
Sichelzellkrankheit – Therapie nur für Reiche?
19. Oktober 2024
Neue Gentherapien sind extrem teuer. Besonders problematisch wird das, wenn die meisten Erkrankten in ärmeren Ländern leben.
Ende 2023 wurde in den USA und wenige Monate später in der EU mit Exagamglogen Autotemcel (Casgevy®) eine Gentherapie gegen die Sichelzellkrankheit zugelassen.1 Bei dieser Erkrankung führen sichelförmig deformierte rote Blutkörperchen, die schlechter Sauerstoff transportieren können, zu Anämie, Schmerzen, Infektanfälligkeit und Organschäden. Bislang wird die Erkrankung hauptsächlich symptomatisch mit Hydroxyurea und Bluttransfusionen behandelt. Bei schwerem Verlauf kommt auch eine Stammzellbehandlung in Frage, die im Idealfall die Krankheit heilt. Für 80% findet sich aber kein geeigneter Spender.
Die neue Gentherapie scheint das Ziel der Heilung auch zu erreichen, soweit man das bei der geringen Zahl an Versuchspersonen (58) und der kurzen Nachbeobachtungsdauer beurteilen kann. Allerdings bemängelte die europäische Zulassungsbehörde EMA vermeidbare methodische Schwächen bei der Studie und dass bei einem bedeutenden Teil der Patient*innen die Behandlung nicht durchgeführt werden konnte, weil es nicht gelang, das therapeutische Produkt herzustellen. Auch die Langzeitsicherheit sei noch unklar. Dabei geht es auch um mögliche andere unbeabsichtigte Genveränderungen. Deshalb hat die EMA das Produkt nur unter vorläufig zugelassen und als Auflage die Durchführung längerer
Studien verlangt.2
Behandlung für die meisten unzugänglich
In Europa ist die Sichelzellkrankheit mit 1,3 von 10.000 Personen sehr selten.3 In Subsahara-Afrika kommt diese genetisch bedingte Störung der Blutbildung mit 100 von 10.000 Personen viel häufiger vor.4 Die neue Gentherapie kostet 2,2 Millionen US-Dollar und ist damit völlig außer Reichweite für die allermeisten Betroffenen.
Der hohe Preis wird dabei nicht durch hohe Forschungs- oder Herstellungskosten gerechtfertigt, sondern mit dem angeblich hohen gesellschaftlichen Nutzen des Produkts. Mit dieser Begründung könnte man auch Trinkwasser sehr teuer machen, schließlich kann man ohne Wasser nur sehr kurz überleben.
So fragwürdig diese Argumentation ist, gibt es auch noch andere wichtige Aspekte. Denn sowohl die Erforschung der verwendeten Genschere5 wie auch die Grundlagenforschung an der Sichelzellkrankheit fand hauptsächlich an öffentlichen Forschungseinrichtungen und Universitäten statt und wurde mit viel staatlichen Geldern finanziert.6 Trotz dieser öffentlichen Vorleistungen kann der Hersteller am Ende astronomische Preise verlangen.
Die US-Wissenschaftler Scheffer Cliff und Tessema argumentieren deshalb, dass man generell für vernachlässigte Krankheiten diesen Pfad konsequent weiterdenken müsse: Staatliche Förderung bis zur Produktreife, dafür dann aber eine Beschränkung der Gewinne auf 10-20% der Herstellungskosten der Produkte.6
Auch wenn derzeit noch unklar ist, ob diese neue Gentherapie wirklich einen Durchbruch bedeutet, ist schon heute die Preispolitik des Herstellers kritisch zu hinterfragen. Denn ein medizinischer Fortschritt, der die Betroffenen nicht erreicht, ist kein Fortschritt, sondern ein leeres Versprechen. (JS)
- Eine weitere Indikation ist die Beta-Thalassämie, mit der befasst sich dieser Artikel nicht. ↩︎
- EMA (2024) EPAR Casgevy https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/casgevy [Zugriff 8.9.2024] ↩︎
- EMA (2020) EU/3/19/2242 – orphan designation for treatment of sickle cell disease. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/orphan-designations/eu-3-19-2242 [Zugriff
9.9.2024] ↩︎ - Tshilolo L et al. (2019) Hydroxyurea for Children with Sickle Cell Anemia in Sub-Saharan
Africa NEJM;3 80, p 121 https://doi.org/10.1056/NEJMoa1813598 ↩︎ - CRISPR-Cas9 ↩︎
- Scheffer Cliff ER and Tessema FA (2024) The Double-Edged Sword of Extremely High
Prices for Gene Therapies in Sickle Cell Disease. JAMA; 332, p 703 ↩︎