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Warum die Kontrollen nicht ausreichen

Der Rückruf von verunreinigten Valsartan-Medikamenten ging im Sommer durch die Presse. In dem Blutdrucksenker war der krebserregende Stoff Nitrosamin entdeckt worden. Was steckt hinter diesem Skandal und was müsste passieren, um Wiederholungen unwahrscheinlicher zu machen?

Über 100 Valsartan-Chargen von 16 Herstellern waren allein in Deutschland von dem Rückruf betroffen.[1] Der in den Medikamenten enthaltene Wirkstoff stammte hauptsächlich von dem chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical. Da die globale Produktion von aktiven Wirkstoffen hauptsächlich in China und Indien stattfindet, ist die Herkunft der verunreinigten Rohstoffe kein Zufall. Die Hersteller hierzulande machen meist nur die letzten Verarbeitungsschritte, tragen aber natürlich die rechtliche Verantwortung für die Qualität ihrer Produkte.

Risiko Krebs

Die Verunreinigung mit krebserregenden Nitrosaminen war erheblich: Die betroffenen Medikamente enthielten zwischen 4 und 22 µg NMDA (Nitrosodimethylamin) pro Tablette.[2] Zum Vergleich: Die durchschnittliche Aufnahme von Nitrosaminen durch Lebensmittel wird auf 0,3 µg pro Tag geschätzt.[3] Es gibt keinen Grenzwert, unterhalb dessen Nitrosamine als unbedenklich gelten.

Möglicherweise sind die Präparate schon seit 2012 verunreinigt. Viele PatientInnen hätten dann jahrelang krebserzeugende Medikamente geschluckt. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA schätzt das Krebsrisiko auf 1 von 5.000 PatientInnen. Das heißt, von 5.000 Betroffenen, die das verunreinigte Präparat sieben Jahre in der höchsten Tagesdosis (320 mg) eingenommen haben, wird eine/r an Krebs erkranken.[4] Dabei ging die EMA allerdings von einer Belastung von 60 µg NMDA aus, in 320 mg Tabletten wurden in Deutschland maximal 22 µg gefunden.

Die US-Behörde FDA errechnete aus den tatsächlich in den belasteten Tabletten gefundenen Mengen bei vierjähriger Einnahme der höchsten Tagesdosis einen zusätzlichen Krebsfall auf 8.000 PatientInnen.[5] Diese beiden Berechnungen sind nicht stimmig und zeigen, dass seriöse Abschätzungen schwierig sind.

Das zusätzliche Krebsrisiko scheint zwar eher gering, auch wenn jeder unnötige Fall einer zu viel ist. Aber da allein in Deutschland über zwei Millionen Menschen Valsartan-Präparate einnehmen [6],[7] und die Verunreinigung vermeidbar ist, ist die späte Entdeckung der schädlichen Stoffe und die zögerliche Reaktion der Behörden inakzeptabel.

Mängel auf vielen Ebenen

Die Verunreinigung von Valsartan ist wohl mehr zufällig bei Kontrollen für die Produktion eines spanischen Fertigarzneimittelherstellers aufgefallen.[8] Die Überwachungsbehörde eines Bundeslandes erfuhr das durch einen anonymen Hinweis 3 und informierte die deutsche Zulassungsbehörde BfArM, die wiederum die europäische EMA alarmierte. Und hier fängt das Wirrwarr an. Obwohl die meisten Wirkstoffe aus ausländischen Quellen stammen, sind die Bundesländer für die Überwachung der Hersteller zuständig. Sie sind auch diejenigen, die eine Rückholung von Arzneimitteln anordnen können. Das BfArM kann nur eine koordinierende Rolle spielen.

Deshalb dauerten Testung und Rückrufe auch vergleichsweise lange. Kritik gab es auch an der Informationspolitik, die unvollständig und zögerlich war. So erfuhren ÄrztInnen und PatientInnen nur nach und nach, welche Produkte betroffen waren. Und der Hinweis, das Medikament nicht abzusetzen, sondern auf einen anderen Hersteller auszuweichen, lief ins Leere, weil keine Liste der unbedenklichen – weil negativ getesteten – Mittel veröffentlicht wurde.[1]

Hersteller mitverantwortlich

Auch die Hersteller in Deutschland trifft ein gehöriges Maß an Mitverantwortung, denn sie sind für die Qualität des Endprodukts verantwortlich, auch wenn sie den eigentlichen Wirkstoff selbst einkaufen. Sie erhalten vom Wirkstoffproduzenten Anweisungen zur Analyse und Qualitätskontrolle (Active substance master file, ASMF). Allerdings gibt es einen vertraulichen Teil, der den Syntheseweg offenlegt. Dieser steht nur den Zulassungsbehörden zur Verfügung.[3] Warum ist das ein Problem?

Die Verunreinigung von Valsartan bei Zhejiang Huahai Pharmaceutical ist durch eine Veränderung des Herstellungsprozesses entstanden, der eine höhere Wirkstoffausbeute bringen sollte. Doch genau diese Veränderung ließ bedeutende Mengen von Nitrosaminen entstehen. Ein erfahrener Chemiker hätte das Risiko durch den geänderten Syntheseprozess also erkennen und entsprechende Untersuchungen veranlassen können, bevor die Tabletten gepresst und an die Apotheken ausgeliefert wurden. Doch die Geheimhaltung des Herstellungsprozesses verhindert, dass die Fertigarzneimittelhersteller solche Risiken vollständig erkennen können.

