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Gesundheit hat Vorrang: Zugang zu Medikamenten in Europa verbessern

Viele Europäische Länder können ihrer Bevölkerung eine Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau bieten, deren Kernprinzipien Gleichheit, Solidarität und Universalität sind.

Auch wenn es immer noch bedeutsame Ungleichheiten gibt, sowohl zwischen verschiedenen EU-Staaten als auch innerhalb der einzelnen Staaten, können wir dennoch grundsätzlich stolz auf diese Gesundheitsversorgung sein – besonders im Vergleich zum Viele ausgrenzenden und teuren US-Modell.

Gesundheitsversorgung ist ein öffentliches Gut, das von grundlegender Bedeutung für das Wohlergehen der Menschen ist. Es handelt sich um eines der wichtigsten Grundrechte, und die meisten EuropäerInnen wünschen, dass die EU mehr für die Gesundheit tut.[1] Zum Recht auf Gesundheit gehört der Zugang zu rechtzeitiger, akzeptabler und bezahlbarer Versorgung und zu qualitativ hochwertigen Medikamenten.[2] Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, dieses Recht auf nicht diskriminierende Weise umzusetzen. Aber in den letzten Jahren haben wir uns bei der Produktion und der Preisgestaltung neuer Medikamente zunehmend einer Logik gebeugt, die auf zweistellige Gewinne ausgerichtet ist.

Viele Gesundheitssysteme in der EU leiden unter den Folgen einer einseitigen Industriepolitik und Regeln für geistige Eigentumsrechte im pharmazeutischen Sektor. Beide zielen fast ausschließlich auf das Wachstum der europäischen Wirtschaft und auf Gewinnmaximierung, statt die Versorgung der Bevölkerung mit guten und bezahlbaren Medikamenten in den Mittelpunkt zu stellen. In Europa und weltweit steigen die Preise neuer Arzneimittel schnell. Das bedeutet für die öffentlichen Gesundheitssysteme enorme finanzielle Belastungen. In der Folge wird eine steigende Zahl von Behandlungen für lebensbedrohende Infektionen und Krankheiten wie Krebs oder Hepatitis C für viele PatientInnen und viele nationale Gesundheitssysteme unbezahlbar.[3]

Das ist das Resultat eines ineffektiven und teuren Systems für Forschung und Entwicklung (F&E), das neue Medikamente mit Monopolen belohnt. Der Patentschutz versagt dabei, gesunden Wettbewerb zu fördern und wirkliche Innovationen zu belohnen.[4] Das derzeitige System erlaubt es Firmen, exorbitante Preise zu verlangen, die die Budgets öffentlicher Gesundheitsversorgung strapazieren. Geld, das an anderer Stelle fehlt. So gefährden sie die Nachhaltigkeit öffentlicher Gesundheitssysteme in Europa.[5]

Es müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, damit Regierungen und BürgerInnen Zugang zu bezahlbaren unentbehrlichen innovativen Medikamenten haben. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung sind gemeinschaftliche Forschungsprozesse und das Teilen von Wissen. Die EU hat bereits Schritte in diese Richtung unternommen, indem sie Open Science und Open Innovation fördert. Diese Ansätze müssen ausgeweitet und auch in der biomedizinischen F&E umgesetzt werden.

Die anstehenden EU Wahlen sind eine Chance, Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Europäischen Politik zu stellen. Das kann dazu beitragen, das Vertrauen der BürgerInnen in das Projekt Europa zu festigen, indem es zeigt: Die EU kümmert sich um das, was den Menschen am meisten bedeutet.

Gute Regeln für gesundheitsrelevante Forschung und Entwicklung sind ein wesentlicher Baustein des Projekts Europa. Um hier die BürgerInnen in das Zentrum der politischen Entscheidungen zu stellen, müssen folgende Themen für das nächste Europäische Parlament und die Europäische Kommission höchste Priorität bekommen:

Public return on public investment: Das Geld der SteuerzahlerInnen, das in biomedizinische F&E investiert wird, sollte eine öffentliche Rendite bringen und der Gesellschaft nützen. EU Investitionen müssen sich an den Bedürfnissen der öffentlichen Gesundheit orientieren, und die Forschungsergebnisse müssen zugänglich, verfügbar und bezahlbar sein. Open Science, Open Data und Zugang zu den wissenschaftlichen Veröffentlichungen sollten zum Standard werden.

Ein nachhaltiges System der Forschung und Entwicklung: Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sollten gesunden Wettbewerb fördern und wirkliche Innovation belohnen. Das schafft ein nachhaltiges System für Regierungen und PatientInnen. Neue Modelle der F&E, die auf Open Science Prinzipien basieren, sollten erprobt werden. Beispiele sind De-Linkage-Modelle, die Arzneimittelentwicklung von der Aussicht auf hohe Preise abkoppeln, Forschungsprämien, sozialverträgliche Lizenzierungen und Open Source Forschung. Solche Modelle sollten mit Pilotprojekten, Machbarkeitsstudien und neuen Finanzierungsprogrammen gefördert werden.

