
Antibiotika-Resistenzen: Umwelt
19. Mai 2022
„Das Auftreten und die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Umwelt bedroht die Wirksamkeit aller Antibiotika.“
Erick Venant, Apotheker, Tansania
Umwelt und Gesundheit
Wo Antibiotika in die Umwelt gelangen, können resistente Supererreger entstehen. Denn die dort vorhandenen Bakterien entwickeln Abwehrmechanismen und geben ihre Resistenzen auch an andere Bakterien weiter. Aber wie genau funktioniert das? Welche Gefahren bergen die resistenten Keime aus der Umwelt? Und warum forciert ein vermeintlich „deutsches“ Antibiotikum die Resistenzproblematik in Indien?
Rückstände von Antibiotika und Resistenzen finden sich in Wasser, Boden und der Luft. Die Belastung in der Umwelt bekommt bisher allerdings weltweit zu wenig Aufmerksamkeit.
„Ich sehe, dass der Aspekt Umwelt bisher vernachlässigt wird. Er sollte weitaus mehr Aufmerksamkeit bekommen, als das momentan der Fall ist.“
Erick Venant, Gründer RBA-Initiative, Tansania

Verseuchtes Wasser
In Deutschland sind viele Böden und Gewässer mit antibiotischen Rückständen und resistenten Keimen belastet. Sie stammen aus landwirtschaftlichen Betrieben, aber auch aus Kläranlagen, in die Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder Schlachthöfe ihre Abwässer einleiten. Wie gefährlich sind die Supererreger aus der Umwelt für uns Menschen? Und was können wir dagegen tun? Das Pestizid Aktions-Netzwerk und der BUND haben sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und geben Auskunft.
Belastetes Abwasser
Weltweit gelangen 80% des Abwassers unbehandelt in die Umwelt. Das verschlimmert die Resistenz-Problematik. Gerade in armen Ländern fehlt es an Ressourcen für Abfallentsorgung und Kläranlagen.
In den Kläranlagen können sie nicht komplett beseitigt werden und gelangen so in Flüsse und Seen und belasten die Umwelt. Das Forschungsprojekt HyReKA hat sich mit Antibiotikaresistenzen in unseren heimischen Gewässern befasst. Auch die Landwirtschaft fördert die Resistenzen in der Umwelt: Gülle, die auf den Feldern versprüht wird, kann resistente Keime enthalten. Und ebenso verbreiten die Belüftungsanlagen in der Massentierhaltung Resistenzen – diese sind in der Luft noch über einen Kilometer entfernt nachweisbar.
Ein gefährlicher Kreislauf
Die Auswirkungen von Antibiotika in der Umwelt sind bisher ungenügend erforscht. In vielen Ländern mangelt es an belastbaren Daten. Antibiotikarückstände sind Expert*innen zufolge wahrscheinlich mitverantwortlich für die Entstehung extrem resistenter Tuberkulose-Erreger und anderer multiresistenter Keime. Das ist in Ländern wie Südafrika problematisch. Denn hier sind zahlreiche Haushalte in den Armenvierteln nicht an die Kanalisation angeschlossen. Viele Menschen, die dort leben, leiden unter Tuberkulose oder anderen Krankheiten und müssen Antibiotika einnehmen. Mit den Ausscheidungen gelangen antibiotische Rückstände und resistente Erreger in die Umwelt.