Europäische Behörde versagte

Auf dem Weg von der Produktionsstätte eines Wirkstoffs bis zu seiner Weiterverarbeitung in Europa gibt es noch eine wichtige weitere Kontrollinstanz: Das beim Europarat angesiedelte EDQM[9] ist für die Sicherheit von pharmazeutischen Rohstoffen zuständig. Jeder Wirkstoff-Produzent benötigt für den Import nach Europa eine Erlaubnis für den Herstellungsprozess.[10] Aber offensichtlich hat die Behörde geschlafen. Denn Zhejiang Huahai Pharmaceutical hatte (wenn auch vermutlich verspätet) den geänderten Syntheseprozess für Valsartan offiziell gemeldet. Das Herstellungsverfahren wurde am 9.6.2016 vom EDQM genehmigt. Die Behörde erkannte die Risiken nicht.

Doch damit nicht genug: Die EDQM brüstete sich noch im August dieses Jahres, dass die Zusammenarbeit der nationalen Labore zur Qualitätskontrolle in Europa sehr gut funktioniere. Es seien 2017 rund 9.000 Arzneimittel getestet worden. Schwerpunkte der Kontrolle waren zehn Wirkstoffe, darunter auch Valsartan.[11] Dummerweise wurde die Verunreinigung mit Nitrosaminen trotzdem nicht bemerkt.

Mehr Kontrolle nötig

Inzwischen entzog das EDQM drei weiteren Herstellern die Erlaubnis für die Einführung von Valsartan nach Europa, zwei davon stammen aus China, einer aus Indien. Die geprüften Wirkstoffe enthielten entweder NDMA (wenn auch deutlich weniger als der von Zhejiang Huahai Pharmaceutical) oder es gab Zweifel an der Eignung des Herstellungsprozesses.[12]

Außerdem teilte das EDQM mit, dass die Untersuchungsbehörden in den europäischen Staaten jetzt parallel zwei unterschiedliche Testverfahren zur Bestimmung von Nitrosaminen in Valsartan anwenden und auch andere Wirkstoffe der Sartangruppe untersucht werden.

Möglicherweise ist der Sartan-Skandal nur die Spitze des Eisbergs. Eine bessere Kontrolle der Arzneimittelqualität ist dringend erforderlich. Eine Bündelung der Aufsicht beim BfArM ist erforderlich. Bei Gefahr im Verzug sollte die deutsche Behörde bevollmächtigt sein, Arzneimittel mit Qualitätsmängeln sofort vom Markt zu nehmen. Das EDQM muss die Qualität der eigenen Arbeit überprüfen und die Kontrolldichte erhöhen. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres führte die Behörde ganze 22 Vor-Ort-Inspektionen in Asien durch.[13] Und schließlich müssen auch die Firmen, die die Wirkstoffe weiterverarbeiten, über Änderungen im Herstellungsprozess informiert werden, damit sie gezielt nach Verunreinigungen suchen können.  (JS)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2018, S.4

[1] arznei-telegramm (2018) Mehr als 100 Valsartan-Präparate mit Kanzerogen kontaminiert. 49, S. 65

[2] 160 mg Tabletten 4-10 µg; 320 mg Tabletten 16-22 µg

[3] Arzneimittelbrief (2018) Produktionsbedingte Kontamination von Valsartan-Präparaten: Weitere Informationen. 52, S. 57

[4] EMA (2018) Update on review of recalled valsartan medicines. Press release 2 Aug. www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/news_and_events/news/2018/08/news_detail_003000.jsp

[5] FDA (2018) FDA update on valsartan recalls. www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm613916.htm  [Zugriff 13.9.2018]

[6] Valsartan mono 717 Mio. Tagesdosen, in Kombinationen 241 Mio. Tagesdosen

[7] Schwabe U und Paffrath D (Hrsg.) (2017) Arzneiverordnungs-Report 2017. S. 227ff.

[8] BfArM (2018) Valsartan. Fragen und Antworten. www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung/Arzneimittelinformationen/Arzneimittelfaelschungen/RapidAlertSystem/Valsartan/Hintergruende/_node.html [Zugriff 13.9.2018]

[9] European Directorate for the Quality of Medicines & Healthcare (EDQM) www.edqm.eu

[10] Certificate of suitability (CEP)

[11] EDQM (2018) Factsheet OMCL Network. August www.edqm.eu/sites/default/files/report-cep-monthly-report-july2018.pdf

[12] EDQM (2018) Update on EDQM’s actions following detection of impurity in valsartan. 28 Aug. www.edqm.eu/sites/default/files/pressrelease-update-on-edqm-actions-following-detection-of-impurity-in-valsartan-august2018.pdf [Zugriff 13.9.2018]

[13] EDQM (2018) Certification monthly report July 2018. www.edqm.eu/sites/default/files/report-cep-monthly-report-july2018.pdf [Zugriff 13.9.2018]