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Die Pandemie hatte unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf Frauen, besonders in Ländern des Globalen Südens. Die Verfügbarkeit von Diensten der sexuellen und reproduktiven Gesundheit wurde beeinträchtigt: Familienplanung, sichere Schwangerschaftsabbrüche und die Gesundheitsversorgung von Müttern und Neugeborenen.

Als Reaktion auf den rasanten Anstieg der Corona-Fallzahlen wurden weltweit Gesundheitseinrichtungen umstrukturiert und Mittel zur Bekämpfung des Virus umverteilt. Diese Priorisierung führte jedoch in anderen Versorgungsbereichen zu Engpässen, Einschränkungen und Unterversorgungen. Das betraf auch die Schwangerenvorsorge, den Zugang zu qualifizierten Geburtshelfer*innen und zur postnatalen Versorgung in vielen Teilen der Welt.

Betroffen waren insbesondere Frauen in Ländern mit niedrigem und mittleren Einkommen, in denen Entbindungsstationen geschlossen und Fachkräfte abgezogen wurden.1 Für sie bestand im Vergleich zu Schwangeren in einkommensstarken Ländern ein achtmal größeres Risiko infolge einer Corona-Infektion zu versterben.2

Säuglingssterblichkeit

Unbegleitete Geburten nahmen während der Pandemie zu. Aber auch wo die Geburt in einer Gesundheitseinrichtung stattfand, gab es höhere Risiken. Vielerorts wurden Neugeborene zum Infektionsschutz von den Müttern getrennt, vor allem wenn diese einen positiven Corona-Test hatten. Gerade für Frühgeburten und Kinder mit geringem Geburtsgewicht kann der enge Körperkontakt und exklusives Stillen aber lebensrettend sein (Kangaroo mother care, KMC).4 Das gilt ganz besonders in Ländern mit einer eher prekären Gesundheitsversorgung. In einer Modellrechnung wurde ermittelt, dass durch Verzicht auf KMC über 100.000 Säuglinge nicht überleben würden, während mit KMC im negativsten Szenario (100 Prozent der Babys stecken sich an) 2.000 an einer Covid-Infektion gestorben wären.5

Reproduktive Gesundheit

Der Zugang zu Verhütungsmitteln verschlechterte sich während der Pandemie ebenso wie die Präventionsarbeit im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit litt. So hatte zu dieser Zeit einer von vier Jugendlichen in Mittel- und Südamerika keinen Zugang zu Verhütungsmitteln, was zu ungewollten Schwangerschaften führte.6 Bereits vor Covid bestanden in vielen Ländern Lateinamerikas extrem restriktive Abtreibungsgesetze. Der Zugang zu professionellen und legalen Diensten für sichere Schwangerschaftsabbrüche wurde durch die Pandemie zusätzlich erschwert. Viele Frauen suchten daher nach Alternativen und mussten auf unsichere Angebote zurückgreifen.7

Bereits vor der Pandemie stellte dies auch für Frauen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara ein Problem dar. 2010 bis 2014 waren 77 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in dieser Region unsicher.8

Intersektionale und strukturelle Herausforderungen

In vielen Gesellschaften haben Frauen immer noch weniger Chancen auf Bildung und Beschäftigung.9 Ebenfalls behindern oder verzögern geschlechtsbezogene Ungleichheiten im Gesundheitssystem und eine gesellschaftliche Orientierung an traditionellen Normen, nach denen die Gebärfähigkeit von Frauen in den Mittelpunkt gestellt wird, die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten. Frauen haben im Vergleich zu Männern beispielsweise ein höheres Risiko für Depressionen, Angstzustände, bestimmte Krebserkrankungen und geriatrische Probleme. Jedoch reagieren die Gesundheitssysteme nicht angemessen auf diese Unterschiede.10 Die Umverteilung der Ressourcen im Zuge der Pandemie hat die bestehenden geschlechtsspezifischen Ungleichheiten insbesondere im Globalen Süden verschärft.11

Hinzu kommen Diskriminierungsaspekte. Die Auswirkungen von Covid trafen ethnische Minderheiten, Geflüchtete, Migrant*innen und Menschen mit geringem sozio-ökonomischen Status besonders stark. Aber bereits vor der Pandemie gab es kaum intersektionale Forschung zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit von Frauen im Globalen Süden. Es existieren lediglich wenige Studien zu Bereitstellung, Zugang und zur Nutzung von entsprechenden Gesundheitsdiensten durch marginalisierte Gruppen in den USA.12 Dabei könnte gerade in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe das Wissen über die Auswirkungen von Covid auf die sexuelle und reproduktive Gesundheit durch die Betrachtung von hierarchischen, systematischen und mehrdimensionalen Ungleichheiten verbessert werden.13

