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Wissensstand noch unbefriedigend

BioNTech COVID 19 Vaccine 22Mehrere Impfstoffe gegen Covid-19 stehen kurz vor der Zulassung oder haben schon eine Notfallzulassung erhalten. Aber was wissen wir überhaupt über Nutzen und Risiken?

Die Medien berichten über eine hohe Wirksamkeit der Impfstoffe von 90% und mehr.[1],[2] Die Meldungen suggerieren, dass damit die Verhinderung schwerer Erkrankungen und die Unterbrechung der Übertragung von Covid-19 gemeint sind. Das ist ein Missverständnis, vermutlich ausgelöst dadurch, dass die kursierenden Zahlen im Wesentlichen auf kurzen Pressemitteilungen der Hersteller beruhten, nicht aber auf unabhängig begutachteten wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die Impfstoffe.

Was gemessen wird

Nach erheblichem Druck von WissenschaftlerInnen haben vier Impfstoffhersteller[3] ihre Studienprotokolle öffentlich gemacht. Deshalb kann man genau sehen, was tatsächlich geprüft wird. Peter Doshi, Mitherausgeber des British Medical Journal (BMJ) hat die Protokolle durchgesehen. Seine Schlussfolgerung: „Keine der Impfstudien ist so angelegt, dass sie eine signifikante Verringerung der Krankenhauseinweisungen, der Aufnahmen in die Intensivstation oder der Todesfälle entdecken kann.“[4] Als ausreichendes Kriterium für den Erfolg der Impfung gilt eine Reduktion des Auftretens von Symptomen wie Husten und Fieber, verbunden mit einem Labornachweis von Covid-19. Die Schwere der Erkrankung spielt


Konflikte in der Welthandelsorganisation um geistige Eigentumsrechte

Die Covid-19-Pandemie hat bestehende Konflikte innerhalb der WTO verschärft. Das zeigen jüngste interne Diskussionsprozesse rund um das Thema geistige Eigentumsrechte. Das zähe Ringen um die neue Führung der Organisation erschwert die Situation.

Die Kämpfe um einen angemessenen Zugang zu medizinischer Versorgung weltweit entscheiden sich nicht zuletzt auf den Fluren der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf. Eine Betrachterin zog dabei die anschauliche Parallele, die Zugangsdebatte sei dort wie ein brodelnder Vulkan, der ab und an ausbreche.[1] Die globale Covid-19-Pandemie sorgte zuletzt gleich mehrfach für Eruptionen.

Pharmacie in Paulista Avenue CC Wilfredor klein

Indien und Südafrika preschen vor

Am 15. und 16. Oktober tagte das u.a. für Patente zuständige TRIPS Council[2] der WTO. Bereits am 2. Oktober hatten Indien und Südafrika einen vielbeachteten Vorschlag eingebracht, zeitweilig für alle Produkte, die zur Vorbeugung, Eindämmung und Behandlung von Covid-19 notwendig sind, den Schutz geistigen Eigentums (Intellectual Property/IP) auszusetzen.[3] In der Sprache der Organisation heißt so eine Ausnahmeregelung „Waiver“. 1994 war im sogenannten Marrakesch-Abkommen festgelegt worden, dass Staaten unter besonderen Umständen spezielle Ausnahmeregelungen beantragen können.

Hauptargument von Indien und Südafrika bei dem Vorstoß war, dass IP die Fähigkeit von Staaten verringere, die Versorgung mit Impfstoffen aber auch Medizinprodukten sicherzustellen, die zur Bekämpfung von Covid-19 notwendig sind. Haupthindernis sind Patente auf Wirkstoffe und Technologien. Aber auch der Verwertungsschutz für klinische Daten aus Studien kann den Zugang erschweren. Der Waiver soll den WTO-Mitgliedern ermöglichen, den Schutz geistigen Eigentums in derlei Fällen zeitlich befristet auszusetzen. Er soll solange gelten, bis weltweite Impfkampagnen gegen das Virus durchgeführt und weitreichende Immunität erzielt wurde.

