
Weniger ist mehr: Verbrauch von Arzneimitteln
10. September 2025
Im Jahr 2023 griffen in Deutschland schätzungsweise fast zwei Millionen Menschen täglich zu Schmerzmitteln.1 Diese gehören zu den am häufigsten in der Umwelt nachgewiesenen Präparaten – mit belegten negativen Auswirkungen, wie etwa Organschäden bei Fischen.2 Ein weiteres Beispiel ist die Antibabypille.3 In Deutschland nehmen sie rund vier Millionen Frauen täglich ein – eine Anreicherung in der Umwelt kann zur Verweiblichung von Amphibien führen.4
Mit zunehmendem Alter steigt die Anzahl der verschriebenen Medikamente oft an, Deprescribing5 findet zu selten statt. Bei der Verringerung des Arzneimitteleintrags geht es jedoch auch um rationalen Verbrauch: „Das umweltfreundlichste Medikament ist das, das nicht benötigt und nicht verschrieben wird.“6
Oftmals fehlt es in der Bevölkerung an Wissen über die Umweltauswirkungen von Medikamenten. Aufklärungsangebote sind rar und in der Regel weisen Packungsbeilagen nicht auf ökologische Folgen hin. Das Gesundheitspersonal könnte diese Lücke schließen, den Berufsgruppen fehlt es allerdings selbst an Daten und flächendeckenden Schulungen zu dem Thema. Eine gezielte Beratung zur umweltgerechten Anwendung und Entsorgung von Arzneimitteln findet daher für Verbraucher*innen nur selten statt.
Drei Fragen an Anja Thijsen

Anja Thijsen ist selbstständige Apothekerin, Vorstandsmitglied beim NABU Niedersachsen, und Sprecherin beim NABU BFA-Umweltchemie und Ökotoxikologie.
1) Was können Apotheken gegen Arzneimittelrückstände in der Umwelt tun?
Apotheken sind Dreh- und Angelpunkte, wenn es um die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln geht. Sie erreichen sowohl Fachleute als auch Verbraucherinnen. Die Mitarbeitenden beraten medizinisches Fachpersonal und bieten zugleich für alle Patient*innen einen niederschwelligen Zugang zu vielen Themen rund um Gesundheit und Wohlbefinden. Bei nicht rezeptpflichtigen Arzneimitteln obliegt ihnen die Auswahl der Präparate und die Beratung zur korrekten Anwendung. Hier können sie direkten Einfluss auf die Einträge in die Umwelt nehmen. So wird Diclofenac, ein Wirkstoff in beispielsweise Schmerzsalben, kaum durch die Haut aufgenommen und in großen Mengen durch das Duschwasser in die Kläranlagen gespült. Konventionelle Kläranlagen entfernen es nicht ausreichend und so gelangt es in die Umwelt.
2) Welche konkreten Maßnahmen verringern den Eintrag von Arzneimittelrückständen in die Umwelt?
ine generelle Reduktion der eingesetzten Arzneimenge und ein Ersatz besonders problematischer Arzneistoffe durch besser abbaubare Medikamente können die Umweltwirkungen begrenzen. Damit dieser Ersatz gelingt, ist eine transparente Datenbasis in den Apotheken und Arztpraxen unabdingbar. Zur Reduktion der eingesetzten Mengen spielt die Prävention eine Schlüsselrolle. Die Stärkung der pharmazeutischen Dienstleistungen, insbesondere des Medikationsmanagements, bewirkt oftmals eine effizientere Anwendung und eine Verringerung der eingesetzten Arzneimittel (Deprescribing). Eine stärkere Entkopplung des Honorars der Apotheken von der reinen Packungsabgabe würde helfen, nichtmedikamentöse Maßnahmen zu fördern und so die Umwelt zu schützen.
Ein weiterer Punkt ist die dringend notwendige Einführung eines deutschlandweiten einheitlichen Entsorgungssystems für nicht mehr benötigte Arzneimittel. Der derzeitige „Flickenteppich“ fördert die umweltschädliche Entsorgung vor allem von Flüssigkeiten durch Spüle und Toilette. Es bietet sich hierbei an, Apotheken als fachkundige Stellen einzubinden.
3) Was braucht es für einen wirklichen Wandel?
Die Reduktion der Umweltwirkungen durch Arzneimittel ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit vielen Akteur*innen, die von der Forschung und Entwicklung über die Produktion und Anwendung bis hin zur Entsorgung reicht.
Allein auf den Ausbau der Kläranlagen mit der vierten Reinigungsstufe zu setzen, wird nicht ausreichen. Die Einträge von umweltrelevanten Spurenstoffen in den Wasserkreislauf müssen zwingend verringert werden. Es braucht strukturelle Veränderungen!
Vielen Dank für das Interview!
Wo kann die deutsche Politik ansetzen?
Transparenz: Es sollte für die Pharmaindustrie verpflichtend sein, Informationen zur Umweltverträglichkeit von Medikamenten auf der Verpackung auszuweisen.
Beratung: Pharmazeutische Dienstleistungen in Apotheken müssen ausgebaut werden, um niedrigschwellige Beratung zur richtigen Anwendung und zur Reduzierung überflüssiger Medikamente zu fördern.
Honorarsysteme: Apothekenhonorare müssen von der Packungszahl entkoppelt werden, um Anreize zur Minimierung des Arzneimitteleinsatzes zu schaffen.
Entsorgung: Ein bundesweit einheitliches System zur Arzneimittelentsorgung mit entsprechenden Rahmenbedingungen muss geschaffen werden.
- Deutsche Sporthochschule Köln (2023) Problem Schmerzmittelkonsum. Pressemitteilung 10.3.2023 [Zugriff 4.8.2025] ↩︎
- Stegner L (2023) Arzneimittelrückstände in der Natur. Warum politische Maßnahmen dringend erforderlich sind. Apotheken und Beruf; 4, S. 14 ↩︎
- Deutsches Grünes Kreuz e.V. (o. J.) Antibabypille. [Zugriff 7.8.2025] ↩︎
- UBA (2024) Umweltwirkungen von Arzneistoffen. [Zugriff 12.8.2025] ↩︎
- Wird auch als Absetzen von Medikamenten oder Medikamentenreduktion bezeichnet und ist ein geplanter und kontrollierter Prozess, bei dem die Einnahme von Medikamenten verringert oder ganz eingestellt wird. ↩︎
- Royal Pharmaceutical Society (2025) Sustainability Policies. [Zugriff 7.8.2025] ↩︎