mittels wurde nach acht Wochen beurteilt. Als Kriterium galt, dass sich die Hautveränderungen
bei einem größeren Prozentsatz der PatientInnen zurückbildeten als im Ver­gleichsarm der Studien.[6] Das ist ein Surrogat, das keine zuverläs­sigen Aus­sagen über die Wirksamkeit gegen Krebs erlaubt. Außerdem war die Beo­bachtungszeit viel zu kurz: Aktinische Keratosen entwickeln sich nur manchmal und erst nach längerer Zeit zu Hautkrebs. Was außerdem fragwürdig
ist: Ingenolmebutat wurde nur mit Placebo verglichen, nicht aber mit etablierten Verfahren wie mit anderen Medikamenten oder Kryotherapie.

Nichts dazugelernt

Ob die EMA aus diesen Vorfällen gelernt hat, ist aber mehr als fraglich. Aktuell hat gerade ein Hersteller bei der europäischen Behörde für genau das gleiche Anwendungsgebiet den Zulassungsantrag für einen neuen Wirkstoff eingereicht. Dabei teilt das Pharmaunternehmen Almirall stolz mit, dass die EMA die Studien, die der Hersteller vorgelegt hat, für die Bewertung für ausreichend hält.[7] In den Studien von Almirall wurde exakt das Gleiche wie bei Ingenolmebutat gemessen: Bei welchem Prozentsatz der PatientInnen verschwanden die Haut­erscheinungen nach acht Wochen im Vergleich gegen Placebo?

Es wird wirklich Zeit, dass die Zulassungsbedingungen in Europa verschärft werden. Eine Debatte, welche Maßstäbe an neue Medikamente gelegt werden, ist überfällig. Vergleiche gegen Placebo, wenn es eine etablierte Therapie gibt, gehören ebenso wenig dazu wie Surrogat-Ergebnisse. Für Patientinnen und Patienten zählt, was ihre Krankheitssymptome verringert oder beseitigt, das Leben verlängert oder die Lebensqualität erhöht.  (JS)

 

Artikel aus Pharma-Brief 2/2020, S. 6

[1] European Medicines Agency mit Sitz in Amsterdam

[2] Pharma-Brief (2019) Zu früh ist unzuverlässig. Nr. 1, S. 4

[3] EMA (2020) Pressemitteilung vom 17. Jan. www.ema.europa.eu/en/news/ema-suspends-picato-precaution-while-review-skin-cancer-risk-continues [Zugriff 5.3.2020]

[4] Hautkrebs trat in einer 8-Wochen Studie bei 1% der mit Ingenolmebutat behandelten PatientInnen auf, unter Placebo bei 0,1%, in einer Zusammenfassung von vier Studien unbekannter Dauer 7,7% versus 2,9%.

[5] Bei 3,3% der PatientInnen, die mit Ingenolmebutat behandelt worden waren, entwickelte sich nach drei Jahren Hautkrebs, mit Imiquinod waren es nur 0,4%.

[6] EMA (2012) EPAR Picato, S 43, 70 www.ema.europa.eu/documents/assessment-report/picato-epar-public-assessment-report_en.pdf [Zugriff 5.3.2020]

[7] Almirall (2020) Almirall announces EMA acceptance for filing of Marketing Authorization Application (MAA) for tirba­nibulin in actinic keratosis. Press release, 2 March


DPGG-Tagung zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften

win win oder win loose
Am 11.11.2019 veranstaltete die Deutsche Plattform für globale Gesundheit (DPGG) in Berlin unter dem Titel „Win-win oder win-loose?“ eine gut besuchte Veranstaltung zu den Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften in der Globalen Gesundheit. Die Pharma-Kampagne hatte die Fachkonferenz mitorganisiert.


