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Die American Psychiatric Association ist seit vielen Jahren für das “Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders” (DSM) verantwortlich, 2022 wurde die revidierte Fassung DSM-5-TR veröffentlicht. Es dient der Einordnung psychischer Störungen und gibt passende Behandlungsempfehlungen. Die Definitionen bilden in den USA außerdem die Voraussetzung für die Zulassung neuer Psychopharmaka. Die Klassifizierung wirkt aber weit über die USA hinaus, denn auch andere Industrieländer orientieren sich daran.

Neue und veränderte Definitionen von Krankheiten können mit Blick auf die Pharmabranche problematisch sein. In der Vergangenheit wurde zum Beispiel „Mangelndes sexuelles Verlangen der Frau“ (HSDD1) als psychische Störung definiert. Es war kein Zufall, dass Pharmafirmen entsprechende Präparate gerade in der Entwicklung hatten. Die kontroverse Entscheidung über die Definition wurde 2013 teilweise zurückgenommen.2 Neu kam dafür im selben Jahr „Stimmungsschwankungen mit Wutausbrüchen“ (DMDD3) als Krankheit hinzu. Eine „neu zusammengezimmerte und nach vorliegenden ersten Tests unspezifische und zudem unzuverlässige ‚Diagnose‘,“ schrieb Gute Pillen – Schlechte Pillen dazu.4

Konflikte zuhauf

Wissenschaftler*innen aus den USA haben die Interessenkonflikte der Expert*innen die an der aktuellen Fassung von DSM mitgearbeitet hatten, unter die Lupe genommen.5 Sie nutzen dafür die „Open Payments“ Datenbank, die alle Zahlungen der Pharmaindustrie an Ärzt*innen in den USA detailliert aufführt. Von den 168 Beteiligten an DSM-5-TR stammten 92 aus den USA und konnten ausgewertet werden.6 60% hatten in den vier Jahren vor und während der Erstellung des Manuals insgesamt Zahlungen von Firmen in Höhe von 14,2 Millionen US$ erhalten. Der häufigste Anlass waren Bewirtung mit 91%, Reisekosten und Beratungsleistungen für Firmen folgten mit jeweils 69%. Vom Geldvolumen her war Forschungsunterstützung der größte Posten. In einem der Panels hatten 100% der Beteiligten Interessenkonflikte, in vier weiteren zwischen 75% und 83%.

Da bei DSM keine öffentlich verfügbaren Aufzeichnungen darüber geführt werden, wie die Diskussionen verliefen und wer wie abgestimmt hat, können keine direkten Verbindungen zwischen Zahlungen und Entscheidungen nachgewiesen werden. Der Arzneimittelbrief schreibt dazu: „Es ist aber davon auszugehen, dass diese die Verschreibungspraktiken und Leitlinienempfehlungen beeinflusst haben, was neben erheblichen Mehrkosten im Gesundheitswesen auch mehr Menschen mit einer Krankheits-Diagnose subjektiv belastet.“ Als Beispiel nennt er Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die mit den Maßstäben des DSM-5-TR überdiagnostiziert würden, „folglich werden jetzt möglicherweise mehr Kinder zusätzlich mit Psychostimulanzien behandelt.“7

Die Autor*innen der aktuellen Untersuchung haben bereits zweimal zuvor die Interessenkonflikte bei dem DSM ausgewertet, eine Besserung konnten sie nicht feststellen. Sie schreiben, ihre vor 12 Jahren ausgesprochene Empfehlung sei dringender denn je: Die Teilnahme von Personen, die sich von der Pharmaindustrie als Redner*innen einspannen lassen, sollte schlicht verboten werden.  (JS)


  1. Hypoactive Sexual Desire Disorder ↩︎
  2. GPSP (2015) US-Pharmaindustrie auf dem Emanzipationstrip. Nr. 4, S. 6 ↩︎
  3. Disruptive Mood Dysregulation Disorder ↩︎
  4. GPSP (2013) Psychische Erkrankungen: Die Macht der Definition. Nr. 4, S. 6 ↩︎
  5. Davis LC et al. (2024) Undisclosed financial conflicts of interest in DSM-5-TR: cross sectional analysis. BMJ; 384, p e076902 http://dx.doi.org/10.1136 ↩︎
  6. Wie es um die Konflikte der ausländischen Beteiligten steht, wurde nicht ermittelt, da es anderen Ländern keine vergleichbare detaillierte Datenbank gibt – wenn überhaupt öffentlich zugängliche Informationen über Industriezahlungen vorliegen. ↩︎
  7. Arzneimittelbrief (2024) Finanzielle Interessenkonflikte bei Leitlinienautoren. 58, S. 15 ↩︎

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