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Wie hohe Preise den Zugang zu Insulin verhindern

Unter allen nicht übertragbaren Krankheiten (NCDs) haben weltweit Fälle von Diabetes am stärksten zugenommen. So lebten 1990 „nur“ rund 7% aller Erwachsenen mit Diabetes, 2022 hingegen 14%. Diese Zunahme betrifft besonders Länder des Globalen Südens. Zugleich ist hier u.a. die Versorgung mit Insulin schlecht.1

Diabetes stellt eine Krise der öffentlichen Gesundheit dar: Jedes Jahr sterben mittlerweile ca. 2 Millionen Menschen an Diabetes einschließlich der chronischen Nierenkrankheit als eine mögliche Folge, viele unter ihnen jünger als 70 Jahre.2 Dabei leben acht von zehn Patient*innen im Globalen Süden.3

Die Versorgungssituation

In Mali, einem der ärmsten Länder der Welt, ist die Lage für viele Menschen mit Diabetes angespannt und oft tödlich. Der in Westafrika gelegene Staat verfügt über besonders wenig Ärzt*innen, gleichzeitig nehmen die Belastungen durch NCDs stetig zu.3

Wir sprachen im April 2025 mit Stéphane Besançon von der NGO Santé Diabète.4 Die Organisation mit Sitz in Frankreich setzt sich seit 2003 in Mali, aber auch in anderen Ländern Afrikas, für Menschen mit Diabetes ein. Dabei geht es sowohl um die Stärkung von Gesundheitssystemen als auch um Prävention und Versorgung.3

Besançon berichtet, dass hohe Kosten aktuell die größte Hürde für Menschen mit Diabetes in Mali darstellen, besonders wenn sie mit Typ-1 leben: „Sie müssen jedes Mal bezahlen, sei es für Laboruntersuchungen, Behandlungen oder Medikamente. Es kostet sie ein Vermögen.“ Das Insulin ist so teuer, dass Menschen es sich schlichtweg nicht leisten können, obwohl sie darauf angewiesen sind. Infolgedessen zögern viele Menschen, sich überhaupt in Behandlung zu begeben oder sind weniger aufmerksam, was die Erkennung von eigenen Symptomen angeht, da sie im Ernstfall ohnehin nichts gegen die Erkrankung tun könnten. Mali steht damit nicht allein, sondern beispielhaft für viele andere Länder des Globalen Südens. Ein weiteres Problem sind immer wieder auftretende Lieferengpässe.

Neben Zugang zu Medikamenten braucht es auch gut ausgebildetes Gesundheitspersonal, ausreichend Laborkapazitäten für notwendige Untersuchungen sowie psychosoziale Begleitung und Bildung der Patient*innen: „Diese vier Bereiche sind alle wichtig. Selbst ein gut ausgebildeter Arzt kann ohne Arzneimittel nicht viel bewirken. Und wenn es zwar Medikamente gibt, aber das nötige Wissen bei Ärzten und Patienten fehlt, ist das ebenfalls schwierig“, illustriert Besançon.

Zwei Jungen mit Typ-1-Diabetes setzen sich mit der Erkrankung und ihrer Versorgung auseinander (li). Jugendliche erhalten das notwendige Wissen, um mit Typ-1-Diabetes gut leben zu können (mittig). Junge Erwachsene mit Typ-1-Diabetes üben die richtige Insulininjektion (re). Fotos: ©Santé Diabète

Licht und Schatten

Es gibt Lichtblicke: So konnte in Mali mit dem humanitären Projekt „Life for a Child“, das bei der Organisation „Diabetes Australia“ angesiedelt ist, die Diabetesversorgung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Diabetes Typ 1 bis 30 Jahre deutlich verbessert werden.5 Sie erhalten kostenlos Insulin und Zubehör u.a. zur Blutzuckermessung. „Das löst einen Teil des Problems, wenn auch nicht alles, da es ein humanitäres Programm ist. Falls es eines Tages endet, endet auch die gesamte kostenlose Versorgung.“ Daher setzt sich Santé Diabète dafür ein, dass Insulin dauerhaft von der Sozialversicherung – die sich in Mali im Aufbau befindet – übernommen wird.

Ein anderes Beispiel zeigt, dass es mittlerweile mehr auf Diabetes Typ 1 spezialisierte Ärzt*innen in Mali gibt und auch Notfallmediziner*innen mit Informationskampagnen erfolgreich zu Diabetes Typ 1 sensibilisiert werden konnten. So können sie eine diabetesbedingte, lebensgefährliche Stoffwechselentgleisung besser von anderen Erkrankungen unterscheiden und damit Menschenleben retten. Zugleich werden in Mali jedoch nach wie vor zu wenig Fälle von Typ-1-Diabetes überhaupt diagnostiziert. „Es treten zehnmal weniger Fälle auf, als es eigentlich statistisch gesehen sein müssten. Und die Leute fragen uns, wo die anderen Betroffenen sind. Leider sind diese verstorben, weil sie nicht rechtzeitig diagnostiziert wurden. Es ist nicht so wie bei Diabetes Typ 2, wo es auch mal etwas länger dauern kann bis zur Diagnose. Entweder wird Diabetes Typ 1 rechtzeitig diagnostiziert und der Mensch erhält die notwendige Behandlung oder er stirbt ziemlich bald – so brutal das klingt“, führt Besançon aus. Dieser Zusammenhang trifft natürlich nicht nur auf Mali zu.

