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Einjähriges Bestehen vom C-TAP der WHO

Ursprünglich sollte der Patentpool C-TAP[1] freiwillige Lizenzen und Know-how von Herstellern einholen, um die Produktion von Impfstoffen und Medikamenten global auszuweiten und so die Covid-19-Bekämpfung voranzubringen. Doch das Projekt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) konnte in den letzten zwölf Monaten keine Erfolge vermelden. Nun versucht die Organisation einen Neustart. Denn die Produktion von mehr Impfdosen für den globalen Süden kommt wegen politischer Blockaden nicht voran.

Kurz vor den Sommerferien dreht sich ein gewichtiger Teil der bundesdeutschen Covid-19-Debatte um Urlaubsfragen – mit welchen Einschränkungen in verschiedenen Bundesländern oder dem Ausland zu rechnen ist oder wie es um einen digitalen Impfpass bestellt sein wird. Im krassen Kontrast dazu stehen die Nachrichten aus dem Rest der Welt. So trat etwa Argentinien wegen einer zweiten Welle von Covid-19 bis Monatsende in einen harten Lockdown.[2] Währenddessen meldeten vietnamesische Stellen, man habe eine Mutation entdeckt, die eine Kombination aus Alpha- und Delta-Variante darstelle (ehemals „britische“ bzw. „indische“ Variante).[3] In Indien wiederum eskalierte die epidemiologische Lage derart, dass das Land im April einen vorübergehenden Exportstopp von Covid-19-Impfstoffen verkündete – mit massiven Folgen auch für die Belieferung des afrikanischen Kontinents.[4]

COVAX schwächelt, Waiver stockt

Bis Anfang Mai wurden weltweit insgesamt 1,1 Milliarden Covid-19-Dosen eingesetzt, gerade einmal 0,3% davon wurden in Ländern mit niedrigem Einkommen verimpft.[5] Es passt ins Bild, dass die Verteilungsplattform COVAX, auf die auch die deutsche Regierung primär setzt, weiterhin kaum Wirkung zeigt. Zeitgleich nimmt der Druck auf die Welthandelsorganisation (WTO) zu, den seit Oktober 2020 schwelenden Streit um einen „Patent-Waiver“ (wir berichteten[6]) endlich konstruktiv anzugehen.

Mittlerweile hat die US-Regierung zumindest bezüglich Impfstoffpatenten eine Unterstützung für die Initiative Indiens und Südafrikas zur vorübergehenden Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte für Covid-19-Produkte signalisiert. Dieser Waiver wird von weit über 100 WTO-Mitgliedern direkt oder indirekt getragen. Da zu dieser Gruppe mittlerweile auch China und Russland zählen,[7] steht nun die EU im Fokus: Während die Kommission weiterhin mauert, votierte das europäische Parlament Ende Mai für Ausnahmeregelungen für Covid-19-Impfstoffe.[8] Die Bundesregierung gilt weiterhin als einer der wichtigsten Bremser innerhalb der EU.[9]

Wissenschaft für Waiver

Auch die Stimmen aus der Wissenschaft für den Waiver mehren sich. In Großbritannien konstatierte ein Arbeitspapier der renommierten London School of Economics: „Der TRIPS-Waiver ist in diesem Zusammenhang ein wesentliches Rechtsinstrument, um eine radikale Erhöhung der Produktionskapazitäten und damit des Angebots an COVID-19-Impfstoffen zu ermöglichen und so einen Weg zu einem weltweiten gerechten Zugang zu schaffen.“ [10] Hierzulande argumentierte unter anderem der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) für die WTO-Initiative und wandte sich dabei auch gegen die Mär der Innovationsfeindlichkeit: „Im Gegenteil, der Wettbewerb und damit auch die Innovation würde zunehmen. Zumal die mRNA-Technologie nicht nur als Impfstoff gegen Covid, sondern für viele andere Krankheiten, vor allem Krebs, erforscht wird und erste Erfolge gezeigt hat.“ [11]

