
Schwangerschaftsabbruch abbrechen? Gefahr durch hochdosiertes Progesteron
10. Mai 2024
Personen, die über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken, können durch die „Lebensschutzbewegung“ unter Druck geraten. Besonders gefährlich wird es, wenn ohne ausreichende Aufklärung ein Medikament angeboten wird, das einen medikamentösen Abbruch stoppen soll. Eine Zulassung fehlt, die Wirkung ist fraglich und die Risiken sind hoch.
Weltweit ist rund die Hälfte aller Schwangerschaften ungewollt, nicht zuletzt aufgrund oftmals mangelnder Grundrechte und bestehender Diskriminierung von Frauen und Mädchen, aber auch transgeschlechtlichen und nicht-binären Personen.1 Rund 60 % der ungewollten Schwangerschaften werden abgebrochen.2 Auch wenn die Quote in Deutschland mit 43 % geringer ist, finden hierzulande jährlich ca. 95.000 Schwangerschaftsabbrüche statt. Rund ein Drittel dieser Abbrüche erfolgt medikamentös mit dem Wirkstoff Mifepriston.3
Selbst ernannte „Lebensschützer“ propagieren Progesteron-Präparate in hoher Dosierung, um medikamentöse Abbrüche zu stoppen. Doch dafür ist das Präparat gar nicht zugelassen. Ein sogenannter „Off-Label Use“ bedarf in Deutschland einer umfangreichen ärztlichen Aufklärung, die jedoch laut Recherchen des ZDF nicht zuverlässig erfolgt. Stattdessen findet die dubiose Abgabe einzelner Blister „ohne Bezahlung, ohne Rezept und ohne Untersuchung“ durch „Lebensschutz“-Ärzt*innen z.B. auf Berliner Straßen statt.4
In mehreren europäischen und nordamerikanischen Ländern wurde die international kritisierte medizinische Praxis einiger Ärzt*innen in den vergangenen Jahren aufgedeckt.5 Die Wirksamkeit der Progesteron-Methode ist äußerst fraglich, wissenschaftliche Evidenz gibt es keine. Zuletzt zeigte sich aber ein erhebliches Risiko für schwerwiegende Blutungen. Zusätzlich beunruhigend sind professionalisierte Strukturen zur Verbreitung der Methode, wie z.B. eine 24-Stunden-Hotline auf zahlreichen „Lebensschützer“-Websites, einhergehend mit zunehmender Vernetzung und Ausbreitung christlicher Rechter in Europa.6
Immerhin fühlen sich aktuell die meisten Personen nach medikamentösen Abbrüchen erleichtert und entscheiden sich nur selten für eine Unterbrechung des Schwangerschaftsabbruchs.77 Dies macht deutlich, dass Selbstbestimmung beim Thema Schwangerschaftsabbruch zentral ist. Umso mehr gilt es, die „Lebensschutz“-Bewegung und ihre medizinisch fragwürdigen Methoden im Blick zu haben. Bislang scheint das Problem den zuständigen Ministerien (BMG und BMFSFJ) nicht bekannt zu sein.6 (SJ)
- UNFPA (2022) Seeing the unseen. The case for action in the neglected crisis of unintended pregnancy. www.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/EN_SWP22%20report_0.pdf [Zugriff 24.04.2024] ↩︎
- Bearak J et al. (2020) Unintended pregnancy and abortion by income, region, and the legal status of abortion: estimates from a comprehensive model for 1990–2019. Lancet Glob Health 2020; 8: e1152–61 https://doi.org/10.1016/S2214-109X(20)30315-6 ↩︎
- Prütz F et al. (2022) Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland – Aktuelle Daten aus der Schwangerschaftsabbruchstatistik. Journal of Health Monitoring 2022; 7 (2) https://doi.org/10.25646/9955 ↩︎
- Ulrich S, Cesaro-Tadic C (2024) Glaube, Macht, Ideologie. Das gefährliche Netz der Abtreibungsgegner www.zdf.de/dokumentation/die-spur/glaube-macht-ideologie-100.html [Zugriff 24.4.2024] ↩︎
- Chadwick L et al. (2021) „Abtreibungspille umkehren“ – die umstrittene Praxis einiger Ärzte: Euronews 29.3. https://de.euronews.com/2021/03/29/abtreibungspille-umkehren-die-umstrittene-praxis-einiger-arzte [Zugriff 24.4.2024] ↩︎
- Ulrich S (2024) Wenn Lebensschützer Leben gefährden.taz 18.3. https://taz.de/Abtreibungsdebatte-in-Deutschland/!5996890 [Zugriff 24.4.2024] ↩︎
- Stifani B, Lavelanet A (2024) Reversal of medication abortion with progesterone: a systematic review. BMJ Sex Reprod Health; 50, p 43 https://srh.bmj.com/content/50/1/43 ↩︎