Kenia und Eswatini (Swasiland) traten als Co-Sponsoren der Initiative auf. Darüber hinaus setzten sich wichtige UN-Akteure offen dafür ein. UNAIDS-Direktorin Winnie Byanyima ließ etwa verlauten, man dürfe nicht die Fehler der frühen Jahre im Kampf gegen Aids wiederholen. Damals hätte man in reichen Ländern gesunden können, während in ärmeren Ländern Millionen Menschen keine Behandlung erhielten.[4] Auch die Weltgesundheitsorganisation begrüßte den Vorschlag für einen Waiver.[5]

Im Vorfeld der Verhandlungen gab es zudem eine breite zivilgesellschaftliche Unterstützung dafür. So forderten 379 NGOs aus aller Welt, darunter auch die BUKO Pharma-Kampagne, in einem offenen Brief alle WTO-Mitglieder auf, dem eingebrachten Text zuzustimmen.[6]

Gespaltene WTO

Nach mehrstündiger Debatte im TRIPS Council zeichnete sich jedoch kein ausreichender  Konsens für die Annahme des Vorschlags ab. Dafür stimmten die Gruppen der afrikanischen Länder und der „am wenigsten entwickelten Länder“ (LDC), aber auch Pakistan, Indonesien, Argentinien und weitere Nationen. Dagegen sprachen sich sowohl die EU als auch die USA aus, zudem u.a. noch Großbritannien, Kanada und Brasilien. Eine größere Gruppe von Staaten wiederum signalisierte Unterstützung, bat aber um Zeit für einen Austausch über Details. Hierzu zählten etwa China, Ecuador und Nigeria.[7]

Nach WTO-Reglement hat das TRIPS Council bis 31. Dezember Zeit, über seinen Report zu der Initiative zu entscheiden. Allerdings wird das Thema wohl bereits deutlich vorher in inoffiziellen Austauschen diskutiert werden. Der finale Bericht geht laut Reglement an die höchste Ebene, die WTO Ministerialkonferenz. Deren nächstes offizielles Treffen stände nach aktueller Planung erst im Juni 2021 in Kasachstan an. Bis dahin wird ihre Funktion jedoch vom General Council übernommen.

TRIPS zum Zweiten

Im Schatten des Ringens um die von Indien und Südafrika eingebrachten Ausnahmen wegen Covid-19 stand eine zweite wichtige TRIPS-Entscheidung: Eine Verlängerung des generellen Waivers für die ärmsten Länder der Welt, die die TRIPS-Regeln noch nicht anwenden müssen. Der Tschad hatte für die sogenannten LDC die Forderung eingebracht, ihre festgelegte Transitionsphase bis zur vollständigen Übernahme der TRIPS-Regelungen zu verlängern. Dies war in der Vergangenheit zwei Mal gewährt worden, derzeit läuft die Frist nur noch bis 1. Juli 2021.[8]

Die Länder verlangen, dass sie IP-Rechte solange nicht beachten müssen wie sie ihren Status als LDC behalten. Darüber hinaus möchten sie anschließend eine Übergangsfrist von 12 Jahren, bis sie die TRIPS-Regeln vollständig umsetzen.[9] Denn durch die wirtschaftlichen, finanziellen und administrativen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie würde den LDCs die Umsetzung deutlich erschwert, so der Tschad. Bangladesch untermauerte diese Ausführungen mit Aussagen aus einem UNCTAD10[10]-Bericht von 2016, der feststellte, dass LDCs, die ihren Status überwinden, noch lange nicht in der Lage sind, wirtschaftlich mit deutlich reicheren Ländern mitzuhalten und deshalb noch Sonderregeln brauchen.[11]

Für diesen Vorstoß Tschads kam auf der Council-Sitzung ebenfalls noch keine ausreichende Mehrheit zustande. Allerdings signalisierten in diesem Falle zumindest auch viele reiche Länder aus dem globalen Norden mögliche Unterstützung. Die LDCs wurden angeregt, weitere Informationen bereitzustellen und zeitnah einen Konsens herbeizuführen.[12]

Viele schlechte Argumente

Der Waiver zu IP und die LDC-Initiative weisen auf das gleiche Problem hin: IP-Rechte erschweren den Zugang zu Arzneimitteln. Dies erklärt auch, warum Argumente der Gegenseite – fast ausschließlich reiche Staaten – in beiden Fällen ähnlich klangen.