Damit wurde ein Thema auf die Agenda gesetzt, das gewöhnlich von Parteien, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen gleichermaßen lieber hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Mit der Frage „Win-win oder Win-lose?“ beleuchteten wir die Wucht, mit der private AkteurInnen, allen voran die großen philanthropischen Stiftungen, die Agenda der globalen Gesundheit beeinflussen. Der Einführungsvortrag von Prof. Dr. Anna Holzscheiter, Wissenschaftszentrum Berlin, die dort die Forschungsgruppe Governance for Global Health leitet, machte pointiert den massiven Einfluss deutlich, den einzelne private Akteure bereits heute haben.
Danach gab es zwei moderierte Gespräche. Die erste Runde mit einer Journalistin, die die engen Kooperationen von staatlichen und privaten Akteuren seit längerem kritisch verfolgt, einer Vertreterin des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und einem ehemaligen Vertreter des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria.
In der zweiten Runde stellten sich PolitikerInnen von CDU, SPD, Grünen und Linken der Diskussion. Die zusammenfassende Dokumentation der Tagung ist jetzt erschienen (JS)

Artikel aus Pharma-Brief 2/2020, S. 6

DPGG (2020) Win-win oder win-loose.
www.bukopharma.de/images/aktuelles/DPGG-win-lose.pdf


Interview mit Amit Khurana, Indien

Wir sprachen mit Amit Khurana, er ist Direktor des Programms für Lebensmittelsicherheit und Gifte am Centre for Science and Environment (CSE). Die am Gemeinwohl orientierte Organisation in Neu Delhi betreibt selbst Forschung, mischt sich aber auch in politische Debatten ein.

Was genau macht CSE zum Thema Antibiotika?

Zusammen mit meinem Team dränge ich auf eine Politik, die antimikrobielle Resistenzen (AMR) einzudämmen hilft, mit Fokus auf Tiere und Umwelt. Außer in Indien selbst, helfen wir auch Sambia, den nationalen AMR Aktionsplan umzusetzen und teilen die Erkenntnisse mit anderen afrikanischen Ländern. Wir teilen auch unsere Gedanken über notwendige weltweite Pläne,  die die Interessen der Länder des globalen Südens berücksichtigt.

Was sind die Umweltauswirkungen von Antibiotika?

Die Umwelt kann Resistenzen verstärken: Antibiotischer Wirkstoffe, die in die Umwelt gelangen, resistente Bakterien, oder Gene, die Resistenzen übertragen können. Sowohl punktuelle als auch diffuse Quellen können dazu beitragen, dass Resistenzen auf den Menschen übertragen werden, direkt oder durch die Nahrungskette.

So können zum Beispiel Abfälle von Landwirtschafts- und Tiermastbetrieben, von Fabriken, die Antibiotika herstellen oder von Futtermittelfabriken, die Antibiotika beimischen, Abwässer aus Gesundheitseinrichtungen, in die Umwelt wie zum Beispiel in das Oberflächenwasser oder ins Grundwasser gelangen und zur Verbreitung von Resistenzen beitragen.

Wenn wir des Weiteren berücksichtigen, dass Fäkalien eine Menge vom Körper nicht verstoffwechselte Antibiotika und Bakterien enthalten, tragen Kläranlagen, die nicht dafür ausgerüstet sind, möglicherweise zur Antibiotikaresistenz beitragen.

Welches sind die Konsequenzen für die menschliche und die Tier­ge­sund­heit?

Antibiotika werden wirkungslos. Optionen für die Behandlung von bakteriellen Infektionskrankheiten ver­ringern sich. Sogar gewöhnliche Infektionen werden problematisch oder gar unbehandelbar. Es ist davon auszugehen, dass all dies zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und sehr hohen wirtschaftlichen Belastungen für Familien und Staaten führen wird. Sogar Tiergesundheit und die Produktion können darunter leiden und so Lebensmittelsicherheit und Existenzgrundlagen beeinträchtigen. Länder mit niedrigen oder mittleren Einkommen und mit begrenztem Fokus auf die Abfallentsorgung, besonders diejenigen, die mehr Medikamente und Fleisch produzieren, werden wahrscheinlich in größerem Maße zum Ansteigen der AMR über die Umwelt beitragen. Diese Länder werden auch stärker betroffen sein, da sie weniger darauf vorbereitet sind, das Problem AMR anzugehen, insbesondere was die Bedeutung des Tier- und Umweltbereichs betrifft.

Worin sehen Sie die größten Heraus­forderungen?

