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Gileads Remdesivir-Deal im Zwielicht

Bild: Joyce N. Boghosian/White House

Der US-Pharmakonzern Gilead hat mit der EU einen milliardenschweren Vertrag über Remdesivir geschlossen. Dabei wusste die Firma zu diesem Zeitpunkt schon, dass eine große Studie mit dem Medikament negativ ausgegangen war.

Am 16. Oktober 2020 verkündete die WHO, dass Remdesivir gegen Covid-19 praktisch nutzlos ist. Das hat eine Zwischenauswertung der großen von der WHO geleiteten Solidarity-Studie ergeben.[1] WHO Generaldirektor Dr. Tedros Ghebreyesus: „Remdesivir und Interferon tragen kaum etwas oder gar nichts dazu bei, den Tod durch Covid-19 zu verhindern oder den Krankenhausaufenthalt zu verkürzen.“[2] Die Untersuchungsarme mit diesen Medikamenten wurden gestoppt. Bereits im Sommer waren zwei Wirkstoffe wegen Unwirksamkeit aus der Studie geflogen.[3] Die WHO-Studie wird mit anderen Arzneimitteln fortgesetzt.

Gilead wusste Bescheid

Nur wenige Tage zuvor, am 8. Oktober, hatte die EU einen Milliardendeal mit Gilead abgeschlossen: Die Lieferung von Remdesivir für eine halbe Million PatientInnen, Preis pro Behandlung 2.070 €. Das Pikante daran: die Firma kannte zu diesem Zeitpunkt schon die Zwischenauswertung der Solidarity-Studie. Die WHO hatte Gilead die Ergebnisse bereits am 6. Oktober mitgeteilt, erste Informationen erhielt die Firma bereits Ende September.[4] Gilead hat es allem Anschein nach nicht für nötig befunden, die EU-Kommission über die negativen Resultate zu informieren.

Die Rechtfertigung von Gilead fällt dann auch ziemlich lahm aus.[5] Die Firma argumentiert, die Solidarity-Studie sei methodisch nicht so gut angelegt wie frühere kleinere Studien zu Covid-19, welche „bedeutsame Verbesserungen“ für die PatientInnen gezeigt hätten. Kleiner Schönheitsfehler in dieser Argumentation: Diese früheren Studien hatten eben nicht gezeigt, dass Remdesivir Leben retten kann, sondern nur kleine Unterschiede in der Dauer der Beatmung und dem Krankenhausaufenthalt gezeigt. Das sind aber nur Surrogate für einen patientenrelevanten Nutzen.[6] Deshalb war es sinnvoll, den Wirkstoff im Rahmen der Solidarity-Studie weiter zu prüfen, um zu sehen, ob sich die „Verbesserungen“ nicht vielleicht doch in einen Überlebensvorteil übersetzen. Das war aber in der Solidarity-Studie nicht der Fall: Die Sterblichkeit war mit 11% in beiden Studienarmen exakt gleich, auch die Zahl der PatientInnen, die beatmet werden mussten, wurde durch Remdesivir nicht gesenkt.1,5 Die Veröffentlichung der WHO hat noch keinen Peer Review durchlaufen, aber angesichts der klaren Zahlen ist es unwahrscheinlich, dass es noch wesentliche Änderungen in der endgültigen Veröffentlichung geben wird. Die Ergebnisse sind allerdings eine weitere Bestätigung dafür, dass Surrogate keine zuverlässigen Indizien für einen patientInnenrelevanten Nutzen sind.[7]

Man muss sich immer vor Augen halten, dass Remdesivir in den USA lediglich eine Notfallzulassung bei Covid-19 hat und auch in der EU nur unter Auflagen zugelassen ist (conditional approval). Das ist Ausdruck für den zu geringen Kenntnisstand zum Wirkstoff.

