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Schwachstellen bei Arzneimittelversorgung

Längst nicht alles, was in Deutschland zu Lasten der Krankenkassen verordnet wird, ist auch sinnvoll. Und oft steht der Preis in keinem Verhältnis zum Nutzen. Das macht der Arzneiverordnungs-Report 2019 (AVR) deutlich.AVR 2019 bunt

41,2 Mrd. € gaben die gesetzlichen Krankenkassen 2018 für Arzneimittel aus,[1] das sind 3,2% mehr als im Vorjahr. Dabei machten patentgeschützte Arzneimittel nur 6,6% aller verordneten Tagesdosen aus, verursachten aber fast die Hälfte der Kosten (46,2%) – Tendenz rasch steigend. Von 2008 bis 2018 verdreifachte sich der Preis pro Rezept. Deshalb setzt sich der AVR auch besonders intensiv mit diesem Marktsegment auseinander.

Eine Analyse der 2018 neu zuge­las­senen Arzneimittel macht den Spreng­stoff deutlich: Würden alle PatientInnen, die für eine Behandlung in Frage kommen, diese neuen Mittel verschrieben bekommen, würde das die Kassen 52,9 Mrd. € kosten[2] – also mehr als bislang insgesamt für Arzneimittel ausgegeben wird.

Dabei hat jedes dritte Medikament laut Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) keinen Zusatznutzen. Und selbst wenn Vorteile erkennbar sind,  profitieren häufig nur bestimmte PatientInnengruppen. Das gilt zum Beispiel für Erenumab, das zur Migräneprophylaxe eingesetzt wird. 2,4 Millionen MigränepatientInnen gibt es. Würden alle Erenumab gespritzt bekommen, müssten die Kassen dafür unfassbare 30,3 Mrd. € zahlen. Vorteile bietet das Medikament aber nur für eine sehr kleine Gruppe: rund 14.000 -15.000 Personen, denen andere Mittel zur Vorbeugung nicht geholfen haben.

Wobei die Bewertung neuer Arzneimittel alles andere als einfach ist. Oft winkt die europäische Zulassungsbehörde EMA neue Medikamente auf Basis von spärlichen Daten durch. Da wird nur gegen Placebo getestet, statt gegen die etablierte Therapie. Oder es wird gar nicht gemessen, was den PatientInnen wirklich nützt, sondern nur die Verbesserung von Laborwerten oder anderen Surrogaten. Besonders deutlich wird die Evidenzlücke im Bereich der Krebsmedikamente, die oft als Orphan Drugs – also Medikamente gegen seltene Erkrankungen – auf den Markt kommen. Warum in diesem Bereich auf EU-Ebene gesetzliche Verbesserungen notwendig sind, das analysiert der AVR ausführlich.

Es ist aber nicht alles schwarz: Durch Arzneimittelfestbeträge konnten 2018 Einsparungen in Höhe von 8,2 Mrd. € erzielt werden und auch die Preisverhandlungen nach den Nutzenbewertungen entlasteten die Versicherten  um 2,7 Mrd. €. 

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2019, S. 7
Titelbild Arzneiverordnungs-Report 2019
© Springer

[1] Einschließlich Zuzahlungen der Versicherten

[2] Berechnet für die 30 Mittel, für die eine Nutzenbewertung vorliegt.