
Menschen auf der Flucht und NTDs
15. April 2024
Marginalisierte Bevölkerungsgruppen sind besonders durch vernachlässigte Tropenkrankheiten gefährdet, darunter sind auch die weltweit Millionen Menschen auf der Flucht. Ein Beispiel ist die Krätze (Skabies), die oft in großen Ausbrüchen auftritt.
„Leave no one behind“ – dieses Versprechen, niemanden zurückzulassen, haben die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in ihren Zielen für nachhaltige Entwicklung gegeben.1 Dazu gehört auch, die ärmsten Menschen als Erstes zu erreichen. In den Zielen findet sich ebenso das Bekenntnis zur einer allgemeinen Gesundheitsversorgung (Universal Health Coverage, UHC). Sie bedeutet, dass alle Menschen einen Zugang zum gesamten Spektrum der Gesundheitsversorgung haben sollen, ohne in finanzielle Not zu geraten. Angesichts der augenblicklichen Versorgung von Menschen mit NTDs ist jedoch fraglich, inwieweit diese zwei Visionen erfüllt werden können, zumal wenn man auf besonders gefährdete Gruppen blickt.
Welt in Bewegung
Im Jahr 2022 waren weltweit fast 110 Millionen Menschen auf der Flucht.2 Ein Großteil von ihnen floh innerhalb des eigenen Staatsgebiets, zählte also zu den Binnenflüchtlingen und lebte im Globalen Süden.3 Häufige Auslöser waren Krieg, weitere Formen von Gewalt, Hunger und die vielfältigen Folgen der Klimakrise. Die NTD-Datenlage stellt sich leider gerade bei dieser Schlüsselgruppe als extrem schlecht dar. Unbestritten ist jedoch: NTDs sind ein ernstzunehmendes Gesundheitsproblem im Kontext von Flucht und werden zukünftig noch wichtiger.4
Angesichts der oft schlechten bis katastrophalen Bedingungen, mit denen viele Menschen auf der Flucht leben müssen, ist ein erhöhtes Erkrankungsrisiko naheliegend. So ist beispielsweise eine sichere Versorgung mit sauberem (Trink-)Wasser, sanitärer Infrastruktur und den Möglichkeiten grundlegender Hygiene oft nicht gegeben. Diese WASH-Faktoren und andere wichtige Einflussgrößen wie Ernährung haben einen direkten Effekt auf Infektionen mit dem Trachom, der Schistosomiasis oder bodenübertragenen Wurmerkrankungen.5
Grob zu unterscheiden sind einerseits langandauernde Fluchtsituationen,6 was bedeutet, dass mehr als 25.000 Menschen der gleichen Nationalität über mindestens fünf Jahre an einem Ort bleiben. Andererseits gibt es ebenso Individuen und Gruppen, die regelmäßig weiterziehen, wie dies beispielsweise auf Fluchtrouten in der Sahelzone der Fall ist.7 Bei langandauernder Flucht, bei der sich Menschen zum Beispiel in Zelten aufhalten, kann etwa präventive Chemotherapie (MDA) ansetzen.8 Das Adressieren von NTDs bei Menschen mit ständig wechselnden Aufenthaltsorten gestaltet sich ungleich schwieriger.
