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Antibiotika-Resistenzen: Mensch
19. Mai 2022
„Antibiotikaresistenzen sind eine der größten Bedrohungen für die Menschheit. Sie spielen in der gleichen Liga wie der Klimawandel.“
Moritz van Vuuren, Tierarzt, Südafrika
Unwirksame Antibiotika
Seit Jahrzehnten werden Antibiotika zu sorglos verschrieben und falsch angewendet. Das fördert die Entwicklung resistenter Keime.
Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge könnten bis 2050 jährlich 10 Millionen Menschen weltweit sterben, weil Antibiotika nicht mehr anschlagen. Früher leicht behandelbare bakterielle Infektionen können heute tödlich enden.
Mehr Forschung
Die gemeinnützige Forschungsinitiative GARDP entwickelt neue Antibiotika. Geforscht wird zu Krankheiten, bei denen es besonders viele Resistenzen
Indien: Düstere Aussichten
In Indien wirken viele Antibiotika bereits nicht mehr. Ursache ist auch der viel zu häufige Einsatz dieser Medikamente. Tuberkulose und Cholera sind immer schwerer zu behandeln. Jährlich sterben 58.000 Neugeborene durch resistente Keime. Die Infektionen werden durch mangelnde Hygiene auf den Säuglingsstationen übertragen. Auch die Pharmaindustrie fördert die Entwicklung von Resistenzen mit unethischen Geschäftspraktiken.
„Ich kann mir nichts Bedrohlicheres für das Leben von Müttern und Babys vorstellen, als Antibiotikaresistenzen.“
Prof. Ramanan Laxminarayan, Gründer und Direktor des Centre for Disease Dynamics, Economics and Policy
„Die enormen Gewinnspannen beim Verkauf von Antibiotika und der Mangel an Regulierung und Verantwortlichkeit hier in Indien ist eine perfekte Mischung für Bakterien, um sich weiterzuentwickeln und die vorhandenen Antibiotika zu schlagen.“
Rahul Meesaraganda, indischer Journalist
Armut fördert Infektionskrankheiten
Die Behandlung bei Infekten mit resistenten Keimen dauert lange, ist teuer und hat mehr Nebenwirkungen. Auch die Chancen auf Heilung sind schlechter. Viele Menschen können sich nicht einmal einen Arztbesuch leisten. Schlechte Lebensbedingungen machen krank und begünstigen die Ausbreitung von multiresistenten Keimen. In armen Ländern sind Resistenzen deshalb eine noch größere Bedrohung. Südafrika hat einen sehr hohen Verbrauch von Antibiotika und eine der höchsten Resistenzraten weltweit. Tuberkulose ist hier weit verbreitet. In vielen Fällen ist der Erreger multiresistent und die Behandlung schwierig. Für die Betroffenen beginnt oft schon vor der richtigen Diagnose ein langer Leidensweg. Bongekile Booi ist eine von ihnen.
Tuberkulose trifft vor allem Menschen, deren Immunabwehr geschwächt ist durch Mangelernährung, schlechte Lebensbedingungen oder HIV/Aids. Besonders für die vielen Menschen mit HIV/Aids und Tuberkulose können resistente Keime tödlich sein. Von den 300.000 Tuberkulose-Fällen, die 2019 in Südafrika neu auftraten, waren 11.000 multiresistent.
„Wir werden stets neue Medikamente benötigen, denn Resistenzen werden sich immer weiter entwickeln.“
Helen Cox, TB-Forscherin, Südafrika
Pretomanid: Neues Antibiotikum – Keine Zulassung
Zur Behandlung von multiresistenter Tuberkulose gibt es seit 2019 ein neues Medikament: Pretomanid wurde von der gemeinnützigen TB Alliance entwickelt. Es wurde über wiegend in Südafrika erforscht. Bisher ist das Medikament aber nur in den USA zugelassen. Für arme Län der ist es zu teuer. Die Kombi-Therapie mit dem neuen Mittel kostet über 1.000 US$ pro Person.
Tansania: Mangelndes Bewusstsein
In Tansania zeigen viele Antibiotika wegen hoher Resistenzraten kaum noch Wirkung. Die Menschen wissen zu wenig über den richtigen Gebrauch von Antibiotika und nehmen sie nicht wie verordnet ein. Gleichzeitig sterben immer noch Menschen, weil sie keinen Zugang zu diesen wichtigen Medikamenten haben. Unsere Partnerorganisation RBA-Initiative hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, dass Bewusstsein der tansanischen Bevölkerung zu Antibiotikaresistenz zu stärken. Über Radiosendungen und Workshops an Schulen informiert sie junge Menschen über den richtigen Gebrauch von Antibiotika.
