
Memento Preisverleihung 2024
21. Dezember 2024
Fokus Afrika: Loiasis und Entkriminalisierung von Suizidversuchen
Die Memento Preisverleihung warf dieses Jahr ein Schlaglicht auf besonders vernachlässigte Gesundheitsbedürfnisse in Afrika. Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen die Gesundheitsversorgung sowie wichtige Rahmenbedingungen für eine gelingende Entwicklungszusammenarbeit.
Am Abend des 13. November wurde in Berlin der Memento Preis für vernachlässigte Krankheiten verliehen. Der diesjährige Medienpreis ging an die Autorin Rike Uhlenkamp und den Fotografen Rainer Kwiotek von Zeitenspiegel Reportagen für ihr Rechercheprojekt zur Entkriminalisierung von Suizidversuchen in Ghana. Den Forschungspreis erhielt Prof. Dr. Michael Ramharter vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg und dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf für seine langjährige Forschung zu Loiasis-Infektionen. Geladen war zudem Dr. Denis Kibira aus Uganda, der in seiner Keynote den rund 60 Anwesenden einen Einblick in die herausfordernde Gesundheitsversorgung Afrikas gab. Die Hörsaalruine des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité bot – zur Freude aller Beteiligten – nach einer covid- und renovierungsbedingten, mehrjährigen Pause der Veranstaltung erneut einen würdevollen, feierlichen Rahmen.
Nicht ohne Grund wird seit geraumer Zeit von Entwicklungszusammenarbeit anstatt von Entwicklungshilfe gesprochen. Überholt ist das Bild des großzügigen Globalen Nordens, der im Globalen Süden mildtätige Dienste erbringt. Den Worten auch Taten folgen zu lassen ist jedoch ein Prozess, der kontinuierliche Veränderungen erfordert.
“Help us to help ourselves“

Der erfahrene Gesundheits- und Arzneipolitikexperte Dr. Denis Kibira aus Uganda fand in dieser Hinsicht klare Worte, die er mit seiner Keynote an Entscheidungstragende im Globalen Norden richtete. Dafür blickte er zum einen kritisch auf die Hinterlassenschaften von Kolonialherrschaften, die u. a. westlich geprägte Gesundheitssysteme in Afrika zurückließen, welche nicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerungsgruppen abgestimmt waren.1 Zum anderen reflektierte Kibira die ungerechte Verteilung von Covid-19-Impfstoffen während der Pandemie: „We were left [alone and] somehow we managed to survive.“Weltweit werden arme Bevölkerungsteile in der gesundheitlichen Versorgung zurückgelassen, nicht zuletzt auf dem afrikanischen Kontinent. Lebensrettende Medikamente sind entweder nicht existent, nicht an die Gegebenheiten vor Ort angepasst oder unbezahlbar teuer.
Kibira nannte die lokale Produktion von Arzneimitteln und den Technologietransfer als Möglichkeiten, strukturellen Problemen entgegenzuwirken. Derzeit kommen rund 90% der verfügbaren Medikamente in Afrika aus Indien oder China.
Kibira legte dar, dass er Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit durchaus schätzt. Ausbildungs- oder Austauschprogramme seien wichtig, um langfristig unabhängig zu werden. Zum Ende seiner Keynote appellierte er zugleich eindringlich an die Verantwortung des Globalen Norden: „Don’t just take away the good people we have, make sure that the people can go back and develop the continent.”
Loa loa-Infektionsforschung
„Don’t give us fish, teach us how to fish“, brachte es Kibira plakativ auf den Punkt. Dieses Motto griff Prof. Dr. Klaus Brehm, Vorsitzender der Forschungsjury, in seiner Laudatio auf. Nicht nur afrikanische Studierende könnten in Deutschland lernen, wie man „fischt“, sondern auch andersherum deutsche Studierende in Afrika. Konkret bezog sich Brehm dabei auf die deutsch-gabunische Forschungspartnerschaft des Forschungspreisträgers Prof. Dr. Michael Ramharter, dessen Team gemeinsam mit dem CERMEL2 eine Forschungsstation zu Loiasis-Infektionen in Gabun aufgebaut hat. Sein Hauptinteresse gilt einem wenig bekannten, aber dort häufig auftretenden Parasiten, denn in einigen Regionen Zentral- und Westafrikas ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung mit Loa loa, auch „afrikanischer Augenwurm“ genannt, infiziert. Die endemische Erkrankung wurde fälschlich lange Zeit als zumeist asymptomatisch beschrieben. Es handele sich daher, so Ramharter, um einen „vernachlässigten Wurm unter den vernachlässigten Würmern“. Mittlerweile weiß sein Forschungsteam jedoch, dass es sich nicht um eine gutartige sondern um eine Erkrankung mit bedeutsamer Krankheitslast und Übersterblichkeit handelt. Übertragen durch Bremsen, pflanzt sich der Wurm im menschlichen Körper fort. Er wandert häufig durch das Auge und wird dort sichtbar, daher die Bezeichnung „Augenwurm“. Die Infektion hält lebenslang an, führt zu Rötungen und Schwellungen der Extremitäten und löst in Schüben massive Schmerzen aus.