Mantra-artig wurde etwa wiederholt, IP sei nicht das Problem und kein Hemmschuh im Kampf gegen Covid-19. Zudem beständen mit den existierenden TRIPS-Flexibilitäten – also den Ausnahmeregeln zum Schutz der öffentlichen Gesundheit (Zwangslizenzen u.a.) – bereits wirksame Instru­mente für Härtefalle. Beide Punkte machte z.B. die EU in ihrem Statement gegen den Waiver von Indien und Südafrika geltend. Man darf davon ausgehen, dass dies unter starkem deutschen Einfluss geschah.[13]

Ein näherer Blick offenbart aber ein ziemlich anderes Bild der Lage. Tatsächlich hat sich in den vergangenen Monaten bereits mehrfach gezeigt, dass IP-Rechte Hindernisse in der Covid-19-Bekämpfung darstellen können, von medizinischer Schutzkleidung (PPE) über Bauteile von Ventilatoren zur Beatmung bis hin zu Medikamenten.[14]Gerade im Bereich der Impfstoff-Forschung und -Produktion wächst zudem die Sorge vor einem unübersichtlichen Patent-Dickicht. Hervorzuheben ist außerdem, dass die meisten Patente bezüglich Covid-19 überhaupt erst in den kommenden Monaten lanciert werden dürften.

Auch das Argument, dass der Verzicht auf Patente wenig hilfreich sei, wenn technisches Knowhow und Produktionskapazitäten fehlten, spricht nicht dafür, IP als Problem auszuschließen. Ganz im Gegenteil, es spricht lediglich für flankierenden Technologietransfer und die Verbesserung von Daten-Austausch und -Transparenz. Und auch hier stellt IP ein erhebliches Hindernis dar.

Die Behauptung, dass Maßnahmen wie der Waiver sich negativ auf die Innovationsbereitschaft der Industrie auswirken könnten, ist in einer Situation beispielloser staatlicher Geldausschüttungen an die Pharmaindustrie mit sehr schwachen Accountability-Vorgaben geradezu grotesk. Und auch das Vertrauen darauf, dass sich die Industrie angesichts einer extremen globalen Notlage am Allgemeinwohl orientiert, ist fehl am Platz. Für die großen Pharma-Akteure standen Profite, ob bei HIV, Hepatitis C, ­Diabetes oder Krebs, stets über dem Wohl der PatientInnen – warum sollte das nun plötzlich anders sein?

Mangelhafte Alternativen

Der Waiver von Indien und Südafrika zielt darauf, dass betroffene Länder schnelle Schritte zur Beschaffung von benötigten Produkten einleiten können statt auf Zwangslizenzen zu setzen. Denn diese erfordern zeitraubende und komplizierte „Von Fall zu Fall“-Entscheidungen. In der Vergangenheit wurden Zwangslizenzen deshalb selten wahrgenommen, obwohl sie ein im TRIPS-Abkommen verbrieftes Recht sind. Die Regierung eines Landes kann im Fall eines Gesundheitsnotstands dringend benötigte Arzneimittel unter einer Zwangslizenz generisch produzieren lassen. Der Patentinhaber kassiert lediglich eine Gebühr. Doch die begründete Sorge, dass Länder mit großen Pharmakonzernen unter Lobby-Druck mit „Vergeltungsmaßnahmen“ reagieren, sorgte für Zurückhaltung. Als zum Beispiel vor wenigen Jahren Kolumbien laut über eine Zwangslizenz für das Krebsmittel Imatinib (Glivec©) nachdachte, hatte das zur Folge, dass die USA und die Schweiz schwere diplomatische Geschütze auffuhren: Der OECD-Beitritt Kolumbiens wurde in Frage gestellt, Kürzungen von Militärhilfen und die mögliche Aufnahme eines internationalen Schiedsgerichtsverfahrens angedroht.[15]

Nun ließe sich einwenden, dass doch erst kürzlich neue, freiwillige Strukturen geschaffen wurden, um bspw. zukünftige Covid-19-Impfstoffe besser global verteilen zu können: die COVAX-Fazilität und C-TAP (wir berichteten[16]). Beide führen aber aus unterschiedlichen Gründen derzeit nicht zum Ziel.

