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Initiativen fordern eine bessere globale Gesundheitsversorgung

Die COVID-19 Pandemie lässt lange existierende Probleme in der globalen Gesundheitsversorgung wie in einem Brennglas erscheinen und gibt kritischen Positionen Aufwind. Zugleich werden für Forschung und Versorgung gewaltige Summen locker gemacht. Das ruft die Zivilgesellschaft auf den Plan und sorgt für intensive Advocacy-Arbeit. Gemeinsam mit ihren Bündnis-Partnern brachte die BUKO Pharma-Kampagne zahlreiche Initiativen auf den Weg.

Allein im Juni war die Pharma-Kampagne an drei öffentlichen Briefen und Aufrufen beteiligt. Die Themen: unvorteilhafte GAVI-Strukturen, industrieller Lobbyeinfluss in Brüssel und das Risiko, das von Sonderklagerechten ausländischer Investoren ausgeht.

Klärungsbedarf bei GAVI

Die Vielfalt und der Umfang von neuen Initiativen, Fördertöpfen und Auffüllungskonferenzen zu COVID-19 ist im Gesundheitsbereich beispiellos. Doch überwiegend fehlt es an klaren und ambitionierten Regelungen, was den globalen Zugang zu Behandlung oder Impfstoffen angeht. Zwei Public-Private Partnerships kommt in der Förderung eine besonders wichtige Rolle zu: der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) und der Impfallianz GAVI. So steuert GAVI etwa die Ausgestaltung von COVAX (COVID-19 Vaccine Global Access).[1] COVAX soll für die Beschaffung und gerechte Verteilung von Impfstoffen sorgen. Es ist eine von mehreren Säulen der globalen Initiative ACT-A, die wiederum nicht nur von WHO und EU getragen wird, sondern auch von Stiftungen und Industrieverbänden (wir berichteten[2]).

Ein erster Aufschlag zur COVAX-Struktur hatte Befürchtungen geweckt, dass die Gelder in den Taschen der Pharma-Industrie landen könnten, ohne dass die Datentransparenz gewährleistet und der Zugang zu Forschungsergebnissen sichergestellt wäre. Ein undurchsichtiger Deal von GAVI mit dem Pharma-Riesen AstraZeneca zu einem möglichen Impfstoff bestärkte diese Sorge zusätzlich. Die BUKO Pharma-Kampagne reagierte gemeinsam mit 44 anderen NGOs und Einzelpersonen. Am 23. Juni – im Vorfeld eines GAVI-Treffens – verschickten wir einen offenen Brief an die Mitglieder des GAVI-Vorstands. Wir benannten sieben Kernpunkte für die Ausgestaltung von Covax und machten dabei unmissverständlich deutlich: „Die öffentliche und phi­lanthropische Finanzierung sollte in eine Verteilung effektiver Impfstoffe münden, die als globales öffentliches Gut betrachtet werden: verkauft zum Selbstkostenpreis und frei von Einschränkungen durch Monopole.“

Zugang bei CEPI ungeklärt

CEPI wiederum wird bereits seit Anfang 2019 von zivilgesellschaftlicher Seite unter Beteiligung der Pharma-Kampagne dazu gedrängt, seine Zugangsregelungen endlich wieder strikter zu gestalten (wir berichteten[3]). Bislang bewegte sich das PPP allerdings nicht in eine bessere Richtung – eine Verweigerungshaltung, die sich nun in den Bemühungen gegen COVID-19 ebenfalls rächen könnte.

Gegen die Lobbymacht

Auch zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft formulierte die Pharma-Kampagne gemeinsam mit 58 Organisationen einen offenen Brief.  Tenor des Schreibens: „Drei große Ziele muss die deutsche EU-Ratspräsidentschaft angehen: Die Bewältigung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen, die Beendigung von Ungleichheiten und der Kampf gegen die Klimakrise.“[4]

Die extreme Lobbymacht von Unternehmen und Verbänden in Brüssel ist ein zentrales Hindernis für notwendige Veränderungen in Politikfeldern wie Gesundheit, Land- und Finanzwirtschaft sowie Energie. Es gilt nun aber mutige Reformen voranzureiben, so die UnterstützerInnen, anstatt im Gegenteil unter dem Eindruck der momentanen Entwicklungen Vorgaben aufzuweichen (Stichwort „Coronawashing“). Ein wichtiger Ansatzpunkt dabei ist erhöhte Transparenz, etwa in EU-Gesetzgebungsverfahren, um die Entwicklung von Initiativen direkt zu verfolgen und Positionen nachvollziehen zu können. Damit erhält auch die Forderung nach einem umfassenden Lobbyregister neuen Nachdruck.

