
Voxelotor: Absturz mit Ansage
14. April 2025
Gravierende Schäden bei Sichelzellanämie
Bereits bei der Zulassung gab es Zweifel, ob die eingereichten Studien einen Nutzen von Voxelotor belegen können. Wieder einmal zeigt sich, dass es wichtig ist, patientenrelevante Endpunkte in den Mittelpunkt zu stellen.
Das wichtigste Symptom der Sichelzellanämie sind sogenannte vasookklusive Krisen. Das sind durch die Krankheit bedingte Verstopfungen der Blutgefäße, die sehr schmerzhaft sind, zu Organschäden führen und lebensbedrohliche Thrombosen auslösen können.
Vorteile zeigten sich für Voxelotor in Studien aber nur bei einem Laborwert: Es gab eine leichte Zunahme der roten Blutkörperchen. Mehr rote Blutkörperchen sollten eigentlich helfen, vasookklusive Krisen zu reduzieren. Aber genau dieses für Betroffene wichtige Ziel wurde in den Zulassungsstudien nicht erreicht.1
Harte Nutzennachweise für Voxelotor fehlten
Als der Hersteller2 den Zulassungsantrag in den USA einreichte, befand die zuständige Behörde, die Food and Drug Administration (FDA) zunächst, dass die leichte Verbesserung des Blutwertes3 kein überzeugender Hinweis auf einen tatsächlichen Nutzen sei.
Schließlich gab sich die Behörde aber mit einer sehr indirekten Beweisführung zufrieden.4 Der Hersteller verwies auf zwei Untersuchungen, die vorbeugende Bluttransfusionen zur Verringerung von Schlaganfällen beziehungsweise (stillen) Hirninfarkten bei Sichelzellanämie untersuchten. Bei der ersten Studie dienten MRTs zur Bestimmung von Infarkten. In der zweiten Studie wurde ein Messwert untersucht, nämlich die Durchflussgeschwindigkeit des Blutes im Gehirn. Der Hersteller, argumentierte dass Voxelotor ebenfalls die Hämoglobinwerte im Blut verbessert, es also mehr roten Blutfarbstoff gibt. Außerdem sei der Hämoglobinwert ein Anzeichen (Surrogat) für verbesserten Blutfluss im Gehirn. Für Patient*innen ist aber wichtiger, ob das Medikament tatsächlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern kann.
Zulassung wider besseres Wissen
Die FDA ließ den Wirkstoff 2019 zu, obwohl sie im selben Jahr mit der zuständigen medizinischen Fachgesellschaft, der American Society of Hematology, einen intensiven Austausch über sinnvolle Endpunkte für Studien zur Sichelzellenanämie führte. Das Konsenspapier betonte, dass Messungen des Blutflusses im Gehirn mittels Transkranialem Doppler (TCD) keine zuverlässigen Aussagen über das Schlaganfallrisiko erlauben.4
Die europäische Behörde EMA ließ Voxelotor 2022 zu. In Deutschland musste der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), der über die Erstattung neuer Medikamente entscheidet, Voxelotor sogar einen Zusatznutzen bescheinigen, weil dies ein Gesetz für sogenannte Orphan Drugs (Waisenmedikamente, Medikamente gegen seltene Krankheiten) vorschreibt – selbst dann, wenn die Daten das nicht hergeben und obwohl die Jahrestherapiekosten über 100.000 Euro betrugen.5
Voxelotor: Schaden überwiegt
Im Sommer 2024 ließ sich nicht mehr übersehen, dass Voxelotor nicht nur von zweifelhaftem Nutzen, sondern sogar schädlich ist: Es wurden Todesfälle bekannt und die Beschwerden, die der Wirkstoff eigentlich seltener machen sollte, traten häufiger auf.
