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Im März 2024 traf sich das Verhandlungsgremium bereits zum neunten Mal, um ein internationales Pandemieabkommen auszuarbeiten. Mit dem Abkommen soll die Prävention, Vorsorge und Bekämpfung zukünftiger Pandemien verbindlich geregelt werden. Wird es im Mai zu einer solidarischen Lösung kommen?

Während sich die Bevölkerung im Globalen Norden mit der Zweit- oder gar Dritt­impfung versorgte, wartete der Globale Süden im zweiten Pandemiejahr noch immer auf die erste Impfdosis. Fair wäre es gewesen, wenn alle Teile der Welt gleichmäßig mit Impfstoffen versorgt ge­wesen wären. Um als Weltgemeinschaft besser auf zukünftige Krisen vorbereitet zu sein, stimmten die 194 Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei einer Sondersitzung der Weltge­sundheitsversammlung (WHA) im Dezember 2021 für die Entwicklung eines internationalen Pandemieabkommens.1 Für die Erarbeitung wurde ein zwischenstaatliches Verhandlungsgremium mit dem Namen Intergovernmental Negotiating Body (INB) gegründet. Das Gremium besteht u.a. aus Vertreter*innen der sechs WHO-Regionen der Welt und steht allen Mitgliedstaaten offen.2 Neben der Pharmaindustrie und der Wissenschaft durfte häppchenweise auch die Zivilgesellschaft mitreden. Der sportliche Zeitplan sieht eine Einigung für die 77. WHA Ende Mai diesen Jahres vor.3

Prävention, Vorsorge und Bekämpfung

Zum einen soll mit dem Abkommen die Früherkennung potenzieller Pandemien ausgebaut werden, zum anderen gilt es, Gesundheitssysteme zu stärken, dass sie auch im Krisenfall noch funktionieren. Unzureichend geregelt sind bislang aber die Reaktionen auf den Ausbruch einer Pandemie.2 Dabei war die Grundidee des Abkommens, einen gleichberechtigten Zugang zu relevanten Gütern weltweit sicherzustellen.4 Der global gerechte Zugang zu Impfstoffen, Arzneimitteln und Diagnostika aber auch Sauerstoff oder Hilfsausstattungen wie Schutzkleidung muss im geplanten Abkommen geregelt werden, sonst ergibt es wenig Sinn. Doch über die konkrete Umsetzung schienen sich die Mitgliedsstaaten bis zuletzt nicht einig zu sein.

Die EU zeigt sich unsolidarisch

Um im Falle einer nächsten Gesundheitskrise zügig ein Gegenmittel wie einen Impfstoff entwickeln zu können, erwarten des Globalen Nordens insbesondere den Zugang zu Informationen über Erreger­eigenschaften von Ländern des Globalen Südens. Diese fordern im Gegenzug einen besseren Zugang zu den entwickelten Innovationen und dafür ein vorübergehendes Aufheben des Patentschutzes für alle relevanten medizinischen Produkte.5 Wir erinnern uns: Während der Covid-19-Pandemie kam es zu der höchst problematischen Lage, dass der Globale Süden pathogene Proben mit dem Norden teilte, dafür aber keine direkte Gegenleistung erhielt.6

Mit dem sogenannten TRIPS Waiver, der schon während der Corona-Pandemie diskutiert wurde, könnte eine Produktion beispielsweise von Impfstoffen auch im Globalen Süden ermöglicht werden, da bei einem Verzicht auf Patente das Wissen und geschützte Technologien für lebensrettende Impfstoffrezepte zur Verfügung stehen würden. Erst eine groß angelegte Produktion und Verteilung könnte Menschenleid überall auf der Welt verringern.7 Die EU, darunter auch Deutschland, die USA und Großbritannien sprechen sich aber vehement gegen ein Aussetzen der geistigen Eigentumsrechte aus, dabei war es die EU, die das Pandemieabkommen anfangs selbst vorschlug und vorantrieb.8

Deutschland bangt um Produktionslizenzen

Vergangenen Oktober warnte Gesund­heitsminister Lauterbach (SPD) davor, im Abkommen Eigentumsrechte hinsichtlich der Entwicklung und Produktion von Impfstoffen einzuschränken.9 Bei einer Bundestagssitzung im Februar ließ der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU/CSU) ähnliches verlauten: Es sei richtig, dass die EU den Schutz des geistigen Eigentums weiter stärke.10 Damit stellt sich die EU auf die Seite der Pharmaindustrie, die sich auch nur dann bereit erklärt, medizinische Güter zu liefern, wenn die auf Hilfe angewiesenen Länder ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen.11