Auf Märkten oder in Drogerien können sie die Mittel ohne Rezept kaufen – sogar einzelne Tabletten. Das ist zwar verboten, doch medizinische Versorgung und gute Beratung ist nicht überall möglich. Viele behandeln sich deshalb selbst und begünstigen dadurch die Entstehung von Resistenzen.
„Die Bedrohung durch Antibiotika-Resistenzen wird katastrophale Folgen haben. Unsere Kinder und Enkelkinder sind es, die die verheerenden Aus- wirkungen von Antibiotika-Resistenzen zu spüren bekommen.“
Eva Ombaka, Pharmazie-Professorin, Tansania
Es besser machen
Um die Versorgung auf dem Land zu verbessern, dürfen auch kleine Läden bestimmte Medikamente verkaufen. Sie werden zu sogenannten Accredited Drug Dispensing Outlets, kurz ADDO. Voraussetzung dafür ist, dass das Personal zuvor eine Schulung durchlaufen hat, in der es auch um den richtigen Gebrauch von Antibiotika geht.
Deutschland: Zuviel des Guten?
In Deutschland bekommt jeder vierte Krankenversicherte mindestens einmal im Jahr ein Antibiotikum.
Oft ist die Behandlung nicht unbedingt nötig. Aber viele niedergelassene Ärzt*innen denken, ihre Patient*innen würden erwarten, dass sie eines verschreiben.
„Antibiotika-Verordnungen finden in einem sozialen Kontext statt. Da spielt die Macht von Erfahrungen und Gewohnheiten eine Rolle, aber auch vermutete Erwartungshaltungen und Zeitdruck.“
Roland Tillmann, Kinderarzt, Bielefeld
Manchmal geht es ohne
Gegen Blasenentzündungen nehmen viele Frauen Antibiotika ein. Oft genügt es, viel zu trinken. Bei der Hälfte der Betroffenen klingt die Entzündung auch ohne Antibiotika ab.
Gute Kommunikation ist das A und O
Viele Antibiotika werden unnötig verschrieben. Wenn Arzt oder Ärztin die Vor- und Nachteile mit Patient*innen besprechen, entscheidet sich nur noch die Hälfte für eine Antibiotika-Behandlung.
Gute Kommunikation reduziert unnötige Verschreibungen. Im Projekt AnTiB (Antibiotische Therapie in Bielefeld) tauschen sich Ärztinnen und Ärzte auf lokaler Ebene aus. Sie entwickeln gemeinsam Leitlinien, wann und wie sie Antibiotika verschreiben.
Im Gespräch mit einem Facharzt
Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, gibt Auskunft über die Situation in Deutschland. Das Interview mit der BUKO Pharma-Kampagne können Sie in unserem Podcast nachhören:
Südafrika: Teamwork gegen Resistenzen
„Wir haben beobachtet, dass die Zahl der Verordnungen stieg, verschiedenste Antibiotika eingesetzt wurden und das länger als nötig. Diese Kultur des Übergebrauchs von Antibiotika muss jetzt gestoppt werden.“
Azraa Cassim Paruk, Apothekerin, Südafrika
In Südafrika soll ein innovativer Ansatz in Krankenhäusern die adäquate bzw. rationale Anwendung von Antibiotika sicherstellen. In vielen Kliniken wurden sogenannte Antimicrobial Stewardship Committees eingerichtet – Ausschüsse, die für einen verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika sensibilisieren. Teamwork und Kommunikation werden dabei großgeschrieben – zum Wohl der Patient*innen.
„Idealerweise sollte jedes Krankenhaus ein funktionierendes AMS Komitee haben.“
Denasha Reddy, Internistin, Südafrika
Grenzenlose Resistenz
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Ein erstmals 2009 in Schweden nachgewiesener Erreger, den ein Tourist aus Indien eingeschleppt hatte, wurde ein Jahr später bereits in 75 Ländern gefunden. Resistente Keime verbreiten sich weltweit über Menschen und Warentransporte.
Resistente Keime stoppen! Das können Sie tun!
Verbraucher*in
- Fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt, ob ein Antibiotikum wirklich nötig ist.
- Hygiene wie Händewaschen schützt Sie und andere.
Weitere Informationen, was jeder einzelne tun kann, bietet das Portal Patienten-Information.de.
Gesundheitspersonal
- Achten Sie bei der Arbeit auf Hygiene.
- Orientieren Sie sich bei der Therapie an aktuellen Leitlinien.
- Verzichten Sie auf wiederholte Verordnung des gleichen Wirkstoffes für den gleichen Patienten innerhalb kurzer Zeit.
- Beraten Sie Ihre Patient*innen ausführlich.
- Beraten Sie sich regelmäßig mit Kolleg*innen.