Eine der größten Herausforderungen ist der geringe Stellenwert und Unterstützung, die allgemein das Thema Umwelt politisch bekommt; und im Fall von AMR erhält sie verglichen mit den gravierenden Problemen, die sie bei Mensch und Tier auslöst, nur eine minimale Aufmerksamkeit. Überdies sind die Abfall- und Umweltaspekte von AMR bereichsübergreifend, und es bedarf eines größeren Verständnisses und Knowhows in verschiedensten Sektoren, um sie erfolgreich anzugehen. Dann ist da noch die Herausforderung verschiedener Determinanten, für die die meisten Umweltbehörden nicht gewappnet sind. Meist lag ihr Fokus historisch bedingt auf Pestiziden, Schwermetallen usw. Das spiegelt sich auch darin wider, dass es vielerorts bis heute keine Grenzwerte für Antibiotika in Abfällen gibt.

Was muss getan werden?

Die AMR Agenda muss wirklich eine Agenda für „One-Health“ (siehe Kasten) werden. Die Umweltdimension muss beachtet werden und braucht Unterstützung von allen AkteurInnen, besonders von denen auf höchster Ebene. Sie sollte Teil des Mainstreams in den weltweiten Kampf gegen Antibiotikaresistenz werden. Auf der politischen Ebene sollte AMR und Umwelt in den Mittelpunkt gestellt werden, insbesondere wenn es sich um die Quellen von Abfall und anderer AMR-Verschmutzung handelt.

Zum Beispiel sollte Antibiotikaabfall in Pharmafabriken wie gefährliche Chemikalien behandelt werden. Das Gebot der Stunde ist es, das Vorsorgeprinzip anzuwenden, auch wenn es noch viele Jahre brauchen wird, bis wir die Bedeutung von Resistenzen in der Umwelt umfassend verstehen.

Was hat das CSE in Indien bisher getan?

Das CSE hat eine führende Rolle darin gespielt, das notwendige Augenmerk auf die Tier- und Umweltaspekte von AMR in Indien zu richten; das spiegelt sich wider im Aktionsplan des Landes und mehrerer Bundesstaaten, mit denen das CSE zusammengearbeitet hat. Es arbeitet auch darauf hin, dass die notwendige Strategien entwickelt werden, damit diese Pläne auch umgesetzt werden können. Auch teilen wir die Erkenntnisse, die wir in Indien gewonnen haben, mit anderen Entwicklungsländern z.B. in Afrika.

Wie steht es IhrOne Healther Meinung nach um das Bewusstsein in Bezug auf Anti­biotika und Antibiotikaresistenz in der Umwelt in der indischen Öffent­lich­keit und unter Politikern?

Das Bewusstsein in der Bevölkerung und unter den Politikern ist nicht so hoch wie es wünschenswert wäre. Jedoch ist es in den vergangenen Jahren unter den Wissenschaftlern gewachsen. Aber es muss noch viel mehr getan werden, da Lebensmittel, Viehhaltung, Umwelt und Gesundheit auf der Ebene der Bundesstaaten verwaltet werden. Das Bewusstsein und die Antworten sind von Ort zu Ort unterschiedlich. Die indische Zentralregierung arbeitet an einigen Aspekten von AMR in der Umwelt. Einer davon ist die Entwicklung von Standards für Antibiotika in Pharmaabwässern. Das zuständige Ministerium für Umwelt, Wald und Klimawandel hat kürzlich den Entwurf für solche Standards herausgebracht. Wir haben eine aktive Rolle dabei gespielt, und wenn er verabschiedet wird, wäre es vielleicht der erste solche Standard weltweit.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

AMR wird erfolgreich als ein wirkliches „One-Health“-Thema angegangen. Sein negativer Einfluss auf das Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele wird auf ein Minimum reduziert, Antibiotika werden „gerettet“ und weiterhin wirksam sein.

 

Das Interview führte Hannah Eger, Übersetzung: Margit Urhahn.

Artikel aus Pharma-Brief 2/2020, S. 4

* RKI (2020) www.rki.de/DE/Content/Infekt/Antibiotikaresistenz/One-Health/One_Health-Konzept.html [Zugriff 4.3.2020]


Lomé-Initiative greift zu kurz

Am 18. Januar 2020 zeichneten sieben afrikanische Staatschefs die Lomé Declaration gegen Arzneimittelfälschungen. Auch wenn es Handlungsbedarf gibt, wird Kritik an der Zielrichtung der Erklärung laut: Mehr Kontrollen und härteren Strafen allein werden die Probleme nicht lösen.