Das jüngste TRIPS Council-Meeting der WTO (8./9. Juni) fand erst nach Drucklegung statt. Eines ist allerdings sicher: Für eine global gerechtere Versorgung mit Covid-19-Impfstoffen ist die Ausweitung von Produktionskapazitäten elementar. Dafür ist Technologietransfer und das Teilen von Know-how vonnöten. Denn auch wenn die Herstellung in den kommenden Monaten wohl anziehen wird, bleibt die Versorgungslage global gesehen prekär und der Markt extrem umkämpft.[12]

C-TAP: Trauriger Geburtstag

Um ein wichtiges Instrument für mehr Impfstoff-Produktion war es erstaunlicherweise lange verdächtig still: Den WHO Patentpool für Covid-19, C-TAP. Bereits im Mai 2020 lanciert, beging das Konstrukt zuletzt seinen einjährigen Geburtstag. Grund zum Feiern gab es nicht, denn der Status quo ist niederschmetternd: Auch nach zwölf Monaten haben Hersteller keine einzige Lizenz eingebracht. Die Situation des C-TAP kann damit als sinnbildlich für die dramatische Verschleppung in der globalen Covid-19-Bekämpfung gelten. Obwohl ein Mittelweg zwischen dem strukturellen Ansatz des WTO-Waivers und der eher symbolischen Mildtätigkeit von COVAX,[13] wurde er von Pharmaindustrie und international einflussreichen Staaten (darunter Deutschland) weitestgehend ignoriert. Statt nicht-exklusiven und transparenten Lizenzvereinbarungen, wie C-TAP sie anstrebt,[14] forcieren die reichen Länder angesichts der nicht mehr zu übersehenden globalen Ungerechtigkeiten erst jetzt freiwillige Vereinbarungen zwischen Herstellern und ärmeren Ländern. Doch das ist eine stark limitierte Variante des Zugangs, die zu weiteren Verzögerungen und zu ungerechtfertigt hohen Preisen führt.

Die Schwäche von COVAX und die wachsende Unterstützung für die WTO-Ausnahmeregelung könnten nun allerdings den Blick auf C-TAP neu schärfen. Jedenfalls versucht sich die WHO darin, einen frischen Impuls für die Initiative zu setzen. Eine Pressekonferenz am 28. Mai sollte dabei ein erster Schritt sein.

Gute News nur im Kleinen

In dieser Veranstaltung sprach neben WHO Generaldirektor Thedros Ghebreyesus auch der Präsident Costa-Ricas, Carlos Alvarado Quesada. Das zentralamerikanische Land hatte im vergangenen Jahr den Start von C-TAP maßgeblich mit initiiert. Wer allerdings bei der Wiederbelebung des Projekts auf große Schlagzeilen gehofft hatte, wurde durch die Veranstaltung enttäuscht. Positive Neuigkeiten gab es nur im Kleinen:

Mit Spanien konnte C-TAP immerhin zusätzlich zu den offiziell unterstützenden 42 Staaten ein weiteres Mitglied gewinnen. Auch wurde von WHO-Seite kommuniziert, dass man momentan mit verschiedenen Produzenten in Gesprächen sei, die möglicherweise Lizenzen einbringen würden: Zwei davon beträfen Covid-19-Impfstoffe und fünf entsprechende Diagnostika. Um welche Hersteller es sich handelt und was der konkrete Stand der Verhandlungen ist, wurde allerdings nicht verraten. Eher gering war daher auch das mediale Interesse an dem Geburtstags-Event: Erst die allerletzte Nachfrage in der abschließenden Presserunde bezog sich überhaupt direkt auf die Arbeit von C-TAP.

Tödliche Abhängigkeit

In der monatelangen Debatte um gerechten Zugang zu medizinischen Produkten gegen Covid-19 wurden viele argumentative Haken geschlagen. Der entscheidende Punkt hat sich besonders beim Thema Impfstoffe aber herauskristallisiert: Es geht letztlich um die tödliche globale Abhängigkeit vom Gutdünken einiger sehr großer Firmen aus dem globalen Norden und dem ausgeprägten Unwillen vieler Regierungen aus Ländern mit starker Pharmaindustrie, die daraus resultierenden frappierenden Ungerechtigkeiten ernsthaft anzugehen.

