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Faktencheck Forschungskosten

Die Pharmaindustrie begründet die enormen Preise für Arzneimittel mit eigenen hohen Forschungskosten. Dabei steckt in den teuren Arzneimitteln viel öffentlich finanzierte Forschung. Claudia Wild ist Expertin für Transparenz in der Arznei­mittelforschung und erklärt im Interview Zusammenhänge.

In einer Studie haben Sie gemeinsam mit Kolleg*innen die Kosten für Arzneimittel-Forschung unter die Lupe genommen. Was war die Motivation?

Wir befassten uns anfänglich damit, als die Preise der Pharmaindustrie für Arzneitherapien enorme Ausmaße annahmen – vor allem bei den ersten Gentherapien. Klar ist: Oftmals steckt in den teuren Arzneimitteln viel öffentlich finanzierte Forschung, die Pharmaindustrie verkauft sie am Ende aber zu enormen Preisen. Wir wollten die Aussage „Die Öffentlichkeit zahlt zweimal: einmal für die Forschung und ein zweites Mal für die Arzneimittel“ mit Fakten untermauern und damit die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit, aber auch der Politik, auf das Problem lenken. Das langfristige Ziel ist, so viel Evidenz vorzulegen, dass die Pharmafirmen die tatsächlichen Arzneimittel-Entwicklungskosten preisgeben, da sie dem sozialen Druck nach mehr Transparenz nicht mehr ausweichen können.

An welcher Stelle kommt bei der Arzneimittel-Entwicklung denn die Industrie ins Spiel?

In der Regel ist das Muster so: Die öffentliche Hand zahlt die gesamte Grundlagenforschung, die viele Jahre bis zum Erfolg braucht. Sobald ein patentierbares Ergebnis vorliegt, wird eine kommerzielle Verwertung von den entsprechenden Technologie-Transfer-Büros der Universitäten gefördert. Dann wird ein Biotech-Spin-out (ein sogenanntes Start-up einer Universität) gegründet, ebenfalls mit viel öffentlichem Kapital, um die ersten präklinischen Studien durchzuführen. Pharmafirmen haben „Patent-Scouts“, die genau beobachten, was Universitäten erforschen, um dann – bei den ersten positiven Ergebnissen – ein Angebot vorzulegen. Sie kaufen das Patent, verhandeln eine exklusive Lizensierung oder erwerben gar das ganze Start-up, um dann in klinischen Studien die Erforschung der Mittel am Menschen durchzuführen. Dazwischen kann es noch ein- oder mehrmals zu Verkäufen der Firmen mit den Produkten kommen.

Warum haben Sie sich Antibiotika genauer angeschaut?

Antibiotika sind nur eines von vielen Beispielen. Neue Antibiotika sind sehr, sehr notwendig, aber Firmen interessieren sich nicht für die Entwicklung, weil der Markt nicht lukrativ erscheint. Das liegt daran, dass sie nur im Notfall eingesetzt werden sollten. Die Ertragsmöglichkeiten sind damit aus Sicht der Unternehmen gering. Deshalb haben große öffentliche Forschungsinitiativen (wie z.B. Wellcome Trust) Anreize für die Erforschung neuer Wirkstoffe gesetzt, aber auch für die öffentliche Finanzierung klinischer Studien. Die öffentlichen Beiträge sind in allen Phasen der Entwicklung also sehr gut nachweisbar. Die Pharmafirmen kommen bei den Antibiotika erst spät ins Spiel, wenn das Risiko für Misserfolg geringer ist.

Wie viel Geld investiert die öffentliche Hand in die Entwicklung von Medikamenten?

Das variiert sehr stark zwischen Arzneimittelgruppen. Es geht jedenfalls immer um mehrstellige Millionenbeträge. Bei Antibiotika ist der öffentliche Anteil sehr viel höher, weil er auch die klinischen Studien mitfinanziert. Die Studien kosten viel Geld, können aber auch fehlschlagen. Das heißt, bei den Antibiotika ist das Verlustrisiko für die öffentliche Förderung größer als bei anderen Arzneimitteln. Bei Gentherapien endet der öffentliche Anteil oft (aber keineswegs immer) bei der Förderung der Grundlagenforschung und der frühen Entwicklung.

Die Pharmaindustrie gibt sehr hohe Summen an, die sie angeblich für die Forschung ausgibt. Stimmen die Zahlen?

Die hohen Forschungskosten sind ein Mythos: Die Kosten entstehen viel mehr durch das Aufkaufen von kleinen Firmen für Milliardensummen, nachdem Investoren auf dem Finanzmarkt deren Wert fiktiv bemessen haben. Das bedeutet, dass sie eingeschätzt haben, wie viel Gewinn mit dem Produkt in Zukunft erwirtschaftet werden kann. Es ist also nicht die teure Forschung, die den Preis nach oben treibt, sondern der am Finanzmarkt geschätzte Wert beim Ver- bzw. Ankauf des Unternehmens. Das hat nichts mit Forschung zu tun, nur mit dem Einkauf von Wissen.

Sind solche Daten öffentlich?

Es ist nicht ganz einfach, an alle Detaildaten zu kommen. Anfangs ist die Forschung noch nicht produkt-, sondern portfoliospezifisch. Das heißt, Firmen legen nur Schätzungen und Befragungen vor. Die öffentlichen Forschungsaufwendungen sind zwar dokumentiert, nicht aber nationale Innovationsförderungen für kleine Biotech-Start-ups. Es fehlen auch Angaben zu den Förderungen für regionale Ansiedelungen und Standortsicherungen. Da fließt aber enorm viel öffentliches Geld rein. Nachrichten über Investitionen bieten dagegen gute Daten zu den Ein- und Verkäufen von Firmen, zu Meilenstein-Zahlungen,1 zur Beurteilung von Firmenwerten und entsprechenden Ausschüttungen am Finanzmarkt.

Könnte sich das künftig ändern?

Die EU hat in ihrem Vorschlag für die neue Arzneimittel-Verordnung festgeschrieben, dass die Pharmafirmen in Zukunft öffentliche Beiträge offenlegen müssen.2 Allerdings nur direkte Förderungen, wobei nirgends definiert ist, was indirekte und direkte öffentliche Förderungen sind. Da versuchen wir im Rahmen unseres Projektes nachzuhelfen, die richtigen Kategorien an Förderungen zu benennen.
Im Übrigen bittet das in Österreich neu gegründete Nationale Arzneimittelboard die Firmen ebenfalls, in ihrem Dossier neben arzneimittelspezifischen Informationen auch die öffentlichen Beiträge preiszugeben.3 Bislang hat das jedoch noch keine Firma gemacht.

Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ella Feldmann. Es erschien zuerst in Gute Pillen – Schlechte Pillen 3/2025.


  1. Zahlungen, die an bestimmte, vorher definierte Ziele in einem Projekt geknüpft sind. ↩︎
  2. European Commission (2023) Reform of the EU pharmaceutical legislation https://health.ec.europa.eu [Zugriff 27.3.2025] ↩︎
  3. HTA Austria (2025) Exagamglogene autotemcel https://eprints.aihta.at/1548/ [Zugriff 27.3.2025] ↩︎

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