Wer hat Angst vor ISDS?

Mit einem weiteren sensiblen Spannungsverhältnis zwischen Politik und Wirtschaft setzte sich ebenfalls im Juni ein offener Brief vom sogenannten Seattle to Brussels Network auseinander. Mittlerweile haben ihn über 650 NGOs und Einzelpersonen, darunter die Pharma-Kampagne, unterzeichnet (Stand vom 27.07.20).[5]

Er ruft Regierungen dazu auf, Staaten vor Klagen durch Investoren zu schützen, die Entschädigungen für die wirtschaftlichen Folgen von Maßnahmen zur COVID-19-Bekämpfung fordern könnten. Sonderklagerechte für ausländische Konzerne (Investor-state dispute settlement/ISDS) sind schon lange ein hochproblematisches Element vieler Handels- und Investitionsabkommen. Ein berühmter Fall war die Klage von Philip Morris gegen Australien wegen Einheitsverpackungen bei Zigaretten. Zwar gewann das Land den Prozess letztlich, blieb aber dennoch auf Kosten von fast 40 Millionen australischen Dollar hängen.  Paradoxerweise war das Verfahren für die Firma selbst deutlich weniger teuer.[6]

Das Schreiben des Seattle to Brussels Network konstatiert: „Bereits in der Vergangenheit kam es in Krisensituationen zu einer Häufung von Klagefällen, wie beispielsweise nach der argentinischen Finanzkrise 2001 oder dem Arabischen Frühling 2011.“ Es steht zu befürchten, dass sich ähnliches im Kontext der weltweiten Pandemie vollziehen könnte, Regierungen müssten entsprechend Gegenmaßnahmen einleiten.  (MK)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.4

[1] MSF et al. (2020) Open letter to Gavi Board Members: Urgent changes to COVAX Facility design required to ensure access to COVID-19 vaccines for all. https://msfaccess.org/open-letter-gavi-board-members-urgent-changes-covax-facility-design-required-ensure-access-covid-19 [Zugriff 27.07.2020]

[2] Pharma-Brief (2020) Wer bleibt außen vor? Zugang zu COVID-19 Produkten noch nicht gesichert. Nr. 5, S. 4

[3] Pharma-Brief (2019) Musterknabe auf Abwegen. Nr. 2, S. 1

[4] Corporate Europa Observatory & Lobby Control (2020) CSO Statement. https://corporateeurope.org/sites/default/files/2020-06/CSO%20statement%2022.6.2020%20FINAL%20DE_0.pdf [Zugriff 24.07.2020]

[5] Seattle to Brussels Network (2020) Offener Brief zu ISDS und COVID-19. http://s2bnetwork.org/offener-brief-zu-isds-und-covid-19/ [Zugriff 27.07.2020]

[6] Ranald F (2019) When even winning is losing. The surprising cost of defeating Philipp Morris over plain packaging. https://theconversation.com/when-even-winning-is-losing-the-surprising-cost-of-defeating-philip-morris-over-plain-packaging-114279 [Zugriff 27.07.2020]


Interview mit Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser

Schwarzkopf SteinhauserDr. med. Dipl.-Ing. Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser ist Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Bis 2019 war er leitender Arzt der Stabsstelle Klinikhygiene an den städtischen Krankenhäusern in München. Derzeit ist er u.a. an einem Projekt des Robert-Koch Instituts zur Resistenzüberwachung in Nigeria beteiligt.

Können bakterielle Erkrankungen in Deutschland in naher Zukunft nicht mehr erfolgreich behandelt werden?

Derzeit muss man sich grundsätzlich keine Sorgen machen, weil bei normalen bakteriellen Erkrankungen im ambulanten Bereich multiresistente Erreger eher selten sind. In der Klinik kann es jedoch durch die dort häufig notwendigen Antibiotikatherapien zur Selektion von multiresistenten Erregern (MRE) kommen. Wenn diese wegen Hygienedefiziten auf andere empfängliche Patienten übertragen werden, sind möglicherweise einzelne Erkrankungen nicht mehr behandelbar. In Krankenhäusern gibt es immer wieder Ausbruchsituationen, dass ein multiresistenter Erreger auf einer Station auf mehrere PatientInnen übertragen wird.

Warum passiert das?