Und so werden im politischen Diskurs des globalen Nordens nicht progressive Lösungen und damit verbundene Chancen betont, sondern angebliche Risiken. Ein Beispiel ist die von DIW-Seite erwähnte mögliche Verbreitung von mRNA-Technologien. Statt positiv hervorzuheben, dass diese Proliferation nachhaltig regionale Forschungs- und Produktionsmöglichkeiten bei zukünftigen Pandemien – aber auch gegen nicht-übertragbare Erkrankungen – stärken könnte, werden vor allem mögliche Verluste für heimische Pharmafirmen moniert.

„Haltet den Dieb“

Wie dreist in diesem Diskurs mithin Ursache und Wirkung verdreht werden, zeigte zuletzt formvollendet Thomas Cueni, Generaldirektor des internationalen Pharmaverbands Ifpma, der Industrieländer ermahnte: „Wenn wirklich jetzt etwas getan werden soll, müssen reiche Staaten dazu bewegt werden, ihre Dosen zu teilen.“ [15] Als hätte die Industrie nicht durch ihre gierige Preispolitik und bewusste Verknappung der Produktionsmöglichkeiten von Impfstoffen selbst ganz maßgeblich an der globalen Schräglage mitgewirkt und dabei unglaublich abgesahnt (siehe unseren Beitrag über Covid-19 Milliardäre).

Wenigstens scheint das von Beginn an fadenscheinige Argument, der globale Süden hätte gar keine Kapazitäten für Covid-19-Impfstoffproduktion, endlich zermürbt worden zu sein. So erklärten beispielsweise während der C-TAP-„Feierlichkeiten“ Bangladesch und Indonesien, über erhebliche Produktionskapazitäten zu verfügen – wobei selbstverständlich die Freigabe von geistigen Eigentumsrechten, Technologie- und Know-how-Transfer wichtig sei.[16]

Auch das Argument, mRNA-Impfstoffe seien besonders schwer herzustellen, ist falsch. Suhaib Siddiqi, ehe-­maliger Direktor für Chemie bei Moder-
na, sagte laut AP: „Mit einer Blaupause und technischem Rat sollte eine moderne Fabrik in der Lage sein, die Impf-
stoffproduktion in höchstens drei bis vier Monaten in Gang zu bringen.“ [17]

Verschenkte Zeit, verlorene Leben

Die Vehemenz, mit der von Teilen der Medien und Politik auch hierzulande gegen etwaige Lockerungen im Bereich geistigen Eigentums geschossen wird, verweist deutlich auf die Lobby-Kraft der Pharmaindustrie und die Tatsache, dass viele Akteure die Unantastbarkeit von Patenten ideologisch verinnerlicht haben. Dass es sich bei Patentrechten lediglich um einen (nur zum geringen Teil verwirklichten) gesellschaftlichen Vertrag zur Förderung medizinisch wichtiger Innovation handelt, scheint in Vergessenheit geraten zu sein.

Dem zum Trotz würde man sich wünschen, dass zumindest freiwillige Mechanismen in dieser weltweiten Ausnahmesituation greifen könnten. Der aktuelle Zustand des Covid-19-Patentpools zeigt jedoch abermals, dass „freiwillige Selbstverpflichtungen“ im globalen Gesundheitskapitalismus bloße Augenwischerei sind. Denn seit Gründung von C-TAP vor einem Jahr ist nicht nur kostbare Zeit verschenkt worden. Es sind  auch viele Tausend Leben weltweit verloren gegangen.  (MK)

              

 Artikel aus dem Pharma-Brief 5/2021, S.1

[1] C-TAP: COVID-19 Technology Access Pool der WHO

[2] DW (2021) Argentina prepares for strict lockdown as Covid cases soar. www.dw.com/en/argentina-prepares-for-strict-lockdown-as-covid-cases-soar/a-57610622 [Zugriff 21.5.2021]

