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Public Eye kritisiert Margen von bis zu 90 %

Über zwei Milliarden Menschen haben keinen gesicherten Zugang zu Medikamenten. Mitverantwortlich sind oft die Preise, die von der Pharmaindustrie künstlich in die Höhe getrieben werden. Doch von Transparenz bei den wahren Kosten fehlt jede Spur.

Die Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye veröffentlichte im September diesen Jahres einen Bericht, in dem sechs Krebsbehandlungen großer Pharmaunternehmen verglichen wurden.[1] Public Eye versuchte die tatsächlich für die Forschung und Entwicklung angefallenen Kosten (F&E-Kosten) auf Basis öffentlich zugänglicher Informationen abzuschätzen. Der Bericht bestätigt die Ergebnisse mehrerer wissenschaftlicher Untersuchungen:[2] Die errechneten Profitmargen erreichen für die untersuchten Krebsmedikamente mindestens 40 %, teilweise sogar bis zu 90 % der investierten Kosten. Ein Riesengeschäft für die Industrie.

Public Eye greift mit ihrem Bericht ein Thema auf, das seit einiger Zeit mehr und mehr diskutiert wird: Die Rolle von F&E-Kosten in der Preisgestaltung neuer Medikamente. Die Pharmaindustrie nutzt diesen Kostenpunkt gerne dazu, um vor allem die Mondpreise neuer Krebsmedikamente zu rechtfertigen. Argumentiert wird dabei mit den angeblich enormen Forschungskosten. Die Einnahmen aus den im Handel befindlichen Produkten sollen auch fehlgeschlagene Forschungsprojekte ausgleichen. Nur so könne es, laut der Industrie, weiteren Fortschritt geben. Die genauen F&E-Kosten gibt die Pharmaindustrie nicht preis. Aus gutem Grund, wie sich herausstellt. So behält sie bei Preisverhandlungen die Oberhand. Zudem spielt sie Länder gegeneinander aus, indem sie die jeweils ausgehandelten Erstattungsbeträge geheim hält. Der Patentschutz für neu zugelassene Medikamente erlaubt es den Unternehmen, diese Preise lange zu sichern.

Exorbitante Gewinnspannen – über Jahre

Trotz der von Public Eye großzügig angesetzten Forschungskosten erzielten die untersuchten Krebsmedikamente schon kurz nach der Zulassung Gewinnmargen, von denen andere Branchen nur träumen können. Wohlgemerkt, Misserfolge bereits eingerechnet. Das Argument teurer Fehlschläge erweist sich damit als Nebelkerze. Dazu fällt auf, dass die Gewinne im Verlauf der Jahre noch deutlich ansteigen. Gerade bei Krebsmedikamenten können nach der Erstzulassung mit nur wenig Aufwand Zulassungen für weitere Indikationen erreicht werden.[1]

Ein Problem für das Gesundheitssystem

Für das deutsche Gesundheitssystem sind die steigenden Arzneimittelausgaben problematisch. Schon jetzt machen diese einen bedeutenden Teil der Gesamtausgaben aus, Tendenz steigend.[3] Bei den gesetzlichen Krankenkassen herrscht schon länger eine angespannte finanzielle Situation. Zuletzt hatte das Bundesgesundheitsministerium deswegen eine Erhöhung der Beiträge angekündigt.[4] Mit Einsparungen bei den vollkommen überzogenen Medikamentenpreisen könnten also wichtige Ressourcen für andere, vernachlässigte Bereiche der Gesundheitsversorgung freigemacht werden.

Was nützt ein Medikament, das niemand bezahlen kann?

Noch viel problematischer sind die Auswirkungen der hohen Arzneimittelkosten im Globalen Süden. Die durch den Patentschutz hochgetriebenen Preise verhindern in vielen Teilen der Welt den Zugang zu notwendigen Medikamenten.[5], [6], [7] Nicht nur bedeutet das, dass sich beispielsweise krebskranke PatientInnen die lebenswichtige Behandlung nicht leisten können, vielmehr müssen in der Folge der Nichtbehandlung entstehende soziale Kosten von der Allgemeinheit getragen werden.[5] Ein fataler Rückschlag für die nachhaltige Entwicklung in Ländern des Globalen Südens.

Für die Lösung des Problems ist vor allem eines von großer Bedeutung: Mehr Transparenz bei der Entwicklung von Medikamenten. Die WHO fordert dies schon seit 2019.[8], [9] Dabei hat sich Deutschland unrühmlich als Blockierer der WHO-Resolution hervorgetan.[10] (DG)

Artikel aus dem Pharma-Brief 9/2022, S. 6
Cover von Profit gefährdet die Gesundheit © PublicEye

[1] Hertig G (2022) Gefährdet die Gesundheit: Pharma erzielt Profitmargen von 40 bis 90% auf Krebsmedikamente. Zürich: Public Eye Report www.publiceye.ch/fileadmin/doc/Medikamente/2022_PublicEye_GefaehrdetDieGesundheit_Report.pdf [Zugriff 26.09.2022]

[2] Ludwig WD, Vokinger KN (2021) Hochpreisigkeit bei Onkologika. In: Schröder H et al. (Hrsg.) Arzneimittelkompass 2021. Berlin: Springer, S. 79-92

[3] Destatis (2022) Gesundheitsausgaben nach Leistungsarten. www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Gesundheitsausgaben/Tabellen/leistungsarten.html [Zugriff 26.09.2022]

[4] Tagesschau.de (2022) Zusatzbeitrag soll 2023 deutlich steigen. www.tagesschau.de/inland/krankenkassen-krankenversicherung-zusatzbeitrag-101.html [Zugriff 26.09.2022]

[5] Westphal F, Alves M (2021) Die Ärmsten der Armen im Fokus – Die Forschung und Entwicklung von Medikamenten als Werkzeug humanitärer Hilfe. In: Heuser M, Adelalem T (Hrsg.) Internationale Herausforderungen humanitärer NGOs. Berlin: Springer, S. 63-75

[6] Schaaber J (2021) Internationale Sicht. Gut sind nur Medikamente, die auch verfügbar sind. In: Schröder H et al. (Hrsg.) Arzneimittelkompass 2021. Berlin: Springer, S. 225-238

[7] Pharma-Brief (2021) Unbezahlbar krank. Krebstherapie im globalen Süden. Spezial Nr. 1

[8] WHO (2019) Improving the transparency of markets for medicines, vaccines, and other health products. World Health Assembly. WHA72.8.

[9] Silverman E (2021) For the first time, WHO committee recommends action on high-priced essential medicines. www.statnews.com/pharmalot/2021/10/01/who-medicines-prices-cancer-diabetes-insulin  [Zugriff 26.09.2022]

[10] Pharma-Brief (2019) WHA: Deutschland auf Distanz zu Transparenz-Beschluss. Nr. 3, S. 1