Wesentliche Ursachen dafür sind: Die räumlichen Voraussetzungen, um Übertragungen zu verhindern, sind nicht vorhanden, und zweitens ist die personelle Ausstattung nicht ausreichend, um alle Hygienemaßnahmen einhalten zu können. Eine gute Personalausstattung muss in den Kliniken also gewährleistet werden.

Sind resistente Erreger denn häufig in Deutschland und wann werden sie zum Problem?

Nahrungsmittel können ein Problem sein, besonders Hühnchen-, Puten- und auch Schweinefleisch. Bei Hühnchenfleisch findet man nach verschiedenen Untersuchungen auf bis zu 40% der Proben multirestente Erreger, sowohl Kolibakterien als auch Staphylokokken. Und die können in der Küche, wenn man bei der Zubereitung des Essens nicht gut aufpasst, in den Darm gelangen. Diese Erreger verursachen erstmal keine Infektionen, sie kolonisieren den Darm aber für eine bestimmte Zeit. Wird man aber aus irgendeinem Grund krank, bekommt zum Beispiel einen Harnwegsinfekt, dann können diese multirestenten Erreger selektiert und zum Problem bei einer Infektion werden, die eine Antibiotikatherapie erforderlich macht.

Was bedeutet das genau?

Selektion bedeutet, dass die resistenten Erreger übrig bleiben, wenn man ein Antibiotikum einnimmt. Alle empfindlichen Erreger im Mikrobiom – wir haben ja viele Bakterien im Darm und auf der Haut – werden durch das Antibiotikum abgetötet. Nur die resistenten Erreger finden ideale Bedingungen, sich zu vermehren. Obwohl diese Erreger primär mit der aktuellen Infektion nichts zu tun hatten, können sie die Ursache für die nächste Erkrankung sein.

Um dieses Problem zu erkennen, braucht man ausreichend mikrobiologische Diagnostik, damit die resistenten Erreger nachgewiesen werden können. Dann kann man diese gezielt behandeln. Erst wenn die Panresistenz auftritt, also kein Antibiotika mehr hilft, gibt es keine Behandlungsmöglichkeiten mehr. Das gibt es in Einzelfällen in der Tat schon heute.

Fördert Verschreibungspraxis Resistenzen?

Natürlich. Jede Einnahme von Antibiotika trägt dazu bei, dass resistente Erreger selektiert werden. Und jetzt kommt noch ein ganz wichtiger Punkt dazu: Wenn resistente Bakterien vorhanden sind, dann gibt es Resistenzgene, sogenannte R-Plasmide, die auch auf andere Bakterienstämme übertragbar sind. Dann wirkt dasselbe Antibiotikum auch gegen diese anderen Bakterienstämme nicht mehr, wenn sie zu einer Infektion führen.

Das heißt, ganz andere Bakterien „lernen“ von der Resistenz und können sich besser gegen Antibiotika wehren?

Genau, die Bakterien lernen, Antibiotika zu überleben, sie können fremde Resistenzgene aufnehmen.

Gibt es bestimmte Berufsgruppen, die häufig resistente Erreger tragen?Health E Bakteriennachweis

Ja, beispielsweise Beschäftigte in Tiermastbetrieben, wo viele Antibiotika eingesetzt werden. Wo also nicht ein einzelnes Tier behandelt wird, sondern ganze Herden, besonders Hühnchen, Schweine, Puten. Das sind so die typischen Mastbetriebe und da ist bekannt, dass die Arbeiter dort häufiger mit diesen multiresistenten Erregern kolonisiert sind. Das führt in der Regel nicht zu Erkrankungen, sondern es passiert erst etwas, wenn sie eine klassische Infektion bekommen. Harnwegsinfektionen sind dabei am häufigsten. Oder weil sie wegen anderer Erkrankungen intensivmedizinisch behandelt werden müssen oder eine Krebserkrankung haben. Wenn sie eine Infektion bekommen, ist diese Berufsgruppe schwieriger zu behandeln. Dann braucht man eine schnellen mikrobiologischen Keimnachweis. Weil man sonst nicht weiß, welche Antibiotika noch wirken.

Wir leben in einer sehr vernetzten Welt. Spielt es eine Rolle, dass TouristInnen und Geschäftsleute durch Reisen Resistenzen einschleppen?

