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Schlecht für alle Beteiligten

Bakterien, Pilze und andere Mikroorganismen, deren Resistenzen die Behandlung von Krankheiten schwierig bis unmöglich machen, gehören zu den größten Herausforderungen globaler Gesundheit. Trotz einiger Fortschritte bleiben strukturelle Hürden bei der Eindämmung dieser antimikrobiellen Resistenzen (AMR) bestehen. Das gilt bei der Herstellung von Arzneimitteln im Globalen Süden, ebenso wie bei ihrer Anwendung im Globalen Norden. Beides hat Konsequenzen für Mensch und Umwelt.

Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit steht beim Thema AMR vor allem die Sorge um ein „post-antibiotisches Zeitalter“, in dem die Versorgung ehemals einfach zu handhabender Infektionen erschreckend schnell an Grenzen stößt. Welche Rolle Umweltaspekte dabei spielen, machte 2020 eine Analyse der Pharma-Kampagne anschaulich: „Mit intensiver Landwirtschaft sowie Abwässern aus Krankenhäusern und aus der Arzneimittelproduktion landen große Mengen Antibiotika in Böden und Gewässer. Die Verseuchung der Umwelt mit antibiotischen Substanzen fördert die Entstehung resistenter Erreger, die auch dem Menschen gefährlich werden können.“1 Hinzu kommt die Luft als ein mögliches Reservoir für resistente Keime.

Aus der Balance

Zwar entstehen durch den natürlichen Wettbewerb von Mikroorganismen auch ohne menschlichen Eingriff Resistenzen gegen Antibiotika in der Umwelt, doch der intensive Einsatz in Human- und Veterinärmedizin seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist höchst pro­blematisch. Dies gilt auch für andere antimikrobielle Stoffe wie Antiparasitika und Desinfektionsmittel sowie Substanzen, die gegen Pilze verwendet werden. Mit der intensivierten Nutzung gehen verstärkte Umweltrisiken einher, unter anderem für Wasserorganismen: „Einzelne Antibiotika verursachen etwa bereits in Konzentrationen von wenigen Mikrogramm pro Liter im Gewässerökosystem Schäden bei niederen Wasserpflanzen wie Algen oder Cyanobakterien.“2 Und auch für Landlebewesen lauern Gefahren, etwa beim Einsatz von antiparasitisch eingesetzten Wirkstoffen wie Ivermectin. Jenes kann über Weidetiere negative Auswirkungen auf wichtige Nützlinge wie Würmer, Fliegen und Käfer haben, was wiederum die Bodenbeschaffenheit unmittelbar beeinflusst und Folgen für die Nahrungskette mit sich bringt.3

Gefährliche Listen

Die WHO geht von jährlich fast fünf Millionen Toten durch AMR aus.4 Die Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH), stellt wiederum fest: „Die Auswirkungen von AMR sind größer in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen der Zugang zur Gesundheitsversorgung oder zu Veterinärdiensten eingeschränkt ist und in denen der Einsatz antimikrobieller Mittel aufgrund begrenzter Ressourcen nur unzureichend geregelt und kontrolliert wird.“5

Seit 2017 führt die WHO eine Prioritätenliste der gefährlichsten bakteriellen Krankheitserreger. 2024 sah man für ärmere Länder unter anderem besonders dringenden Handlungsbedarf bei Enterobakterien, während für reichere Länder speziell resistente Varianten von Escherichia coli und Staphylococcus aureus (Stichwort MRSA6) im Zentrum standen.7 Im Vergleich zu bakteriellen Erkrankungen fristen andere Facetten antimikrobieller Resistenzen eher ein Schattendasein. Zu Unrecht, wie ein Blick auf die Mykosen zeigt. Der Hefepilz Candida auris zum Beispiel hat sich in den vergangenen 15 Jahren schnell international verbreitet, wies bereits zu Beginn Resistenzen auf und gefährdet auch in Deutschland zunehmend Menschen. Dies gilt besonders, wenn sie vorerkrankt sind oder ein geschwächtes Immunsystem haben.8 So können schwere Wundinfektionen und Blutvergiftungen auftreten. Auch für krankmachende Pilze führt die WHO eine Prioritätenliste.9