Erreger kennen keine Grenzen

Zum Schluss stellt sich die Frage, wieso ein solches Abkommen eigentlich nur für Katastrophen gelten soll, die die ganze Welt betreffen? Dass geistiges Eigentum die Bekämpfung von anderen Krankheiten behindert, zeigen stille Pandemien wie die Tuberkulose oder auch wiederkehrende Ebola-Epidemien. Ist der Globale Norden nur mit im Boot, weil er selbst erleben musste, was für den Globalen Süden Alltag ist? Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Erreger vor Landesgrenzen keinen Halt machen. Letztlich sind es die Politiker*innen der mächtigen Industriestaaten, die diese Tatsache endlich verstehen und die wirtschaftlichen Interessen der einheimischen Firmen hintenan stellen sollten.12  (CK)

Erst nach Redaktionsschluss ist bekannt gegeben worden, dass aufgrund immer noch immenser Meinungsverschiedenheiten zusätzliche Verhandlungen Ende April / Anfang Mai angedacht sind.3,13


  1. BMG (2023) Internationales Pandemieabkommen. www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/internationale-gesundheitspolitik/global/who/internationales-pandemieabkommen.html [Zugriff 11.3.2024] ↩︎
  2. Martens J (2024) Länder ringen um globales Pandemieabkommen. www.globalpolicy.org/sites/default/files/download/Briefing_0224_Pandemieabkommen.pdf [Zugriff 11.3.2024] ↩︎
  3. Website des Intergovernmental Negotiating Body (INB) inb.who.int [Zugriff 11.3.2024] ↩︎
  4. Council of the European Union (2023) An international agreement on pandemic prevention and preparedness. www.consilium.europa.eu/de/policies/coronavirus/pandemic-treaty/ [Zugriff 11.3.2024] ↩︎
  5. Editorial (2024) Research funders must join the fight for equal access to medicines. Nature; 626, p 7 https://doi.org/10.1038/d41586-024-00237-y ↩︎
  6. Furlong A (2024) Why the world’s first pandemic treaty may never happen. POLITICO, 3 January www.politico.eu/article/pandemic-treaty-negotiations-countries-risking-failure-covid-who-sharing-mechanism/ [Zugriff 11.3.2024] ↩︎
  7. Garrison C (2024) It is not too late to solve the know-how problem in the WHO Pandemic Accord. Medicines Law and Policy, 5 March www.medicineslawandpolicy.org/2024/03/it-is-not-too-late-to-solve-the-know-how-problem-in-the-who-pandemic-accord/ [Zugriff 11.3.2024] ↩︎
  8. Farge E (2023) WHO Pandemic Treaty: what is it and how will it save lives in the future? www.weforum.org/agenda/2023/05/who-pandemic-treaty-what-how-work/ [Zugriff 11.3.2024] ↩︎
  9. Ärzteblatt (2023) World Health Summit: Globaler Pandemievertrag dringend benötigt. 16. Oktober www.aerzteblatt.de/nachrichten/146646/World-Health-Summit-Globaler-Pandemievertrag-dringend-benoetigt [Zugriff 11.3.2024] ↩︎
  10. Deutscher Bundestag (2024) Anträge zum WHO-Pandemieabkommen überwiesen. www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw08-de-who-pandemieabkommen-988624 [Zugriff 11.3.2024] ↩︎
  11. Ravelo JL (2023) Advocates and Big Pharma both unhappy with latest pandemic treaty draft. Devex, 19 October www.devex.com/news/advocates-and-big-pharma-both-unhappy-with-latest-pandemic-treaty-draft-106402 [Zugriff 11.3.2024] ↩︎
  12. Editorial (2024) The Pandemic Treaty: shameful and unjust. Lancet; 403, p 781 https://doi.org/10.1016/S0140-6736(24)00410-0 ↩︎
  13. Peoples Health Dispatch (2024) WHO negotiations for Pandemic Treaty extended due to disagreements. Peoples Dispatch, 1 April https://peoplesdispatch.org/2024/04/01/who-negotiations-for-pandemic-treaty-extended-due-to-disagreements/ [Zugriff 2.4.2024] ↩︎

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