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HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose (TB), die sogenannten Großen Drei unter den Infektionskrankheiten, rückten zu Beginn der Pandemie schlagartig in den Hintergrund der politischen Aufmerksamkeit. Verschwunden waren sie nicht – ganz im Gegenteil. Die Auswirkungen von Covid-19 auf die jeweiligen Gesundheitsprogramme im Globalen Süden waren teils unterschiedlich, aber in allen drei Fällen gravierend.

Im Oktober 2019 und damit nur wenige Wochen vor Meldung der ersten Covid-19-Fälle jubelte der Globale Fonds (GFATM1) über ein neues Rekordergebnis seiner Wiederauffüllungskonferenz. Die offizielle Pressemitteilung zitierte Generaldirektor Peter Sands mit großem Optimismus: „Dieses Jahr haben wir den Siebenjährigen der Welt versprochen, dass wir AIDS, Tuberkulose und Malaria bis 2030 – wenn sie erwachsen sind – besiegen werden, damit sie das nicht tun müssen. Die heutige bemerkenswerte Demonstration globaler Solidarität zeigt, dass die Welt entschlossen ist, dieses Versprechen einzuhalten, indem sie stärker, schneller und gemeinsam arbeitet.“2 Die Pandemie warf dann allerdings ein grelles Schlaglicht darauf, dass globale Solidarität in Krisenzeiten ein rares Gut ist. Gerade die Regionen mit den höchsten Krankheitslasten der Großen Drei mussten beispielsweise erleben, wie Länder des Globalen Nordens zunächst Schutzkleidung und anschließend Impfstoffe horteten.

Alles stehen und liegen gelassen

Die medizinischen Verschränkungen zwischen Infektionen mit Sars-CoV-2 auf der einen, sowie HIV/Aids, TB und Malaria auf der anderen Seite weckten sofort das Interesse der wissenschaftlichen Community: Welche Folgen hat die Pandemie für die Behandlung anderer Krankheiten? Auch galt es, überraschende Begleiterscheinungen zu beachten: In Indien etwa brachte die zweite Covid-Welle eine hohe Anzahl spezieller Pilzinfektionen mit sich, ein Risiko gerade auch für Menschen mit HIV.3 Gleichzeitig bremste die Pandemie Forschung signifikant aus. Unter anderem, da viele Fachkräfte umgeschichtet und klinische Studien unterbrochen wurden, bei Malaria beispielsweise zu neuartigen Moskitonetzen.4 Die größte Sorge galt allerdings dem Zustand der laufenden Versorgungsprogramme im Globalen Süden, auch mit Blick auf die Gesundheit von Müttern und Kindern. Zum Beispiel machen Kinder den Großteil der jährlich über 600.000 Malariatoten aus.5 Wiederum ist die Mutter-Kind-Übertragung von HIV trotz großer globaler Erfolge in vielen Ländern weiter ein signifikantes Problem und die Ausbreitung resistenter Tuberkulosevarianten speziell für vulnerable Gruppen wie Schwangere ein beunruhigender Trend.

Der komplette Schwenk innerhalb der Gesundheitssysteme in einigen Ländern hin zu Covid band vor allem zu Pandemiebeginn im großen Stil Kapazitäten für Aufklärung und Prävention, Therapie und ganz besonders auch bei Labortests. So betont die südafrikanische Forscherin Quarraisha Abdool Karim rück­blickend: „Wir können nicht alles stehen und liegen lassen, sobald eine neue Epidemie oder Pandemie beginnt. Es hat Konsequenzen, wenn wir Maßnahmen im Kampf gegen HIV oder Tuberkulose einfach auf Eis legen, sobald ein neues Virus grassiert.“6

Malaria und HIV/Aids: Zeichen der Erholung

Nach Beginn der Pandemie kam es 2020 zu einem gravierenden Anstieg von Malariaerkrankungen und Todesfällen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bilanzierte im Dezember letzten Jahres in ihrem neuen Welt-Malariareport, weitere Rückschläge in der Bekämpfung wären 2021 größtenteils verhindert worden.7 Generaldirektor Tedros Ghebreyesus äußerte sich vor diesem Hintergrund positiv: „Wir stehen vor vielen Herausforderungen, aber es gibt auch viele Gründe zur Hoffnung.“8 Wie komplex sich die Pandemie in der Malariabekämpfung auswirkte, zeigen stellvertretend Berichte von Müttern in Ghana über ihre Erfahrungen in Gesundheitszentren: „Das Kind war krank und als wir ankamen, weigerten sie sich es zu versorgen, weil es hohe Temperaturen hatte.“9 Gleichzeitig wurden die Gesundheitsfachkräfte selbst von Patient*innen als Risiko angesehen. Bei Menschen mit HIV stellte etwa in Südafrika die Angst vor einer möglichen Covid-Ansteckung in Gesundheitseinrichtungen vor allem zu Beginn der Pandemie ein ernstes Versorgungshindernis dar.10

UNAIDS11 hebt zurecht hervor, dass Covid-19 viele bereits bestehende Ungleichheiten weiter vertieft hat. So hielt 2021 beispielsweise ein trauriger Trend an: Obwohl lediglich vier Prozent der Menschen mit HIV Kinder sind, entfallen auf sie über 15 Prozent der Todesfälle durch Aids.12 Die Pandemie hat neben ihren massiven Verwerfungen zugleich aufgezeigt, wie resilient viele Programme im Globalen Süden gerade bei HIV/Aids sind. Eine vergleichende Studie zwischen Ländern aus Afrika, Asien und Lateinamerika fand für vier Länder, dass sich die Anzahl der mit antiretroviralen Medikamenten versorgten Menschen „während der Pandemie praktisch nicht verringert war.“13