Trübe Wasser

AMR und Umweltbelastung sind bereits bei der Herstellung von Arzneimitteln eng verknüpft. Eine mehrjährige Untersuchung von Produktionsabwässern in Europa und Indien, einem auch für Deutschland wichtigen Industriestandort, förderte jüngst teils massive Überschreitungen von ökotoxikologisch relevanten Schwellenwerten zutage, etwa beim Reserveantibiotikum Ciprofloxacin. Besonders auffällig waren viele indische Proben, doch stellten Studienbeteiligte zugleich fest: „Von den beprobten Gewässern entstammt die Umweltprobe mit den meisten gemessenen Antibiotikafunden einem europäischen Bach.“10

Der Weg ins Wasser führt jedoch, wie eingangs erwähnt, nicht nur über die Produktion, sondern auch über die Ausscheidungen von Patient*innen. Dies gilt für Privathaushalte sowie für versorgende Einrichtungen. Ein aktueller Ministeriumsbericht zu Medikamentenrückständen im Trinkwasser Nordrhein-Westfalens geht davon aus, dass die Einleitungen von Krankenhäusern ins Abwasser eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung antibiotikaresistenter Keime darstellen können. Zugleich stellt die Analyse fest: „Derzeit gibt es keine rechtlichen Anforderungen an das Abwasser aus Krankenhäusern.“11

Landwirtschaft dient allen

Die standardisierte Verwendung von Antibiotika in der Massentierhaltung führt zur Verbreitung von antimikrobiellen Resistenzen. Foto: © Orest Lyzhechka, iStock

Ein weiterer zentraler Faktor für AMR ist die Landwirtschaft, dabei vor allem die Massentierhaltung von Rindern, Schweinen, Geflügel sowie Wasserlebewesen. Trotz ihres verhältnismäßig kleinen globalen Anteils an der industriellen Tierhaltung sind Aquakulturen von besonderem Interesse. Der weltweite Fischkonsum hat sich seit Mitte der 1980er-Jahre mehr als verdoppelt, auch befeuert von einem Boom bei Aquakulturen.12 Die damit einhergehenden Umweltrisiken sind komplex. Im Nordatlantik hat etwa der großangelegte Einsatz von Pestiziden in Lachsfarmen das vermehrte Auftreten multiresistenter Parasiten zur Folge – jene betreffen neben den Zuchttieren auch Wildlachse und verwandte Forellenarten.13

Zusätzlich zu Zuchteinrichtungen selbst rücken weiterverarbeitende Betriebe wie Schlachthöfe ins Blickfeld. Diese verfügen in Deutschland zumeist über eigene Kläranlagen. Gesetzlich geregelt sind hierzulande allerdings nur Grenzwerte für die organische und nicht die mikrobiologische Verunreinigung angrenzender Gewässer.14

In der Bundesrepublik hat sich die Menge an eingesetzten Antibiotika in der Tierzucht dank staatlicher Auflagen zwischen 2011 und 2021 deutlich verringert. Dennoch ist sie heute im europäischen Vergleich immer noch im Mittelfeld zu verorten und es werden weiter Reserveantibiotika verwendet, wie etwa Colistin.15 2018 sorgte ein NDR-Report für Aufsehen, bei dem mehrere Wasserproben aus Niedersachsen deutliche Hinweise auf Colistin-Resistenzgene enthielten.16 Das Breitbandantibiotikum gilt als bedeutende letzte Therapieoption in der Humanmedizin und wird trotz erster Resistenzfunde 2016 bis heute intensiv in Südostasien und offenbar auch in einigen afrikanischen Ländern bei der Zucht eingesetzt.17

Stichwort Klimakrise

Große Herausforderungen stellen sich für die Weltgemeinschaft also schon jetzt, gerade aus Sicht des One Health-Ansatzes. Zunehmend kommen auch im AMR-Bereich verschärfend die Auswirkungen des beschleunigten Klimawandels hinzu. Dieser trifft Länder niedrigen und mittleren Einkommens besonders hart und wird unter anderem die Trinkwasserversorgung und eine adäquate Abwasserinfrastruktur weiter erschweren. Für den Menschen und seine Umwelt werfen Extremwetterereignisse neue Probleme mit antimikrobiellen Stoffen auf, etwa durch größere Verbreitung infolge von Überschwemmungen.18
Eine Literaturübersicht aus dem Jahre 2023 fällt ein beunruhigendes Urteil auch aus deutscher Perspektive: „Der Klimawandel wird durch Temperaturerhöhungen, Veränderungen der Luftfeuchtigkeit und des Niederschlags wahrscheinlich zu einer Ausbreitung bakterieller Krankheitserreger, einem verstärkten Einsatz von Antibiotika und einer Zunahme von AMR in Europa führen.“19 (MK)


