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USA: Altpräparate als Goldgrube

In den USA gibt es noch immer Arzneimittel, die nie auf Sicherheit und Wirksamkeit geprüft wurden. Denn sie waren schon auf dem Markt, bevor entsprechende Zulassungsbestimmungen eingeführt wurden. Die ungeprüften Arzneimittel sollen nun durch ein besonderes Verfahren nachträglich zugelassen werden. Doch das Vorgehen führt zu krassen Preiserhöhungen.

Seit 1938 muss in den USA für Arzneimittel die Sicherheit nachgewiesen werden, seit 1962 auch die Wirksamkeit belegt werden. Nach Schätzungen der US-Zulassungsbehörde FDA gibt es noch mehrere Tausend Produkte, die vor diesen Zeitpunkten auf den Markt gebracht wurden und eigentlich ohne neue Zulassung gar nicht mehr verkauft werden dürften. Darunter sind neben zweifelhaften Mitteln auch etliche bewährte Substanzen, die aus der Therapie nicht wegzudenken sind.

Um die Ressourcen der Behörde zu schonen, sollten Hersteller mit einer 2011 von der FDA herausgegebenen Leitlinie motiviert werden, Zulassungsanträge für ihre Altprodukte zu stellen. Als Belohnung winkt ein Vermarktungsverbot für alle anderen Anbieter des Wirkstoffs. Diese können sich dann zwar auf die neue Zulassung berufen, aber erfahrungsgemäß dauert es 2-3 Jahre bis die FDA eine solche Generikazulassung erteilt. Die Kosten für die Zulassung halten sich in Grenzen, denn die FDA akzeptiert für diese Altpräparate eine Literaturrecherche zum Beweis von Wirksamkeit und Sicherheit.

Preise schießen in den Himmel

Ein krasses Beispiel ist Neostigmin, das bei Muskelschwäche verwendet wird. Der Wirkstoff wird seit über 80 Jahren eingesetzt. Eine Ampulle kostete in den USA bisher 3,35 US$, jetzt verlangt der Hersteller Endo International 80,50 US$ pro Ampulle.[1] Denn seit der Zulassung am 31. Mai 2013 besitzt er ein Monopol auf den Wirkstoff und ist alleiniger Anbieter. Bis September 2016 verdiente Endo 238 Mio. US$ mit dem Produkt.[2]

Par Pharmaceuticals, Produzent des Antidiuretikums Vasopressin, nutzt einen weiteren Trick, um sich die Konkurrenz vom Leibe zu halten. Es gibt nur drei Hersteller, die eine FDA-Lizenz zur Produktion des pharmazeutischen Wirkstoffs haben. Mit allen hat Par Exklusivverträge abgeschlossen. Der Preis für eine Ampulle stieg von 4,27 US$ auf 138,40 US$. Bevor Par 2013 die Zulassung erhielt, betrug der Jahresumsatz aller Vasopressin-Produkte 4 Millionen US$. 2016 erzielte Par als Monopolist fast 400 Mio. US$ Umsatz.

Die FDA soll dafür sorgen, dass Pharmazeutika erschwinglich bleiben, ihr fehlen aber die rechtlichen Instrumente, das auch durchzusetzen. Zwar hat die Behörde angekündigt, Generika

künftig schneller zuzulassen, bis es drei konkurrierende Produkte gibt. Notwendig wäre außerdem eine bessere Koordination mit der Wettbewerbskommission, um Exklusivverträge zu verhindern und auch gesetzliche Maß­nahmen scheinen unumgänglich.  (JS)

Altarzneimittel in Deutschland

In Deutschland gibt es eine Kontrolle von Wirksamkeit und Sicherheit erst seit 1978. Präparate, die vorher schon auf dem Markt waren, erhielten zunächst eine fiktive Zulassung, damit die Versorgung sichergestellt blieb. Allerdings hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Nachbewertung der zahlreichen sogenannten Altarzneimittel erst 2005 abgeschlossen. Wegen Klagen von Herstellern waren einige Präparate noch 2013 verfügbar. [3] Und Lücken bleiben: Ältere pflanzliche Medikamente dürfen ohne Wirksamkeitsbelege verkauft werden, wenn sie den Hinweis „traditionell angewendet bei …“ tragen. Homöopathische Arzneimittel unterliegen keiner Kontrolle der Wirksamkeit.

Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2017, S. 3

 

[1] In Deutschland kostet die Ampulle 1,41 € (at-Datenbank, Preisstand 15.11.2017)

[2] Hakim A et al. (2017) High Costs of FDA Approval for Formerly Unapproved Marketed Drugs. JAMA. doi: 10.1001/jama.2017.16481

[3] arznei-telegramm (2013) e-at 5.4.2012 mit Nachträgen www.arznei-telegramm.de/html/2012_04/1204401_01.html