Die europäische Zulassungsbehörde startete ein Risikoverfahren und forderte von Pfizer aktuelle Unterlagen an. Anlass war eine Studie, bei der acht Personen unter Voxelotor gestorben waren und zwei in der Placebo-Gruppe. In einer weiteren Studie fiel ebenfalls eine ungewöhnlich hohe Zahl von Todesfällen unter den Personen auf, die Voxelotor bekommen hatten. Beide Studien wurden hauptsächlich in Afrika und Brasilien durchgeführt, wo die Sichelzellanämie häufiger vorkommt. Risiken von Voxelotor schon bei Zulassung bekannt Die EMA sah bei den Todesfällen einen deutlichen Zusammenhang mit schweren Infektionen.6 Bereits bei der Zulassung war der Behörde aufgefallen, dass Voxelotor im Tierversuch die Immunantwort negativ beeinflusst und bei Menschen die Zahl der weißen Blutkörperchen abnimmt. In den kleinen Studien zeigte sich damals aber keine auffällige Zunahme von Infektionen bei Menschen.
Die europäische Behörde ordnete am 26.9.2024 das Ruhen der Zulassung an. Die Firma kam dem Verbot der EMA zuvor und nahm das Medikament einen Tag davor „freiwillig“ vom Markt, rief alle Chargen von Voxelotor zurück und stoppte noch laufende Studien. In einem „Rote Hand Brief“, mit dem Pfizer auf Anordnung der Behörden Ärztinnen und Patient*innen warnen musste, klang die Begründung für den Rückzug ziemlich verklausuliert: „Die Aussetzung [der Zulassung] erfolgt aufgrund neuer klinischer Daten aus zwei registerbasierten Studien, die auf ein Ungleichgewicht der Anzahl von vasookklusiven Krisen vor und nach Beginn der Behandlung mit Voxelotor hindeuten, sowie aufgrund tödlicher Ereignisse unter Voxelotor in klinischen Studien.“7 Klarer wäre gewesen: Wahrscheinlich schadet das Medikament und die Behandlung könnte auch tödlich enden.
Laborwerte sind kein Ersatz für harte Fakten
Voxelotor ist leider kein Einzelfall. Immer wieder müssen wir über Medikamente berichten, die mit viel Vorschusslorbeeren auf den Markt gebracht wurden und wegen Unwirksamkeit oder schwerer Nebenwirkungen nach einiger Zeit still und leise wieder verschwinden. Fast immer sind das Mittel, bei denen der Nutzen nicht überzeugend nachgewiesen wurde, sondern die lediglich Laborwerte oder andere Messungen (wie die Größe von Tumoren bei Krebs) verbessern. Waisenmedikamente werden besonders häufig auf Basis von solchen Surrogaten zugelassen.
Als Konsequenz sollten für die Zulassung von neuen Arzneimitteln regelhaft Nachweise gefordert werden, dass sie Symptome verringern, die Lebensqualität verbessern oder Todesfälle reduzieren. Nur in Ausnahmefällen sollte in Studien auf Surrogate wie Laborwerte zurückgegriffen werden. Die müssen dann aber validiert sein, und nicht – wie im vorliegenden Fall – umstritten. Es sollte also überzeugend belegt sein, dass die Laborwerte auch widerspiegeln was Menschen wirklich hilft. Diese Endpunkte nennt man auch „hart“ oder „patientenzentriert“.
- EMA (2021) EPAR Oxbryta ↩︎
- Die Firma Pfizer kaufte den ursprünglichen Anbieter 2022 auf: Pfizer (2022) Pfizer Completes Acquisition of Global Blood Therapeutics www.pfizer.com/news/press-release/press-release-detail/pfizer-completes-acquisition-global-blood-therapeutics [Zugriff 4.4.2025] ↩︎
- Zunahme des Hämoglobins um 1 g/dL ↩︎
- Kim MS und Prasad V (2025) American Journal of Hematology https://doi.org/10.1002/ajh.27635 ↩︎
- G-BA (2022) Nutzenbewertung Voxelotor. www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/834/ ↩︎
- EC (2024) Notification to the EMA/CHMP secretariat of a referral under article 20 of regulation (EC) 726/2004, 30 Juli www.ema.europa.eu/en/documents/referral/oxbryta-article-20-procedure-notification_en.pdf [Zugriff 4.4.2025] ↩︎
- Rote Hand Brief (2024) Oxbryta (Voxelotor): Aussetzung der EU-Zulassung. 7. Okt. www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimittelsicherheit/RHB/Archiv/2024/20241007-Oxbryta.pdf [Zugriff 4.4.2025] ↩︎