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Mehrere Gesetze in jüngster Zeit verbessern die Rahmenbedingungen für die Pharmaindustrie, ohne auf Nützlichkeit und Bezahlbarkeit der Produkte zu achten.

Neben Vereinfachungen für die Genehmigungsverfahren für klinische Studien enthält das am 4.7.2024 verabschiedete Medizinforschungsgesetz eine Klausel, die gar nichts mit Forschung zu tun hat: Die Möglichkeit, Erstattungsbeträge geheim zu halten, damit die Pharmaindustrie im Ausland höhere Preise durchsetzen kann. Wir berichteten über die Debatte um den Gesetzentwurf ausführlich.1 Bislang sind im deutschen Nutzenbewertungsverfahren (AMNOG) die zwischen Herstellern und den Kassen ausgehandelten Preise öffentlich. Das soll eine wirtschaftliche Verordnung von Medikamenten ermöglichen und auch deutlich machen, dass man mit Medikamenten ohne patientenrelevanten Zusatznutzen weniger Geld verdienen kann. Trotz massiver Kritik steht aber nun die Geheimhaltungsklausel im Gesetz. Einziger Trost: Die Regel wurde zeitlich befristet und Hersteller müssen einen zusätzlichen Rabatt von 9% auf den ausgehandelten Preis gewähren. Wobei unklar bleibt, ob Firmen, die Vertraulichkeit wollen, diesen Rabatt bei den Verhandlungen nicht bereits „einpreisen“. Die Regel bleibt international unsolidarisch und erzeugt ein Bürokratiemonster, denn die Kassen erstatten erst den Listenpreis und müssen sich die Rabatte nachträglich einzeln von den Herstellern wiederholen.

Eine zweite Regel soll Forschung in Deutschland belohnen: „Für Arzneimittel mit einem relevanten Anteil klinischer Prüfungen in Deutschland werden Spielräume für die Erstattungsbetragsverhandlungen […] wieder eröffnet.“2 Die Steuerungswirkung des AMNOG geht verloren, wenn man auch mit marginalen Verbesserungen hohe Gewinne einfahren kann. Beide Regelungen schaffen der Industrie bessere Bedingungen, Gewinne zu machen. Leider gehen sie zulasten der Krankenkassen und werden von den Beitragszahlenden finanziert.

Das Gesetz soll die Kooperation zwischen Pharmafirmen und öffentlichen Einrichtungen fördern. Krankenhäuser und Universitäten sollen mehr Auftragsforschung machen. Mit anderen Worten: Öffentlich finanzierte Infrastruktur wird noch stärker für private Zwecke genutzt. Der Vorteil für die Industrie ist klar. Aber die Gelder, die von den Firmen für die Durchführung von Studien an die Forschungseinrichtungen fließen, sind im Vergleich zu den anschließend mit den Medikamenten gemachten Gewinnen Peanuts.

GNDG: Patient*innendaten zu Geld machen

Das am 26.3.2024 in Kraft getretene Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) sieht vor, dass Daten aus der ab Januar 2025 für alle Krankenversicherten eingeführten elektronischen Patient*innenakte (ePA) automatisch für die Forschung verfügbar gemacht werden. Es wird dabei nicht zwischen öffentlicher und privater Forschung unterschieden. Viele Patient*innen werden also, ohne sich dessen bewusst zu sein, ihre für die Industrie wertvollen Daten spenden. Die Daten werden nur pseudonymisiert, sind also rückverfolgbar. Versicherte müssen dieser Datenfreigabe bei den Ombudsstellen der Krankenkassen oder digital in der App explizit widersprechen (Opt-Out-Verfahren).3

Hinter allem steht die Annahme, Forschung findet nur durch Pharma statt und man müsste nur genug finanzielle Anreize setzen, um nützliche Produkte zu bekommen. Dass es am Ende mehr Beifang als dicke Fische gibt, ist kein Thema. Stellvertretend sei hier ein Beitrag von Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) aus der Bundestagsdebatte zum Medizinforschungsgesetz am 4.7.2024 zitiert: „Meine Damen und Herren, Innovationen haben dazu geführt, dass eine einst tödliche HIV-Infektion heute nicht mehr automatisch zum Tod führt. Das war Innovation. Heutzutage können Sie von einer Hepatitis-C-Erkrankung geheilt werden. Warum? Weil Forschung und Entwicklung in Deutschland möglich waren. Da das nicht mehr so wie in der Vergangenheit möglich war, haben wir jetzt dieses Gesetz vorgelegt.“