Das Ausmaß von Arzneimittelfälschungen ist unklar. Die WHO spricht davon, dass in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen jedes zehnte Medikament Qualitätsmängel hätte oder gefälscht sei. Doch genaue Daten fehlen. Das macht Änderungen schwierig, da unklar bleibt wo die größten Probleme liegen und wo man am besten ansetzt.

WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus erwähnte in seiner Ansprache anlässlich der Verabschiedung der Erklärung immerhin, dass der Mangel an erschwinglichen Arzneimitteln, Korruption im Gesundheitswesen und unsichere Lieferketten wichtige Faktoren seien.[1] In der Lomé Declaration spielt das eine untergeordnete Rolle. Sie konzentriert sich voll auf strengere Überwachung und härtere Strafen.

Hier setzt die Kritik von Denis Kibira von der ugandischen Gesundheits-NGO HEPS an. „Gefälschte Medikamente gedeihen, weil der afrikanische Kontinent und seine Gesundheitssysteme das perfekte Einfallstor für diesen illegalen Handel sind. Afrikanische Regierungen geben viel zu wenig Geld für die Gesundheit aus. Das führt zur Knappheit von Medikamenten im öffentlichen Sektor. PatientInnen werden dadurch gezwungen, sich im Privatsektor zu versorgen, was oft an zu hohen Preisen scheitert.“ [2]

Kibira kritisiert, dass die im Umfeld der Lomé-Initiative verwendeten Begriffe für Medikamentenfälschungen wie „illegal, gefälscht, nachgeahmt, Substandard“ teilweise undifferenziert verwendet werden. Es sei jedoch extrem wichtig, die Probleme zu unterscheiden, weil sich auch die Lösungsmöglichkeiten unterscheiden.

Initiator der Lomé Declaration ist die private Brazzaville Foundation mit Sitz in London, die die Pläne entwickelt hat und auch eine zentrale Rolle bei der Umsetzung spielen soll – gleich zwei der acht Aktionspunkte heben ihre Bedeutung hervor. Geschäftsführer[3] und Stiftungsrat der Brazzaville Foundation[4] sind Weiße, Schirmherr ist His Royal Highness Michael of Kent.[5] Im Beirat sitzen mehrere ehemalige afrikanische Staatsoberhäupter, aber auch Vertreter anderer Stiftungen, ein Banker und ein philanthropischer Unternehmer. Auch wenn man unterstellen kann, dass die Absichten der Stiftung wohlmeinend sind und in die Vorbereitung das Harvard Global Health Institute und die London School of Hygiene and Tropical Medicine einbezogen waren, bleibt ein Geschmäckle. Denis Kibira: „Das alles sieht ziemlich nach einer Anti-Fälschungskampagne aus, die die Probleme Afrikas wahrscheinlich nicht lösen wird. Deshalb sollten unserer Regierungen vorsichtig sein, dass diese Initiative nicht unter Flagge ‚Förderung der öffentlichen Gesundheit‘ als Plattform für die Durchsetzung strengerer geistiger Eigentumsrechte missbraucht wird, und damit den Zugang zu legitimen unentbehrlichen Arzneimitteln behindert.“  (JS)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 2/2020, S.3

[1] www.who.int/dg/speeches/detail/launch-of-the-lom%C3%A9-initiative [Zugriff 17.2.2020]

[2] Kibira D (2020) Lomé Initiative is not the answer to the problem of fake medicine. The Observer, 5. Feb https://observer.ug/viewpoint/63418-lome-initiative-is-not-answer-to-africa-s-problem-of-fake-medicine [Zugriff 17.2.2020]

[3] http://brazzavillefoundation.org/en/our-people#chief-executive [Zugriff 17.2.2020]

[4] http://brazzavillefoundation.org/en/our-people#board-of-trustees [Zugriff 17.2.2020]

[5] http://brazzavillefoundation.org/en/our-people#royal-patron [Zugriff 17.2.2020]


Novartis verlost nicht zugelassene Therapie

Die Gentherapie Zolgensma® soll Kindern helfen, die an einer seltenen Muskelerkrankung leiden. Die einmalige Behandlung kostet rund zwei Millionen Euro, das Mittel ist in Europa noch nicht zugelassen. Novartis kündigte Anfang des Jahres an, 100 Einzelgaben zu verlosen.[1] Das stößt ebenso wie der hohe Preis auf Kritik.

