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Vorschnelle Zulassung schadet PatientInnen

Wir haben schon häufiger kritisiert, dass die europäische Medikamenten­behörde EMA[1] Arzneimittel auf Basis dürftiger Daten zulässt. Vor einem Jahr wurde ein unwirksames Mittel gegen Weichteilsarkome vom Markt genommen. Jetzt stoppt die EMA ein Mittel, das eigentlich Hautkrebs verhindern soll, ihn aber eher fördert. Es scheint aber zweifelhaft, ob die Behörde aus den Vorfällen lernt.

Vor einem Jahr berichteten wir über das Krebsmedikament Olaratumab,[2] das entgegen den vollmundigen Versprechungen bei der Zulassung im Jahr 2016, den PatientInnen keinerlei Nutzen brachte. Das stellte sich aber erst drei Jahre später heraus, nachdem  eine von der EMA geforderte weitere Studie abgeschlossen war. Da der Wirkstoff als Zusatztherapie gegeben wurde, war der Nutzen Null – die Jahrestherapiekosten lagen bei fast 200.000 €.

Das zweite Verbot

Im Januar 2020 hat die europäische Zulassungsbehörde EMA die Anwendung von Ingenolmebutat untersagt.[3] Das Mittel sollte verhindern, dass sich Hautveränderungen (aktinische Keratosen) im Gesicht und auf der Kopfhaut zu weißem Hautkrebs weiterentwickeln. Jetzt zeigen Studien, dass Hautkrebs bei PatientInnen, die diesen oder einen nah verwandten Wirkstoff verwendet haben, sogar deutlich häufiger auftritt. Das gilt sowohl im Vergleich zu Placebo[4] als auch zu einem anderen Medikament.[5]

Ingenolmebutat war 2012 auf Basis dünner Daten zugelassen worden. Die Wirkung des Mittels wurde nach acht Wochen beurteilt. Als Kriterium galt, dass sich die Hautveränderungen
bei einem größeren Prozentsatz der PatientInnen zurückbildeten als im Ver­gleichsarm der Studien.[6] Das ist ein Surrogat, das keine zuverläs­sigen Aus­sagen über die Wirksamkeit gegen Krebs erlaubt. Außerdem war die Beo­bachtungszeit viel zu kurz: Aktinische Keratosen entwickeln sich nur manchmal und erst nach längerer Zeit zu Hautkrebs. Was außerdem fragwürdig
ist: Ingenolmebutat wurde nur mit Placebo verglichen, nicht aber mit etablierten Verfahren wie mit anderen Medikamenten oder Kryotherapie.

Nichts dazugelernt

Ob die EMA aus diesen Vorfällen gelernt hat, ist aber mehr als fraglich. Aktuell hat gerade ein Hersteller bei der europäischen Behörde für genau das gleiche Anwendungsgebiet den Zulassungsantrag für einen neuen Wirkstoff eingereicht. Dabei teilt das Pharmaunternehmen Almirall stolz mit, dass die EMA die Studien, die der Hersteller vorgelegt hat, für die Bewertung für ausreichend hält.[7] In den Studien von Almirall wurde exakt das Gleiche wie bei Ingenolmebutat gemessen: Bei welchem Prozentsatz der PatientInnen verschwanden die Haut­erscheinungen nach acht Wochen im Vergleich gegen Placebo?

Es wird wirklich Zeit, dass die Zulassungsbedingungen in Europa verschärft werden. Eine Debatte, welche Maßstäbe an neue Medikamente gelegt werden, ist überfällig. Vergleiche gegen Placebo, wenn es eine etablierte Therapie gibt, gehören ebenso wenig dazu wie Surrogat-Ergebnisse. Für Patientinnen und Patienten zählt, was ihre Krankheitssymptome verringert oder beseitigt, das Leben verlängert oder die Lebensqualität erhöht.  (JS)

 

Artikel aus Pharma-Brief 2/2020, S. 6

[1] European Medicines Agency mit Sitz in Amsterdam

[2] Pharma-Brief (2019) Zu früh ist unzuverlässig. Nr. 1, S. 4

[3] EMA (2020) Pressemitteilung vom 17. Jan. www.ema.europa.eu/en/news/ema-suspends-picato-precaution-while-review-skin-cancer-risk-continues [Zugriff 5.3.2020]

[4] Hautkrebs trat in einer 8-Wochen Studie bei 1% der mit Ingenolmebutat behandelten PatientInnen auf, unter Placebo bei 0,1%, in einer Zusammenfassung von vier Studien unbekannter Dauer 7,7% versus 2,9%.

[5] Bei 3,3% der PatientInnen, die mit Ingenolmebutat behandelt worden waren, entwickelte sich nach drei Jahren Hautkrebs, mit Imiquinod waren es nur 0,4%.

[6] EMA (2012) EPAR Picato, S 43, 70 www.ema.europa.eu/documents/assessment-report/picato-epar-public-assessment-report_en.pdf [Zugriff 5.3.2020]

[7] Almirall (2020) Almirall announces EMA acceptance for filing of Marketing Authorization Application (MAA) for tirba­nibulin in actinic keratosis. Press release, 2 March