Das Beispiel Krätze
Im weltgrößten Flüchtlingslager Kutupalong, das nahe der bangladeschischen Stadt Cox’s Bazar liegt, lebten Anfang 2024 mehr als 635.000 Menschen.9 Sie sind zum größten Teil Rohingya, eine muslimische Minderheit, die systematisch gewaltsam aus Myanmar vertrieben wird.10 Das Camp ist dramatisch überfüllt, die Versorgungssituation schwierig.11
Eine Folge räumlicher Enge, geteilter Kleidung und Bettwäsche sowie von Hygienemängeln ist das Auftreten von Krätze, eine durch Parasiten verursachte Hauterkrankung.12 Dabei bohren sich die Weibchen von Krätzmilben in die Oberhaut der Betroffenen und legen dort ihre Eier ab. Die Absonderungen der Milben schädigen die Haut erheblich. Teils intensiver Juckreiz ist ein begleitendes Symptom, besonders bei Wärme verstärkt er sich.13 Krätze ist keine tödliche Erkrankung, die Schädigung der Haut ist aber strapaziös und führt so auch zur psychischen Beeinträchtigung der Erkrankten.14 In den Camps des Distrikts Cox`s Bazar, das auch die gleichnamige Stadt beheimatet, waren 2023 etwa 40% der Bewohner*innen von Krätze betroffen – mehr als 400.000 Menschen insgesamt.15 Das sind mehr als die gesamte Stadt Bonn Einwohner*innen hat. Die WHO versucht, mit großangelegten MDA-Kampagnen gegenzusteuern.16 (DK)
- United Nations Development Programme (UNDP) (o. J.) What does it mean to leave no one behind? A framework for implementation. www.undp.org/sites/g/files/zskgke326/files/publications/Brochure_LNOB_web.pdf [Zugriff 15.3.2024] ↩︎
- United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) (2023) Global Trends. Forced Displacement in 2022. www.unhcr.org/global-trends-report-2022 [Zugriff 15.3.2024] ↩︎
- UNO-Flüchtlingshilfe (o. J.) Zahlen & Fakten zu Menschen auf der Flucht. www.uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/fluechtlingszahlen [Zugriff 15.3.2024] ↩︎
- Kelly-Hope LA et al. (2023) Conflict-climate-displacement: a cross-sectional ecological study determining the burden, risk and need for strategies for neglected tropical disease programmes in Africa. BMJ Open, 13. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2023-071557 ↩︎
- World Health Organization (o. J.) Water, sanitation and hygiene (WASH). www.who.int/health-topics/water-sanitation-and-hygiene-wash#tab=tab_1 [Zugriff 15.3.2024] ↩︎
- Meier A (2021) Resilienzförderung als Lösung für langandauernde Fluchtsituationen? Lehren aus den Erfahrungen in Jordanien und Libanon. SWP-Aktuell: 61, p 1-2. https://www.doi.org/10.18449/2021A61 ↩︎
- Uno Flüchtlingshilfe (o. J.) Fluchtroute Sahelzone. Marodierende Banden und Gewalt zwingen zur Flucht. www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/themen/fluchtrouten/sahelzone [Zugriff 15.3.2024] ↩︎
- Shu’aibu J (2023) Protecting the Health of Displaced People. Employing a “leave no one behind” approach. www.thinkglobalhealth.org/article/protecting-health-displaced-people [Zugriff 15.3.2024] ↩︎
- UNO-Flüchtlingshilfe (2024) Flüchtlingshilfe in Bangladesch: Erneuter Großbrand in Kutupalong. https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/bangladesch [Zugriff 25.03.2024] ↩︎
- Hauberg S (2023) Größtes Flüchtlingslager der Welt: Lage für Rohingya „wird immer schlimmer“. Frankfurter Rundschau www.fr.de/politik/hunger-ukraine-rohingya-bangladesch-fluechtlinge-myanmar-fluechtlingslager-krieg-zr-92739618.html [Zugriff 15.3.2024] ↩︎
- Malteser International (o. J.) Inside the Kutupalong refugee camp, Cox’s Bazar. www.malteser-international.org/en/our-work/asia/bangladesh/life-in-a-refugee-camp.html [Zugriff 15.3.2024] ↩︎
- Rahman S et al. (2024) Prevalence of scabies and its associated environmental risk factors among the Forcibly Displaced Myanmar Nationals living in the Cox’s Bazar district of Bangladesh. Journal of Migration and Health, 9. https://doi.org/10.1016/j.jmh.2024.100220 ↩︎
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) (o. J.) Krätze (Skabies.) https://www.gesundheitsinformation.de/kraetze-skabies.html [Zugriff 18.3.2024] ↩︎
- Jannic A et al. (2018) Scabies Itch. Dermatologic Clinics; 36, p 301-308. https://doi.org/10.1016/j.det.2018.02.009 ↩︎
- Jegan A (2023) Remember the Rohingya, for disease hasn’t forgotten them. www.devpolicy.org/remember-the-rohingya-for-disease-hasnt-forgotten-them-20231003/ [Zugriff 15.3.2024] ↩︎
- WHO (2024) WHO’s Operational Update on Health Emergencies. Februar 2024. https://cdn.who.int/media/docs/default-source/documents/emergencies/who_mou_feb2024.pdf?sfvrsn=6bb5b5b8_1&download=true [Zugriff 22.3.2024] ↩︎