
Wie die Pharmaindustrie der EU droht
23. Mai 2025
Trittbrettfahrt auf Trumps Zoll- und Wirtschaftspolitik
Der europäische Pharmaverband EFPIA, in dem vor allem große internationale Unternehmen organisiert sind, droht mit der Abwanderung von Produktion und Forschung in die USA. Ein durchsichtiger Versuch, sich Vorteile zu verschaffen.
Anlass des Vorstoßes der Pharmalobby ist US-Präsident Trumps Drohung, hohe Importzölle auf Medikamente einzuführen. Unter der reißerischen Überschrift „Pharma CEOs warnen Präsidentin von der Leyen, dass sie einen Exodus in die USA riskiert“1 macht die EFPIA Stimmung für noch mehr Patentschutz, eine Absenkung der Standards für die Zulassung neuer Medikamente und weniger Umweltschutz. Mehrere NGOs aus Europa und den USA haben die Forderungen analysiert und sind auf eine Reihe unbewiesener oder schlicht falscher Behauptungen gestoßen.2
Wenn EFPIA davon spricht, ihr Ziel sei „ein wettbewerbsfähiger EU-Markt, der Innovationen anzieht, wertschätzt und belohnt, wie in anderen Volkswirtschaften, die bei der Patientenversorgung führend sind“, steht dahinter der Wunsch, in der EU gewinnsteigernde Rahmenbedingungen durchzusetzen. Auch wenn sie nicht explizit benannt werden, sind die USA das Vorbild: Kein anderes Land der Welt hat höhere Medikamentenpreise, wobei von der „führenden“ Versorgung viele Menschen mangels sozialer Absicherung ausgeschlossen sind. Selbst für Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen kann eine Krebserkrankung finanziell stark belasten. Das kann niemand in Europa wollen.
Falsche Fährte Produktionsverlagerung
Die entscheidende Frage ist aber, ob „günstigere“ Bedingungen in der EU eine Verlagerung von Produktion überhaupt nennenswert beeinflussen würden. Warum sollten die Firmen die gewonnenen Vorteile nicht einfach mitnehmen und trotzdem abwandern? Die Medikamente könnten sie in der EU trotzdem weiter mit höheren Gewinnmargen verkaufen.
Angesichts der extremen Gewinnspannen bei patentgeschützten Medikamenten spielen die Herstellungskosten eine untergeordnete Rolle, das macht Zölle weniger bedrohlich. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass Standortverlagerungen teuer und zeitraubend sind. Es ist eher unwahrscheinlich, dass auf Basis der erratischen Trumpschen Politik langfristige Investitionsentscheidungen getroffen werden.
Trump als Retter der US-Patient*innen?
Nach der Androhung von hohen Zöllen auf Medikamente, unterzeichnete Trump nur Tage später ein Dekret, das die hohen Preise in den USA drastisch senken soll. Arzneimittel sollten in den USA nicht mehr kosten als in dem Land, in dem sie am günstigsten angeboten werden. Mit einem ähnlichen Vorhaben ist er allerdings schon in seiner ersten Amtszeit gescheitert.3
Der deutsche Pharmalobbyverband Vfa lehnt dieses Trump-Dekret vehement ab.4 Das ist nicht erstaunlich, haben doch die Firmen angesichts der extremen US-Preise einiges zu verlieren. Dafür wird der Mythos der hohen Forschungskosten bemüht: Ohne die hohen Erlöse in den USA gäbe es keine neuen Medikamente mehr, lautet die Pharma-Erzählung (siehe auch Interview auf S. 4).
Einen ähnlich vehementen Protest gegen die kürzlich dekretierten Milliardenkürzungen bei den US-National Institutes of Health (NIH)5 vermisst man dagegen. Obwohl die NIH medizinische Grundlagenforschung leisten, von der die Industrie für ihre weitere Medikamentenentwicklung enorm profitiert.
Dann kommt die Trittbrettfahrt des Vfa für seine europäische Agenda: Um Trumps Vorstoß abzufedern, erneuert der Vfa seine Forderung nach Geheimpreisen für Europa. Am besten sei „ein einheitlicher europäischer Listenpreis mit vertraulichen nationalen Rabatten“. Damit könnte man die Staaten künftig besser gegeneinander ausspielen. Denn mangels Transparenz kann niemand mehr kontrollieren, ob das Preisangebot für Medikament X wirklich so günstig ist wie behauptet. Auch bleibt zweifelhaft, ob die Trump-Administration auf einen solchen Taschenspieler-Trick hereinfallen würde.
Die Zug fährt in die falsche Richtung
Die von der Industrie geforderten Änderungen würden in der EU mehr schlecht geprüfte Pseudo-Innovationen auf den Markt schwemmen, den Generikawettbewerb noch stärker verzögern und sowohl die Gesundheit als auch die Geldbörsen der Versicherten schröpfen. Ein schärferer Patentschutz gefährdet auch die ohnehin vielerorts prekäre globale Arzneimittelversorgung. Wie hartherzig die Positionen der EU zum Patentschutz schon jetzt sind, wurde im Rahmen der Verhandlungen um den Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation deutlich.6,7 Statt einseitig wirtschaftliche Interessen zu bevorzugen, wäre mehr globale Solidarität der EU gefragt. (JS)
- EFPIA (2025) Pressemitteilung vom 8. April www.efpia.eu/news-events/the-efpia-view/statements-press-releases/pharma-ceos-alert-president-von-der-leyen-to-risk-of-exodus-to-the-us [Zugriff 2.5.2025] ↩︎
- Public Citizen et al. (2025) Reality Check: Big Pharma’s “Warning” to the European Union Capitalizes on Trump’s Chaos. www.citizen.org/article/reality-check-big-pharmas-warning-to-the-european-union-capitalizes-on-trumps-chaos [Zugriff 2.5.2025] ↩︎
- Gedeon J and Chao-Fong L (2025) Trump signs order aiming to slash US drug prices to match those abroad. Guardian 12 May www.theguardian.com/us-news/2025/may/12/trump-drug-prices-rfk-jr [Zugriff 12.5.2025] ↩︎
- Vfa (2025) US-Maßnahmen zu Arzneimittelpreisen gefährden globalen medizinischen Fortschritt. Pressemitteilung 12. Mai https://vfa.de/pm-023-2025.html [Zugriff 12.5.2025] ↩︎
- Pharma-Brief (2025) Ein Bärendienst für die Wissenschaft. Nr. 2-3, S. 6 ↩︎
- Pharma-Brief (2024) Kein Pandemievertrag. Nr. 5, S. 1 ↩︎
- Ferrari Faviero G und ´t Hoen E (2025) Wird Europa das Pandemieabkommen wegen eines Wortes blockieren? https://bukopharma.de/scheitert-pandemic-treaty-an-einem-wort ↩︎