Antibiotika aus Indien
Antibiotika, die wir in Deutschland konsumieren, werden meist in China und Indien produziert. Redakteur*innen des NDR haben die Antibiotika-Produktion in der indischen Stadt Hyderabad unter die Lupe genommen und dabei zahlreiche Wasser- und Bodenproben aus der Umgebung der Pharmafabriken untersuchen lassen. Ihr Fazit ist verheerend: Die resistenten Erreger finden sich überall – sogar im Trinkwasser.
„Antibiotika im Abwasser von Pharmafabriken sollten wie chemische Gefahrenstoffe behandelt werden.“
Amit Khurana, Centre for Science and Environment, Indien
Mehr als 30 Fabriken produzieren Antibiotika für den Weltmarkt in der Nähe von Hyderabad in Indien. Das unbehandelte Abwasser verseucht Gewässer und Flüsse. Dementsprechend hoch ist die Konzentration von Antibiotikarückständen und resistenten Keimen. Ein aktueller Gesetzesentwurf in Indien legt Höchstwerte für antibiotische Wirkstoffe im Abwasser von Pharmafabriken fest. Ein solcher Schritt ist wichtig für die Bekämpfung der Resistenten. Viele Unternehmen müssten nachrüsten, wenn das Gesetz verabschiedet wird, darunter auch Tochterfirmen und Zulieferbetriebe europäischer Konzerne.
„Antibiotika dürfen nicht in die Umwelt gelangen. Das macht die Resistenzproble- matik nur noch schlimmer!“
Christoph Lübbert, Uniklinik Leipzig
Resistente Keime im Trinkwasser
Viele Anwohner holen ihr Wasser direkt aus Flüssen, in die Antibiotika-Fabriken ihre Abwässer einleiten. Selbst das Grund- und Trinkwasser rund um Hyderabad ist belastet. Einzige Ausnahme: Das Wasser aus dem Hahn eines Vier-Sterne-Hotels.
Globaler Klärungsbedarf
„Im Hinblick auf Antibiotikaresistente Keime ist der kontinuierliche Eintrag von Antibiotika aus Kläranlagen in die Gewässer von größter Bedeutung für die öffentliche Gesundheit.“
Sara Rodriguez Mozaz, spanische Forscherin
In armen Ländern sind viele Gewässer stark belastet mit resistenten Keimen. Von technischen Standards und Kontrollen, wie sie in Industrienationen üblich sind, kann man dort nur träumen. Abwasser gelangt weltweit überwiegend unbehandelt in die Umwelt. Gerade dort, wo es an Ressourcen für Abfallentsorgung und Kläranlagen fehlt, können sich resistente Bakterien rasant verbreiten.
„Die Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen in der Umwelt ist ein heikles Thema. Sie bedroht letztlich auch die Wirksamkeit von Antibiotika bei menschlichen Erkrankungen.“
Erick Venant, Apotheker, Gründer RBA-Initiative, Tansania

So ist auch in Tansania unbehandeltes Abwasser mit resistenten Keimen belastet. Fehlende Abwasserbehandlung und falsche Entsorgung von Antibiotika sind hier ein großes Problem. Selbst in Krankenhäusern werden Antibiotika häufig in der Toilette hinuntergespült oder im normalen Müll entsorgt.
Mit dem Abwasser von Mastanlagen, Schlachthöfen, Kliniken und Pflegeheimen fließen auch in Deutschland Antibiotika und resistente Keime in die Kanalisation. Sie können in den Kläranlagen nicht ganz beseitigt werden und gelangen in Flüsse und Seen. Auch Gülle, die auf den Feldern versprüht wird, kann resistente Keime enthalten.
„Medikamente sind in der Regel so konzipiert, dass sie im Körper mög- lichst lange eine Wirkung erzeugen. Das Problem ist, dass sie auch in der Umwelt nicht so leicht abgebaut werden.“
Julia Steinhoff-Wagner, Agrarexpertin, Uni Bonn
Mit Keimen schwimmen?
Die meisten Badeseen in Deutschland sind nicht oder nur gering mit resistenten Bakterien belastet. In der Nähe von Kläranlagen, die Abwässer aus Krankenhäusern oder Tierfabriken reinigen, sieht das anders aus. Auch in Deutschland braucht es klare gesetzliche Vorgaben und bessere Kontrolle. Verursacher sollten stärker in die Pflicht genommen werden.
Ein Unfall mit Folgen
Ein Mann wäre in einem Bach fast ertrunken und starb wenige Tage später in einem Frankfurter Krankenhaus. In seiner Lunge fanden die Ärzte Wasser, Laub und extrem gefährliche Keime, gegen die so gut wie kein Antibiotikum wirkte. Teile der Intensivstation mussten geschlossen werden, weil sich die resistenten Keime verbreitet hatten. Eine Untersuchung ergab: Auch im Bach wimmelte es von multiresistenten Bakterien.
Resistente Keime stoppen! Das können Sie tun!
Verbraucher*in
- Werfen Sie Antibiotika nicht in den Müll, sondern bringen Sie Reste in die Apotheke.
- Unterstützen Sie die Forderungen nach einem Lieferkettengesetz, das Unternehmen verpflichtet, Menschenrechte, Sozial- und Umweltstandards einzuhalten.
Gesundheitspersonal
- Reduzieren Sie den Verbrauch von Antibiotika und damit deren Eintrag in die Umwelt soweit wie möglich.
- Entsorgen Sie ungenutzte Antibiotika angemessen.