Es gibt Daten, die zeigen, dass zum Beispiel in einem Land wie Indien, wo in der Umwelt wesentlich mehr resistente Bakterien vorhanden sind, über Nahrungsmittel resistente Bakterien aufgenommen werden. Wenn man jemanden untersucht, der zum Beispiel vier Wochen in Indien war, findet man zu 30-40% resistente Erreger. Das macht zuerst einmal gar nichts. Wenn die Person aber danach eine Infektion bekommt, dann kann das durchaus problematisch werden.

Der zweite Punkt, der eine Rolle spielt: Wenn man in einem Land wie Türkei, Griechenland oder Indien zum Beispiel wegen einem Herzinfarkt oder einem Unfall auf eine Intensivstation eingeliefert wird, dann wird dort fast immer mit Antibiotika therapiert und die PatientInnen werden mit multiresistenten Erregern kolonisiert. Und bringen diese nach Deutschland zurück.

Können denn Leute, die gesund sind, aber diese Keime in sich tragen, andere anstecken?

Im Normalfall ist das eher unwahrscheinlich, nur wenn sie diese Erreger in größerer Menge ausscheiden. Und dann braucht man auch immer noch einen Empfänger dazu, der eine geschwächte Immunabwehr hat, dessen Mikrobiom z.B. auf Grund einer Antibiotikatherapie zerstört ist. Deshalb ist eine solche Übertragung eher im Krankenhaus möglich und nicht im normalen Alltag.

Was können ÄrztInnen tun, um das Problem zu verringern?

Als allererstes ist die Indikation für eine Therapie mit Antibiotika ganz klar zu stellen, das heißt, nur bei klassischen bakteriellen Infektionen überhaupt ein Antibiotikum zu verordnen. Wir wissen, dass in Deutschland 40-50% der Verordnungen in Arztpraxen nicht notwendig sind. Und das trägt alles zur Selektion von resistenten Erregern bei. Deshalb ist es zwingend erforderlich, in diesem Bereich noch mehr Fortbildungen zu machen.

Was können wir von anderen Ländern lernen?

In Schweden kann ein Großteil der Antibiotika nur verordnet werden, wenn zusätzlich ein Fachexperte die Indikation bestätigt. Das trägt dazu bei, den unnötigen Einsatz zu reduzieren.

Was können PatientInnen beitragen?

Viele glauben ja, dass wenn sie eine Infektion haben, Antibiotika ein Wundermittel sind. Sie wissen meist nicht, dass ein Großteil der Infektionen viral bedingt ist. Das heißt, wenn sie zu einem Arzt gehen, dann muss im Gespräch klargestellt werden, ob überhaupt ein Antibiotikum angezeigt ist. Es gibt viele Möglichkeiten, es besser zu machen: Wenn der Verdacht einer bakteriellen Infektion besteht, erst einmal mit Tests feststellen, ob das wirklich stimmt. Oder der Arzt bespricht mit der Patientin, erst einmal abzuwarten, ob bestimmte Symptome wie zum Beispiel Fieber und Halsschmerzen nicht weggehen. Nur wenn die Symptome bleiben, soll das Rezept eingelöst werden. So kann man rund 30% des Antibiotikaeinsatzes vermeiden.

Es gibt ja seit einigen Jahren in Deutschland die sogenannte DART-Strategie gegen Antibiotikaresistenzen. Reichen die Maßnahmen aus und vor allem werden sie auch umgesetzt?

DART soll helfen, den Antibiotikagebrauch besser zu steuern. Dazu gibt es eine gesetzliche Grundlage, das ist das Infektionsschutzgesetz. Nach § 23 ist festgelegt, dass der Antibiotikaverbrauch nachvollziehbar gemacht werden muss, und dass in ausgewählten Bereichen die Resistenzsituation dokumentiert wird und diese Informationen zusammengebracht werden. Die Hilfsmittel sind alle da, aber in der Umsetzung gibt es noch Nachholbedarf. „Antibiotic Stewardship“ muss daher dringend in allen Kliniken und auch im ambulanten Bereich in Deutschland etabliert werden.

Das Interview führte Jörg Schaaber

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.2

Bild Schwarzkopf-Steinhauser © Jörg Schaaber
Bild Bakteriennachweis © Health-e


Arbeiten unter erschwerten Bedingungen: Jahresbericht 2020

Gesundheitskrisen erzeugen Handlungsdruck. Sie beschleunigen Innova­tionen und eröffnen Chancen für strukturellen Wandel. Das hat die Covid-19-Pandemie schmerzhaft bewiesen. Neben den vielen Schwierigkeiten, die uns das Corona-Jahr auferlegt hat, hat es zugleich auch Visionen und Ziele beflügelt: Die Rufe nach globalen Gesundheitsstrategien, einem gerechten Zugang zu innovativen Forschungsprodukten, nach internationaler und interdisziplinärer Zusammenarbeit wurden 2020 deutlich lauter.