Dieses Zitat zeigt die Uninformiertheit von Abgeordneten, die zu fragwürdigen Entscheidungen führt. Die ersten HIV-Medikamente stammen hauptsächlich aus öffentlicher Forschung in den USA, deutsche Firmen haben mit Nevirapin lediglich einen einzigen Wirkstoff vorzuweisen.4 Für die Hepatitis C-Medikamente fand die Grundlagenforschung und auch die Suche nach Wirkprinzipien weitgehend im öffentlichen Sektor in den USA, aber auch an der Uni Heidelberg statt. Der erste besser wirksame Wirkstoff gegen Hepatitis C, Sofosbuvir, stammt von einem Uni-Startup-Unternehmen aus den USA.5 Von deutschen Pharmafirmen stammt kein einziges der neueren Hepatitis C-Medikamente. Weil die wichtige Rolle öffentlicher Forschung unbekannt ist oder unterschätzt wird, stellt auch niemand die Frage nach dem „Public Return on Public Investment“.

Gesundes Herz oder gesunde Pharmabilanzen?

Noch nicht verabschiedet ist das „Gesundes Herz Gesetz“. Es gibt vor, das Entstehen von Herz-Kreislauferkrankungen zu bekämpfen. Aber anders als die Gesetzesbegründung suggeriert, spielt die Prävention eine untergeordnete Rolle. Faktisch geht es um Früherkennung, Absenkung von Grenzwerten und schärfere Therapieziele. Das alles führt dazu, dass mehr Menschen als krank definiert werden. Das bedeutet mehr Ausgaben, mehr unerwünschte Wirkungen und zusätzlich auch die Förderung des Konsums teurer Medikamente ohne gesundheitlichen Zusatznutzen.5 Verhältnisprävention kommt überhaupt nicht vor (z.B. Zuckersteuer, Verbesserung der Luftqualität).

Das Gesundheitsministerium hatte sich durch Experten mit Interessenkonflikten beraten lassen.6 Im Gesetzentwurf wird mehrfach auf Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) Bezug genommen. Diese Empfehlungen stehen jedoch auf tönernen Füßen, denn sie basieren nicht auf einer systematischen Auswertung der wissenschaftlichen Evidenz, sondern stellen lediglich einen Expertenkonsens dar. Ein an den Beratungen des BMG beteiligter Wissenschaftler 6 gab in einem Aufsatz zur scharfen Absenkung der Cholesterinwerte finanzielle Beziehungen zu nicht weniger als 12 Firmen an.7

Skandalös war die im Referentenentwurf vorgesehene Umgehung der im Sozialgesetzgebung (SGB V) vorgesehenen evidenzbasierten strukturierten Verfahren zur Überprüfung der Sinnhaftigkeit von Interventionen, bevor sie in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden. Statt des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sollten die Regeln per ministerieller Rechtsverordnung erlassen werden. Das wurde durch die Proteste verhindert. Damit besteht doch die Aussicht, dass die angedachten Maßnahmen sorgfältig auf ihren Nutzen überprüft werden. Eine verpasste Chance für eine echte Prävention von Herz-Kreislauferkrankungen, bleibt das Gesetz trotzdem.  (JS)


  1. Pharma-Brief (2024) Wer hat, dem wird gegeben. Nr. 4, S. 1 ↩︎
  2. BMG (2024) Medizinforschungsgesetz. Pressemitteilung 4. Juli www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/medizinforschungsgesetz-bundestagsbeschluss [Zugriff 16.9.2024] ↩︎
  3. BMG (o. J.) Daten für die Forschung und Versorgung www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/digitalisierung/daten-fuer-die-forschung-und-versorgung [Zugriff 16.9.2024] ↩︎
  4. Schaaber J (2004) Keine Medikamente für die Armen? Frankfurt am Main: Mabuse, S. 89-95 ↩︎
  5. Schaaber J (2023) Pillen-Poker. Berlin: Suhrkamp, S. 17 ↩︎
  6. arznei-telegramm (2024) Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) – Ende der Ära der evidenzbasierten Medizin? 55, S. 57 ↩︎
  7. Makhmudova U, Weingärtner O et al. (2023) Intensive lipid‑lowering therapy for early achievement of guideline‑recommended LDL‑cholesterol levels in patients with ST‑elevation myocardial infarction (“Jena auf Ziel“). Clinical Research in Cardiology; 112, p 1212 ↩︎

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