[3] Reuters (2021) Vietnam detects hybrid of Indian and UK COVID-19 variants. www.reuters.com/world/asia-pacific/vietnam-detects-hybrid-indian-uk-covid-19-variant-2021-05-29/  [Zugriff 31.5.2021]

[4] DW (2021) Corona: Afrikas Impfprogramm kommt nicht voran. 19. Mai www.dw.com/de/corona-afrikas-impf-programm-kommt-nicht-voran/a-57574684 [Zugriff 31.5.2021]

[5] WHO (2021) Director-General‘s opening remarks at the media briefing on COVID-19 – 14 May 2021 www.who.int/director-general/speeches/detail/director-general-s-opening-remarks-at-the-media-briefing-on-covid-19-14-may-2021

[6] Pharma-Kampagne (2021) Der „Dritte Weg“ ist eine Sackgasse. www.bukopharma.de/de/newsarchiv/450-kritik-an-wto-fuehrung  [Zugriff 31.5.2021]

[7] Laskar RH (2021) Brics backs Covid-19 vaccine patent waivers. Hindustan Times 2 June www.hindustantimes.com/india-news/brics-backs-vaccine-patent-waivers-101622574659675.html

[8] Ärzteblatt (2021) EU-Parlament unterstützt Aussetzung von Patenten für Coronaimpfstoffe. 20. Mai www.aerzteblatt.de/nachrichten/124007/EU-Parlament-unterstuetzt-Aussetzung-von-Patenten-fuer-Coronaimpfstoffe  [Zugriff 31.5.2021]

[9] Usher DJ (2021) South Africa and India push for COVID-19 patents ban. Lancet; 396, p 1790 www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)32581-2/fulltext  [Zugriff 28.5.2021]

[10] Thambisetty S et al. (2021) The TRIPS Intellectual Property Waiver Proposal: Creating the Right Incentives in Patent Law and Politics to end the COVID-19 Pandemic. LSE Legal Studies Working Paper https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3851737  [Zugriff 31.5.2021]

[11] Fratzscher M (2021) Was für eine Freigabe der Impfstoff-Patente spricht. 10. Mai www.welt.de/debatte/kommentare/article231026345/Marcel-Fratzscher-Was-fuer-Freigabe-der-Impfstoff-Patente-spricht.html

[12] Kupferschmidt K and Cohen J (2021) Rich countries cornered COVID-19 vaccine doses. Four strategies to right a “scandalous inequity”. 26 May www.sciencemag.org/news/2021/05/rich-countries-cornered-covid-19-vaccine-doses-four-strategies-right-scandalous  [Zugriff 28.5.2021]

[13] COVAX plant Impfdosen für nur 20% der Bevölkerung in ärmeren Ländern zur Verfügung zu stellen, die Auslieferung soll sich bis weit ins nächste Jahr hinziehen.

[14] WHO (2021) C-TAP. Enhancing global manufacturing capacity to address today’s and tomorrow’s pandemics. 16 Jan www.who.int/publications/m/item/c-tap-enhancing-global-manufacturing-capacity-to-address-today-s-and-tomorrow-s-pandemics  [Zugriff 31.5.2021]

[15] Byatnal A (2021) The battle for COVID-19 vaccine IP rights: “We need all hands on deck”. Devex 26 May www.devex.com/news/the-battle-for-covid-19-vaccine-ip-rights-we-need-all-hands-on-deck-99985  [Zugriff 28.5.2021]

[16] Cullinan K (2021) Indonesia and Bangladesh reveal massive untapped vaccine production capacity at C-TAP anniversary. Health Policy Watch 28 May https://healthpolicy-watch.news/indonesia-and-bangladesh-reveal-massive-untapped-vaccine-production-capacity-at-c-tap-anniversary/  [Zugriff 31.5.2021]

[17] Cheng M and Hinnant L (2021) Countries urge drug companies to share vaccine know-how. AP News 1 March https://apnews.com/article/drug-companies-called-share-vaccine-info-22d92afbc3ea9ed519be007f8887bcf6  [Zugriff 3.6.2021]