Zum Inhalt springen

Medizinischer Fortschritt mit Zugangshürden

Lenacapavir könnte die HIV-Prävention bereichern. Doch hohe Preise drohen das Potenzial zu begrenzen. Wer profitiert am Ende wirklich von diesem Durchbruch?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht die Empfehlung für den Wirkstoff Lenacapavir als eine weitere Alternative zur Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) gegen HIV aus.1 Das Medikament ist seit 2022 in den USA und der EU zur Behandlung von HIV-Infektionen zugelassen,2 wird in Deutschland allerdings nicht vermarktet.3 Im Juni 2025 erhielt der Hersteller Gilead in den USA erstmals auch die Zulassung für den Einsatz von Lenacapavir zur HIV-Prävention.4 Die europäische Arzneimittelbehörde EMA empfiehlt ebenfalls diesen präventiven Einsatz, die endgültige Entscheidung der EU-Kommission steht aber noch aus.5

Was ist neu für wen?

Lenacapavir wird halbjährlich als Injektion verabreicht und verhindert eine HIV-Übertragung nahezu gänzlich. Das Besondere an der Injektion: die lange Wirkdauer. Die herkömmliche PrEP wird in Tablettenform verabreicht und täglich oder anlassbezogen eingenomme.1 In einer Studie unter Menschen mit hohem Ansteckungsrisiko gab es mit Lenacapavir eine HIV-Infektion pro 1.000 Personenjahre, mit täglichen Tabletten 9 Infektionen pro 1.000 und in einer unbehandelten Vergleichsgruppe 24 Ansteckungen.6

Im Jahr 2024 infizierten sich schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen neu mit HIV. Rund die Hälfte davon lebt in Subsahara-Afrika.7 Lenacapavir könnte insbesondere für Menschen und Communities mit hoher Stigmatisierung oder erschwertem Zugang zum Gesundheitssystem wichtig sein.8

Fragliche Preisgestaltung

In einer Studie berechneten Forscher*innen die Herstellungskosten für generisches Lenacapavir nach den aktuellen Preisen.9 Demnach kostet das Mittel zwischen 35 und 46 US-Dollar pro Person pro Jahr. Wenn mehr Menschen die Spritze nutzen, könnte der Preis sogar auf 25 US-Dollar pro Jahr sinken. Die Autorinnen der Studie gehen davon aus, dass generisches Lenacapavir genauso viel oder sogar weniger kosten kann als die derzeit verfügbaren HIV-Vorbeugungstabletten.

Unglaublich, wenn man sich die aktuell vom Hersteller geforderten Preise ansieht. In den USA werden 28.218 US-Dollar pro Person und Jahr berechnet.10 Damit liegt die tatsächliche Preisgestaltung von Gilead mit ca. 1.000 Prozent Aufschlag weit über den Produktionskosten. Nicht verwunderlich, dass der Hersteller seine Preisverhandlungen lieber geheim hält.

Geheimpreise und Lizenzbeschränkungen

Gilead unterzeichnete eine Zugangsvereinbarung mit dem Globalen Fonds und verpflichtet sich Lenacapavir für bis zu zwei Millionen Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen über drei Jahre zu liefern.11 Doch die Vereinbarung wirft auch Kritik auf: Die zwischen dem Globalen Fonds und Gilead ausgehandelten Preise für die Lenacapavir-Spritzen bleiben dauerhaft geheim – ein fragwürdiger Mangel an Transparenz, zumal der Globale Fonds mit öffentlichen Mitteln finanziert wird.9

Zudem vergab Gilead sechs Generikafirmen Lizenzen und beschränkte den Vertrieb auf insgesamt 120 von Gilead festgelegte Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Problematisch ist daran, dass rund ein Viertel aller neuen HIV-Infektionen in weiteren 26 Ländern auftreten, die von dieser Lizenz ausgeschlossen sind. So haben Menschen in diesen Regionen trotz hohem Risiko keinen Zugang zu der Präventionsmaßnahme.9 Bei einem Preis im fünfstelligen US-Dollar Bereich pro Jahr ist fraglich, ob nicht doch Profit im Vordergrund steht.

Keine hohen Gewinne in Deutschland

In Deutschland führte Gilead 2022 Lenacapavir trotz EU-Zulassung zur HIV-Behandlung nicht ein. Begründung des Herstellers: Die zugrundeliegende klinische Studie genüge nicht den Anforderungen des Nutzenbewertungsverfahrens im Sinne des AMNOG, weshalb der Hersteller einen niedrigen Erstattungspreis erwarte.3 In der Tat wurde in der Zulassungsstudie das Medikament als Zusatztherapie nur gegen Placebo getestet statt gegen einen anderen zusätzlichen Wirkstoff. Ob Gilead Lenacapavir in Deutschland als Medikament zur HIV-Prävention einführt, ist derzeit unklar. (EF)


  1. WHO (2025) WHO recommends injectable lenacapavir for HIV prevention. Pressemitteilung 14.7.2025. [Zugriff 12.8.2025] ↩︎
  2. EMA (2022) Sunlenca [Zugriff 21.8.2025] ↩︎
  3. Gilead (o. J.) Stellungnahme zu Lenacapavir in Deutschland [Zugriff 12.8.2025] ↩︎
  4. Deutsches Ärzteblatt (2025) HIV-Prophylaxe Lenacapavir in den USA zugelassen. Pressemitteilung 19.6.2025. [Zugriff 12.8.2025] ↩︎
  5. EMA (2025) Yeytuo [Zugriff 21.8.2025] ↩︎
  6. AMB (2025) Lenacapavir zur langwirkenden antiretroviralen HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe bei verschiedenen Hochrisikogruppen in reichen Ländern; 59, S. 39 ↩︎
  7. UNAIDS (2025) Aids, crisis and the power to transform. Final Report. Geneva ↩︎
  8. Wiessner P (2025) Lenacapavir. Aktionsbündnis gegen Aids. [Zugriff 12.8.2025] ↩︎
  9. Fortunak J M et al. (2025) Lenacapavir to Prevent HIV Infection: Updated Estimated Costs of Production for Generic Treatments. The Lancet ↩︎
  10. Mandavilli A (2025) Regulators Approve Lenacapavir for H.I.V. Prevention. New York Times, 18 June ↩︎
  11. The Global Fund (2025) Globaler Fonds sichert Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen den Zugang zum bahnbrechenden HIV-Präventionsmedikament Lenacapavir. Pressemitteilung 9.7.2025. [Zugriff 21.8.2025] ↩︎

Wenn Sie sich regelmäßig über die Pharma-Problematik informieren wollen, sollten Sie den Pharma-Brief abonnieren.

Jetzt abonnieren

BUKO Pharma-Kampagne
Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Google Analytics über den Google Tag Manager. Lesen Sie unsere Datenschutzerklärung.