Südafrika bezeichnete COVAX in seinem Statement zum Waiver als ungenügend, da begrenzt im Ansatz und kurzfristig ausgerichtet.[17]Weder werden perspektivisch ausreichende Mengen von Impfstoffen bereitgestellt noch profitieren Länder mittleren Einkommens, die zu arm sind, um die Impfstoffe selbst zu bezahlen. Die Fazilität ist zudem ein reiner Verteilungsmechanismus, ohne Transfer von Eigentumsrechten oder Technologie.

C-TAP bietet dem gegenüber eine umfangreichere und nachhaltigere Perspektive: Patente sollen in einen bei der WHO angesiedelten Pool eingebracht werden, Wissens- und Technologietransfer soll gezielt gefördert werden. Die WHO hat das Projekt bislang jedoch nur zögerlich ausgerollt. Kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft führen dies auch auf den hemmenden Einfluss der Gates-Stiftung zurück, die sich intensiv für COVAX einsetzt. Lediglich vierzig Staaten haben sich bislang zu C-TAP bekannt,[18]Deutschland ignoriert die Option hartnäckig. Des Weiteren schlägt dem Vorhaben deutliche Ablehnung aus der Pharma-Industrie entgegen, noch kein einziger Hersteller hat sich konkret interessiert gezeigt.[19] Es ist also nicht verwunderlich, dass gerade ärmere Länder mit dem WTO-Waiver nach anderen Hebeln suchen.

Zweikampf um die Führung

Inmitten dieser Spannungen erschwert ein weiterer Faktor die Entscheidungsfindung innerhalb der WTO: Die Organisation befindet sich auf den letzten Metern ihrer Entscheidung über eine neue Führung. Dabei stehen sich noch zwei Kandidatinnen gegenüber.

Als Favoritin gilt die Vorsitzende des GAVI-Vorstandes Ngozi Okonjo-Iweala, früher u.a. Finanzministerin Nigerias. Trotz sehr breiter Unterstützung für diese Kandidatin machen die USA stattdessen ihren Einfluss für Yoo Myung-hee geltend, früher u.a. Südkoreas Handelsministerin. Die WTO setzt auf einen Konsens aller 164 Mitgliedstaaten. Eigentlich wollte das WTO General Council schon am 9.11.2020 über die neue Führung entscheiden, doch wurde dies vertagt.[20] Nach der Wahl könnte sich das US-Verhalten ändern, allerdings wird Joe Biden erst am 20. Januar 2021 vereidigt.

Das Timing für diese Führungsquerelen ist denkbar schlecht. Es wäre misslich, wenn neue Covid-19-Impfstoffe auf den Markt kommen sollten, bevor die WTO eine Entscheidung zum erleichterten Zugang getroffen hat.  (MK)

Artikel aus Pharma-Brief 8-9/2020, S. 9

Bild Medikamente © Wilfredor

[1] Fletcher E (2020) WTO enters Covid pandemic fray with dispute over patent rights. https://genevasolutions.news/global-health/wto-enters-covid-pandemic-fray-with-dispute-over-patent-rights [Zugriff 30.10.2020]

[2] TRIPS: Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights

[3] WTO (2020) Waiver from certain provisions of the TRIPS Agreement for the prevention, containment and treatment of Covid-19. https://docs.wto.org/dol2fe/Pages/SS/directdoc.aspx?filename=q:/IP/C/W669.pdf&Open=True [Zugriff 05.11.2020]

[4] UNAIDS (2020) UNAIDS supports a temporary WTO waiver from certain obligations of the TRIPS Ag-reement in relation to the prevention, containment and treatment of COVID-19. www.unaids.org/en/resources/presscentre/pressreleaseandstatementarchive/2020/october/20201015_waiver-obligations-trips-agreement-covid19 [Zugriff 30.10.2020]

[5] WHO (2020) WHO Director-General’s opening remarks at the media briefing on COVID-19 - 16 October 2020. www.who.int/director-general/speeches/detail/who-director-general-s-opening-remarks-at-the-media-briefing-on-covid-19---16-october-2020 [Zugriff 30.10.2020]

[6] Civil Society Letter (2020)  Supporting proposal by India and South Africa on waiver from certain provisi-ons of the TRIPS agreement for the prevention, containment and treatment of Covid-19. https://msfaccess.org/civil-society-wto-members-support-india-and-south-africas-proposal-waiver-ip-protections-covid-19 [Zugriff 5.11.2020]

