
Erster Geheimpreis durch „Lex Lilly“
8. September 2025
Industrieprofit auf Kosten von Erkrankten
Vor etwa einem Jahr wurde das Medizinforschungsgesetz verabschiedet, das den Weg für vertrauliche Preisverhandlungen bei Medikamenten ebnete. Jetzt wird diese Möglichkeit erstmals für ein Diabetes-Medikament genutzt. Dies hat Auswirkungen auf die Transparenz und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.
Vor rund einem Jahr verabschiedete der Bundestag das Medizinforschungsgesetz. Darin enthalten: die Möglichkeit für Pharmaunternehmen, unter bestimmten Bedingungen vertrauliche Preise für Arzneimittel auszuhandeln (wir berichteten1). Diese industriefreundliche Regelung erhielt schnell den Beinamen „Lex Lilly“, da sie wie eine Gefälligkeit des Bundesgesundheitsministeriums an den US-amerikanischen Pharmakonzern Eli Lilly wirkte, damit dieser in Deutschland investiert.2 Lilly dementierte damals, doch nun nutzt voraussichtlich eben jenes Unternehmen als erstes die neu geschaffene Möglichkeit zu Geheimpreisen. Die Rahmenbedingungen für den entsprechenden Vertrag wurden bereits verhandelt, sodass er in den kommenden Wochen unterschrieben werden kann. Es geht um das Medikament Mounjaro® mit dem Wirkstoff Tirzepatid, eingesetzt als Kassenleistung bei Diabetes Typ 2 sowie auf Privatrezept auch bei Adipositas.3
Und genau das ist auch ein zentrales Motiv für die Geheimniskrämerei: Übergewichtige sollen nicht erfahren, dass sie für dasselbe Medikament viel mehr bezahlen müssen als die Kassen.
Nutzenbewertung und Wirtschaftlichkeit
Im Normalfall richtet sich hierzulande der Preis für neue Medikamente nach deren Nutzen. Je größer der zusätzliche Nutzen gegenüber Vergleichspräparaten ausfällt, desto höher kann auch der Preis sein. Ist der Zusatznutzen nur gering oder nicht vorhanden, muss ein Hersteller in Verhandlungen mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entsprechend hohe Rabatte gewähren.4
Für die Behandlung von Typ-2-Diabetes mit Tirzepatid konnte kein Zusatznutzen belegt werden.5 Zwar senkt Tirzepatid das Gewicht und den Blutzuckerspiegel deutlicher als Vergleichsprodukte, jedoch wurde bislang nicht gezeigt, dass sich das auch in patientenrelevanten Endpunkte, wie ein längeres Leben oder weniger Schlaganfälle, umsetzt. Studien hierzu stehen noch aus – entsprechend konnte bislang kein Zusatznutzen nachgewiesen werden.3
Ob der fehlende Zusatznutzen auch wirklich zu einem entsprechend hohen Rabatt beim Preis geführt hat, bleibt dank des neuen Gesetzes jedoch erstmalig geheim. Der tatsächlich von den Krankenkassen bezahlte Preis ist also nicht einsehbar. In der Folge haben Ärzt*innen Probleme bei der wirtschaftlichen Verordnung, zu der sie eigentlich gesetzlich verpflichtet sind. Da hilft es auch nicht, wenn der Konzern in einem Brief an praktizierende Ärzt*innen den geheimen Preis selbst als „wirtschaftlich“ bezeichnet.3 Fragen von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung sowohl zum vertraulichen Preis als auch zum angeblichen Zusatznutzen hat Lilly nicht beantwortet.3
Bald unbezahlbar?
Es bestehen massive Zweifel, ob die politischen Versprechungen, mit den Geheimpreisen den Krankenkassen Geld zu sparen, wirklich eingelöst werden.2 In Deutschland steigen die Arzneimittelpreise seit Jahren an.6 So legten die Nettokosten für Arzneimittel in den letzten rund zehn Jahren um 74% zu, sodass sie sich in 2023 auf satte 54 Milliarden Euro beliefen. Zum Vergleich: Das Brutto-Inlands-Produkt nahm in der Zeit um ca. 40% zu.
Der Kostenanstieg lässt sich vor allem durch höhere Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel erklären. Der durchschnittliche Preis einer Arzneimittelpackung von Neueinführungen hat sich im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt.6 Der Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), Helmut Schröder, fordert: „Es ist höchste Zeit, dass die Politik entschiedene Maßnahmen ergreift, um die Preisgestaltung bei Markteinführungen stärker zu regulieren statt wie im Falle der Geheimpreise den Wünschen der pharmazeutischen Industrie zu folgen. Ohne konsequentere Regulierungen riskieren wir, dass lebenswichtige Innovationen zwar entwickelt, aber unerschwinglich werden. Die Bezahlbarkeit neuer Arzneimittel stößt an Grenzen – das Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung darf nicht überfordert werden.“6
Geheimpreise schaden auch international
Deutsche Geheimpreise schaffen im Ausland bessere Verhandlungspositionen für die Hersteller. Andere Länder orientieren sich häufig an den in Deutschland tatsächlich bezahlten Preisen. Doch wenn hier gewährte Rabatte geheim gehalten werden, können im Ausland höhere Preise durchgesetzt werden.7
Nicht ohne Grund wird in der Transparenzresolution der Weltgesundheitsorganisation von 2019 gefordert, die tatsächlich für Arzneimittel8 gezahlten Preise offenzulegen.9 Deutschland distanzierte sich damals öffentlich von der Resolution, offiziell wegen Verfahrensbedenken.2 Jetzt zeigt sich, dass Deutschland sich auch faktisch von der für eine global gerechte Versorgung wichtigen Transparenz verabschiedet. Die einzig gute Nachricht: Die Möglichkeit zu Geheimpreisen ist gesetzlich zunächst auf dreieinhalb Jahre befristet. (SJ)
- Pharma-Brief (2024) Deutschland: Geheimpreise jetzt Gesetz. Nr. 6-7, S. 8 ↩︎
- Pharma-Brief (2024) Wer hat, dem wird gegeben. Nr. 4, S. 1 ↩︎
- Tagesschau (2025) Pharmakonzern will erstmals Geheimpreis verhandeln. 22.7.2025. [Zugriff 8.8.2025] ↩︎
- GKV-Spitzenverband (2024) Fokus: Arzneimittel und das AMNOG. [Zugriff 8.8.2025] ↩︎
- IQWIG (2024) Tirzepatid (Diabetes mellitus Typ 2); Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V. Dossierbewertung. ↩︎
- WIdO (2024) Erneut Rekordwert bei den GKV-Arzneimittelkosten: Anstieg um 74 Prozent in den letzten zehn Jahren. Pressemitteilung 26.11.2024. [Zugriff 8.8.2025] ↩︎
- Bernd C und Grill M (2025) Pharmafirma verlangt erstmals einen Geheimpreis für ein Medikament. Süddeutsche Zeitung, 22. Juli [Zugriff 8.8.2025] ↩︎
- Darunter fallen laut der Resolution Medikamente, Impfstoffe und andere Gesundheitsprodukte. ↩︎
- WHA (2019) Improving the transparency of markets for medicines, vaccines, and other health products. Seventy-second World Health Assembly. Agenda item 11.7. 28.5.2019. [Zugriff 8.8.2025] ↩︎