Gesunder Wettbewerb und Handel: Die EU sollte ihr System für geistige Eigentumsrechte reformieren, um eine gesunde Balance zwischen privaten und öffentlichen Interessen zu erreichen. Wettbewerb ist wichtig, um echten Fortschritt zu fördern: Die EU sollte einen fairen Wettbewerb ermöglichen, indem sie wettbewerbswidrigen Praktiken entgegenwirkt und sie auch sanktioniert. Zudem sollte es die EU unterlassen, unfaire Standards für geistige Eigentumsrechte zu exportieren, Stattdessen sollte sie die Handelspolitik so ausrichten, dass sie der öffentlichen Gesundheit weltweit dient.[6]

Wirkliche Innovation und Sicherheit der PatientInnen: Neue innovative Arzneimittel müssen einen therapeutischen Zusatznutzen im Vergleich zu existierenden Behandlungsmöglichkeiten bieten. Hohe Standards für die wissenschaftliche Prüfung der Marktzulassung müssen gesichert und gefördert werden. Die Transparenz klinischer Studiendaten und die Risikoüberwachung von Arzneimitteln müssen verbessert werden. Europaweite Zusammenarbeit bei der Nutzenbewertung von Gesundheitstechnologien (Health Technology Assessment) sollte ausgebaut werden, wobei die Entscheidungen auf Evidenz beruhen müssen und auf einer größtmöglichen Transparenz und Unabhängigkeit basieren sollten. Jede Art von Interessenkonflikt sollte ausgeschlossen werden.

Dieses Manifest wurde in der European Alliance for Responsible R&D and Affordable Medicines entwickelt.

Original: http://medicinesalliance.eu/wp-content/uploads/2018/11/EP_Manifesto_English.pdf Übersetzung: BUKO Pharma-Kampagne

Unterstützende Organisationen:

  • TranspariMED
  • Wemos Foundation
  • Commons Network
  • EKPIZO
  • Salud por Derecho
  • Global Health Advocates – GHA
  • Health Action International – HAI
  • Acceso Justo al Medicamento, AAJM
  • T1 International
  • AIDES 
  • PRAKSIS
  • Health and Trade Network
  • Aidsfonds
  • NoGracias (Spain)
  • GAT - Grupo de Ativistas em Tratamentos
  • ARAS - the Romanian Association Against AIDS
  • International Society of Drug Bulletins (ISDB)
  • Health Projects for Latvia
  • Policies for Equitable Access to Health
  • Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP)
  • Prescrire 
  • Médecins du Monde
  • BUKO Pharma-Kampagne
  • European Network against Privatization and Commercialization of Health and Social Protection 
  • Platform for Action on Health and Solidarity (Belgium)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2018, S. 6

[1] 70% der EuropäerInnen wollen, dass die EU mehr für Gesundheit macht – so eine Umfrage von Eurobarometer im März 2017 www.europarl.europa.eu/external/html/eurobarometer-052017/

[2] Gesundheitsversorgung ist auch einer der 20 Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte https://ec.europa.eu/commission/priorities/deeper-and-fairer-economic-and-monetary-union/european-pillar-social-rights/european-pillar-social-rights-20-principles_de#kapitel-iii-sozialschutz-und-soziale-inklusion

[3] Nach einer Schätzung von 2016 würde die Behandlung von 55% der Menschen mit chronischer Hepatitis C in Frankreich mehr kosten als das Budget aller öffentlichen Krankenhäuser in Paris. www.unsgaccessmeds.org/inbox/2016/3/4/pauline-londeix-enligsh-translation

[4] RVS Development of new medicines. Better, faster, cheaper. 2017 www.raadrvs.nl/uploads/docs/Recommendation_Development_of_New_Medicines.pdf

[5] Collier R. Drug development cost estimates hard to swallow. Canadian Medical Association Journal 2009;180(3): 279. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2630351

Prasad V, Mailankody S. Research and Development Spending to Bring a Single Cancer Drug to Market and Revenues After Approval. JAMA Intern Med. 2017;177(11):1569–1575. doi:10.1001/jamainternmed.2017.3601 https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/article-abstract/2653012

Médecins Sans Frontières. Lives on the Edge: Time to Align Medical Research and Development with People’s Health Needs. May 2016. Page 13. Available from: www.msfaccess.org/sites/default/files/R&D_report_LivesOnTheEdge_Updated29Sept_ENG_2016.pdf

[6] Die Nutzung von TRIPS Flexibilitäten sollte in Europa ausgeweitet und außerhalb der EU gefördert werden.