[7] Business Today (2020) No consensus on India-South Africa´s WTO proposal to waive off patent rights for Covid-19 innovations. www.businesstoday.in/current/economy-politics/no-consensus-on-india-south-africas-wto-proposal-to-waive-off-patent-rights-for-covid-19-innovation/story/419292.html [Zugriff 30.10.2020]

[8] WTO (2020) Members discuss intellectual property response to the COVID-19 pandemic. https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/trip_20oct20_e.htm  [Zugriff 01.11.2020]

[9] WTO(2020) Extension of the transition period under TRIPS article 66.1 for least developed country members. 1 Oct. IP/C/W/668

[10] United Nations Conference on Trade and Development

[11] South Centre (2020) WTO TRIPS Council discusses major proposals from developing and least develo-ped countries for waiving certain TRIPS obligations and extension of transition period for LDCs. https://us5.campaign-archive.com/?u=fa9cf38799136b5660f367ba6&id=a9b27dc5a8 [Zugriff 01.11.2020]

[12] WTO (2020) Members discuss intellectual property response to the COVID-19 pandemic. www.wto.org/english/news_e/news20_e/trip_20oct20_e.htm [Zugriff 1.11.2020]

[13] Pharmabiz.com (2020) Fate of joint proposal of SA & India seeking waiver of patents for COVID-19 me-dical supplies hangs in balance. www.pharmabiz.com/NewsDetails.aspx?aid=132985&sid=1 [Zugriff 30.10.2020]

[14] MSF (2020) India and South Africa proposal for WTO waiver from intellectual property protections for COVID-19-related medical technologies Briefing Document. https://msfaccess.org/india-and-south-africa-proposal-wto-waiver-ip-protections-covid-19-related-medical-technologies [Zugriff 30.10.2020]

[15] Weiß S (2019) Streit um Patente: Fortsetzung folgt. Welt-Sichten 25. Mai www.welt-sichten.org/artikel/36154/streit-um-patente-fortsetzung-folgt [Zugriff 30.20.2020]

[16] Pharma-Brief (2020) Wer bleibt außen vor? Nr. 5. S. 4 https://bukopharma.de/images/pharmabrief/2020/Phbf2020_05.pdf [Zugriff 30.10.2020]

[17] Third World Network (2020) South Africa, India strongly rebut arguments against TRIPS waiver. www.twn.my/title2/wto.info/2020/ti201021.htm [Zugriff 1.11.2020]

[18] WHO (2020) Endorsements of the Solidarity Call to Action. www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/global-research-on-novel-coronavirus-2019-ncov/covid-19-technology-access-pool/endorsements-of-the-solidarity-call-to-action [Zugriff 01.11.2020]

[19] Health Gap (2020) South Africa and India’s Proposal to Waive Recognition and Enforcement of Intellec-tual Property Rights for COVID-19 Medical Technologies Deserves Universal Support, But Countries Also Have to Take Domestic Measures. https://healthgap.org/south-africa-and-indias-proposal-to-waive-recognition-and-enforcement-of-intellectual-property-rights-for-covid-19-medical-technologies-deserves-universal-support-but-countries-also-have-to/ [Zugriff 01.11.2020]

[20] Partington R (2020) Appointment of WTO chief in doubt after key meeting cancelled. Guardian 8 Nov


„Nicht auf die Gutwilligkeit der Industrie setzen“

Das Ringen zwischen Pharmaindustrie und Industriestaaten, den Ländern des Südens und der Weltgesundheitsorganisation ist in vollem Gange. Anne Jung von medico international sprach darüber mit Jörg Schaaber von der BUKO Pharma-Kampagne.

Anne Jung: Es ist sicherlich nicht zu hoch gegriffen, wenn man sagt, dass die Entwicklung eines Impfstoffes sowie die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Covid-19 ein Weltinteresse darstellen. Und dass der Zugang zu wirksamen und sicheren Impfstoffen ein ganz wichtiger Beitrag zum Menschenrecht auf den bestmöglichen Zugang zu Gesundheit sein wird. Wenn Milliarden von Steuergeldern weltweit auch an die Pharmaindustrie gegeben werden, mit dem Auftrag einen Impfstoff zu entwickeln, was passiert dann, wenn ein Impfstoff da ist? Wem gehört er, wie wird er verteilt? Und wer bekommt ihn zuerst?