Auf der Suche

Soumya Swaminathan, Chefwissenschaftlerin der WHO, kommentierte die bislang enttäuschenden Ergebnisse der Solidarity Studie optimistisch: „Wir hätten sehr gerne ein Medikament, das wirkt. Aber es ist besser, wir wissen, ob ein Medikament wirkt oder nicht, als nicht Bescheid zu wissen und es immer weiter einzusetzen.“[8] Der WHO Generaldirektor hatte am 16. Oktober auch noch eine gute Botschaft: Eine von der WHO beauftragte Metaanalyse hatte ergeben, dass Kortikosteroide bei schwer an Covid-19 Erkrankten die Chance auf ein Überleben erhöhen.[9] Mit Dexamethason überlebten 68 von 100 PatientInnen, ohne nur 60. Kortikosteroide sind schon seit vielen Jahren auf dem Markt, preiswert und überall verfügbar.

Phantasiepreise

Der Preis, den Gilead für Remdesivir von der EU verlangt, hat mit den Produktionskosten nichts zu tun. In Indien wird der Wirkstoff für 200 € als Generikum verkauft, also zu einem Zehntel des Preises. Gilead ist für Preisspekulationen bekannt: Sofosbuvir gegen Hepatitis C hatte die Firma zum Tausendfachen des Herstellungspreises verkauft und so 2015 einen Konzerngewinn von 55% erzielt.[10]

Schon früher gescheitert

Es ist nicht das erste Mal, dass Remdesivir versagt. Während der Ebola-Epidemie in Westafrika 2018 wurde der Wirkstoff ebenfalls ohne Erfolg getestet. Anders als manchmal kolportiert, lag das nicht daran, dass die Seuche abflachte und der Studienzeitraum deshalb zu kurz ausfiel. Im Gegenteil: Der Einsatz von Remdesivir und einem weiteren Wirkstoff wurde während der laufenden Studie gestoppt, weil sie beide in der Zwischenauswertung schlechtere Ergebnisse erzielten als zwei andere in der Studie geprüfte Medikamente.[11]

Deal in der Kritik

Die EU sollte den Deal mit Gilead revidieren, meinen KritikerInnen. „Warum sollte man für ein Medikament, das keine Leben rettet, eine Milliarde Euro ausgeben?“, fragt Andrew Hill von der Universität Liverpool. Es mag noch gerechtfertigt sein, in Studien zu prüfen, ob Remdesivir doch noch irgendeinen substanziellen greifbaren Nutzen zeigt. Aber dass die EU für eine halbe Million Covid-19 PatientInnen ein fragwürdiges Medikament einkauft, das noch nicht einmal über eine ordentliche Zulassung verfügt, ist skandalös.  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 8-9/2020, S.1

[1] WHO Solidarity trial consortium 2020) Repurposed antiviral drugs for COVID-19 –interim WHO SOLIDARITY trial results. medRxiv https://doi.org/10.1101/2020.10.15.20209817

[2] WHO (2020) DG remarks and audio link for COVID-19 press briefing, 16 October. www.who.int/dg/speeches/detail/who-director-general-s-opening-remarks-at-the-media-briefing-on-covid-19---16-october-2020

[3] Hydroxychloroquin im Juni und Lopinavir/Ritonavir im Juli

[4] Guarascio F (2020) EU urged to review remdesivir supply deal after Covid trial results. Reuters 16 Oct

[5] Gilead (2020) Gilead Sciences statement in the Solidarity Trial, 15 Oct

[6] arznei-telegramm (2020) Neue Daten zu Remdesivir (Veklury) bei Covid-19. 51, S. 78

[7] Pharma-Brief (2017) Bescheidener Fortschritt. Nr. 8-9, S. 1

[8] Zitiert nach: Kupferschmidt K (2020) Remdesivir and interferon fall flat on WHO’s megastudy of Covid-19 treatments. Sciencemag.org 16 Oct www.sciencemag.org/news/2020/10/remdesivir-and-interferon-fall-flat-who-s-megastudy-covid-19-treatments

[9] WHO REACT (2020) Association Between Administration of Systemic Corticosteroids and Mortality Among Critically Ill Patients With COVID-19. JAMA; 324, p 1330 https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2770279

[10] Pharma-Brief (2016) 10 Mythen der Pharmaindustrie. Spezial Nr. 2, S. 10

[11] Mulangu S et al. (2019) A Randomized, Controlled Trial of Ebola Virus Disease Therapeutics. NEJM; 381, p 24