
Antibiotika-Resistenzen: Tier
19. Mai 2022
„Tierfabriken brauchen Antibiotika, um Haltungs-, Zucht-, Management-, und Hygienedefizite zu kompensieren.“
Claudia Preuß-Ueberschär, Tierärztin, Deutschland
Massentierhaltung: Tierisch eng
In der Massentierhaltung leben Schweine, Kühe oder Hühner auf engstem Raum. Durch die schlechten Haltungsbedingungen werden sie leicht krank und stecken schnell andere Tiere im Stall an. Häufig erhalten sie deshalb vorbeugend oder zur Wachstumsförderung Antibiotika. Das begünstigt die Entstehung resistenter Keime. Hühner bekommen besonders viele Antibiotika – mehr als jedes andere Nutztier.
Geflügelmast in armen Ländern
Viele indische Kleinbäuer*innen betreiben die Geflügelmast als Nebenerwerb. Große Fleischkonzerne liefern die Eintagsküken, das Futter, die Medikamente und holen später die schlachtreifen Tiere wieder ab. Die Regierung des Bundesstaates Karnataka setzt dagegen: Sie will stattdessen die traditionelle Geflügelzucht profitabel machen und unterstützt die Landwirt*innen mit kostenlosen Fortbildungen.
Wissen fördert Gesundheit
In Tansania werden viele Tiere gehalten, aber es gibt kaum Tierärzt*innen. Im ganzen Land arbeiten nur rund 250 Tierärzte und Tierärztinnen – in Deutschland sind es ca. 11.500. Landwirt*innen können Medikamente zur Behandlung ihrer Tiere im Laden kaufen – auch Antibiotika. Aber sie wissen zu wenig über die richtige Anwendung. Veterinär*innen in Tansania fordern deshalb mehr Aufklärung und Bewusstseinsbildung.
Dabei kommen häufig Antibiotika zum Einsatz. Eigentlich dürfen nur Tierärzt*innen Antibiotika verschreiben, das wird in der Realität aber kaum überprüft. Vor allem auf dem Land praktizieren nur wenige Veterinär*innen. Deshalb werden in den Dörfern sogenannte Paravets ausgebildet. Diese Tierarzthelfer*innen beraten die Bauern und Bäuerinnen und geben ihnen das Nötigste zur Behandlung der Tiere.
„In Tansania haben wir Regulierungen, dass man Antibiotika oder andere Medikamente nicht kaufen kann, wenn man kein Tierarzt ist. Aber es ist schwierig, das zu überwachen, ohne ausreichend qualifiziertes Personal in ländlichen Gebieten.“
Robinson Mdegela, Tierarzt, Tansania
„Die Bauern verlassen sich beider Vergabe von Medikamenten auf ihre Erfahrung oder auf das, was sie von Kollegen hören. Menschen, die diese Lebensmittel essen, konsumieren gleichzeitig Antibiotikarückstände. Das fördert die Ausbreitung von Resistenzen.“
Robinson Mdegela, Tierarzt, Tansania
Südafrika: Antibiotika frei verkäuflich
Auch in Südafrika werden viele Antibiotika ohne tierärztliche Kontrolle verkauft. Besonders in entlegenen Regionen werden die Tiere nach eigenem Ermessen behandelt. Dadurch steigt der Antibiotikaverbrauch und Resistenzen entwickeln sich. Die Regierung will deshalb Mensch, Tier und Umwelt bei der Resistenzkontrolle in den Blick nehmen und hat ein interdisziplinäres Expertenkomitee eingerichtet. Der One-Health Ansatz wird in Südafrika großgeschrieben. Tierärzt*innen bleiben aber skeptisch, denn eine Reduzierung des Antibiotikaverbrauchs in der Massentierhaltung kann nur gelingen, wenn die Landwirt*innen miteingebunden werden.
„Die Bauern und Bäuerinnen sehen häufig nicht den Zusammenhang zwischen der Antibiotikaresistenz ihrer Nutztiere und der Resistenz bei Menschen.“
Nenene Qekwana, Tierarzt, Südafrika
Resistente Wildtiere
Das Fleisch freilebender Wildtiere wie Kudus und Gnus wird als teure Delikatesse auf dem Fleischmarkt gehandelt. Doch auch dieses Fleisch kann mit resistenten Keimen belastet sein. Das Wild infiziert sich auf Weideflächen von Nutztieren.
Das südafrikanische Gesundheitsministerium plant, alle frei verkäuflichen antibiotischen Substanzen zu registrieren. Diese dürfen dann nur noch auf Rezept abgegeben werden. Die Hersteller von Tierarzneimitteln möchten das jedoch verhindern: Die Verkäufer sollten stattdessen besser geschult werden.