Die Gentherapie zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie wurde in den USA im Mai 2019 auf Basis einer unkontrollierten Phase 1-Studie an 15 PatientInnen zugelassen.[2] [3] Bei der europäischen Behörde EMA hat Novartis die Zulassung erst später eingereicht. Bislang hat die Firma schon 280 Tage gebraucht, um Nachfragen zu beantworten – doppelt so lange, wie die EMA bis dahin für die Prüfung brauchte.[4]

Das hat Novartis nicht davon abgehalten, schon große Erwartungen zu schüren. Eine geschickte Pressearbeit hat dazu sicher beigetragen, die Publikumsmedien berichteten schon früh über das Produkt.[5] Bereits letztes Jahr setzten in Deutschland die Eltern von mindestens vier Kindern durch, dass die Krankenkassen die vollen Kosten für die Behandlung übernahmen.

Marketingtrick?

Die jetzt von Novartis verkündete Lotterie hat eine Schwemme von Artikeln ausgelöst. Der Medizinethiker Norbert W. Paul, Professor der Universitätsmedizin Mainz, sieht das kritisch: „Novartis unterläuft mit dieser Abgabe aus Mitleid die Zulassung, um einen Fuß im Markt zu haben und so Druck zu machen, dass die Zulassung gar nicht mehr erforderlich zu sein scheint.“ [6]

Die Alternative wäre gewesen, dass Novartis von vorneherein beim dafür zuständigen Paul-Ehrlich-Institut, ein Härtefallprogramm beantragt. Die Behörde kann dann kontrolliert prüfen, ob das noch nicht zugelassene Medikament im Einzelfall eine sinnvolle Option ist, weil es keine erfolgversprechende andere Behandlung gibt. In einem solchen Härtefallprogramm stellt der Hersteller das Präparat grundsätzlich kostenlos zur Verfügung. Novartis hat einen solchen Antrag erst im Zusammenhang mit seiner umstrittenen Lotterie gestellt.

Nicht ganz einmalig

 Was in der Debatte untergeht: Zolgensma® ist nicht das erste Medikament gegen die Muskelschwäche, die unbehandelt nach wenigen Jahren tödlich enden kann. Bereits 2017 wurde Nusinersen zugelassen. Das Mittel wurde an fast 250 Personen gegen Placebo getestet.[7] Zolgensma® wurde, obwohl es naheliegend gewesen wäre, in den Studien nicht mit Nusinersen verglichen.

Zwar muss Zolgensma® im Gegensatz zu Nusinersen nur einmal gegeben werden, aber die Behandlung funktioniert nur bei Kindern unter zwei Jahren. Außerdem ist der Nutzen und Schaden der neuen Behandlung noch wenig untersucht. Erst nach mehreren Jahren wird man sicher sagen können, ob Zolgensma® den kleinen PatientInnen dauerhaft hilft und die Risiken vertretbar sind. medikamentenverlosung

Spekulativer Preis

Patrick Durisch von der Schweizer NGO Public Eye warf der Firma auf der Hauptversammlung von Novartis am 28.2.2020 in Basel unverantwortliches Verhalten vor: „Novartis, wie können Sie es wagen, den wahnsinnigen Preis von über zwei Millionen Dollar für eine einzige Spritze Zolgensma zu verlangen – das Resultat einer reinen Finanzspekulation über den Kauf einer Biotechfirma, die in hohem Maße von öffentlichen und gemeinnützigen Geldern profitiert hat und nicht Ihrer eigenen Investition in Forschung und Entwicklung.“ [8]

Tatsächlich ist das Produkt hauptsächlich in der Ohio State University und des Nationwide Children‘s Hospital entstanden. Einer der beteiligten Forscher, Brian Kaspar, arbeitete von 2004 bis 2017 in beiden Institutionen. Noch während seiner Tätigkeit an der Uni gründete er das Startup Avexis, das Novartis im Mai 2018 für 8,7 Mrd. US$ kaufte.[9]

Manipulationen

Kaspar ist seinen Job bei Avexis inzwischen los. Es flog auf, dass er im Zulassungsantrag für die FDA Daten manipuliert hatte.[10] Das hatte Novartis zwar schon vor der FDA-Entscheidung bemerkt, aber der FDA die Manipulation erst einen Monat später mitgeteilt.[11] Man habe den Vorfall erst in einer internen Untersuchung weiter klären wollen. Die Fälschungen betrafen, soweit bekannt, zwar nur den Herstellungsprozess,[10] aber falsche Angaben im Zulassungsverfahren sollte es eigentlich niemals geben. Letztlich untergräbt eine solche Manipulation auch die Vertrauenswürdigkeit der übrigen Daten.

