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Zigarettenhersteller sponsert ärztliche Fortbildungen

Ausgerechnet der zweitgrößte Tabakkonzern der Welt finanzierte in den USA ein Fortbildungsprogramm zur Tabakentwöhnung. Kein Wunder, dass dabei nicht der Rauchstopp, sondern Ersatzprodukte im Mittelpunkt standen.

Mit fast drei Millionen US-Dollar sponserte Philip Morris International (PMI) ein umfassendes Fortbildungsangebot zur Tabakentwöhnung bei „Medscape“, einem großen privaten Anbieter für medizinische Informationen. Mit Lernvideos, Podcasts, einer fernsehähnlichen Serie und Hintergrundinformationen sollten über 65.000 Ärztinnen in den USA erreicht werden.1

Inhaltlich ging es weniger darum, wie man am besten mit dem Rauchen aufhört, sondern um die Vorstellung verschiedener rauchfreier Produkte. „Missverständnisse über Nikotin“, „Schadensreduzierung“ oder „die sich entwickelnde Landschaft der tabakhaltigen Produkte“ lauteten die Titel von Lerneinheiten. Unter den Fachleuten, die in den Kursen als Lehrende auftraten, hatten mehrere enge Beziehungen zu Tabak- und E-Zigarettenfirmen.

Das Kursmaterial verzerrte die Fakten: Auf einer Folie fand sich beispielsweise die Aussage, dass E-Zigaretten besser für den Rauchstopp seien als eine Nikotinersatztherapie. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Verschwiegen wurde, dass in der zitierten Untersuchung in der Gruppe, die E-Zigaretten nutzte, nach einem Jahr immer noch 80% qualmten. Eine systematische Auswertung von Studien kam mit 90% zu noch schlechteren Ergebnissen.2

Absolut unüblich ist auch, dass in den Vorträgen das Sponsoring durch PMI nicht erwähnt wurde, denn Erklärungen zu Interessenkonflikten sind in medizinischen Fortbildungsangeboten Standard.3

Proteste stoppen Fortbildung

Erst als die britische Medizinfachzeitschrift BMJ die fragwürdige Kooperation aufdeckte und es zahlreiche Proteste von Fachleuten gab, ruderte Medscape zurück. Die Firma entfernte das Fortbildungsmaterial und bezeichnete den Pakt mit der Tabakindustrie als eine „Fehleinschätzung“.4

Warum bietet ausgerechnet ein Tabakkonzern solche Fortbildungen an? Die Industrie arbeitet intensiv am Imagewandel vom Verursacher von Krankheit und Tod zum angeblichen Problemlöser. Dabei bietet sie weiterhin Zigaretten an, will aber bei denjenigen, denen die Glimmstängel zu riskant sind, mit Tabakerhitzern und nikotinhaltigen E-Zigaretten im Geschäft bleiben. Diese Produkte sind jedoch keineswegs harmlos.

Ersatzprodukte für Zigaretten auch riskant

Die WHO schreibt: „Trotz Behauptungen einer ‚Risikoreduktion‘ gibt es keine Evidenz dafür, die zeigt, dass Tabakerhitzer weniger schädlich sind als herkömmliche Tabakprodukte.“ Zwar sei die Menge vieler Giftstoffe geringer als in Zigaretten, dafür seien die Mengen anderer giftiger Stoffe in den Aerosolen der Erhitzer aber höher.5

Auch E-Zigaretten sind keineswegs harmlos. Sie enthalten das stark süchtig machende Nikotin. Und für die überwiegende Zahl der rund 16.000 verschiedenen Aromen, die in E-Zigaretten verdampft werden, fehlen Sicherheitsdaten, besonders bei längerfristiger Verwendung. Veränderungen der Lungenfunktion und andere schädigende Effekte sind beschrieben. Einige Erhitzungsprodukte von Liquids werden als krebserregend eingestuft.6

Tabakindustrie beeinflusst weltweit

Ähnliche Programme wie das von Medscape in den USA gibt es von PMI auch in anderen Ländern. So sponserte die Firma zwei Fortbildungen des südafrikanischen Ärzteverbands ASAIPA.4 Die Rednerinnen hatten keine einschlägigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema Rauchstopp vorzuweisen, aber beide sind Mitglied der industrienahen „African Harm Reduction Alliance“, die offen Nikotinverdampfer als Lösung propagiert.

Das südafrikanische „National Council Against Smoking“ reichte bei der Aufsichtsbehörde eine Beschwerde gegen die Fortbildungen ein. Die Förderung durch die Tabakindustrie sei unethisch und stelle einen Verstoß gegen die WHO-Konvention zur Tabakkontrolle dar.

ASAIPA reagierte auf die Kritik mit dem allgemeinen Statement „Unsere Mission ist eindeutig: Wir setzen uns unermüdlich für das Wohl der Allgemeinheit ein.“3 Der Vorsitzende des Verbands schreibt in einer Mail, die versehentlich an das BMJ geschickt wurde, dass er an der Fortbildung nicht teilgenommen hätte und deshalb nicht wissen könne, was dort vermittelt wurde. „Wir kannten den Sprecher nicht, aber unsere Ärzt*innen sind Fachleute und sind nicht so leicht zu beeinflussen. […] Das einzige Problem ist der Sponsor der Fortbildung, aber ich wusste nicht einmal, wer Philip Morris ist.“3

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass medizinische Fortbildung frei von Interessenkonflikten ist. Das gilt nicht nur für die Tabakindustrie, sondern auch für die Pharmabranche. Wer mit seinen Produkten Gewinn erzielen will, kann kaum ein neutraler Ratgeber sein. (JS)

Dieser Artikel erscheint zeitgleich in Gute Pillen – Schlechte Pillen 6/2024


  1. PMI (2024) [Zugriff 4.10.2024] ↩︎
  2. Gute Pillen – Schlechte Pillen (2021) WHO warnt vor E-Zigaretten. Nr. 6, S. 8 ↩︎
  3. Chapman M (2024) Medscape severs ties with tobacco industry after backlash over $3m Philip Morris International deal. The Examination, 26. April [Zugriff 4.10.2024] ↩︎
  4. Boytchev H (2024) Medscape caves in on courses funded by tobacco giant Philip Morris, while medics fear global push into medical education. BMJ; 385, S. q984 ↩︎
  5. WHO (2023) Tobacco factsheet [Zugriff 4.10.2024] ↩︎
  6. arznei-telegramm (2024) Tabakindustrie – der Bock als Gärtner? e a-t 7/2024b ↩︎

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