
Wie Lilly Geheimpreise durchsetzte
11. November 2024
Gesetz auf Pharmawunsch
Wir berichteten im Mai über eine merkwürdige Klausel im Entwurf für das Medizinforschungsgesetz.1 Die Krankenkassen sollten verpflichtet werden, künftig die im Rahmen des Nutzenbewertungsverfahrens mit den Herstellern ausgehandelten Preise geheim zu halten. Das war im Interesse der Firma Lilly, die kürzlich mit Tirzepatid ein wenig nützliches Diabetesmittel auf den Markt brachte. Der Wirkstoff bekam auch eine Zulassung als Schlankmacher. Die Preisverhandlungen mit den Krankenkassen für die Indikation Diabetes müssen bis zum 14.11.2024 abgeschlossen sein. Würde dann der aller Voraussicht nach niedrige Erstattungsbetrag für das Diabetesmittel bekannt, wäre ein hoher Preis für das lukrative Anwendungsgebiet Abnehmen mit demselben Wirkstoff schwer durchzusetzen. Der Bundesrat stimmte am 27.9.2024 dem Medizinforschungsgesetz zu, das kam für Lilly gerade noch rechtzeitig.
Im April 2024 gab es den ersten symbolischen Spatenstich für den Bau einer Pharmafabrik von Lilly in Alzey. Kanzler und Gesundheitsminister griffen persönlich zum Spaten. Sowohl Lilly als auch der Minister bestritten, dass es einen Zusammenhang zwischen der Investition und der Geheimhaltungsklausel gebe. Investigate Europe deckte jetzt auf, dass das sehr wohl er Fall war.2 Es gab mehrere Kontakte zwischen Kanzleramt und Gesundheitsministerium mit Lilly.
Das Recherchekollektiv berichtet: „der Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Jörg Kukies, Anfang 2023 [hat] insgesamt dreimal mit Eli Lillys CEO Ricks über ein Pharmagesetz und die Einführung geheimer Arzneimittelpreise gesprochen. Am 16. Februar telefonierte auch Kanzler Scholz selbst mit Ricks dazu.“
Über ein Gespräch zwischen der Firma und dem BMG-Abteilungsleiter Thomas Müller am 30.8.2023 wird festgehalten: „Eli Lilly plant in Deutschland eine Herstellungsstätte für die Produktion von Mounjaro® […] Eli Lilly knüpft seine Investitionsentscheidung an die Zusage der Bundesregierung vertrauliche Rabatte bei innovativen Arzneimitteln zu ermöglichen.“3
Aus demselben Aktenvermerk geht hervor, dass am 15.9.2023 ein Gespräch mit dem Lilly-Boss Dave Ricks stattfand, wo dem Ansinnen nachgegeben wurde: „In einem gemeinsamen Gespräch nach Veröffentlichung der Eckpunkte zum Medizinforschungsgesetz (MFG) kann dem CEO von Eli Lilly Dave Ricks mitgeteilt werden, dass das BMG dem Wunsch von Eli Lilly nachkommt und im Rahmen des MFG plant, vertrauliche Rabatte für den Herstellerpreis zu ermöglichen.“
In einem dringenden Vermerk des Gesundheitsministeriums an den Minister vom 22.11.2023 heißt es: „Befürworter einer solchen Regelung ist insbesondere die Firma Lilly, die ihre Investitionsentscheidung in Alzey an einen in Aussicht gestellten vertraulichen Erstattungsbetrag geknüpft hatte.“4 Aus den nun zugänglichen Dokumenten geht auch hervor, dass Mitarbeiter*innen des BMG am 27.10.2023 vor erheblichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung und Mehrkosten für die Krankenkassen gewarnt hatten: „Die Folge-Probleme eines der Versorgungs- und Logistik-Kette unbekannten Rabatts sind eindrucksvoll und auch politisch problematisch. Auch die Overhead-Kosten sind eindrucksvoll.“5
Investigate Europe musste erst klagen, um die Akten aus dem Ministerium zu erhalten. Das verzögerte die Freigabe um neun Monate. Zu spät für eine politische Intervention, das Gesetz war schon verabschiedet.6
Von der Bundesregierung kam auf den Bericht des Rechercheteams kein wirkliches Dementi. Sie sagte lediglich, die Rabattregel habe keine Rolle für die Standortentscheidung von Lilly gespielt. Die Akten belegen das Gegenteil, zu diesen internen Dokumenten äußerte sich der Ministeriumssprecher nicht.7 (JS)
- Pharma-Brief (2024) Wer hat, dem wird gegeben. Nr. 4, S. 1 ↩︎
- Berndt C et al. (2024) „Wunsch von Eli Lilly“. Investigate Europe, 12. Okt. [Zugriff 26.10.2024] ↩︎
- BMG (2024) Betreff: Terminanfrage Dave Ricks (CEO Eli Lilly). Interner Vermerk vom 13.9.2023. Dokumentiert bei Investigate Europe [Zugriff 26.10.2024] ↩︎
- BMG (2024) Pharmastrategie/Medizinforschungsgesetz; hier vertraulicher Erstattungsbetrag. Schreiben vom 22.11. Quelle siehe 3 ↩︎
- BMG (2024) WG: Vertraulicher Erstattungsbetrag – finale Version. Interne E-Mail vom 27.10. Quelle siehe 3 ↩︎
- Pharma-Brief (2024) Wie die Bundesregierung die Pharmaindustrie päppelt. Nr. 8, S. 6 ↩︎
- Tagesschau.de (2024) Neuer Standort von Lilly in Alzey: Bundesregierung reagiert auf Recherchen. 14.10. [Zugriff 30.10.2024] ↩︎