Bleibt zu hoffen, dass bessere Evidenz für das Produkt generiert wird. Sollten sich die Hoffnungen bestätigen, ist allerdings eine drastische Preisreduzierung erforderlich. Allein im 4. Quartal 2019 hat Novartis mit Zolgensma® in den USA 189 Mio. US$ eingenommen.[12] Dass sich Wenige so schamlos auf Kosten der Allgemeinheit bereichern, ist schwer erträglich.  (JS)

 

Info zum Bild:

Medikamentenverlosung per Glücksrad. 2014 in einem Stück der Straßentheatergruppe „Schluck & weg“ der ­Pharma-Kampagne als bitterböse Satire gedacht, um auf die mangelhafte Versorgung von Menschen im globalen Süden aufmerksam zu machen. Novartis macht es zur Realität. © Jörg Schaaber

Artikel aus dem Pharma-Brief 2/2020, S.1

[1] Zeit online (2020) Deutsche Behörden erlauben umstrittene Gentherapieverlosung. 3. Feb. www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-02/spinale-muskelatrophie-zolgensma-verlosung-behandlung-gesundheit [Zugriff 3.3.2020]

[2] FDA (2019) Statistical review – Zolgensma www.fda.gov/media/128116/download [Zugriff 3.3.2020, der Link führt zu einer zip-Datei, die alle Unterlagen zum Wirkstoff enthält]

[3] Zwischenergebnisse aus noch laufenden Studien an weiteren 17 PatientInnen wurden ergänzend herangezogen.

[4] Salz J (2020) Umstrittene Zolgensma-Aktion Medikamenten-Vergabe per Los: „Das wirkt wie eine Form der Rationierung“. Wirtschaftswoche, 3. Feb. www.wiwo.de/unternehmen/industrie/umstrittene-zolgensma-aktion-medikamenten-vergabe-per-los-das-wirkt-wie-eine-form-der-rationierung/25502410.html [Zugriff 3.3.2020]

[5] Z.B. Welt (2019) Teuerstes Medikament der Welt zugelassen. 25. Mai. www.welt.de/wirtschaft/article194161349/Spinale-Muskelatrophie-Teuerstes-Medikament-der-Welt-zugelassen.html [Zugriff 3.3.2020]

[6] Zeit online (2020) Deutsche Behörden erlauben umstrittene Gentherapieverlosung. 3. Feb. www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-02/spinale-muskelatrophie-zolgensma-verlosung-behandlung-gesundheit [Zugriff 3.3.2020]

[7] G-BA (2017) Nutzenbewertung Nusinersen. www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/298/#nutzenbewertung [Zugriff 3.3.2020]

[8] Durisch P (2020) Rede vor der Novartis-Hauptversammlung. 28. Feb. www.publiceye.ch/en/news/detail/how-dare-you-novartis [Zugriff  3.3.2002]

[9] Frank G (2019) Zolgensma’s Journey from Lab Idea to Gene Therapy for SMA. SMA News Today, 27 May https://smanewstoday.com/2019/05/27/zolgensmas-journey-from-lab-idea-to-gene-therapy-for-sma

[10] Triell M (2019) Ousted Novartis scientist ‘categorically denies’ wrongdoing in data manipulation scandal. CNBC 20 Aug. www.cnbc.com/2019/08/20/ousted-novartis-scientist-denies-wrongdoing-in-data-manipulation-scandal.html

[11] FDA (2019) Statement on data accuracy issues with recently approved gene therapy. 6 Aug. www.fda.gov/news-events/press-announcements/statement-data-accuracy-issues-recently-approved-gene-therapy [Zugriff 7.2.2020]

[12] Novartis (2020) Condensed financial report – supplementary data. www.novartis.com/sites/www.novartis.com/files/2020-01-interim-financial-report-en.pdf [Zugriff 21.2.2020]


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