
Novartis und der englische Gesundheitsdienst
10. Mai 2024
Die britische Regierung wollte mit einem fragwürdigen Deal die Vorteile des Brexit beweisen und seinen „Status als Wissenschaftssupermacht“ unter Beweis stellen.1 In Kooperation mit der Schweizer Firma Novartis sollte das Herz-Kreislaufmedikament Inclisiran in England früher zur Verfügung stehen als in anderen Ländern. Bereits im Januar 2020 – ein Jahr vor der Zulassung – wurde zwischen dem britischen Gesundheitsministerium und Novartis ein Vertrag geschlossen.
In einer im selben Monat veröffentlichten Pressemitteilung versprachen die am Deal beteiligten Ministerien und der National Health Service (NHS), dass innerhalb von zwei Jahren 300.000 Menschen das neue Medikament erhalten sollen. Das würde innerhalb eines Jahrzehnts 30.000 Todesfälle verhindern. Diese Behauptung löste sogar bei Novartis Bedenken aus. In E-Mails forderte die Firma den Hinweis, dass das Medikament sich in der Forschungsphase befände und noch den Zulassungsprozess durchlaufen müsse.
Teil des Deals war nicht nur der frühe Einsatz in England, sondern auch, dass der großflächige Einsatz des Medikaments durch eine klinische Studie begleitet wird, um weitere Evidenz zu generieren. Die Kosten dafür übernahm der Staat.
Im Januar 2021 erhielt Inclisiran im Vereinigten Königreich die Zulassung. Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) schloss seine Nutzenbewertung im September mit einer Empfehlung für die Erstattung des Medikaments ab, obwohl das Institut selbst zu dem Schluss kam: „[…] der Einfluss von Inclisiran auf kardiovaskuläre Ereignisse ist unsicher weil Langzeitevidenz fehlt.“2
Es gab Proteste gegen die Entscheidung des NICE (die Regierung hatte Novartis eine schnelle Bearbeitung versprochen). Das BMJ forderte wegen der schwachen Evidenz eine erneute Bewertung. Die großen Ärzt*innenverbände äußerten Bedenken wegen der fehlenden Langzeitergebnisse zum Nutzen und Schaden.
In Deutschland kam man zu ganz anderen Entscheidungen: Das Medikament bekam in der Bewertung keinen Zusatznutzen und die Verordnungsfähigkeit wurde im Oktober 2021 drastisch eingeschränkt.3
Die Skepsis der Ärzt*innen führte dazu, dass auch in England Inclisiran nur selten verschrieben wurde. Von den geplanten 300.000 Patient*innen hatten bis Juli 2023 gerade einmal 4.549 Personen das Medikament erhalten.
Novartis sagte die weitere Beteiligung an der klinischen Studie ab, weil der NHS sein Versprechen nicht eingehalten habe, genügend Patient*innen mit Inclisiran zu versorgen. (JS)
- Cohen D and McCartney M (2024) Inclisiran: Government’s strategy to promote cholesterol lowering drug after Brexit was “spectacular failure,” says insider. BMJ;384, p q90 http://dx.doi.org/10.1136/bmj.q90 ↩︎
- Die Entscheidungen des NICE gelten nur für England und Wales. ↩︎
- G-BA (2021) Beschluss über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: Anlage III (Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse) – Nummer 35c (Inclisiran) vom 21. Okt. ↩︎