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Bewusst oder unbewusst verzerrte Studienergebnisse beeinträchtigen eine optimale Behandlung von PatientInnen. Mit einer qualitativen Untersuchung versuchen acht WissenschaftlerInnen den Ursachen und Folgen von Interessenkonflikten in der Medizin genauer auf die Spur zu kommen.[1]

Dass kommerzielle Interessen die Ergebnisse von klinischen Studien positiver aussehen lassen als sie wirklich sind, gilt als gesicherte Erkenntnis. Wie ist aber die Innensicht derjenigen, die Studien durchführen, wo sehen sie Probleme und welche Lösungen schlagen sie vor? Für die Befragung wurden 20 WissenschaftlerInnen gewonnen, die AutorInnen von mindestens zehn Studienveröffentlichungen waren. Die meisten verfügten sowohl über Erfahrungen mit industriegesponserten als auch mit öffentlich geförderten Studien. Die große Mehrheit stammte aus Europa oder Nordamerika. 40% hatten aktuell selbst Interessenkonflikte angegeben. Die meisten arbeiteten an Universitäten oder Krankenhäusern, nur eine Person für eine kommerzielle Einrichtung. Es handelt sich um keine repräsentative Befragung, aber das Ziel war primär auch ein anderes: möglichst viele Facetten von Interessenkonflikten zu erkennen.

Bewusste Verfälschung

Acht der Befragten hatten selbst miterlebt, dass in einer Studie, an der sie beteiligt waren, Interessenkonflikte zu dem Versuch führten, die Ergebnisse zu manipulieren. Bei einer Studie zu chirurgischen Verfahren wurden in mehreren Zentren die Umschläge mit der Zuordnung zu den Versuchsarmen vorher geöffnet. Dann wurden die jüngeren PatientInnen mit der neuen Methode behandelt und ältere mit der etablierten Methode – weil die ChirurgInnen an die neue Behandlungsmethode glaubten. In einem anderen Fall verlangte der Studienleiter von den StatistikerInnen eine ungeplante Zwischenanalyse der Daten mit der expliziten Begründung, nur wenn „man etwas [positives] zeigen kann“, komme man in eine angesehene Fachzeitschrift. Bewusste oder unbewusste Vorlieben für den einen oder anderen Behandlungsarm einer Studie seien nicht ungewöhnlich und verleiteten häufiger dazu, etwas an den Ergebnissen zu drehen. Dabei könnten sowohl finanzielle Interessen als auch Karrierewünsche eine Rolle spielen.

Zwei Befragte berichteten über Studien, die der Hersteller vorzeitig beenden wollte, weil die Ergebnisse für das Produkt wenig vorteilhaft waren. Um dies zu erkennen, hätten die Firmen die Verblindung der Daten vorzeitig durchbrochen und dann die Förderung eingestellt. Und die WissenschaftlerInnen hatten dann alle Mühe, an die Daten heranzukommen, um die Ergebnisse öffentlich machen zu können.

Geht eine Studie positiv aus, bieten die Firmen Geld für weitere Studien mit demselben Produkt. Geht sie negativ aus, gibt es nichts. Dabei stehen dann auch weitere Förderungen der Firma für die Institutionen auf dem Spiel. Das sind Anreize für die Manipulation von Ergebnissen oder den Versuch, schlechte Ergebnisse schönzureden. Bedauerlicherweise scheinen auch manche öffentliche Förderer gegen solche Beeinflussungsversuche der Wissenschaft nicht immun zu sein.

Das größte Problem bei der kommerziellen Forschung sei allerdings, dass Firmen entschieden, welche Art von Studien überhaupt gemacht würden. Deshalb blieben viele wichtige Fragen unbeantwortet.

Gegenwehr

Alle Interviewten waren sich einig, dass eine vollständige Offenlegung von Interessenkonflikten eine wichtige Voraussetzung für eine Verbesserung der Situation sei. Eine strenge Prüfung, ob ein Studiendesign überhaupt die Antwort auf relevante medizinische Fragen erlaube, sei ein weiterer Schutzschild. Als medizinische Institution müsse man bei Studien, bei denen es „nur um kommerzielle Interessen geht,“ nicht mitmachen.

Institutionen sollten darauf achten, dass die an der Forschung Beteiligten weder finanzielle Interessen an dem untersuchten noch an Konkurrenzprodukten haben.

Was ist ein Konflikt?

Während finanzielle Interessenkonflikte noch relativ klar definiert sind, könnten auch weitere Störfaktoren die Ergebnisse verfälschen: So seien manche ForscherInnen ignorant gegenüber der Tatsache, dass Rosinenpickerei bei den Ergebnissen problematisch ist. Andere dagegen manipulierten im vollen Bewusstsein, damit das „gewünschte“ Ziel zu erreichen.

Die Einschätzung, was einen Interessenkonflikt darstellt, divergieren zwischen den Befragten erheblich. Während eineR das vorzeitige Stoppen einer Studie bei unvorteilhaften Zwischenergebnissen klar als Interessenkonflikt klassifizierte, bezeichnete eine andere Person solch eine Entscheidung als verständliche „Geschäftsentscheidung“, die keinen Interessenkonflikt darstelle.

Manchmal seien die Konflikte nicht auf den ersten Blick zu erkennen. So war eine ForscherIn an einer Studie der WHO beteiligt, fand aber erst später heraus, dass das Geld dafür von der Pharmaindustrie stammte.

Mehr Klarheit darüber, was relevante Interessenkonflikte sind und warum sie schädlich sein können, ist sicher wünschenswert. Keine Frage ist, dass kommerzielle Interessenkonflikte eine schwere Bedrohung für die Verlässlichkeit von Studienergebnisse darstellen. Aber es gibt weitere Faktoren, die ebenfalls zu Verfälschungen führen können. Dazu hat die vorliegende Untersuchung einige neue Hinweise geliefert. Vor allem aber scheint es für viele WissenschaftlerInnen noch Lernbedarf darüber zu geben, was zu diesem Thema alles schon bekannt ist. Das zeigen die unterschiedlichen Einschätzungen zu identischen Sachverhalten deutlich.  (JS)

[1]Østengaard L et al. (2020) Influence and management of conflicts of interest in randomised clinical trials: qualitative interview study. BMJ 2020; 371, p m3764 http://dx.doi.org/10.1136/bmj.m3764