Ja, das ist die entscheidende Frage. Vielleicht sollte man damit einsteigen, dass die Fakten eine andere Sprache sprechen als der Schönsprech von Big Pharma und Politik, dass alle etwas bekommen würden. Die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam hat ermittelt, dass sich die Industrieländer bereits über die Hälfte aller Impfdosen die jetzt potenziell auf den Markt kommen, gesichert haben. Also das heißt, 13 Prozent der Weltbevölkerung haben sich schon den Zugriff auf über die Hälfte aller potenziell in den nächsten Jahren verfügbaren Impfdosen gesichert. Daran sieht man schon, dass das Bild vom Zugang für alle nicht stimmt. Als Erste haben die USA damit angefangen, sich Optionen auf Impfdosen zu sichern. Die Europäische Union hat dann mit kräftiger Beteiligung von Deutschland nachgezogen.


Globale Gesundheitsstrategie der Bundesregierung veröffentlicht

Nach langwierigem Prozess wurde Anfang Oktober das neue Leitdokument für die globale Gesundheitspolitik Deutschlands vorgestellt. Die Strategie gibt sich ambitioniert, doch ein großer Wurf sieht anders aus.

Es war eine schwere Geburt: Nach großer Verzögerung und über zwei Jahren Arbeitsprozess wurde am 7. Oktober die neue „Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit“ vom Kabinett verabschiedet. Sie löst ein Vorgängerdokument von 2013 ab und trägt den Titel „Verantwortung – Innovation – Partnerschaft: Globale Gesundheit gemeinsam gestalten“.[1]

Für die Erarbeitung der 39-seitigen Leitlinie war das Bundeministerium für Gesundheit (BMG) federführend und alle anderen Ressorts wurden konsultiert. Dies ist insofern delikat, als das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zuletzt noch kurz davor war, sämtliche bilaterale Zusammenarbeit zu Gesundheit zu kappen.[2] Zwischen den Häusern hatte es in den letzten Jahren häufiger hörbar geknirscht.

Aus Sicht des BMG liegen die Schwerpunkte der neuen Strategie vor allem auf kohärentem und partnerschaftlichem Handeln sowie der „Priorisierung von Bereichen, in denen Deutschland sein politisches Engagement, seine Expertise und Kompetenzen bestmöglich einsetzen kann.“ So nimmt z.B. das Thema Digitalisierung besonders viel Raum ein und es stellt sich die Frage, ob soziale Gerechtigkeit oder neue Anlagemöglichkeiten im globalen Gesundheitsmarkt hier die treibende Kraft sind.[3]

Agenda 2030 gibt Richtung vor

Handlungsleitend soll die Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung sein. Entsprechend erstrecken sich die Inhalte von Gendergerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit über Universal Health Coverage (UHC), Präventionsstärkung und Klimawandel bis hin zum Schutz humanitärer Hilfe.

Hervorgehoben wird zudem die Bedeutung multilateraler Kooperation, dabei wird gerade die wichtige Rolle der WHO und ihre notwendige (auch finanzielle) Stärkung hervorgehoben. Erfreulich ist, dass der neuen Strategie ein umfassenderes Verständnis von Gesundheit zugrunde liegt und auch soziale Determinanten in den Blick genommen werden.

Doch ein großer Wurf sieht anders aus. Dafür, dass das Dokument eine Art Vision für die kommenden zehn Jahre formulieren soll, liest es sich als erschreckend Status-Quo fixiert und konfliktscheu. „Die Aussagen bleiben an vielen Stellen unkonkret und wenig zukunftsorientiert“, kommentiert Susan Bergner von der Stiftung Wissenschaft und Politik.[4]

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Problem Arzneimittelzugang

Ein plastisches Beispiel dafür sind Hürden beim Zugang zu Arzneimitteln. Dazu zählen hohe Preise, verursacht durch geistige Eigentumsrechte (vor allem Patente), und die Intransparenz von Arzneimittelmärkten.[5]

Zwar formuliert die neue Gesundheitsstrategie, Deutschland werde „sich für kontinuierlichen, gerechten Zugang zu sicheren Impfstoffen, Arzneimitteln, Medizinprodukten und Medizintechnik engagieren.“ In der näheren Erläuterung jedoch heißt es, dabei werde ein „systemorientierter Ansatz verfolgt“, der u.a. „die Qualität der Produktion und Aufbewahrung und die lokale Verfügbarkeit, den gerechten Zugang und die Bezahlbarkeit sowie die Sicherung geistiger Eigentumsrechte“ umfasse.