  1. Pharma-Brief (2020) Resistente Erreger. Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt. Spezial Nr. 1 ↩︎
  2. Umweltbundesamt (2023) FAQ: Antibiotika und Antibiotikaresistenzen in der Umwelt. www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/arzneimittel/faq-antibiotika-antibiotikaresistenzen-in-der#undefined [Zugriff 4.6.2024] ↩︎
  3. Umweltbundesamt (2018) Umweltwirkungen von Arzneimitteln.
    www.umweltbundesamt.de/umweltwirkungen-von-tierarzneimitteln#Tierarzneimittel%20in%20der%20Umwelt [Zugriff 4.6.2024] ↩︎
  4. WHO (2023) Fact sheet Antimicrobial resistance. www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/antimicrobial-resistance [Zugriff 31.5.2024] ↩︎
  5. WOAH (o. J.) Antimicrobial resistance. www.woah.org/en/what-we-do/global-initiatives/antimicrobial-resistance/ [Zugriff 31.5.2024] ↩︎
  6. Kurz für Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus ↩︎
  7. WHO (2024) WHO Bacterial Priority Pathogens List, 2024. iris.who.int/bitstream/handle/10665/376776/9789240093461-eng.pdf?sequence=1 [Zugriff 31.5.2024] ↩︎
  8. Aldejohann AM (2024) Zunahme von Candida auris in Deutschland im Jahr 2023. Epidemiologisches Bulletin; 18, p 3-7 ↩︎
  9. WHO (2022) WHO fungal priority pathogens list to guide research, development and public health action. iris.who.int/bitstream/handle/10665/363682/9789240060241-eng.pdf?sequence=1 [Zugriff 5.6.2024] ↩︎
  10. Umweltbundesamt (2023) Antibiotikaresistenzen: Studie zeigt hohen Handlungsdruck. www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/antibiotikaresistenzen-studie-zeigt-hohen [Zugriff 3.6.2024] ↩︎
  11. Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (2024) Schriftlicher Bericht Medikamentenrückstände im Trinkwasser. www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV18-2150.pdf [Zugriff 3.6.2024] ↩︎
  12. Marek M, Breiholz J (2024) Aquakulturen – Fluch oder Segen? www.dw.com/de/aquakulturen-fluch-oder-segen/a-69160663 [Zugriff 5.6.2024] ↩︎
  13. Fjørtoft HB et al. (2021) Losing the ‘arms race’: multiresistant salmon lice are dispersed throughout the North Atlantic Ocean. Royal Society Open Science; 8, doi.org/10.1098/rsos.210265 ↩︎
  14. Kleist JF (2023) Prävalenz antibiotikaresistenter Erreger in Abwässern ausgewählter Schlachthöfe. digibib.hs-nb.de/file/dbhsnb_thesis_0000003088/dbhsnb_derivate_0000003698/Masterarbeit-Kleist-2023.pdf [Zugriff 3.6.2024] ↩︎
  15. MDR (2024) Jedes dritte Hähnchen in konventionellen Betrieben belastet. www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/antibiotika-haehnchen-multiresistente-keime-100.html [Zugriff 3.6.2024] ↩︎
  16. NDR (2018) Fragen und Antworten zu Keim-Funden in Gewässern. www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Fragen-und-Antworten-zu-Keim-Funden-in-Gewaessern,keime304.html [Zugriff 3.6.2024] ↩︎
  17. Portal E et al. (2024) Characterisation of colistin resistance in Gram-negative microbiota of pregnant women and neonates in Nigeria. Nature Communications; 15, doi.org/10.1038/s41467-024-45673-6 ↩︎
  18. Global Leaders Group on Antimicrobial Resistance (2021) Antimicrobial resistance and the climate crisis. cdn.who.int/media/docs/default-source/antimicrobial-resistance/amr-gcp-tjs/amr-and-the-climate-crisis.pdf?sfvrsn=6d7c7a5b_7 [Zugriff 5.6.2024] ↩︎
  19. Meinen A et al. (2023) Antibiotikaresistenz in Deutschland und Europa – Ein systematischer Review zur zunehmenden Bedrohung, beschleunigt durch den Klimawandel. Journal of Health Monitoring; 8, DOI 10.25646/11395
    ↩︎

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