Die Forschungsstation befindet sich in einer ländlichen Region Gabuns, wo vermutlich die höchste Loiasis-Prävalenz vorzufinden ist. Gemeinsam mit der Bevölkerung werden in diesem weltweit größten Zentrum für Loa loa Wissenslücken aufgedeckt, Übertragungswege beleuchtet und Therapie sowie Diagnostik verbessert.3 Zudem wird in der Struktur auch abseits der Loiasis zu Malaria und multiresistenter Tuberkulose geforscht.
Vom „verbotenen Tod“ zur gesellschaftlichen Herausforderung
Mit dem Memento Medienpreis wird jährlich ein Recherchestipendium an Journalist*innen vergeben. Menschen, deren Gesundheitsbedürfnisse vernachlässigt werden, soll eine Stimme gegeben und damit hierzulande Aufmerksamkeit zuteilwerden. Die Medienpreistragenden Uhlenkamp und Kwiotek betonten, dass das Preisgeld es ihnen überhaupt erst ermöglicht, längere Zeit für die geplante Recherche in Ghana zu bleiben.

Dies sei nicht zuletzt wichtig, um dem sensiblen Thema des Suizids den notwendigen Raum geben zu können. Erst 2023 wurden Suizidversuche in dem westafrikanischen Staat entkriminalisiert. Doch gesellschaftlich tief verankerte Stigmatisierung und unzureichende Behandlungsmöglichkeiten bleiben bislang bestehen. Die Autorin und der Fotograf möchten vor Ort herausfinden, welchen Unterschied die Entkriminalisierung von Suizidversuchen macht und welche weiteren Maßnahmen und Angebote für Betroffene wichtig wären. (CK/SJ)
Bedarfsgerechte Forschung und weltweiter Zugang zu Arzneimitteln
Ärzte ohne Grenzen e.V., Brot für die Welt, die BUKO Pharma-Kampagne und die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. haben gemeinsam den Memento Preis für vernachlässigte Krankheiten ins Leben gerufen. Seit 2014 wird er einmal im Jahr für besonderes Engagement in der Bekämpfung von vernachlässigten Krankheiten verliehen. Darüber hinaus setzt sich das Bündnis auch politisch für bessere Rahmenbedingungen ein, damit alle Menschen die Gesundheitsversorgung erhalten, die sie brauchen. Das Memento Bündnis publizierte dazu kürzlich ein Positionspaper.4
- Neben Krankheiten brachten die Kolonialmächte auch ihre medizinischen Ansätze mit, die traditionelle Heilmethoden verdrängten. Gesundheitseinrichtungen wurden meist nur in Städten gebaut, eine flächendeckende Versorgung blieb aus. Siehe dazu: Bofinger F (2017) Die Gesundheitssysteme im nachkolonialen Afrika als Spiegel der sozialpolitischen Situation. Aktuelle Dermatologie; 43, S. 361 ↩︎
- Centre de Recherches Médicales de Lambaréné, Gabun ↩︎
- www.loaloa.org/en ↩︎
- Memento Preis (2024) Für bedarfsgerechte Forschung und weltweiten Zugang zu Arzneimitteln. www.memento-preis.de ↩︎