Nicht zuletzt das One-Health-Konzept, das wir mit unserem Projekt zu Antibiotika-Resistenzen stark in den Fokus genommen hatten, gewann plötzlich eine neue Brisanz. Denn der größte Teil neuartiger Infektionskrankheiten stammt – wie auch Covid-19 – vom Tier. Die komplexen Zusammenhänge der Gesundheit von Tier, Mensch und Umwelt in den Blick zu nehmen, ist das Gebot der Stunde. Nur der Schulterschluss verschiedener Bereiche macht es möglich, neu­artige oder auch resistente Krankheitserreger künftig besser eindämmen zu können.Straßentheater Huhn

Beim Thema Covid-19 hat sich die BUKO Pharma-Kampagne energisch für eine globale Sichtweise engagiert. Schon früh thematisierten wir wunde Punkte der Pandemiekontrolle und haben mit dafür gesorgt, dass der weltweite Zugang zu Impfstoffen ein wichtiges Thema in der öffentlichen Debatte wurde. Unsere neue Webseite zu Covid-19 präsentiert inzwischen die zahlreichen Artikel und Meldungen, die wir zum Thema veröffentlicht haben.

HIV: Kein Ende in Sicht!

Auch HIV/Aids stand weiterhin auf unserer Agenda. Denn Stigmatisierung, Kriminalisierung und hohe Preise schließen immer noch viele Menschen von Prävention und Behandlung aus. Unser neuer E-Learning-Kurs zeigt die vielfältigen Probleme mit gut verständlichen Texten und ansprechenden Fallbeispielen auf. Kurze Videos leiten jedes neue Kapitel ein und geben einen guten Überblick über die vielen Facetten des Themas. Der Kurs ging Mitte 2020 online und verzeichnete bis Jahresende erfreulicherweise bereits 732 Nutzungen. Waren Sie schon dort? Ein Besuch der informativen Webseiten lohnt sich und ist auch auf mobilen Endgeräten möglich! Nach Registrierung und Abschluss des kompletten Kurses können Sie ein Zertifikat erwerben.

Resistente Erreger:
Nicht zu stoppen?

Mit einem 64-seitigen Pharma-Brief Spezial zu Antibiotika-Resistenzen veröffentlichten wir im Frühjahr 2020 die Ergebnisse unserer Länderstudie zu Deutschland, Indien, Tansania und Südafrika. Die Broschüre steht in deutscher und englischer Sprache zur Verfügung. Sie liefert Daten zur Resistenzlage und beleuchtet die Ursachen und Folgen resistenter Erreger bei Menschen, Tieren und in der Umwelt. Die Länderberichte waren richtungsweisend für die Konzeption einer Präsentation: Unsere 16m2 große Wander­ausstellung „Nicht zu stoppen“ bietet mit Stellwänden, Display-Säulen und Monitoren ungewohnte Perspektiven auf die Resistenz-Problematik in Süd und Nord. Im September wurde sie in Steinfurt erstmals öffentlich gezeigt, alle anderen Termine mussten jedoch wegen Covid-19 ausfallen. Sobald es die Infektionslage zulässt, wollen wir die Ausstellung 2021 erneut auf die Reise schicken.

Unsere gleichnamige Online-Ausstellung in völlig anderer Form ging im Oktober 2020 erfolgreich an den Start. Sie integriert zahlreiche Kurzfilme mit authentischen Berichten aus verschiedensten Teilen der Welt. Schauen Sie rein und geben Sie uns Ihr Feedback!

Viel Theater mit Corona

49 Auftritte, viel Sonnenschein und über 2.000 ZuschauerInnen machten unsere Theatertournee zu Antibiotika-Resistenzen trotz erschwerter Bedingungen zum vollen Erfolg. Die SchauspielerInnen überzeugten mit einem überwiegend pantomimischen Maskentheater. Doch nicht nur hier machte uns die Corona-Pandemie bzw. der erhebliche Mehraufwand zu schaffen. Mehr als ein Dutzend Veranstaltungen, die wir allein oder gemeinsam mit anderen Akteuren vorbereitet hatten, mussten entfallen oder verschoben werden. Andere Aktivitäten wurden komplett neu geplant oder abgewandelt, um sie Covid-19 kompatibel zu machen. All das kostete viel zusätzliche Mühe.Abstand halten Hinweis