Kranke Tiere, kranke Menschen

Antibiotika zur Wachstumsförderung von Tieren sind in der EU verboten. Trotzdem werden in der Massentierhaltung in Deutschland viele Antibiotika eingesetzt. Das treibt die Resistenzbildung voran und führt zu hohen Einträgen von Antibiotika in die Umwelt. Beides hat letztlich auch Folgen für die menschliche Gesundheit, denn Resistenzen können vom Tier auf den Menschen übertragen werden. Insbesondere Personen, die mit den Tieren arbeiten, z.B. Landwirte und Landwirtinnen, tragen resistente Bakterien in sich.
„Es ist mittlerweile so, dass jeder Landwirt, der in eine Klinik eingeliefert wird, als erstes auf Resistenzen untersucht wird.“
Paul Kröfges, Gewässerschutzexperte, Deutschland
Vom Tier zum Menschen
Resistente Erreger können vom Tier auf den Menschen übertragen werden. MRSA, ein resistenter Erreger, der Haut und Schleim häute befällt, tritt häufig bei konventionell gehaltenen Mast tieren auf – und in der Folge auch bei Landwirten oder Fleischern.
99 % aller deutschen Hähnchen stammen aus Betrieben mit über 10.000 Tieren – im Durchschnitt sind es 30.000 Hühner, in Sachsen-Anhalt sogar 143.000. Erkranken einzelne Tiere, werden direkt alle über das Futter oder Wasser mit Antibiotika behandelt. Dieser massenweise Einsatz sorgt für hohe Resistenzraten bei Masthähnchen und Puten. Weitere Informationen zur Antibiotikaabgabe bei Nutztieren und den Einfluss auf unsere Lebensmittel liefert das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Um den hohen Antibiotikaverbrauch in der Massentierhaltung zu verringern, müssten die Tiere artgerecht gehalten werden. Es dürfen nicht einzig die Leistung und der Profit im Vordergrund stehen. Robuste Rassen versprechen weniger Ertrag, sind aber nicht so anfällig für Krankheiten.
„Es kann passieren, dass in einem Hähnchen-Maststall Resistenzen in der Tränke-Leitung sitzen, die auf die Tiere verteilt werden. Mit den Tieren können die Erreger in die Lebensmittelkette gelangen und bei uns in der Küche landen.“
Reinhild Benning, Germanwatch
Indien: Shrimps mit Antibiotika
In der rasant wachsenden Geflügelproduktion Indiens sind Antibiotika unverzichtbar. Doch auch Aqua-Farmen kommen ohne sie nicht aus. Die Medikamente werden vorbeugend ins Wasser gegeben, um Krankheiten zu verhindern. Bei der Zucht von Garnelen werden besonders viele Antibiotika eingesetzt. Die Shrimps werden weltweit exportiert – auch in die EU.
„Für den Verbrauch von Antibiotika bei der exportorientierten Shrimp- Zucht existieren Richtlinien. Für die Fischzucht gibt es keine Vorgaben. Mit anderen Worten: Wir schützen die Gesundheit unserer Export-Kunden, scheren uns aber nicht um hiesige Konsumenten.“
Amit Khurana, Umweltaktivist, Indien
Doppelte Standards
Hersteller von Arzneimitteln tragen mit aggressivem Marketing zum Fehl und Übergebrauch von Antibiotika bei. Der Pharmariese Zoetis unterstützte in den USA das Verbot von Reserveantibiotika wie Colistin in der Tiermast – gleichzeitig bewarb und verkaufte er dieses Arzneimittel in Indien weiterhin als Wachstumsförderer.
Seit Juli 2019 verbietet Indien den Einsatz des Reserveantibiotikums Colistin bei Tieren. Das für die Humanmedizin z.T. wichtige Medikament wird weltweit in der industriellen Tiermast verwendet. Auch in Deutschland wird es noch immer bei Tieren eingesetzt – trotz Warnung der Weltgesundheitsorganisation.
Was wäre zu tun im Bereich Landwirtschaft und Ernährung?
Claudia Jenkes (BUKO Pharma-Kampagne) sprach darüber mit Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale NRW.
Resistente Keime stoppen! Das können Sie tun!
Was können Tierärztinnen und Landwirtinnen tun, um den Antibiotikaverbrauch zu reduzieren? Wo ist die Politik gefragt und nicht zuletzt wir selbst als Verbraucher*innen?
Verbraucher*in
- Kaufen Sie Fleisch aus artgerechter Haltung.
- Achten Sie bei der Verarbeitung von rohem Fleisch auf Hygiene. Hinweise geben die Tierwohl-Siegel.
- Achten Sie beim Kauf von Fisch und Garnelen auf das Siegel des ASC. Diese Aqua-Kulturen müssen hohe Standards erfüllen.
Gesundheitspersonal
- Vermeiden Sie Gruppenbehandlungen und orale Antibiotikaabgaben.
- Vermeiden Sie den Gebrauch wichtiger Reserveantibiotika.
- Besprechen Sie mit den Landwirt*innen, was sie für eine bessere Tiergesundheit tun können.
Landwirt*in
- Verbessern Sie die Stallhygiene oder ihr Haltungskonzept.
- Überlegen Sie, was Sie für mehr Tierwohl tun können.