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Niederlande diskutieren neue Strategien

Überteuerte Medikamente sind nicht nur ein Problem für Menschen in Armut. Selbst die reichsten Länder der Welt stoßen an die Grenzen dessen, was ihre Gesundheitssysteme finanzieren können. In den Niederlanden sucht das Parlament neue Wege, die Kostensteigerung für Arzneimittel zu stoppen.

Der niederländische Rat für öffentliche Gesundheit und Gesellschaft stellt fest:[1] „Neue Medikamente werden immer teuer. Summen von 100.000 Euro oder mehr pro Jahr, um einen einzigen Patienten zu behandeln, sind keine Ausnahme. Die Ausgaben für teure Medikamente steigen jährlich um 10 Prozent. Das kann so nicht weitergehen.“

Der Rat ist offizielles Beratungsgremium der Regierung, und guter Rat ist wichtig. In den Niederlanden hat die Regierung eine zentrale Funktion bei der Preisgestaltung. Das Gesundheitsministerium schreibt einen Katalog von Mindestleistungen vor, den alle privaten Krankenkassen erstatten müssen (gesetzliche Kassen wie in Deutschland gibt es nicht). In dieses so genannte Basispaket gehören verschreibungspflichtige Medikamente. Neu zugelassene Medikamente werden nicht sofort erstattet. Erst werden Nutzen und Kosteneffektivität geprüft. Wenn das Medikament als sinnvoll erachtet wird, startet das Gesundheitsministerium die Preisverhandlung mit dem Anbieter.

100.00 Euro für eine Spritze?

Aktuell kocht in den Niederlanden eine Debatte um den Preis des Medikaments Spinraza® (Nusinersen). Eine Spritze zur Behandlung der seltenen Muskelerkrankung SMA soll 100.000 Euro kosten, auf das niederländische Gesundheitssystem kämen so jährliche Kosten von 300 Mio. Euro zu.[2]

Der Rat findet deshalb klare Worte an Regierung und Hersteller: „Wenn ein Hersteller keinen sozial akzeptablen Preis in die Verhandlungen einbringt, müssen die Behörden alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, die ihnen zur Verfügung stehen, um den Patienten die Medikamente zur Verfügung zu stellen.“

Empfehlungen an die Regierung

Sechs Empfehlungen geben die ExpertInnen der Regierung:[1]

1. Alle verfügbaren legalen Druckmittel in den Preisverhandlungen nutzen, einschließlich Zwangslizenzen;

2. Wirkstoffe aus öffentlicher Forschung bis in die klinische Phase I bringen, denn das erhöht später die Verhandlungsmacht;

3. Eine nationale Technologie-Transfer-Agentur schaffen, um die Kompetenz zu bündeln und bessere Verträge mit der Industrie auszuhandeln;

4. Elektronische Krankenakten für die Forschung nutzen;

5. Das bisherige Monopol-basierte Forschungsmodell hinterfragen – mehr internationale Kooperation und gemeinsame Finanzierung;

6. Forschung effektiver machen, damit nur die erfolgversprechenden Kandidaten in die klinische Prüfung kommen.

Selbst die Niederlande, die kaum über eigene Pharmaindustrie verfügen, könnten so zum Pionier werden: „Wir können zeigen, dass die Dinge besser, schneller und weniger teuer erledigt werden können, selbst im derzeitigen internationalen Rahmen. Die Niederlande können den Weg zeigen.“

Gesundheitsminister Bruno Bruins kommentierte, die Niederlande hätten mit den Preisverhandlungen bisher eine erfolgreiche Strategie verfolgt.[3] In den letzten fünf Jahren sei der Preis für 25 Medikamente verhandelt worden, um sie in das Basis-Versicherungspaket aufzunehmen. Aber die Macht eines kleinen Landes sei zu klein, um den Schwächen der globalen Arzneimittelforschung beizukommen. Die Verhandlungsunion der Beneluxa-Staaten (Benelux plus Österreich) sei ein erster Schritt, die Verhandlungsmacht zu stärken.

Die Forderung nach einem öffentlichen „return on investment“ unterstützt Bruins ebenso wie die Empfehlung, die öffentliche Forschung weiter voranzubringen. Als Beispiel, wie man auch in frühen klinischen Phasen fördern wolle, nannte er das Oncode Institute.[4] Es soll mit öffentlicher Finanzierung die Entwicklung der Krebstherapie voranbringen.

Taten sollen folgen

Drei Parteien (GroenLinks, SP und PvdA) haben nun gemeinsam eine Ini­tiative mit 20 konkreten Maßnahmen vorgelegt, um so die Empfehlungen des Rats in die Tat umzusetzen.[5] Da die Pharmaindustrie bei den Verhandlungen zu viel Macht habe, solle die Regierung ihre rechtlichen Möglichkeiten ausreizen und auch Zwangslizenzen verhängen. Insgesamt sollten die Preisverhandlungen transparent werden. Zudem sei die Patentverlängerung abzuschaffen. Ein nationaler Forschungsfond solle gegründet werden, bei dem die Regierung die Prio­ritäten festlegt. Der Vorschlag geht demnächst in die parlamentarische Debatte. (CW)

Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2017, S. 4

 

[1] Raad voor Volksgezondheid en Samenleving RVS (2017) Development of new medicines: Better, faster, cheaper. www.raadrvs.nl/uploads/docs/Recommendation_Development_of_New_Medicines.pdf

[2] de Visser E (2017) Moet het medicijn echt honderdduizend euro per spuit kosten? Volkskrant 11 Nov. http://www.volkskrant.nl/wetenschap/-moet-het-medicijn-echt-honderdduizend-euro-per-spuit-kosten~a4535858

[3] Bruins B (2017) Brief zu RVS-advies over ontwikkeling nieuwe geneesmiddelen. 16. Nov. www.rijksoverheid.nl/documenten/kamerstukken/2017/11/16/kamerbrief-over-rvs-advies-over-ontwikkeling-nieuwe-geneesmiddelen

[4] www.oncode.nl/

[5] GroenLinks (2017) GroenLinks, PvdA en SP: doorbreek macht farmaceuten. (Meldung vom 21.Nov. 2017) https://groenlinks.nl/nieuws/groenlinks-pvda-en-sp-doorbreek-macht-farmaceuten