Aviäre Influenza: Wohin geht die Reise?
15. Dezember 2025
Zoonose in den Schlagzeilen
Tauende tote Kraniche, Keulungen in Geflügelzuchten, Labore am Anschlag – die Vogelgrippe (aviäre Influenza, AI1) hat große Teile Deutschlands im Griff.
Das Influenza-Virus vom Subtyp H5N1 führt seit Jahren bei Tieren zu massiven Krankheitsausbrüchen rund um den Globus, vor allem nach 2020, als zahlreiche Wildvogelpopulationen einbrachen, der Erreger erstmals in der Antarktis nachgewiesen wurde und verstärkt Infektionen bei Säugetieren auftraten: So starben etwa 2022-23 allein in Peru und Chile über 30.000 Seelöwen.2 Wissenschaftler*innen sprechen von einer Panzootie, also einer Pandemie im Tierreich. Doch beteiligt ist maßgeblich der Mensch. Die AI ist ein Bilderbuchfall für die Notwendigkeit einer One Health-Perspektive, die Tier-, Mensch- und Umweltgesundheit eng verschränkt betrachtet.
Konsum oder Kranich, wer hat Schuld?
Die globalen Dynamiken der AI sind komplex, unbestreitbar sind jedoch wichtige Effekte menschgemachter Triebkräfte wie dem Klimawandel, veränderter Raumnutzung sowie der industriellen Landwirtschaft. Gerade der Agrarbereich gerät daher nun wieder in den Fokus. Demgegenüber mahnte ein Vertreter eines Landeswirtschaftsverbandes im MDR sogleich: „Man kann nicht sagen, dass das Nutzgeflügel daran Schuld ist, dass die Geflügelpest so grassiert.“3 Der Ursprung des Virus läge schließlich in der Wildvogelpopulation. Umweltorganisationen wie der NABU wiederum halten dem entgegen, es sei „naiv“ anzunehmen, „dass die Infektionswege eine Einbahnstraße sind“.4
Tatsächlich ist AI grundsätzlich ein gängiger Begleiter vieler wildlebender Federviehs. Vor allem Wasservögel sind natürliches Reservoir und transportieren Erreger über große Distanzen. Zur Wahrheit gehört jedoch, dass die Globalisierung intensiver Geflügelzucht den Aufstieg hochpathogener AI-Varianten wie H5N1 maßgeblich befeuert hat, zunächst vor allem in Asien.5
Ene, mene, muh
Die Epidemiologie der Influenza allgemein war stets gemeinsame Angelegenheit von Mensch und Tier. Doch die jüngste Wandelbarkeit der AI bereitet zunehmend Sorgen. Seit das Virus 2024 weitflächig in US-amerikanischen Milchviehbetrieben auftauchte und Dutzende Fälle von direkter Übertragung auf Menschen in den Vereinigten Staaten dokumentiert sind, hat sich die Situation abermals verändert.6
Es existieren aus der Vergangenheit Berichte von direkter H5N1-Übertragung zwischen Menschen,7 ihre Belastbarkeit ist teils schwer bewertbar. Das Virus müsste für eine nachhaltige Anpassung an den Menschen in der Mutation gleich mehrere Hürden nehmen, doch zu Beginn der Grippe-Saison auf der Nordhalbkugel bietet sich ihm womöglich wieder eine Art Schleichweg an: Zum Beispiel könnten Farm-Arbeiter*innen sich mit gewöhnlicher Grippe und gleichzeitig mit AI anstecken und dann beide Erreger genetische Informationen austauschen.8 Die toten Kraniche auf herbstlichen Feldern sind jedenfalls eine weitere Warnung, dass die verschlungene Reise von H5N1 andauert und Überraschungen bereithält. (MK)
- Aviäre Influenza kann niedrig- und hochpathogene Varianten bezeichnen, die oft eigens abgekürzt werden (NPAI bzw. HPAI). Umgangssprachlich wird AI meist als “Vogelgrippe” bezeichnet, während “Geflügelpest” wiederum nur die hochpathogenen Formen meint. ↩︎
- Moutinho S (2025) ‚It was a horrible scene to witness‘: How bird flu has decimated elephant seal populations. BBC, 5 Nov [Zugriff 13.11.2025] ↩︎
- MDR Sachsen-Anhalt (2025) Vogelgrippe: Hunderte tote Kraniche „So was entsteht nicht in freier Natur“, 5. Nov [Zugriff 13.11.2025] ↩︎
- NABU (2025) Vogelgrippe: So verläuft die H5N1-Pandemie. [Zugriff 13.11.2025] ↩︎
- Fatoyinbo HO et al. (2025) Multivariable analysis of highly pathogenic H5N1 and H5Nx avian influenza in wild birds and poultry in Asian subregions. Immunology, Microbiology and Infectious Diseases; 123 ↩︎
- PAHO (2025) Epidemiological Update: Avian Influenza A(H5N1) in the Americas Region. 15 Oct [Zugriff 15.11.2025] ↩︎
- NCCID (2025) H5N1 Highly Pathogenic Avian Influenza A Virus (Bird Flu), 11. Feb [Zugriff 15.11.2025] ↩︎
- Peacock TP et al. (2025) The global H5N1 influenza panzootic in mammals. Nature; 637, p 304 ↩︎