„Systemorientiert arbeiten“ ist dabei eine rhetorische Nebelkerze. Der Begriff suggeriert, dass Patentprobleme und Preishürden nur ein Teilproblem darstellen und Veränderungen des Systems daher unnötig seien. Die Bezahlbarkeit von Medikamenten und geistige Eigentumsrechte werden dabei nicht einmal als divergierende Interessen bzw. als Zielkonflikt erkannt und in einem Atemzug genannt. Statt klarer Strategien für die Versorgung mit preiswerten unentbehrlichen Medikamenten wird im gleichen Abschnitt der Kampf gegen Medikamentenfälschungen in den Vordergrund gestellt. Das erinnert fatal an Argumente der Pharmaindustrie die suggerieren, nur teure Markenprodukte seien sicher.

Klare Strategien zu einer Umorientierung der Forschung fehlen. Stattdessen werden Produktentwicklungspartnerschaften (PDPs) gepriesen, „weil der Aspekt der Zugangsgerechtigkeit hier von Anfang an mitgedacht wird.“ Bedeutet im Umkehrschluss: Überall sonst im Pharma-Bereich spielt Gerechtigkeit keine Rolle und daran soll sich auch nichts ändern. Die durch den Patentschutz ausgelöste Fehlsteuerung, die nicht nur teure, sondern auch wenig sinnvolle Medikamente hervorbringt, wird nicht einmal erwähnt.

Universelle Versorgung sichern?

Es ließe sich vermuten, dass progressive Forderungen zum Thema Zugang den Spießrutenlauf durch die Ressorts nicht überstanden haben. Es ist aber auch möglich, dass das federführende BMG schlichtweg selbst nicht sehr ambitioniert war. In jedem Falle ist diese eklatante Schieflage keineswegs nebensächlich. Schließlich geraten längst auch Länder des globalen Nordens durch extrem hohe Arzneimittelkosten an ihre Belastungsgrenze. Und eine universelle Gesundheitsversorgung (UHC) wie sie an allen Ecken und Enden in der Gesundheitsstrategie beschworen wird, basiert nicht zuletzt darauf, dass kostengünstige Medikamente, Impfstoffe und Medizinprodukte für alle zur Verfügung stehen, die sie benötigen.[6]

Verantwortung, häppchenweise

Auch antimikrobielle Resistenzen und der One Health-Ansatz sind zentrale Themen des neuen Strategie-Papiers. Die (von Seiten der Politik geförderte) stark auf den Export ausgerichtete deutsche Fleischproduktion und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen durch die Vermarktung von Billigfleisch auf dem Weltmarkt findet dagegen keinerlei Erwähnung. „Beim Schweinefleisch spielen z.B. ostasiatische Länder eine besondere Rolle, weil dorthin Schweineohren, -schwänze und -füße geliefert werden, die in Deutschland keine Verwendung finden. [..] Insbesondere tiefgefrorene Hühnerteile gehen in verschiedene afrikanische Länder.“[7]

Die im Titel der Strategie beschworene Verantwortung wird also höchst selektiv übernommen. Gleiches gilt beim Thema Klimawandel und dessen Folgen für die globale Gesundheit – ein weiterer Fokus des Papiers. Zu wichtigen Treibern des Klimawandels, wie zum Beispiel dem problematischen Schutz der Autoindustrie, findet sich nichts.

Im freien Raum

2025 soll für die Gesundheitsstrategie eine Evaluierung „durch einen ressortübergreifenden Prozess“ erfolgen. Es steht zu hoffen, dass im Zuge dessen auch zivilgesellschaftliche Akteure konsultiert werden. Außerdem stellt sich unweigerlich die Frage, auf welcher belastbaren Basis diese Analyse erfolgen soll. In dem Dokument finden sich dafür nämlich keine konkreten Anhaltspunkte.