Tuberkulose: Abermals das Sorgenkind

Das weltweite Engagement gegen TB wiederum machte schon vor der Pandemie nur langsam Fortschritte, die zudem fragil blieben. Während der Pandemie wurden in Südafrika 2021 ein Viertel weniger TB-Patient*innen behandelt. Die TB-Testraten gingen teils drastisch zurück, in Ghana und Südafrika um rund 30%, in Nepal gar um 65%.14 Eine Reportage von Memento-Medienpreisträger Jakob Simmank verwies 2022 darauf, die TB-Bekämpfung sei „extrem leicht aus dem Takt zu bringen“ und folgerte: „Tatsächlich spiegelt sich wohl in kaum einer anderen Krankheit der Zustand der Welt so gut wider wie in der Tuberkulose.“15 Covid-19 bestätigte dabei auch drastisch die unterschiedlichen Dynamiken in einem kommerziellen Forschungssystem, das sich primär an Gewinnerwartungen ausrichtet. Während für die neue, auch in reicheren Ländern grassierende Infektionskrankheit in kürzester Zeit mit Milliardensummen Impfstoffe auf den Markt gehievt wurden, liest sich die Situation bei der alten Armutskrankheit weiterhin frustrierend: „Im Kontrast haben wir einen hundert Jahre alten Impfstoff gegen TB, der lediglich schwere Verläufe bei Kindern verhindert und keinen Einfluss auf die Inzidenz hat.“16

Der Tuberkulosereport der WHO schätzte Ende 2022, dass im Vorjahr pandemiebedingt über vier Prozent mehr Menschen an TB erkrankten und insgesamt 1,6 Millionen starben – das erste Mal seit Jahrzehnten, dass beide Zahlen zunahmen.17 Die extrem erschwerten Bedingungen für viele Patient*innen, überhaupt therapietreu bleiben zu können, waren ein Grund der Sorge vor einem weiteren Anstieg von Resistenzen. Immer noch ist die Therapie resistenter TB langwierig und qualvoll. Viele Präparate sind toxisch, was etwa den Einsatz bei Schwangeren verkompliziert, umso mehr, wenn Ko-Infektionen mit HIV vorliegen.18 Entsprechend klagte eine Aktivistin 2020 gegenüber der New York Times, es habe die weltweite Bewegung gegen TB viel Arbeit gekostet, überhaupt voranzukommen – nun wäre man gleichsam beim Bergsteigen durch eine Lawine wieder nach unten geworfen worden.19 (MK)


  1. Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria ↩︎
  2. GFATM (2019) Global fund donors pledge US$14 billion in fight to end epidemics. [Zugriff: 28.3.2023] ↩︎
  3. Sharma R et al.(2022) Mucormycosis in in the Covid-19 environment. A multifaceted complication. Frontiers in Cellular and Infection Microbiology; 12, Article 937481 https://doi.org/10.3389/fcimb.2022.937481 ↩︎
  4. Ravero J (2023) WHO recommends new malarial bed nets to fight resistant parasites. [Zugriff: 28.3.2023] ↩︎
  5. WHO (2023) Malaria. Key-facts. [Zugriff: 14.4.2023] ↩︎
  6. March L (2023) Im Schatten der Pandemie. Spektrum.de [Zugriff: 28.3.23] ↩︎
  7. WHO (2022) World Malaria Report 2022. [Zugriff: 30.3.2023] ↩︎
  8. WHO (2022) Despite continued impact of Covid-19, malaria cases and deaths remained stable in 2021 [Zugriff: 30.3.2023] ↩︎
  9. Heuschen AK et al.(2023) Effects of the Covid-19 pandemic on general health and malaria control in Ghana: a qualitative study with mothers and health care professionals. Malaria Journal; 22, p 28 https://doi.org/10.1186/s12936-023-04513-6 ↩︎
  10. March L (2023) Im Schatten der Pandemie. Spektrum.de[Zugriff: 28.3.23] ↩︎
  11. UN-Programm gegen HIV/Aids ↩︎
  12. UNAIDS (2022) Global AIDS Update 2022. [Zugriff: 13.4.2023] ↩︎
  13. Arsenault C et al.(2022) Covid-19 and resilience of healthcare systems in ten countries. Nature Medicine; 28, p  1314 https://doi.org/10.1038/s41591-022-01750-1 ↩︎
  14. Arsenault C et al.(2022) Covid-19 and resilience of healthcare systems in ten countries. Nature Medicine; 28, p  1314 https://doi.org/10.1038/s41591-022-01750-1 ↩︎
  15. Simmank J (2022) Tuberkulose: Das Comeback der unheimlichsten Infektionskrankheit der Welt. ZEIT Online, veröffentlicht online am 30.12.2022 ↩︎
  16. Trajman A et al.(2022) The Covid-19 and TB syndemic: The way forward. International Journal of Tuberculosis and Lung Disease. 26, p 710 ↩︎
  17. Cullinan K (2022) TB cases and death increase as Covid pandemic wipes out decades of gains. Health Policy Watch [Zugriff: 13.4.2023] ↩︎
  18. Orazulike N et al.(2021) Tuberculosis (TB) in pregnancy – A review. European Journal of Obstetrics & Gynecology and Reproductive Biology; 259, p 167 ↩︎
  19. Mandavilli A (2021) “The biggest monster” is spreading: and it´s not the coronavirus. [Zugriff: 28.3.2023] ↩︎

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