Viel Gehör gefunden

Trotzdem haben MitarbeiterInnen der Kampagne – digitaler Technik sei Dank – an über 50 Veranstaltungen teilgenommen. Die Pharma-Kampagne hat 13 Aufrufe und offene Briefe unterstützt und zudem eine äußerst erfolgreiche Pressearbeit geleistet: 51 JournalistInnen gaben wir Auskunft und insgesamt 65 Medienberichte thematisierten unsere Arbeit. Beeindruckend ist dabei die Bandbreite der Themen und Presseorgane: So führten wir Hintergrundgespräche mit Redakteuren des Spiegels, von ARD und ARTE zu diversen Themen mit Pharmabezug. Über die fehlende Transparenz bei klinischen Studien berichtete der Süddeutsche Rundfunk, das Deutsche Ärzteblatt, die Süddeutsche Zeitung und die Deutsche Apotheker Zeitung. Selbst die Apotheken-Umschau widmete der Thematik einen zweiseitigen Artikel.

Corona: Vernachlässigte Aspekte

Einen besonderen Schwerpunkt unserer Pressearbeit bildete gezwungenermaßen die Covid-19-Pandemie. Die Pharma-Kampagne veröffentlichte hierzu drei eigene Pressemitteilungen und über 100 Beiträge in sozialen Medien. Immer wieder war unsere kritische Einschätzung und Stellungnahme gefragt. Dem Evangelischen Pressedienst, Frontal 21, Report München oder auch dem NDR lieferten wir z.B. Hintergründe zur Covid-19-Forschung. Dem ARD Mittagsmagazin gaben wir Auskunft zu den Akteuren in der Pharmaforschung. Häufig kreisten Pressegespräche um Hürden des globalen Zugangs zu Impfstoffen, etwa bei WDR 5 oder der Deutschen Welle. Beiträge mit O-Tönen der Pharma-Kampagne brachten außerdem The Nation/USA, Times of Oman, Deutschlandfunk, Neues Deutschland oder die Zeitschrift Weltsichten.

Berichterstattung rund um unser Projekt zu Antibiotika-Resistenzen gab es besonders im Zeitraum unserer Theatertournee, die der Problematik größere Aufmerksamkeit verschaffte. Selbst in der Tagesschau kam die Pharma-Kampagne zu diesem Thema zu Wort.

Daneben waren auch hohe Preise für Krebsmedikamente ein Arbeitsbereich mit guter Presseresonanz: Das ARD Fernsehen plant dazu einen längeren Sendebeitrag und führte ein Interview mit Jörg Schaaber. Der FAZ lieferten wir Informationen und Zitate für den Artikel „Heilung um jeden Preis“.

Was gibt’s Neues?

Im vergangenen Jahr haben wir uns an die Suchmaschinen-Optimierung unserer Website herangetastet und werden hier auch 2021 am Ball bleiben. Unter anderem wird es demnächst größere Veränderungen auf unserer Startseite geben. Sie dürfen gespannt sein…

Und auch beim Pharma-Brief gibt es positive Neuerungen: Ende 2020 haben wir mit der Digitalisierung unserer Pharma-Brief-Artikel begonnen. Seit Ausgabe 7/2020 stehen nun alle Artikel auch einzeln online. Sie müssen nicht mehr umständlich eine PDF öffnen und bis zum gesuchten Beitrag blättern. Auch können die Beiträge nun leichter über Suchmaschinen gefunden oder von anderen Akteuren verlinkt werden. Für unsere Arbeit ist das ein großer Gewinn. Wir arbeiten daran, auch ältere Artikel nach und nach einfacher zugänglich zu machen.

Ohne die Unterstützung durch unsere Spenderinnen und Spender hätten wir all das nicht stemmen können! Auch die schnelle und unbürokratische Umwidmung von Geldern durch die Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW hat sehr dazu beigetragen, dass wir unsere Projekte in diesem schwierigen Jahr erfolgreich durchführen konnten. Ein großes Dankeschön an alle, die unsere Arbeit kontinuierlich fördern und damit Veränderung möglich machen!  (CJ)

Artikel aus Pharma-Brief 1/2021, S. 6

Bilder © Claudia Jenkes


Strafen für Big Pharma in den USA

Illegale Aktivitäten gehören offensichtlich zum Geschäftsmodell großer Pharmafirmen. 85% der 26 größten Firmen mussten über einen Zeitraum von 14 Jahren Strafzahlungen leisten, die meisten gleich mehrfach.[1]