Flankierend eine Umsetzungsstrategie zu verabschieden, wäre zielführend gewesen. Sie fehlt jedoch und so steht das neue Dokument nun gleichsam im freien Raum und trägt erste Züge eines Papiertigers. Umso mehr, als es zum klassischen Knackpunkt „Finanzierung“ lediglich heißt: „Die Umsetzung dieser Strategie wird sich in die haushalts- und finanzpolitischen Vorgaben der Bundesregierung einfügen.“  (MK)

Artikel aus dem Pharma-Brief 8-9/2020, S.4

[1] Bundesministerium für Gesundheit (2020) Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Broschueren/GlobaleGesundheitsstrategie_Web.pdf [Zugriff 22.10.2020]

[2] Welt-Sichten (2020) Gesundheitsstrategie im Zeichen von Corona. www.welt-sichten.org/artikel/38262/gesundheitsstrategie-im-zeichen-von-corona [Zugriff 23.10.2020]

[3] Deutsche Plattform für Globale Gesundheit (2019) Digitalisierung im Gesundheitswesen. Ein Wundermittel auf dem Weg zur Gesundheit für alle? www.plattformglobalegesundheit.de/wp-content/uploads/2019/07/DPGG_peter_grabitz.pdf [Zugriff 23.10.2020]

[4] Bergner S (2020) Startschuss für die neue globale Gesundheitsstrategie Deutschlands. www.swp-berlin.org/publikation/startschuss-fuer-die-neue-globale-gesundheitsstrategie-deutschlands/ [Zugriff 23.10.2020]

[5] Brot für die Welt (2016) Medicines, Patents, Access and Innovation. www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Analyse/Analyse_58_Medicine_Patents.pdf [Zugriff 23.10.2020]

[6] Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (2020) Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel im Rahmen der WHO-Spenden-Videokonferenz. www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressestatement-von-bundeskanzlerin-merkel-im-rahmen-der-who-spenden-videokonferenz-1746960 [Zugriff 22.10.2020]

[7] Pharma-Brief (2020) Resistente Erreger. Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt. Spezial Nr. 1.


Interview mit Agrarwissenschaftlerin Prof. Dr. Maria Finckh

Die gesundheitsschädliche Wirkung des Herbizids Glyphosat wurde in den vergangenen Jahren viel diskutiert. Weniger bekannt ist, dass etliche Studien den Unkrautvernichter mit der Verbreitung resistenter Bakterien in Zusammenhang bringen. Der massive und dauerhafte Gebrauch des Mittels könne u.a. Kreuzresistenzen bei wichtigen Antibiotika wie Penizillin und Ciprofloxacin hervorrufen, befürchten WissenschaftlerInnen. Agrarwissenschaftlerin Dr. Finckh gibt dazu Auskunft.

Foto Finckh C Natalia Riemer klein

Prof. Dr. Maria R. Finckh ist Agrarwissenschaftlerin und Fachgebietsleiterin Ökologischer Pflanzenschutz an der Universität Kassel. Seit Jahren forscht sie zu den Risiken des Herbizids Glyphosat für Mensch, Tier und Umwelt und hat diverse wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema publiziert. Unter anderem ist sie Mitautorin der Publikation „Environmental and health effects of the herbicide glyphosate“, die 2018 erschienen ist. Ein internationales Team von Forscherinnen und Forschern unter der Leitung der Pflanzenpathologin Ariena van Bruggen von der University of Florida hatte damals 220 Studien zu Glyphosat ausgewertet. Die Übersichtsarbeit lieferte umfassende Erkenntnisse zu den Risiken von Glyphosat. Die ForscherInnen fanden auch Indizien dafür, dass der massive Einsatz des Herbizids Antibiotika-Resistenzen befördern könnte: „Veränderungen in der mikrobiellen Zusammensetzung – hervorgerufen durch den Selektionsdruck durch Glyphosat – könnten zur Verbreitung pathogener Erreger bei Pflanzen und Tieren beigetragen haben. (...) wir stellen die Hypothese auf, dass der Selektionsdruck für Glyphosat-Resistenzen bei Bakterien die mikrobielle Zusammensetzung verändern und zu Resistenzen gegenüber klinisch wichtigen antibiotischen Wirkstoffen führen könnte.“ Weitere Forschung zur Thematik sei daher dringend geboten.[1]


Hier finden Sie eine separate Auflistung des Pharma-Brief Spezial. Dies sind Sonderausgaben, die sich auf unterschiedliche Themenschwerpunkte konzentrieren.

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