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Die EU veröffentlichte kürzlich einen Bericht der Kommission zum Wettbewerbsrecht bei Arzneimitteln.1 Er liest sich wie ein Kompendium für Gesetzesverstöße und fragwürdige Praktiken zum Schaden der Patient*innen und der Sozialversicher­ungen. Dabei geht es um ganz unterschiedliche Strategien, den Wettbewerb zu untergraben. Erfreulicherweise werden die Tatumstände relativ detailliert geschildert. Hier einige Beispiele:

Die Mühlen der Behörden mahlen manchmal langsam: Ende November 2020 verhängte die Kommission Geldbußen gegen Teva (30 Mio. €) und Cephalon (30,5 Mio. €). Es ging um die Verhinderung von Generikawettbewerb bei Modafinil, dass gegen Narkolepsie eingesetzt wird. Teva wollte 2005 nach Patentablauf für den Wirkstoff ein Generikum auf den Markt bringen. Cephalon klagte wegen angeblicher Verletzung von Sekundärpatenten und man einigte sich: „Teva verpflichtete sich, nicht auf den Modafinil-Märkten tätig zu werden – allerdings nicht, weil es von der Stärke der Cephalon-Patente überzeugt war, sondern weil Cephalon ihm erhebliche Vermögenswerte übertrug.“ Bis 2011 wurde mit dieser “Pay for Delay” genannten illegalen Strategie Wettbewerb verhindert. Endgültig wurde das Bußgeld erst am 18. Oktober 2023, nachdem ein Widerspruch von Teva zurückgewiesen wurde.

2016 durchsuchte die Kommission die Räumlichkeiten von MSD in Wien. Es ging um den Wirkstoff Temozolomid, der bei Gehirntumoren eingesetzt wird. Als das Patent ablief, schaltete MSD die Konkurrenz durch einen Trick aus: Da das Medikament zuerst im Krankenhaus verordnet wird, gaben sie ihr Markenpräparat dort unter Preis ab, und die Ärzt*innen in der Praxis folgten meist der Erstverschreibung. Das Verfahren wurde an die österreich­ische Behörde abgegeben und wurde 2021 eingestellt, nachdem sich MSD schriftlich verpflichtet hatte, diese Praxis einzustellen. Ein Bußgeld wurde nicht verhängt.

In Rumänien taten sich mehrere Hersteller zusammen, darunter CSL Behring und Biotest, um 2015-2018 durch Verknappung höhere Preise für Immunglobuline zu erzwingen.: „Die Unternehmen kolludierten, um Druck auf die Behörden auszuüben, damit diese eine bestimmte Steuer aussetzen, die für Hersteller und Lieferanten aus menschlichem Blut oder Blutplasma gewonnener erstattungsfähiger Arzneimittel galt. Ihr Ziel war, auf diese Weise ihre Gewinnspannen zu erhöhen. Im Zeitraum der Zuwiderhandlung begannen die Immunglobulinhersteller allmählich, die Menge des in Rumänien gelieferten Immunglobulins zu reduzieren, bis sie dann die Lieferung ganz einstellten, wodurch einige Patienten in Lebensgefahr gerieten.“ Im Dezember 2021 verhängte die rumänische Wettbewerbsbehörde Strafen in Höhe von 71 Mio. €.

Auch gegen das Entstehen einer marktbeherrschenden Stellung wurde die EU aktiv. So 2021 bei dem Zusammenschluss von Mylan, einem der fünf größten Generikaanbieter im Europäischen Wirtschaftsraum, mit Upjohn, der Generikasparte von Pfizer. Bei zwölf Wirkstoffen drohte fehlender Wettbewerb bis hin zu Beinahe-Monopolen. Mylan erklärte sich bereit, diese Produkte einschließlich aller Rechte an andere Hersteller zu verkaufen. Andernfalls hätte die EU die Fusion untersagen können.

Bei dem Merger von Abbvie und Allergan ging es um die Forschung. Abbvie hatte bereits ein neues Medikament gegen chronisch entzündliche Darmerkrankungen auf dem Markt, während Allergan einen Wirkstoff in derselben Klasse erforschte. Es lag nahe, dass die Entwicklung nach dem Zusammenschluss gestoppt würde, um sich nicht selbst Konkurrenz zu machen. Der Wirkstoff einschließlich aller Rechte musste an eine andere Firma verkauft werden.

Die Beispiele könnten fortgesetzt werden, und vermutlich handelt es sich dabei nur um die Spitze des Eisbergs.  (JS)


  1. EU Kommission (2024) Aktueller Stand der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor (2018-2022) COM(2024) 36 final https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=COM:2024:36:FIN [Zugriff 10.3.2024] ↩︎

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