Und auch die Versorgung über das 30. Lebensjahr hinaus sowie von Menschen mit Typ-2-Diabetes ist noch nicht geklärt. „Das sind nochmal viele Patienten. Das Problem ist also trotz der bestehenden Entwicklungen noch nicht gelöst“, so Besançon. Daneben spielt der kontinuierliche Aufbau von Behandlungskapazitäten bei gleichzeitiger Dezentralisierung eine wichtige Rolle, um das System nicht zu überlasten: „Es zeigt sich mittlerweile, dass wir immer mehr Diabetespatienten in Mali haben. Eine große und wichtige Aufgabe ist es daher, weiterhin Gesundheitspersonal auszubilden und mehr Sprechstunden zu eröffnen.“

Engagement für besseren Zugang

Santé Diabète setzt sich für eine ausreichende Verfügbarkeit von Insulin, Zubehör wie Teststreifen und Blutzuckermessgeräten und kleinen Laborgeräten sowohl in der Stadt als auch auf dem Land in Mali ein. Insgesamt nimmt die Organisation eine koordinierende und vernetzende Rolle ein, kümmert sich um Finanzierungen und begleitet die verschiedenen Akteure bei der Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben. Um den Zugang für die überwiegend arme Bevölkerung überhaupt bezahlbar zu machen, unterstützt Santé Diabète den Staat bei Verhandlungen mit Herstellern und Lieferanten. „Obwohl wir bereits viele Verhandlungen geführt haben, bleiben die Preise viel zu hoch. Die Pharmaunternehmen haben noch Spielräume für Preissenkungen. Wir müssen den Druck aufrechterhalten“, beharrt Besançon.

Außerdem sollen so viele Menschen mit Diabetes wie möglich in die sich aktuell entwickelnde Sozialversicherung eingeschlossen werden. „Das ist wirklich wichtig, da es dazu führen wird, dass die Kosten für die Patienten gesenkt werden“, unterstreicht Besançon. Bezahlbarkeit darf gleichzeitig nicht auf Kosten der Insulinqualität gehen. Ein Problem, das ebenfalls im Blick behalten werden muss, ist die zunehmende Verbreitung vom sogenannten Analoginsulin. Dies ist für die Hersteller profitabler als das herkömmliche Humaninsulin, kostet aber in Mali zehnmal so viel, sodass es für Patient*innen sogar noch weniger erschwinglich ist. „Wir beobachten hier ein großes Risiko. Es braucht Druck auf die Hersteller, damit sie von dieser Strategie absehen.“

Die politische Lage

Die Versorgung von Menschen mit Diabetes ist nicht losgelöst vom Gesamtkontext zu betrachten. Die Lage in Mali ist instabil, insbesondere aufgrund terroristischer Gruppen. „Je instabiler der Kontext, desto schwieriger ist die Versorgungssituation – nicht nur bezogen auf Diabetes. Das gesamte Gesundheitssystem wird destabilisiert. Dies ist besonders problematisch für Menschen mit chronischen Erkrankungen, die dauerhaft darauf angewiesen sind“, führt Besançon aus.

Und auch Aspekte wie Kürzungen oder gar Rückzüge aus der Entwicklungszusammenarbeit durch mehrere Länder des Globalen Nordens erschweren die Versorgung. Besançon hält das für einen Fehler, der Gesundheitssysteme unter Druck setzt und damit die Versorgung Erkrankter allgemein erschwert, obwohl die Behandlung von NCDs bereits zuvor unterfinanziert war. „Nicht übertragbare Krankheiten stellen eine der größten Herausforderungen im Bereich Public Health dar. Um ihr entgegenzutreten braucht es unbedingt mehr finanzielle Mittel.“

Vielen Dank für das Interview (SJ)


  1. WHO (2024) Diabetes. [Zugriff 12.5.2025] ↩︎
  2. WHO (2024) Noncommunicable diseases. [Zugriff 12.5.2025] ↩︎
  3. Santé Diabète (2021) Santé Diabète. Notre action au Mali. [Zugriff 13.5.2025] ↩︎
  4. Der nachfolgende Inhalt und alle Zitate des Artikels basieren auf dem Interview mit Stéphane Besançon. ↩︎
  5. Life for a Child (2021) Saving young lives in Mali. [Zugriff 13.5.2025] ↩︎
  6. Alves M (2021) Diabetes: Drei Mythen, die Patient*innen schaden. [Zugriff 13.5.2025] ↩︎

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