Die Zahlen für den Zeitraum 2003-2016, die drei WissenschaftlerInnen aus den USA zusammentrugen, sind beeindruckend.[2] Doppelter Spit­zenreiter war die Firma GlaxoSmithKline mit 27 Verstößen und knapp 10 Milliarden US$ an Strafen. Dennoch machten die Bußen nur 1,55% des Firmenumsatzes im gleichen Zeitraum aus. Unter den 22 Firmen, die es mit dem Gesetz nicht so genau nahmen, finden sich auch zwei Firmen mit Sitz in Deutschland: Bayer mit 13 Verstößen und 603 Mio. US$ Bußgeldern sowie Boehringer Ingelheim mit 7 Verstößen und 416 Mio. US$ Bußen.

Dollarscheine vitph iStockHäufigster Grund für Gerichtsverfahren waren überhöhte Preise für Medikamente, die durch staatliche Programme finanziert wurden (78 Fälle). 50 Verfahren richteten sich gegen Vermarktung für nicht zugelassene Indikationen. Schmiergelder (Kickbacks) zur Umsatzsteigerung (33) und irreführende Vermarktungspraktiken (32) kamen etwa gleich häufig vor. Je 21-mal führten das Verschweigen von negativen Informationen und Umweltvergehen zu Verfahren, die in Bußgelder mündeten. Weitere Gründe waren Bestechung (9), Finanzvergehen (Steuerbetrug oder Insiderhandel, 7-mal) sowie fünf Fälle von Qualitätsmängeln oder der Verkauf von nicht zugelassenen Produkten.

Die Verstöße waren meist kein kurzer Fehltritt, im Mittel dauerten sie je nach Firma zwischen 4 und 11 Jahre an. Einzige Ausnahme war Perrigo, die nur einen Verstoß zu verzeichnen hatte, der sich über ein Jahr erstreckte.

Nur bei vier Firmen machten die Bußen mehr als 1% des Umsatzes aus, Spitzenreiter mit 2,05% war Schering-Plough.[3]Angesichts von wiederholten Verstößen gegen gesetzliche Regeln drängt sich der Verdacht auf, dass Strafen einfach eingepreist werden. Schon seit einiger Zeit gibt es in den USA deshalb die Forderung, die Bußen zu erhöhen und schwere Verstöße mit Haftstrafen für die verantwortlichen ManagerInnen zu belegen.  (JS)

Artikel aus Pharma-Brief 1/2021, S. 5

Bild Dollarscheine © vitpho/iStock

[1] Bei vier Firmen wurden im untersuchten Zeitraum keine Verstöße gefunden: Biogen Idec, Celgene, Gilead Sciences und Hospira.

[2] Arnold DG et al. (2020) Financial Penalties Imposed on Large Pharmaceutical Firms for Illegal Activities JAMA; 324, p 1995

[3] Inzwischen von Merck &Co aufgekauft.


„Institute for Health Metrics and Evaluation“ in der Kritik

Für effektive Gesundheitsinterventionen sind verlässliche Daten über Krankheitshäufigkeit und -verbreitung enorm wichtig. Dass mit dem Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) eine private Einrichtung zum globalen Meinungsführer wurde, ist nicht unproblematisch.

Die internationale Sammlung von Daten zur gesundheitlichen Lage der Welt ist eigentlich bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verortet. Ausgerechnet zwei ehemalige Mitarbeiter der WHO, Christopher J L Murray und Alan D Lopez, gründeten das IHME.[1] Sie begründeten ihren Schritt mit einer ausdrücklichen Kritik an der Zuverlässigkeit der von der WHO gesammelten Daten: Diese seien manipulationsanfällig, weil die Mitgliedsstaaten öfters versuchten, ihre gesundheitliche Lage rosiger darzustellen als sie in Wirklichkeit sei.[2] Auch wenn das nicht völlig von der Hand zu weisen ist, bleibt die Frage, ob die Privatisierung dieser öffentlichen Aufgabe die beste Lösung ist.

