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Für bessere Evidenz ohne Industrieeinfluss

Die angesehene britische Fachzeitschrift BMJ unterstützt die globale Initiative “Pathways to independence” von WissenschaftlerInnen, ÄrztInnen, Bewertungsagenturen und Zivilgesellschaft, die den kommerziellen Einfluss bei der Wissensgewinnung und Weitergabe eindämmen will.[1]

Spätestens seit dem bahnbrechenden Bericht des US-Institute of Medicine (IOM) vor zehn Jahren ist das Thema Interessenkonflikte im Gesundheitswesen auf der globalen Agenda. Die neue Initiative versucht, das Thema breiter aufzustellen und vom Ende her zu denken: Welcher Evidenz bedarf es, damit BehandlerInnen und Erkrankte die bestmöglichen Entscheidungen für oder gegen eine Behandlung treffen können.

Interessenkonflikte untergraben nicht
nur die Glaubwürdigkeit der Medizin, sie führen auch zu Überdiagnose und -behandlung, suboptimalen Therapieentscheidungen und tragen zur Verschwendung knapper Ressourcen bei.

Der Appell orientiert sich an den drei vom IOM identifizierten Bereichen der Einflussnahme: Forschung, Ausbildung und Praxis. Allerdings geht er über die ursprüngliche Forderung, Interessenkonflikte transparent zu machen, weit hinaus: Die „endemischen finanziellen Verwicklungen“ müssten weitgehend aufgelöst werden, damit die Versorgung besser werden kann.

Verzerrte Ergebnisse

Global gesehen sind über 60% der Medikamentenforschung durch die Industrie finanziert.[2] „Es wurde wiederholt gezeigt, dass die veröffentlichten Ergebnisse von industriegeförderten Studien die Produkte des Sponsors bevorzugen. Das schafft einen ‚Sponsorship Bias‘ in der Evidenzbasis, der den Nutzen übertreibt und den Schaden herunterspielt.“ [1] Das ist aber längst noch nicht alles: Wenn LeiterInnen von klinischen Studien persönlich Geld von Herstellern erhalten, fallen die berichteten Ergebnisse positiver aus.[3]

Die Verzerrung von Ergebnissen kann auf vielerlei Wegen geschehen. Dazu gehören unfaire Vergleiche, das „Weglassen“ von für den Sponsor unvorteilhaften Ergebnissen oder durch Metaanalysen, die aber die verzerrten Ergebnisse lediglich als nur scheinbar unabhängige Analyse reproduzieren.

Selbst die Zulassungsbehörden, die VerbraucherInnen schützen sollen, leben sowohl in den USA als auch in der EU größtenteils von Gebühren, die sie von der Industrie kassieren. Strengere Prüfungen würden die Zahl der Anträge reduzieren und die Finanzierungsbasis der Behörden gefährden.

Es käme also darauf an, unabhängige Forschung zu fördern, deren Ergebnissen man wirklich vertrauen kann. Das hätte zudem den Vorteil, dass sich die Forschung stärker am medizinischen Bedarf orientieren würde. Finanziert werden könnte öffentliche Forschung zum Teil aus Ersparnissen durch günstigere Produkte (es gibt ja keine Notwendigkeit sie durch hohe Preise zu refinanzieren). Essenziell ist auch die unabhängige Bewertung von Ergebnissen. Cochrane, die größte Institution, die systematische Reviews von Studien macht, hat nach heftiger Kritik[4] ihre Regeln für Interessenkonflikte immerhin verschärft.

Wes‘ Brot ich ess

Die Aus- und Fortbildung von medizinischem Fachpersonal ist stark von der Industrie unterwandert. Dabei kann gezeigt werden, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Zahl der von einer Firma bezahlten Essen mit der Verschreibung der Produkte des großzügigen Spenders gibt.[5] Hier ist die Forderung eindeutig: Medizinische Fortbildung muss unabhängig sein. Norwegen kann hier als Vorbild dienen: Für gesponserte Veranstaltungen gibt es keine Fortbildungspunkte mehr. Auch einige Fachzeitschriften achten inzwischen darauf, dass Berichte über neue Medikamente nur noch von AutorInnen ohne Interessenkonflikte verfasst werden. Den zweiten Schritt, keine Pharmawerbung mehr zu schalten, sind bislang aber nur wenige gegangen. Eine löbliche Ausnahme sind die in der International Society of Drug Bulletins (ISDB) organisierten Zeitschriften, die schon seit Jahren weder Werbung noch AutorInnen mit Interessenkonflikten akzeptieren.[6]

Mitmachen

Der Appell richtet sich an die Öffentlichkeit und kann mit unterzeichnet werden. Außerdem wird explizit aufgefordert, auf weitere Evidenz zum Thema hinzuweisen und weitere Bereiche zu benennen, die die Evidenzgewinnung behindern oder verzerren. Auch Lösungsvorschläge sind willkommen.[7]  (JS)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2019, S. 5

[1] Moynihan et al. (2019) Pathways to independence: towards producing and using trustworthy evidence. BMJ; 367, p l6576

[2] Moses III H et al. (2015) The Anatomy of Medical Research US and International Comparisons. JAMA; 313, p 174

[3] Pharma-Brief (2017) Wer zahlt, bestimmt die Musik. Nr. 4, S. 6

[4] Pharma-Brief (2018) Kritiker rausgeworfen. Nr. 8-9, S. 7

[5] De Jong C et al. (2016) Pharmaceutical Industry-Sponsored Meals and Physician Prescribing Patterns for Medicare Beneficiaries. JAMA Int Med;176, p 1114

[6] Interessenkonflikt: Der Pharma-Brief ist Mitglied von ISDB

[7] www.bmj.com/commercial-influence