So sind zum Beispiel Frauen mit Behinderungen häufig mit sozialer Stigmatisierung, Diskriminierung und mangelndem Zugang zu Gesundheitseinrichtungen konfrontiert. Angebote für ihre speziellen Bedürfnisse fehlen weltweit oft und Barrierefreiheit ist häufig noch die Ausnahme. Damit Leistungen der Mütter- und Reproduktionsgesundheit zugänglich sind, müssen also gleichermaßen infrastrukturelle und soziale Hürden abgebaut werden.14

International verursachte die Pandemie wirtschaftliche Instabilität, das führte in vielen Ländern zu einem Anstieg von Armut, Ernährungsunsicherheit und Arbeitslosigkeit und verschärfte auch die Situation für Frauen, insbesondere für solche, die Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt waren. Hinzu kommt, dass die geschlechtsspezifische Gewalt zugenommen hat, mit schwerwiegenden Folgen für das Leben und die Gesundheit von Frauen. Diese sekundären Auswirkungen der Pandemie verdeutlichen, wie wichtig eine intersektionale Perspektive für das Verständnis von und den Umgang mit Herausforderungen ist.  (DW)


  1. Chmielewska B et al. (2021) Effects of the COVID-19 Pandemic on Maternal and Perinatal Outcomes: A Systematic Review and Meta-Analysis. The Lancet Global Health; 9, p e759. https://doi.org/10.1016/S2214-109X(21)00079-6 ↩︎
  2. Maza-Arnedo F et al. (2022) Maternal mortality linked to COVID-19 in Latin America: Results from a multi-country collaborative database of 447 deaths. The Lancet Regional Health – Americas, 12, 100269.https://doi.org/10.1016/j.lana.2022.100269 ↩︎
  3. Alle Zitate stammen aus Interviews, die die Pharma-Kampagne im Rahmen ihrer Projekte zu den Folgen von Covid-19 durchführte. ↩︎
  4. WHO (2023) Born too soon: decade of action on preterm birth. Geneva: WHO [Zugriff 20.5.2023] ↩︎
  5. Minckas N et al. (2021) Preterm care during the COVID-19 pandemic: a comparative risk analysis of neonatal deaths averted by kangaroo mother care versus mortality due to SARS-CoV-2 infection. EClinicalMedicine; 33, 100733 ↩︎
  6. Pan American Health Organization (2022) COVID-19 Pandemic Disproportionately Affected Women in the Americas. Published March 8, 2022. [Zugriff 20.05.2023] ↩︎
  7. Pilecco et al. (2021) Abortion and the Covid-19 pandemic: insights for Latin America. Cadernos de saúde pública; 37, e00322320 https://doi.org/10.1590/0102-311X00322320 ↩︎
  8. Ganatra B et al. (2017) Global, regional, and subregional classification of abortions by safety, 2010–14: estimates from a Bayesian hierarchical model. The Lancet 390, 10110, p 2372 https://doi.org/10.1016/S0140-6736(17)31794-4 ↩︎
  9. Vereinte Nationen (2020) Women and Girls – Closing the Gender Gap. [Zugriff 20.5.2023] ↩︎
  10. Hay K et al. (2019) Disrupting Gender Norms in Health Systems: Making the Case for Change. The Lancet 393, 10190, p 2535–49. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(19)30648-8 ↩︎
  11. Pujolar G et al. (2022) Changes in Access to Health Services during the COVID-19 Pandemic: A Scoping Review. International Journal of Environmental Research and Public Health 19, 3, p 1749 https://doi.org/10.3390/ijerph19031749 ↩︎
  12. Mukherjee T I et al. (2021) Reproductive justice in the time of COVID-19: a systematic review of the indirect impacts of COVID-19 on sexual and reproductive health. Reproductive Health 18, 252, p 1-25 https://doi.org/10.1186/s12978-021-01286-6 ↩︎
  13. Lokot M et al. (2020) Intersectionality as a lens to the COVID-19 pandemic: implications for sexual and reproductive health in development and humanitarian contexts. Sexual and reproductive health matters; 28, p. 40 https://doi.org/10.1080/26410397.2020.1764748 ↩︎
  14. Matin, B et al. (2021) Barriers in Access to Healthcare for Women with Disabilities: A Systematic Review in Qualitative Studies. BMC Women’s Health; 21, p 44 https://doi.org/10.1186/s12905-021-01189-5. ↩︎

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