
Wird Europa das Pandemieabkommen wegen eines Wortes blockieren?
4. April 2025
Die Zeit für das Pandemieabkommen der Weltgesundheitsorganisation läuft ab. Nach mehr als drei Jahren komplexer, mühsamer Verhandlungen stehen wir am Rande des Scheiterns – ein Ergebnis, das die Europäische Union (EU) nicht gut aussehen lässt.
von Guilherme Ferrari Faviero und Ellen ´t Hoen
Die Verhandlungen über das Pandemieabkommen begannen im Dezember 2021. Ausreichend motiviert durch die katastrophalen Auswirkungen des weltweiten Ausbruchs von COVID-19, vereinbarten die Mitgliedstaaten der WHO, Verhandlungen über ein internationales Übereinkommen zur Prävention, Vorbereitung und Reaktion auf Pandemien aufzunehmen.
Im Mittelpunkt dieser Entscheidung stand das übergeordnete Ziel, die inakzeptablen Unterschiede beim Zugang zu Impfstoffen, Medikamenten, Tests und anderem medizinischen Bedarf zur Bekämpfung der Pandemie anzugehen. Der fehlende Zugang zu Produkten sowie der fehlende Austausch von Wissen über die Impfstoffherstellung führten zu Millionen vermeidbarer Todesfälle während der COVID-19-Pandemie, da die Bemühungen um einen gleichberechtigten Zugang zu Produkten aufgegeben wurden, sobald die Impfstoffe entwickelt wurden. Laut Nature hat das Horten von Impfstoffen allein schätzungsweise mehr als eine Million Menschenleben gekostet, dabei war der Globale Süden unverhältnismäßig stark betroffen.
Da die Verhandlungsführer vom 7. bis 11. April in Genf in die letzte Gesprächsrunde eintreten, müssen sie alle verbleibenden offenen Bestimmungen – darunter vor allem Fragen im Zusammenhang mit Technologietransfer, Pandemieprävention und dem Pathogen Access and Benefit Sharing System (PABS) – lösen. Sie alle sind entscheidend, um eine globale Reaktion auf künftige Pandemien zu verbessern und einen Mangel an Gerechtigkeit beim Zugang zu in einer Pandemie benötigten Produkten zu vermeiden.
Ein zentraler Streit, der die Verhandlungen scheitern lassen könnte, dreht sich um das Wort „freiwillig“ in der Definition des Technologietransfers im Abkommen. Deutschland hat eine harte Linie eingeschlagen und ausdrücklich darauf bestanden, den Technologietransfer auf eine „freiwillige“ Geste und auf „einvernehmliche“ Bedingungen zu beschränken.1 Dies ist eine bekannte Position der Industrie,2 die während der Gespräche der Europäischen Kommission im Namen der EU-Mitgliedstaaten übernommen wurde. Es handelt sich dabei ein merkwürdiges Ansinnen, weil der Text bereits festlegt, dass die am Technologietransfer beteiligten Parteien dies zu einvernehmlich vereinbarten Bedingungen tun. Die Einfügung des Begriffs „freiwillig“ ist daher überflüssig, aber nicht ohne Risiken.
Die Definition des Technologietransfers als freiwillig ist unnötig restriktiv und kann Folgen haben, die über den Anwendungsbereich dieses Abkommens hinausgehen, was die Fähigkeit aller Länder – einschließlich der europäischen Länder – untergraben könnte, die bestehenden Rechtsrahmen zu nutzen, um den Technologietransfer sicherzustellen. Die Verwendung dieses Wortes ignoriert auch die Tatsache, dass während der COVID-19-Pandemie der freiwillige Austausch nicht in dem Maße zustande kam, wie es erforderlich gewesen wäre, um weit verbreitete Ungleichheiten beim Zugang zu lebensrettender Gesundheitstechnologie zu vermeiden.
Das Völkerrecht, wie zum Beispiel das TRIPS-Abkommen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) der Welthandelsorganisation, in dem Verpflichtungen für Länder zum Schutz des geistigen Eigentums festgelegt sind, ermöglicht ausdrücklich Maßnahmen, einschließlich nicht freiwilliger, die zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sind. Die Einführung einer Bedingung, dass solche Maßnahmen freiwillig sein müssen, besteht die Gefahr, dass diese Regelungen besonders für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen schädlich sind. Sie sind besonders anfällig dafür, sich von westlichen Nationen unter Druck setzen zu lassen, die Flexibilität des TRIPS-Übereinkommens nicht zu nutzen, um Zugang zu Technologien zu erhalten.
Angesichts der Tatsache, dass Deutschland und andere Länder mit hohem Einkommen die Notwendigkeit des nicht freiwilligen Technologietransfers in der nationalen Gesetzgebung ausdrücklich anerkannt haben, ist es scheinheilig, andere daran zu hindern, selbst solche Maßnahmen zu ergreifen. Das in den frühen Tagen des COVID-19-Ausbruchs verabschiedete deutsche „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“3 erleichterte beispielsweise ausdrücklich die Zwangslizenzierung von Patenten, um Zugang zu Produkten zu erhalten, die zur Bekämpfung von COVID-19 erforderlich sind. In der vorgeschlagenen Verordnung über EU-weite Zwangslizenzen in Notfällen wird ausdrücklich anerkannt, dass es möglich sein muss, den Transfer von Know-how zu erzwingen.
Um die unterschiedlichen Standpunkte in den Verhandlungen miteinander in Einklang zu bringen, wurden Vorschläge unterbreitet, entweder den Technologietransfer ausschließlich für die Verpflichtungen im Rahmen des Pandemie-Abkommens zu definieren und klarzustellen, dass er keine Auswirkungen auf andere Maßnahmen hat, die die Länder ergreifen können, oder eine Formulierung wie „einvernehmlich vereinbart“ zu wählen. Das stimmt mit der Sprachregelung überein, die bereits in anderen internationalen Übereinkünften wie dem Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums und dem TRIPS-Abkommen verwendet wird.
Während unklar bleibt, ob Deutschland und andere EU-Länder diese Kompromisse akzeptieren, würde das Scheitern der Verhandlungen an einem einzigen Wort, die Partikularinteressen der Pharmazeutischen Industrie über globale Gerechtigkeit, die öffentliche Gesundheit und sogar die eigenen strategischen nationalen Interessen Europas in gesundheitlichen Notlagen stellen.
Guilherme Ferrari Faviero, Esq., MS, MPH, Director, AHF Global Public Health Institute, INB Relevant Stakeholder Representative, AHF Brasilien
Ellen ´t Hoen, LLM, PhD, Director, Medicines Law & Policy
Zuerst veröffentlicht in der Brussels Times „Will Europe block the Pandemic Agreement because of one word?“ am 28.3.2025. Wir danken den Autor*innen für die Abdruckgenehmigung. Übersetzung: Jörg Schaaber mit Hilfe des maschinellen Übersetzungssystems der Europäischen Kommission.
- ´t Hoen E (2025) “Mutually agreed terms and conditions,” says it all. 6 March https://medicineslawandpolicy.org/2025/03/mutually-agreed-terms-and-conditions-says-it-all/ [Zugriff 4.4.2025] ↩︎
- IFPMA (2024) Statement for the 9th meeting of the INB. 18 March https://www.ifpma.org/news/9th-meeting-of-the-intergovernmental-negotiating-body-inb/ [Zugriff 4.4.2025] ↩︎
- Bundesgesetzblatt (2020) Teil I, Nr. 14 http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl120s0587.pdf ↩︎