2007 wurde das IHME mit massiver Unterstützung der Bill und Melinda Gates Foundation aus der Taufe gehoben. Es ist an der University of Washington in Seattle, USA, angesiedelt. Zentrales Projekt: Die Global Burden of Disease Study, die versucht, die Krankheitslast auf der Welt möglichst genau zu erfassen und sich nicht auf die Zählung von Todesfällen zu beschränken. Das war allerdings nichts Neues. Ursprünglich war die systematische Erfassung der Global Burden of Disease (GBD) ein Konzept, das von der Weltbank in den 1990er-Jahren gemeinsam mit der WHO – unter Beteiligung von Murray – vorangetrieben wurde. Die WHO veröffentlicht Daten zur weltweiten Krankheitslast seit dem Berichtsjahr 2000. [3],[4]

Das IHME publizierte seine erste Global Burden of Disease Study 2012. Das war durchaus als Konkurrenz zur WHO zu verstehen. Die WHO hielt die Ergebnisse dieser Studie teils nicht für vertrauenswürdig, weil sie die Informationen zur Methodik für unzureichend hielt.[4] Inzwischen gelten die Publikationen des IHME als Standard für globale Gesundheitsdaten – und die WHO wurde an den Rand gedrängt. Seit 2018 kooperiert die WHO mit dem Institut.[1] Allein von der Gates-Stiftung hat das IHME über die Jahre über 600 Millionen US$ an Förderung erhalten.

Tim Schwab fasste die Kritik am IHME kürzlich in „The Nation“ prägnant zusammen.[5] Zwar sei es lobenswert, zu besseren Daten kommen zu wollen, aber das IHME nutze teils schwer nachvollziehbare Methoden, um fehlende Daten durch Simulationen zu ersetzen. Da die Ergebnisse des IHME aber zunehmend als Basis für Entscheidungen staatlicher und privater Träger über den Einsatz von Geldern für die Gesundheitsversorgung dienen, sei das nicht unproblematisch.

Win-win für wen?

Durch die Kooperation mit der angesehenen Medizinzeitschrift Lancet beim Global Burden of Disease Report prägt das IHME immer stärker den öffentlichen Diskurs. Dabei sind sowohl das Institut als auch die Verleger des Lancet Gewinner. Durch zahlreiche Artikel des IHME in der Fachzeitschrift, die häufig zitiert werden, steigert sich der „Impact Factor“ des Lancet.

2019 erhielt der Herausgeber des Lancet, Richard Horton, den mit 100.000 US$ dotierten Roux-Preis des IHME. Ein Mitarbeiter des Instituts klagte in einer internen E-Mail: „Ich würde gerne verstehen, was der langfristige Denkprozess für die Verleihung des Preises an Horton war. Wie sollen wir als MitarbeiterInnen diese Entscheidung verteidigen, wenn uns vorgeworfen wird, dass wir uns beim Lancet eingekauft haben, statt dass unsere Artikel wegen der Qualität unserer Arbeit veröffentlicht werden?“[5]

Nicht wenige WissenschaftlerInnen beklagen eine Hegemonie des IHME bei der Erfassung und Interpretation von internationalen Gesundheitsdaten.

Alle seriösen Fachzeitschriften in der Medizin verlangen eine Offenlegung von Interessenkonflikten. Das IHME scheint es damit nicht so genau zu nehmen. Dass das Institut 2018 über drei Millionen US$ von der Pharmaindustrie kassiert hat, taucht unter den Artikeln des Instituts nicht auf.[5]

Dass das IHME tatsächlich nicht immer richtig liegt, zeigte sich zu Beginn der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020. Die weit in die Zukunft reichenden Prognosen für den Verlauf enthielten eine deutliche Unterschätzung der Erkrankungszahlen. Sie dienten dem damaligen US-Präsidenten Trump als Rechtfertigung, keine einschneidenden Maßnahmen zu veranlassen.[5]  (JS)

 Artikel aus Pharma-Brief 1/2021, S. 4

[1] Shiffman J and Shawar YR (2020) Strengthening accountability of the global health metrics enterprise. Lancet; 395, p 1452 https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)30416-5

[2] Murray CJL et al. (2004) Monitoring global health: time for new solutions Christopher J L, Alan D, Suwit BMJ; 329, p 1096

[3] WHO (2021) Global Health Estimates (GHE) www.who.int/healthinfo/global_burden_disease/en/  

[4] WHO (2017) WHO methods and data sources for global burden of disease estimates 2000-2015. www.who.int/healthinfo/global_burden_disease/GlobalDALYmethods_2000_2015.pdf

[5] Schwab T (2020) Are Bill Gates’s Billions Distorting Public Health Data? The Nation, 6 Dec. www.thenation.com/article/society/gates-covid-data-ihme [Zugriff 24.1.2021]


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